• Silvester in Berlin: Betrunkene Feuerwehrleute wollten Notfall-Patienten in Klinik fahren
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/silvester-in-berlin-betrunkene-feuerwehrleute-wollten-notfall-patie

    Blaulicht schützt vor Strafe nicht. Jaja.

    3.1.2024 von Andreas Kopietz - Die beiden Rettungssanitäter lallten in die Funkgeräte. Alkoholtests ergaben bei ihnen 2,2 und 1,6 Promille. Wie viele Einsätze fuhren sie in der Nacht betrunken?

    Die Besatzung eines Berliner Rettungswagens ist in der Silvesternacht betrunken durch die Stadt gefahren. Sie wollte einen verletzten Patienten in ein Krankenhaus fahren. „So ein Verhalten ist völlig inakzeptabel“, sagte Behördensprecher Vinzenz Kasch am Mittwoch der Berliner Zeitung und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht der B.Z.

    „Beide Kollegen befinden sich derzeit nicht mehr im Einsatzdienst. Sie werden nun zunächst dem Betriebsarzt vorgestellt.“ Alles Weitere sei Gegenstand der Ermittlungen.

    Die beiden Rettungssanitäter von der Wache Wannsee waren nach Informationen der Berliner Zeitung durch die Polizei wegen einer Körperverletzung alarmiert worden. Ein Verletzter sollte mit einer Kopfplatzwunde ins Krankenhaus gefahren werden.

    Aufgefallen sind die beiden Sanitäter am Funk in der Leitstelle: Sie lallten und drückten mehrfach die falsche Statustaste, mit der eine Besatzung durchgibt, ob sie einsatzbereit oder unterwegs ist.

    Über zwei Promille gemessen

    Daraufhin wurde ein Vorgesetzter losgeschickt. Als er an der Einsatzstelle eintraf, habe er die Alkoholfahne der beiden bemerkt, heißt es intern. Er ordnete daraufhin an, dass der Praktikant, der die Sanitäter begleitete und nüchtern war, den Verletzten fahre. Der Vorgesetzte fuhr in seinem eigenen Fahrzeug hinterher.

    Ein Atemalkoholtest soll bei dem medizinisch verantwortlichen Sanitäter 1,6 Promille angezeigt haben. Bei dem Fahrer sollen es 2,2 Promille gewesen sein. Die Polizei ordnete bei ihnen eine Blutentnahme an.

    Mehrere Vorgesetzte begaben sich kurz nach 4 Uhr zu der Feuerwache Wannsee und drängten die elf verbliebenen diensthabenden Feuerwehrleute zu freiwilligen Alkoholtests. Sie waren aber nüchtern. Problematisch war allerdings, dass während der Aussprachen und der Alkoholtests die Wache aus dem Einsatzgeschehen abgemeldet werden musste. Dabei wurde in der Silvesternacht jeder Wagen gebraucht.

    Gegen die beiden Feuerwehrleute wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Polizei ermittelt gegen sie wegen Trunkenheit im Straßenverkehr. Gegenstand dieser Ermittlungen ist auch die Frage, wie viele Rettungseinsätze sie in jener Nacht betrunken zurücklegten.

    #Berlin #Wannsee #Scabellstraße #Lronprinzessinnenweg #Feuerwehr #Alkohol #Arbeit

  • Berliner Gericht: Bezirk Pankow muss „Kiezblock“ im Nesselweg wieder entfernen
    https://www.berliner-zeitung.de/news/bezirk-pankow-muss-kiezblock-im-nesselweg-wieder-entfernen-gerichts

    Pankow, oder nicht Pankow? Ausnahmsweise und mit viel Glück hat unsere Lokaljournalistin die Angabe „Pankow“ dem berühmten Nesselweg richtig zugeordnet. Spätestens seit der Bezirksreform und der Schaffung des Monsterbezirks „Pankow“ qua Eingemeindung des völlig unzusammenhängenden Prenzlauer Berg in den Stadtrandbezirk ist die Information über den Bezirksnamen leider völlig sinnfrei geworden. Der Names des Ortsteils „Rosenthal“ wäre ein tippitoppi Hinweis, um dem Leser zumindest eine vage Vorstellung von der Lage des Nesselwegs zu vermitteln. Dann noch, wie dem Kaupert zu entnehmen, ein Verweis auf die Schönhauser Straße oder, noch besser, die zweite Straße, die der Kiezblock undurchfahrbar macht, und schon wäre man einigermaßen im Bilde.
    Aber was willste, die Lokalredaktion ist halt zweite Liga, Durchlauferhitzer für kleine Tröpchen, aus denen mal Journalisten werden sollen. Da kann man nicht so viel Präzision erwarten. Meldungen abtippen (oder mit CTRL-C übernehmen) muss reichen.

    3.1.2024 von Eva Maria Braungart - Das Gericht gab einem Eilantrag statt, der sich gegen die Sperrung einer Straße wandte. Der „Kiezblock“ muss nun wieder verschwinden.

    Das Berliner Verwaltungsgericht hat entschieden, dass ein sogenannter Kiezblock in Berlin-Pankow wieder entfernt werden muss. Durch Maßnahmen wie Durchfahrtsperren oder Einbahnstraßen sollte der Durchgangsverkehr in einigen Kiezen eingeschränkt werden. Vor einem halben Jahr wurde der erste in Berlin errichtet.

    Das Gericht gab einem Eilantrag statt, der sich gegen die Sperrung einer Straße mittels Sperrpfosten gewandt hatte. Es bestünden „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufstellung der Sperrpfosten und sonstiger Verkehrsschilder“, so die Begründung des Urteils.

    Anderer „Kiezblock“ sorgte in Pankow für Aufregung

    Im Juni 2021 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks Pankow das Bezirksamt aufgefordert, Maßnahmen zur wirksamen Reduzierung des Durchgangsverkehrs im Nesselweg zu treffen. Dort sei ein zunehmender Durchgangsverkehr zu verzeichnen gewesen, wobei die erlaubte Höchstgeschwindigkeit regelmäßig deutlich überschritten worden sein soll. Ein „Kiezblock“ sollte dieses Problem lösen – doch damit ist nun Schluss.

    Das Gericht sieht die bemängelten Schäden am Nesselweg jedoch nicht als erwiesen an. „Im Gegenteil habe nicht nur die Polizei Berlin erhebliche Bedenken gegen die verkehrliche Anordnung gehabt, sondern auch ein Mitarbeiter des Bezirksamtes selbst bei einer Ortsbegehung im Januar 2022 keine Verkehrsgefährdungen festgestellt.“ Das Bezirksamt muss nun die Sperrung in Pankow aufheben und den Sperrpfosten entfernen.

    Ein weiterer „Kiezblock“ in Pankow sorgte im Sommer für Aufregung. Inhaber von Geschäften im Komponistenviertel beklagten unter anderem einen Einbruch der Umsätze.

    #Kiezblock #Berlin #Rosenthal #Nesselweg #Justiz

  • Chodowieckistraße und Co. in Berlin: Diese Straßennamen kann kein Mensch aussprechen
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/chodowieckistrasse-und-co-in-berlin-diese-strassennamen-kann-kein-m

    Wenn’s weita nüscht is ...

    3.1.2024 von Anne Vorbringer - An manchen Straßennamen scheitern selbst alte Hauptstadthasen. Oder wissen Sie auf Anhieb, wie man die Chodowieckistraße in Prenzlauer Berg korrekt ausspricht?

    Im vergangenen Jahr haben die Sprachexperten der E-Learning-Plattform Preply untersucht, welche international bekannten Lebensmittel von den Deutschen am häufigsten falsch ausgesprochen werden. Dazu wurden knapp 500 Begriffe daraufhin analysiert, wie häufig deren Aussprache bei Google eingegeben wird.

    Die Top Fünf wurde von „Bruschetta“ angeführt, das Röstbrot aus dem italienischen Antipasti-Segment wird hierzulande mindestens genauso oft bestellt wie falsch ausgesprochen, was auch für Spezialitäten wie Ciabatta, Tagliatelle und Gnocchi gilt. Letztere werden in deutschen Restaurants gerne zu „Gnotschi“, „Gnoki“ oder „Noschi“ verhunzt.

    Leider gibt es noch keine statistisch verwertbare Erhebung zu den am häufigsten falsch ausgesprochenen Berliner Straßennamen, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass unsere fünf Beispiele es in jedes derartige Ranking schaffen würden.

    1. Prenzlauer Berg: Chodowieckistraße

    Als mein Ex-Freund damals aus unserer gemeinsamen Vorderhauswohnung in der sehr leicht auszusprechenden Dunckerstraße auszog, waren wir nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen. In meinem emotionalen Verlassenwerden-Tief galt es, auch Kleinigkeiten mit einer gewissen Schadenfreude zu betrachten. Zum Beispiel den Umstand, dass auf dem angespannten Berliner Innenstadt-Mietmarkt nur noch eine Hinterhofbutze in der Chodowieckistraße für ihn frei war.

    Ausgerechnet in der Chodowieckistraße, hahahaha, dachte ich. Nun würde er jedem Taxifahrer buchstabieren müssen, wo er nach seinen Kneipenabenden mit den Kumpels hinkutschiert werden will. Schließlich hat es die kurze, parallel zur Danziger Straße verlaufende Chodowieckistraße aussprachetechnisch in sich und selbst Profis wissen nicht, was eigentlich richtig ist.

    Ich jedenfalls habe in Taxis schon alles gehört, von „Chodowjetzkistraße“, gesprochen mit „zk“, über „Chodowikki-“ bis „Schodowikkistraße“ – also mit sch und doppeltem k. Benannt ist die Straße in Prenzlauer Berg nach dem 1726 in Danzig geborenen und 1801 in Berlin verstorbenen Maler, Radierer und Kupferstecher Daniel Nikolaus Chodowiecki.

    Dessen Nachname wird laut Duden „Chodowjetski“ ausgesprochen, polnische Muttersprachler schlagen auf anderen Plattformen eher ein „Hoddowjetski“ vor. Zum Üben für die nächste Taxifahrt haben wir Ihnen einen YouTube-Link herausgesucht. Dass der Fahrer Sie dann auch versteht, dafür übernehmen wir allerdings keine Garantie. Mein Ex-Freund jedenfalls hat es irgendwann aufgegeben und bat immer darum, an der Ecke Danziger und Prenzlauer Allee rausgelassen zu werden.

    2. Grünau: Rabindranath-Tagore-Straße

    Früher hieß die vom Adlergestell bis zur Regattastraße verlaufende Rabindranath-Tagore-Straße im schönen Grünau mal schnöde-einfach Straße 900. Doch dann erfolgte auf Vorschlag des Indologen Professor Walter Ruben zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore die Umbenennung nach dem 1861 in Kalkutta geborenen Philosophen und Dichter.

    Der Schriftsteller Stefan Heym hat in der Rabindranath-Tagore-Straße gewohnt und erzählte Ende der Neunzigerjahre in der Zeit diese hübsche Anekdote zu seiner Adresse: „Die DDR wollte von Indien anerkannt werden, nannte deshalb unsere Straße Tagorestraße, und da sagte jener Indologe zum Bürgermeister: Es gibt drei Brüder Tagore. Die könne man verwechseln, wenn man nicht deutlich mache, welchen man meint. Deshalb heißt die Straße Rabindranath Tagore, und alle Pförtner von Hotels, in denen ich je einkehrte, mussten ‚Rabindranath Tagore‘ in ihre Bücher schreiben.“

    Auch heute noch hat sich an der Unaussprechlichkeit und Unbuchstabierbarkeit wenig geändert, berichtet ein Kollege aus Grünau. Selbst bei Google Maps herrscht Zungenbrecherpotenzial, und wenn das Kartennavi auf dem Handy die „Rabbindrannattrgorr-Straße“ ausspricht, will man sich vor Lachen kringeln und vergisst dabei unter Umständen, auf den Verkehr zu achten. Auch nicht ungefährlich.

    3. Wedding: Malplaquetstraße

    Malplakat? Malplack? Wasnochmal? Die Malplaquetstraße in Wedding stellt wohl selbst Anwohner vor Schwierigkeiten. Sie reicht von der Nazarethkirchstraße bis zur Seestraße, so viel steht fest. Doch wie spricht man sie nur korrekt aus?

    Lesen wir zunächst im Kauperts Straßenführer durch Berlin nach. Dort heißt es: „In der äußerst blutigen Schlacht bei Malplaquet am 11.9.1709 vernichteten während des Spanischen Erbfolgekriegs die vereint kämpfenden preußischen, österreichischen und britischen Truppen – unter Führung von John Churchill Marlborough – die Armee Ludwigs XIV. von Frankreich. Der verlustreich erkämpfte Sieg wurde nicht genutzt und hatte auch nicht die erhoffte kriegsentscheidende Wirkung.“

    Verlustreich, aber namensgebend: die Schlacht bei MalplaquetHeritage Images/imago

    Und weiter: „Vorher Straße Nr. 45, Abt. X/1 des Bebauungsplanes. 1888 entschied der Magistrat von Berlin anlässlich des 200. Geburtstags Friedrich Wilhelms I., der als Kronprinz in den Niederlanden seine Feuertaufe erhalten hatte, eine Anzahl Weddinger Straßen nach Ereignissen und Personen des Spanischen Erbfolgekriegs (1701–1714) zu benennen. So erhielt auch die Malplaquetstraße ihren Namen.“

    Malplaquet liegt in Nordfrankreich und wird demzufolge très français ausgesprochen und betont: malplakee.

    4. Tiergarten: John-Foster-Dulles-Allee

    John Foster Dulles war ein amerikanischer Politiker, der unter US-Präsident Dwight D. Eisenhower von 1953 bis 1959 als Außenminister der Vereinigten Staaten diente. Er war bekannt für seine kompromisslose Haltung gegenüber der Sowjetunion im Kalten Krieg und betrachtete den Kommunismus als „moralisches Übel“.

    Übel gerät bisweilen auch die Aussprache seines Namens in Berlin, ist nach Dulles doch eine kleine, vom Spreeweg bis zur Scheidemannstraße reichende Allee benannt. Die lässt von „Dallas“ über „Dulls“ bis hin zu „Dulli“ allerlei verhunzungstechnische Alternativen zu. Entscheiden Sie selbst, wie sehr Sie den Ami ärgern wollen, etwa wenn Sie das nächste Mal das Haus der Kulturen der Welt ansteuern, das in der John-Foster-Dulles-Allee 10 ansässig ist.

    5. Friedenau: Handjerystraße

    Von „Hand-cherie“ über „Händ-dschäry“ bis „Hand-jerri“ ist eigentlich aussprachetechnisch alles drin in der Friedenauer Handjerystraße, die von der Varziner Straße bis zur Bundesallee und Stubenrauchstraße führt. Benannt ist sie nach dem Politiker Nicolaus Prinz Handjery, der 1836 in Konstantinopel zur Welt kam und 1900 in Dresden starb.

    Wenn’s hilft: Auch eine Pflanze ist nach Handjery benannt. Der Bergahorn „Prinz Handjery“ hat einen breit ovalen bis kugelförmigen Wuchs.Agefotostock/imago

    Der Kauperts weiß: „Der Sohn eines russischen Staatsrats stammte aus einer vornehmen griechischen Familie. Seit 1845 mit seiner Familie in Preußen lebend, erhielt Handjery 1851 das preußische Bürgerrecht, 1854 legte er in Berlin das Abitur ab und studierte dann in Berlin und Bonn Jura. 1858–1861 diente er im Garde-Kürassier-Regiment. Nach dem Examen und juristischer Tätigkeit beim Berliner Stadtgericht und der Potsdamer Regierung wirkte Handjery von 1870 bis 1885 als Landrat des Kreises Teltow und vertrat den Kreis im Abgeordnetenhaus und im Reichstag. 1885 wurde Handjery Regierungspräsident in Liegnitz, bis er 1895 wegen Krankheit aus seinen Ämtern ausschied und zurückgezogen in Berlin lebte. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof, Großgörschenstraße.“

    Lässt man sich den Wikipedia-Artikel über den Juristen laut vorlesen, so spricht dort eine weibliche Stimme den Namen eher wie folgt aus: „Nikolaus Handjerü.“ Gibt man das wiederum in die Google-Sprachsuche ein, schlägt die Maschine Seiten vor wie „Handjob zum Nikolaus“. Das dürfte die Verwirrung endgültig komplett machen. Zumal es in Berlin gleich zwei Handjerystraßen gibt: Die andere liegt in Adlershof.

    #Berlin #Geschichte #Straßen #Handjerystraße #Adlershof #Friedenau #Tiergarten #John-Foster-Dulles-Allee #Wedding #Malplaquetstraße #Grünau #Rabindranath-Tagore-Straße #Prenzlauer_Berg #Chodowieckistraße

  • Die faschistische Ideologie des israelischen Staats und der Genozid in Gaza
    https://www.wsws.org/de/articles/2023/12/20/pylj-d20.html

    Diesen Vortrag hielt David North, Leiter der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, am 14. Dezember 2023 an der Humboldt-Universität in Berlin.

    Wer an der Humboldt-Universität ankommt und die Eingangshalle des Gebäudes betritt, erblickt das berühmte Zitat von Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Dieser grundlegende Aufruf von Marx sollte jeden Redner leiten, wenn er vor einer Versammlung spricht. Wie wird das, was er sagt, dazu beitragen, die Welt zu verändern?

    Zunächst möchte ich meinen Genossinnen und Genossen von der deutschen Sektion der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) dafür danken, dass sie mich eingeladen haben, heute Abend an der Humboldt-Universität zu sprechen. Soweit ich weiß, gab es gewisse Probleme bei der Festlegung des Vortragsthemas, und sie wurden darüber informiert, dass der Titel keinen Hinweis auf den derzeitigen Völkermord durch die israelische Regierung in Gaza enthalten darf. Nun, sie haben sich an diese Regel gehalten, und im Titel findet sich kein Hinweis auf dieses immens wichtige Ereignis. Diese offenkundige Einschränkung der Meinungsfreiheit ist Teil der Bestrebungen der deutschen Regierung, der Medien und der unterwürfigen akademischen Einrichtungen, Widerstand gegen die Verbrechen der Netanjahu-Regierung zu unterbinden und zu diskreditieren.

    Nachdem wir uns nun an die Auflagen zum Vortragstitel gehalten haben, werde ich dennoch über die Ereignisse in Gaza sprechen. Wie wäre es möglich, dies nicht zu tun?

    In den letzten zwei Monaten hat die Welt miterlebt, wie die israelische Regierung mit ungeheurer Brutalität Krieg gegen eine wehrlose Bevölkerung führt. Die Zahl der Todesopfer nähert sich der Marke von 20.000 oder hat sie vielleicht schon überschritten. Mehr als die Hälfte der Getöteten sind Frauen und Kinder. Die Gesamtzahl der Opfer beträgt ein Vielfaches dieser Zahl. In den ersten sechs Wochen dieses Krieges hat Israel 22.000 von den Vereinigten Staaten gelieferte Bomben auf Gaza abgeworfen. Das war nur in den ersten sechs Wochen, seitdem ist eine beträchtliche Zeitspanne vergangen. Um eine Vorstellung vom Ausmaß dieses Angriffs zu gewinnen, sollte man bedenken, dass der Gazastreifen insgesamt 365 Quadratkilometer groß ist, also weniger als die Hälfte der Fläche Berlins (891,3 Quadratkilometer).
    Aufsteigender Rauch nach einem israelischen Bombardement im Gazastreifen, 16. Dezember 2023 [AP Photo/Ariel Schalit]

    Die israelischen Streitkräfte verschonen keinen Teil des Gazastreifens und keinen Teil seiner Bevölkerung. Krankenhäuser, Schulen, Bibliotheken, Flüchtlingslager und andere öffentliche Gebäude werden bombardiert. Journalisten, Ärzte, Lehrer, Schriftsteller und Künstler werden gezielt ins Visier genommen. Der Mord an dem Dichter Refaat Al-Ar’eer ist nur das bekannteste Beispiel für die Tötungen, die auf Geheiß der israelischen Regierung verübt werden.

    Dieses Gemetzel muss gestoppt werden. Und alle, die für die Verbrechen gegen die Bevölkerung im Gazastreifen und gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung, die unter der Besatzung lebt, verantwortlich sind, müssen gemäß den in den Nürnberger Prozessen von 1945–1946 aufgestellten Grundsätzen in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn es dabei nach mir ginge, würden sie die gleichen Strafen erhalten.

    Die Einschränkung für den Titel dieses Vortrags enthält ein Element der Ironie. Vor fast genau zehn Jahren, im Februar 2014, wurde ich von Sicherheitskräften daran gehindert, an einem Kolloquium teilzunehmen, auf dem der Geschichtsprofessor Jörg Baberowski hier an der Humboldt-Universität eine neue Biografie über Leo Trotzki vorstellen wollte, die Professor Robert Service von der Universität Oxford verfasst hatte. In der Einladung zu der öffentlichen Veranstaltung hieß es, dass Service die Fragen der Teilnehmer beantworten werde.
    Baberowski (olivfarbene Jacke, Hintergrund) und seine Sicherheitsleute versperren David North 2014 den Zutritt zu einem Kolloquium

    Services Trotzki-Biografie ist eine schamlose Geschichtsfälschung. Die Verleumdungen gegen Trotzki darin sind so eklatant, dass führende deutsche Historiker öffentlich dagegen protestierten, weshalb die deutsche Ausgabe erst mit einem Jahr Verzögerung erscheinen konnte.

    Einer meiner Einwände gegen Services Biografie, die ich in mehreren Rezensionen detailliert dargelegt habe, bezog sich auf die antisemitischen Stereotypen, deren sich der britische Historiker in seiner Denunziation von Trotzki ausdrücklich bediente. Dazu gehörten unter anderem Anspielungen auf die Form von Trotzkis Nase und die Änderung seines russischen Vornamens von „Lew“ in „Leiba“ – eine jiddische Variante, die ausschließlich von antisemitischen Feinden des jüdischstämmigen Trotzki verwendet wurde.

    Wie sich bald herausstellte, beruhte das Bündnis der Professoren Baberowski und Service auf einer gemeinsamen antikommunistischen Agenda. Genau an dem Tag, an dem ich von dem Kolloquium an der Humboldt-Universität ausgeschlossen wurde, brachte Der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe einen langen Essay, in dem die Verbrechen der Nazis mit dem Argument gerechtfertigt wurden, dass Hitlers Politik eine legitime Antwort auf die „Barbarei“ der bolschewistischen Revolution gewesen sei.

    Neben anderen Interviewpartnern zitierte der Spiegel in diesem Beitrag auch Baberowski, der erklärte: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“[1] Im Weiteren verteidigte Baberowski die nazifreundlichen Ansichten des inzwischen verstorbenen Professors Ernst Nolte, der damals Deutschlands führender Hitler-Apologet war.

    Während die Studierenden der Humboldt-Universität über die Aussagen im Spiegel entsetzt waren, stellten sich die Verwaltung der Humboldt-Universität und die Medien hinter Baberowski. Dies änderte sich auch nicht, nachdem ein deutsches Gericht entschieden hatte, dass Baberowski als Rechtsextremist bezeichnet werden darf. Baberowski genoss und genießt die uneingeschränkte Rückendeckung der Humboldt-Universität. Deshalb konnte er auch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas berufen, der vor seiner Berufung an die Humboldt-Universität an einer Neonazi-Demonstration gegen die Aufdeckung von Gräueltaten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte.

    Vor zehn Jahren wurde ich von der Teilnahme an einem Kolloquium an der Humboldt-Universität ausgeschlossen, weil ich beabsichtigte, die Fälschungen von Service und seine Verwendung antisemitischer Verunglimpfungen zu anzuprangern. Heute verbietet die Universität, die sich als unversöhnlicher Gegner des Antisemitismus aufspielt, im Namen der Bekämpfung des Antisemitismus die Erwähnung des Völkermords in Gaza.

    Ich erinnere an diesen Vorfall aus der nicht allzu fernen Vergangenheit, weil er beispielhaft ist für den Zynismus, die Heuchelei, die Demagogie und die hemmungslose Verlogenheit hinter der Kampagne, Opposition gegen Israels Angriff auf Gaza als „antisemitisch“ zu diskreditieren. Diese Verleumdung ist eine wichtige Waffe in den Bemühungen Israels und seiner imperialistischen Komplizen, all diejenigen einzuschüchtern und zu isolieren, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren.

    Plötzlich und von vielen überraschenden Seiten sind Kämpfer gegen Antisemitismus aufgetaucht. Letzte Woche wurden in den Vereinigten Staaten Universitätspräsidentinnen nach Washington D.C. vorgeladen, weil sie es versäumt hatten, angeblich antisemitische Proteste auf amerikanischen College-Campussen zu unterbinden. Angeführt wurde die inquisitorische Befragung von der Kongressabgeordneten Elise Stefanik, einer Republikanerin aus einem Bezirk im Bundesstaat New York. Sie wollte wissen, warum die Präsidentinnen der University of Pennsylvania, von Harvard, des Massachusetts Institute of Technology und anderer großer Universitäten Aufrufe zum „Völkermord“ dulden würden – worunter die Kongressabgeordnete jeden Studentenprotest versteht, der ein Ende des Apartheidregimes fordert, das den Palästinensern demokratische Rechte vorenthält.
    Die Abgeordnete Elise Stefanik, eine Anhängerin der faschistischen „Bevölkerungstausch-These“ und Unterstützerin des Aufstands vom 6. Januar 2021, ist auch eine führende Vertreterin der Behauptung, Antizionismus sei Antisemitismus [AP Photo/Mark Schiefelbein]

    Aber was sind die Referenzen von Frau Stefanik als Kämpferin gegen Antisemitismus? Sie ist eine bekannte Verfechterin der so genannten „Bevölkerungsaustausch-Theorie“, wonach die Juden die Vernichtung der weißen Christen planen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Mit anderen Worten, sie ist eine ausgewiesene Antisemitin, im klassischen Sinne des Wortes.

    Das Bündnis von Kräften der extremen Rechten mit dem israelischen Regime ist ein internationales politisches Phänomen. Wie ihr wisst, hat sich die Alternative für Deutschland (AfD), in der ein Politiker den Holocaust als „Vogelschiss“ in der Geschichte abtut, dem Kreuzzug gegen den Antisemitismus angeschlossen. Und würde er noch leben, würde sich zweifellos auch der Führer anschließen.

    Eine Delegation der ukrainischen Asow-Brigade, deren Kämpfer vielfach Nazi-Symbole als Tattoos tragen, besuchte im vergangenen Dezember Israel, um ihre Solidarität mit dem Netanjahu-Regime zu bekunden. All dies sind keine vereinzelten und abstrusen Zerrbilder ansonsten legitimer Bemühungen zur Bekämpfung des Antisemitismus. Vielmehr basiert die gesamte Kampagne auf einer Verfälschung der historischen Ursprünge und der politischen Funktion des Antisemitismus. Die aktuelle Kampagne steht für einen Prozess, den man als „semantische Umkehrung“ bezeichnen könnte. Hierbei wird ein Wort auf eine Weise und in einem Kontext verwendet, die das genaue Gegenteil seiner eigentlichen und seit langem akzeptierten Bedeutung sind.

    Durch die schiere Kraft der Wiederholung, verstärkt durch alle dem Staat und den Leitmedien zur Verfügung stehenden Mittel, wird die Bedeutung eines Begriffs grundlegend verändert. Das angestrebte Ergebnis dieser Verfälschung besteht darin, das politische Bewusstsein in der Bevölkerung zu senken und die Fähigkeit zur Erkenntnis der Realität zu mindern.

    Ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie der Begriff „Antisemitismus“ zur Verfälschung der Geschichte, zur Verzerrung der politischen Realität und zur Desorientierung des öffentlichen Bewusstseins verwendet wird, findet sich in der jüngsten Ansprache des überaus redegewandten Robert Habeck, Vizekanzler der Ampel-Regierung in Berlin. In einer Schlüsselpassage erklärte dieser politische Tartuffe:

    Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen Linken und zwar leider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen.

    Kann jemand auch nur ansatzweise erklären, wie Anti-Kolonialismus einen antisemitischen Charakter annehmen soll? Habeck weiter:

    Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente prüfen und der großen Widerstandserzählung misstrauen.[2]

    In dieser Passage offenbart sich der zentrale Zweck der semantischen Umkehrung des Wortes Antisemitismus. Ein Phänomen, das historisch mit der politischen Rechten assoziiert wurde, wird in ein zentrales Attribut der politischen Linken umgewandelt. Der reaktionäre Zweck dieses Verfälschungsverfahrens zeigte sich in der politischen Vernichtung von Jeremy Corbyn in Großbritannien. Ich bin kein Anhänger von Herrn Corbyn, dessen auffälligster politischer Charakterzug das Fehlen eines Rückgrats ist. Aber ungeachtet aller opportunistischen Sünden, die er begangen hat, ist der Vorwurf des Antisemitismus gegen Corbyn und seine Anhänger in der britischen Labour Party eine üble Verleumdung, die von seinen rechten Gegnern ausgeheckt wurde, um ihn politisch zu vernichten.

    Ein weiteres, noch schmutzigeres Beispiel für diese Verleumdung ist die bösartige Hexenjagd auf Roger Waters. Ein Künstler, der sein Leben und seine Kunst der Verteidigung der Menschenrechte gewidmet hat, wird in einer international orchestrierten Kampagne verfolgt, um ihn als Antisemiten abzustempeln. Hier in Deutschland, in Frankfurt und Berlin, wurden Versuche unternommen, seine Konzerte abzusagen. Und was ist die Motivation für seine Verfolgung? Roger Waters setzt sich für die demokratischen Grundrechte der Palästinenser ein und spricht sich gegen deren Unterdrückung aus.

    Die völlige Entkopplung des Begriffs „Antisemitismus“ von seiner eigentlichen historischen und politischen Bedeutung ist erreicht, wenn er gegen jüdische Menschen gerichtet wird, die zu Tausenden gegen die verbrecherische Politik des israelischen Regimes protestieren. Gegen sie wird ein besonders abscheulicher Ausdruck verwendet: „jüdischer Selbsthass“. Der Kern dieser Beleidigung besteht darin, dass Widerstand von Jüdinnen und Juden gegen die israelische Politik und gegen das gesamte zionistische Projekt nur als Ausdruck eines psychologischen Problems erklärt werden könne, einer pathologischen Ablehnung der eigenen Identität.

    Diese Diagnose geht von der Voraussetzung aus, dass das Judentum als besondere religiöse Identität vollständig im israelischen Staat und der nationalistischen Ideologie des Zionismus aufgegangen ist. Die religiöse Zugehörigkeit eines Individuums – die im Leben des einen oder anderen jüdischen Menschen eine geringe oder gar keine besondere Rolle spielen mag – wird mit einer enormen metaphysischen Bedeutung aufgeladen.

    Dieses ideologische Gebräu beruht nicht auf der Geschichte, sondern auf der biblischen Mythologie. Tatsächlich beruht die Legitimität des zionistischen Projekts auf der Behauptung, dass die Gründung Israels vor gerade einmal 75 Jahren die so genannte „Rückkehr“ des jüdischen Volkes nach 2.000 Jahren Exil in die ihm „von Gott versprochene“ Heimat seiner Vorfahren markiert.

    Dieser mythologische Unsinn entbehrt jeder Grundlage in der historischen Realität. Mehr als 350 Jahre sind vergangen, seit Spinoza in seiner theologisch-politischen Abhandlung die Behauptung widerlegt hat, der Pentateuch sei Moses von Gott diktiert worden. Die Bibel war das Werk vieler Autoren. Wie der Historiker Steven Nadler, eine Autorität in Sachen Spinoza, erklärt:

    Spinoza bestreitet, dass Moses die gesamte oder auch nur den größten Teil der Thora geschrieben hat. Die Verweise im Pentateuch auf Moses in der dritten Person, die Schilderung seines Todes und die Tatsache, dass einige Orte mit Namen benannt werden, die sie zur Zeit Moses nicht trugen, machen ‚ohne jeden Zweifel deutlich‘, dass die Schriften, die gemeinhin als ‚die fünf Bücher Mose‘ bezeichnet werden, in Wirklichkeit von jemandem geschrieben wurden, der viele Generationen nach Mose lebte.[3]

    Ausgehend von seiner Missachtung der Autorität der Bibel erzürnte Spinoza die oberste Geistlichkeit der Rabbiner von Amsterdam weiter und provozierte seine Exkommunikation, indem er die für das Judentum als Religion und den Zionismus als politische Ideologie zentrale Behauptung leugnete, die Juden seien das „auserwählte Volk“. Nadler schreibt:

    Wenn die Ursprünge und die Autorität der Heiligen Schrift heute in Zweifel gezogen werden, dann gilt das auch für ihre vollmundigen Behauptungen über die ‚Berufung‘ der Hebräer. Es ist ‚kindisch‘, so Spinoza, wenn jemand sein Glück auf die Einzigartigkeit seiner Gaben gründet; im Falle der Juden wäre es die Einzigartigkeit ihrer Auserwähltheit unter allen Menschen. In der Tat übertrafen die alten Hebräer andere Völker weder in ihrer Weisheit noch in ihrer Nähe zu Gott. Sie waren den anderen Völkern weder geistig noch moralisch überlegen.

    Spinozas Abtrünnigkeit war durch den rasanten Fortschritt der Wissenschaft im 17. Jahrhundert geprägt und im philosophischen Materialismus verwurzelt. Er ebnete den Weg für die fortschrittlichsten und radikalsten politischen Tendenzen. Damit zog er den Zorn der rabbinischen Hüter der Orthodoxie auf sich. Die Exkommunikation Spinozas wurde in einer Sprache verkündet, die in ihrer Schärfe ohne Beispiel war. Die Exkommunikation lautete auszugsweise:

    Verflucht sei er bei Tag und verflucht sei er bei Nacht; verflucht sei er, wenn er sich niederlegt, und verflucht sei er, wenn er sich erhebt. Verflucht sei er, wenn er hinausgeht, und verflucht sei er, wenn er hereinkommt. Der Herr wird ihn nicht verschonen, sondern dann wird der Zorn des Herrn und sein Eifer über diesen Menschen rauchen, und alle Flüche, die in diesem Buch geschrieben sind, werden auf ihm liegen, und der Herr wird seinen Namen auslöschen unter dem Himmel.[4]

    „Exkommunizierter Spinoza“, Gemälde von Samuel Hirszenberg, 1907 [Photo: Samuel Hirszenberg]

    Obwohl Spinoza auf diese Weise gebrandmarkt wurde, konnte sein Name nicht ausgelöscht werden. Der Einfluss seiner ketzerischen Ideen hat Jahrhunderte überdauert und wesentlich zur Entwicklung des aufklärerischen Denkens – einschließlich der als Haskala bekannten jüdischen Aufklärung – und ihrer revolutionären politischen Folgen im 18., 19. und sogar 20. Jahrhundert beigetragen.

    Die politische Theologie des heutigen Zionismus ist die extreme konterrevolutionäre Antithese und Zurückweisung der fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Tradition, die sich aus dem an Spinoza und später am Marxismus angelehnten Denken von Generationen jüdischer Arbeiter und Intellektueller herleitet. Durch die Neuinterpretation des religiösen Mythos im Geiste eines extremen Nationalchauvinismus verleiht die zeitgenössische zionistische Theologie der Vorstellung des „auserwählten Volks“ einen durch und durch rassistischen und faschistischen Charakter.

    Die Tatsache, dass sich die israelische Regierung aus Parteien der extremen Rechten zusammensetzt, wird zwar weithin anerkannt, wird jedoch als nebensächliches Detail behandelt, das keinen besonderen Bezug zu den Ereignissen des 7. Oktober und der Reaktion des israelischen Staates hat. Der Einfluss einer apokalyptischen „Theologie der Rache“, die ausdrücklich die Vernichtung aller Feinde Israels fordert, auf die Politik der Netanjahu-Regierung wird in der politischen Berichterstattung über den Krieg praktisch nicht erwähnt.

    Eine zentrale Figur in der Entwicklung der „Theologie der Rache“ war Meir Kahane, der 1932 in Brooklyn geboren wurde und mittlerweile verstorben ist. Sein Vater, Charles Kahane, war ein Freund und Mitarbeiter von Zeev Jabotinsky, dem Führer eines erklärtermaßen faschistischen Flügels der zionistischen Bewegung. Meir Kahane wurde zunächst als Gründer der neofaschistischen Jewish Defense League (JDL) in den Vereinigten Staaten berüchtigt. Die JDL hatte es auf schwarze Organisationen in New York abgesehen, die Kahane als Bedrohung für die Juden verteufelte.

    1971 siedelte Kahane nach Israel über und gründete die vehement anti-arabische Kach-Partei. Seine Anhänger in den Vereinigten Staaten blieben aktiv. Die Workers League, die Vorgängerin der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten, wurde zur Zielscheibe der JDL, die 1978 in Los Angeles durch einen Bombenanschlag versuchte, eine vom Internationalen Komitee organisierte Vorführung des Dokumentarfilms „The Palestinian“ zu stören.
    Meir Kahane im Jahr 1984 [Photo: Gotfryd, Bernard]

    Kahanes Rolle und Einfluss in Israel wird in einem Essay mit dem Titel „Meir Kahane and Contemporary Jewish Theology of Revenge“ analysiert, der 2015 veröffentlicht wurde. Die Autoren sind zwei israelische Wissenschaftler, Adam und Gedaliah Afterman. Sie erklären, dass die Theologie Kahanes

    um die Behauptung kreiste, dass der Staat Israel von Gott gegründet wurde, als Racheakt gegen die Ungläubigen für deren Verfolgung der Juden, insbesondere für die systematische Ermordung der Juden während des Holocausts.

    Kahanes Kach-Partei forderte die Annexion aller im Krieg von 1967 von Israel eroberten Gebiete und die gewaltsame Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Kahane wurde 1984 in die Knesset, das israelische Parlament, gewählt. Die Kach-Partei wurde bei den Wahlen von 1988 verboten, doch ihr Einfluss dauerte an, obwohl Kahane im Jahr 1990 während einer Reise nach New York ermordet wurde.

    Das Essay der Aftermans fasst die drei Grundpfeiler von Kahanes Rachetheorie zusammen.

    Erstens:

    Das Volk Israel ist ein kollektives mythisches Wesen, das ontologisch in der Göttlichkeit verwurzelt ist und sich seit frühesten Tagen zusammen mit Gott einem mythischen Feind gegenübersah. Dieser mythische Feind, „Amalek“, wird im Laufe der jüdischen Geschichte durch verschiedene tatsächliche Feinde verkörpert, und die verschiedenen Verfolgungen und Qualen, die die Juden im Laufe der Geschichte erlitten haben, sind Ausdruck ein und desselben mythischen Kampfes. Darüber hinaus gibt es einen ontologischen Unterschied zwischen der mythischen Nation Israel und den Ungläubigen, insbesondere den Feinden Israels. Der ontologische Unterschied zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Seele setzt den jüdischen Grundsatz außer Kraft, dass die gesamte Menschheit nach dem Bild Gottes geschaffen wurde. Der Glaube, dass Nichtjuden minderwertig seien und die dämonischen Mächte der Geschichte verkörpern, rechtfertigt tödliche Gewalt und Racheakte.

    Zweitens:

    ...Daher, so die Argumentation, trägt das Volk Israel eine religiöse Pflicht, alle möglichen Mittel einzusetzen, um sich an seinen gemeinsamen Feinden zu rächen und seinen gemeinsamen Stolz und Status zu rehabilitieren. Ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, die Palästinenser und andere Kräfte, die Israel bekämpfen, sind Teil eines mythischen, religiösen Kampfes, der die Zerstörung des Volkes Israel und seines Gottes zum Ziel hat. Diese Faktoren erlauben den Einsatz aller Mittel, um die Feinde zu besiegen.

    Drittens:

    Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, kurz nach dem Holocaust, muss einem einzigen Zweck dienen: die erlösende Rache an den Ungläubigen zu ermöglichen. Die Gründung des modernen jüdischen Staates im historischen Land Israel ist eher ein Instrument, den Erlösungsprozess in Gang zu setzen, als ein Ergebnis oder ein Zeichen eines solchen Prozesses.

    Die drei Säulen zusammenfassend, erklären die Aftermans:

    ...Kahane argumentiert, dass die Ausübung von Rache an dem metaphysischen Feind ‚Amalek‘ (feindliche Ungläubige) von grundlegender Bedeutung ist, um Gott und sein Volk zu erretten, die beide infolge des Holocausts beinahe umgekommen wären. Die Gründung des jüdischen Staates mit seiner institutionalisierten Macht und militärischen Stärke sollte nach Kahanes Ansicht in den Dienst der Erlösung versprechenden Rache gestellt werden. Kahane geht so weit, dass er Racheakte auch an unschuldigen Menschen mit dem Argument rechtfertigt, sie gehörten zum mythischen Feind, der als Voraussetzung für die Erlösung Israels und seines Gottes ausgerottet werden müsse. Seiner Ansicht nach ist der Verlust von unschuldigem Leben, wenn nötig, ein gerechtfertigtes Opfer.[5]

    Kahane interpretierte die Doktrin des „auserwählten Volkes“ so, dass jegliche Verbindung mit traditionellen westlichen Werten völlig abgelehnt wird. In seinem Buch Or Ha’Raayon schrieb er:

    Dies ist ein jüdischer Staat. Er verneigt sich vor dem Judentum und widerspricht ihm nicht. Er handelt nach jüdischen Werten und jüdischen Geboten, auch wenn diese dem Völkerrecht und der Diplomatie widersprechen, auch wenn sie im Gegensatz zum normalen westlichen und demokratischen Lebensstil stehen; dies ist so, auch wenn es seine Interessen gefährdet und ihn von den zivilisierten Nichtjuden zu isolieren droht … Die Aufgabe des Judentums ist es, getrennt, einzigartig, anders und auserwählt zu sein. Dies ist die Rolle des jüdischen Volkes und seines Instruments, des Staates … Wir haben keinen Anteil an den normierten Werten der Nationen. Assimilation beginnt nicht mit Mischehen, sondern mit dem Kopieren und Übernehmen fremder Werte, fremder und nicht-jüdischer Begriffe und Ideen.

    Kahanes Theorie der Rache wurde im Hebräischen mit dem Konzept dessen identifiziert, was er Kiddusch Haschem nannte. Er schrieb:

    Eine jüdische Faust im Gesicht einer verblüfften ungläubigen Welt, die sie seit zwei Jahrtausenden nicht mehr gesehen hat, das ist Kiddusch Haschem. Jüdische Herrschaft über die christlichen heiligen Stätten, während die Kirche, die unser Blut gesaugt hat, ihre Wut und Frustration erbricht – das ist Kiddusch Haschem.

    Tatsächlich kann man Kahanes Kiddusch Haschem – trotz seiner halbherzigen Beschwörung einer angeblich einzigartigen jüdischen Philosophie – als eine hebräischsprachige Variante der Philosophie von Adolf Hitlers Mein Kampf bezeichnen, wobei der Hauptunterschied darin besteht, dass Kahanes hasserfüllte und rassistische Hetzschrift auf Hebräisch von rechts nach links und nicht von links nach rechts geschrieben wurde.

    Kahanes Einfluss blieb auch nach seiner Ermordung in dem zunehmend reaktionären politischen Umfeld Israels bestehen. Am 25. Februar 1994 ermordete einer von Kahanes Studenten, Baruch Goldstein, bei einem Anschlag auf eine Moschee in Hebron 29 Palästinenser und verwundete 150 weitere. Dieses Verbrechen wurde von Kahanes Anhängern gepriesen – darunter der äußerst einflussreiche Rabbiner Yitzchak Ginsburgh, der verkündete, dass der von Goldstein verübte Massenmord ein Akt des Kiddusch Haschem sei.

    Was hat das nun mit heute zu tun? Itamar Ben-Gvir, der Führer der fremdenfeindlichen Partei Otzma Jehudit, ist jetzt Minister für nationale Sicherheit in Netanjahus Koalitionsregierung. Er war Mitglied der Kach-Partei, bevor diese verboten wurde. Er ist nach wie vor ein entschiedener Verfechter der faschistischen Theologie und Politik von Meir Kahane. Im April dieses Jahres hielt Ben-Gvir – flankiert von einem Sicherheitsdienst aus dem Büro des Ministerpräsidenten – eine Rede, in der er sowohl Kahane als auch Baruch Goldstein lobte.
    Präsident Joe Biden (links) und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion, Tel Aviv, 18. Oktober 2023 (AP Photo/Evan Vucci)

    Seit Beginn des Krieges kommt es immer häufiger vor, dass israelische Führer sich auf Kahanes Doktrin der Rache berufen. Letzten Monat erklärte Netanjahu in einer öffentlichen Rede: „Ihr müsst euch daran erinnern, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns.“ Die Tragweite von Netanjahus Verweis auf Amalek wurde in einer Erklärung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant deutlich gemacht: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend. Wir werden alles eliminieren – sie werden es bereuen.“ Seit Beginn des Krieges haben führende israelische Politiker zahlreiche Erklärungen gleichen Inhalts abgegeben, die in den genozidalen Taten der israelischen Regierung und des Militärs ihren Ausdruck gefunden haben.

    Inmitten der Verbrechen, die das israelische Regime begeht, gibt es keine größere und heimtückischere Lüge als die Behauptung, dass Widerstand gegen den Zionismus antisemitisch sei und sein müsse. Diese Lüge wird durch die lange Geschichte der Opposition gegen den Zionismus vor 1948 widerlegt. Zigtausende jüdische Arbeiter und Intellektuelle leisteten diesen Kampf über mehrere Generationen hinweg und wiesen den auf einem Mythos beruhenden Ruf nach einer Rückkehr nach Palästina zurück.

    Die Opposition gegen den Zionismus wurde mit größter politischer Klarheit von der sozialistischen Bewegung zum Ausdruck gebracht, die den politisch reaktionären Charakter der Perspektive, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten, erkannte und verurteilte. Man verstand, dass dieses Projekt ein kolonialistisches Unterfangen war, das nur im Bündnis mit dem Imperialismus und auf Kosten der palästinensisch-arabischen Bevölkerung verwirklicht werden konnte, die seit 2.000 Jahren in diesem Gebiet lebt.

    Darüber hinaus strebte die große Mehrheit der Jüdinnen und Juden in ihrem Kampf gegen die traditionelle religiöse Verfolgung und den seit dem späten 19. Jahrhundert aufkommenden politischen Antisemitismus nach politischer und sozialer Gleichberechtigung innerhalb der Länder, in denen sie lebten. Das war vor allem in Deutschland eine wahrhaftige Tatsache. Sie wollten Teil der Massenbewegung gegen Unterdrückung sein. Bei den politisch bewusstesten Teilen der jüdischen Jugend, der Arbeiter und Intellektuellen führte dieses Streben dazu, dass sie aktiv an der sozialistischen Bewegung teilnahmen.

    Die heutige Behauptung, wonach der Zionismus der notwendige und wahre Ausdruck der jüdischen Identität sei, entbehrt jeder historischen Grundlage. Das Fortbestehen demokratischer Überzeugungen und ein Mitgefühl für die Unterdrückten, das in der Erfahrung antisemitischer Vorurteile und Verfolgung wurzelt, kommt auch in der großen Zahl jüdischer Jugendlicher zum Ausdruck, die sich an den Demonstrationen gegen den israelischen Angriff auf die Bewohner des Gazastreifens beteiligen.

    Aller Propaganda zum Trotz wecken die Bilder der Massentötung wehrloser Palästinenser zwangsläufig historische und familiäre Erinnerungen an das Schicksal der Juden unter den Händen der Nazis. Der Krieg gegen die Bevölkerung des Gazastreifens ruft damit nicht nur ein Gefühl der Solidarität mit den Opfern der israelischen Gräueltaten hervor, sondern auch tiefen Zorn, dass die Tragödie des Holocausts für die Rechtfertigung dieses Krieges missbraucht wird.

    Natürlich werden die Zionisten und ihre Apologeten behaupten, dass alles, was ich gesagt habe, nur ein Beweis für meinen eigenen tief verwurzelten Antisemitismus ist, den sie – wie ich bereits erklärt habe – als ein in der sozialistischen Bewegung weit verbreitetes Vorurteil bezeichnen. Je weiter links jemand steht, je nachdrücklicher er oder sie sich gegen Kapitalismus und Imperialismus ausspricht, desto unversöhnlicher ist die Ablehnung des jüdischen Staates und damit der Antisemitismus dieser Person.

    Diese Behauptung ist ebenso absurd wie politisch reaktionär. Da ich seit mehr als einem halben Jahrhundert in der sozialistischen Bewegung aktiv bin, bin ich persönlich wahrhaftig nicht verpflichtet, auf die Behauptung zu antworten, dass ich oder meine Genossen in der trotzkistischen Bewegung Antisemiten seien. Wie man so schön sagt, spricht meine Laufbahn für sich selbst.

    Doch leider trifft das nicht immer zu. Der Vorwurf des Antisemitismus erfordert, dass der politische Werdegang der angegriffenen Person ignoriert und verzerrt werden muss.

    Daher werde ich zum ersten Mal auf diesen Vorwurf reagieren, indem ich meiner bekannten öffentlichen politischen Bilanz Informationen über meinen persönlichen Hintergrund hinzufüge. Da ich nun ein eher fortgeschrittenes Alter erreicht habe und in etwas mehr als einem Jahr meinen 75. Geburtstag feiern werde, halte ich die Zeit für gekommen, dies zu tun. Und zwar nicht, weil es irgendeine Wirkung auf die Verleumder haben würde, sondern weil es in meiner persönlichen Erfahrung Elemente gibt, die bei einer jüngeren Generation Widerhall finden und sie ermutigen könnten, ihren Kampf zur Verteidigung der Palästinenser und gegen alle Formen der Unterdrückung zu verstärken.

    Der prägende Faktor in der Entwicklung eines jeden Menschen ist das soziale und politische Umfeld seiner Zeit, das auf der grundlegendsten Ebene durch die sozioökonomischen Strukturen der Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde, bestimmt wird. Die Persönlichkeit eines Menschen wird durch das geformt, was Marx als „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ bezeichnet hat. Aber diese gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch persönliche Erfahrungen gebrochen, sowohl durch eigene als auch durch solche, die durch Familie, Freunde, Lehrer, Bekannte usw. vermittelt werden.

    Ich bin ein Amerikaner der ersten Generation, geboren 1950. Der Ort meiner Geburt – ja, meine Existenz – wurde durch die Ereignisse bestimmt, die zum Zweiten Weltkrieg geführt hatten, der nur viereinhalb Jahre zuvor zu Ende gegangen war. Meine Eltern waren beide aus Europa geflohen, um der Verfolgung der Juden durch die Nazis zu entgehen. Meine Mutter Beatrice wurde am 18. Dezember 1913 in Wilmersdorf geboren – genau am selben Tag, an dem Herbert Frahm, auch Willy Brandt genannt, geboren wurde. Das Wohnhaus, in dem sie zur Welt kam, steht noch heute in der Konstanzer Straße. Ihr Vater – mein Großvater – nahm eine bedeutende Stellung im kulturellen Leben Berlins ein. Sein Name war Ignatz Waghalter. 1881 in Warschau in eine sehr arme Musikerfamilie hineingeboren, machte sich Waghalter im Alter von 17 Jahren auf den Weg nach Berlin, um eine ordentliche musikalische Ausbildung zu erhalten.
    Die Familie Waghalter 1889 in Warschau

    Mein Großvater war das 15. von 20 Kindern. Von diesen 20 Kindern starben 13 im Kindesalter, vier davon an einem Tag während der Typhusepidemie von 1888. Von den 20 Kindern überlebten sieben – vier Jungen und drei Mädchen. Mein Großvater war von frühester Kindheit an musikalisch sehr begabt. Im Alter von sechs Jahren trat er bereits im Warschauer Zirkus auf. Im Alter von acht Jahren schrieb und komponierte er eine Revolutionshymne, die so beliebt war, dass die Polizei nach dem Namen und der Identität des rebellischen Musikers forschte. Die Polizei war ziemlich schockiert, als sie feststellte, dass es sich um einen Achtjährigen handelte. Die Familie Waghalter hatte tiefe Wurzeln im revolutionären demokratischen Kampf des polnischen Volkes. Kürzlich entdeckte ich in einer Bibliothek einen revolutionären Marsch, den der Großvater meines Großvaters im Jahr 1848 komponiert hatte.

    Mein Großvater wollte eine echte Ausbildung erhalten. Er wollte nicht nur ein Wandermusiker sein, er wollte in die musikalische Welthauptstadt Berlin ziehen und lernen, wie man ein richtiger Komponist wird. Im Jahr 1897 wurde er mittellos über die Grenze geschmuggelt. Er lebte unter großen Entbehrungen, als der große Geiger und Freund von Johannes Brahms, Joseph Joachim, auf ihn aufmerksam wurde. Auf Joachims Empfehlung wurde mein Großvater in die Akademie der Künste aufgenommen. Im Jahr 1902 wurde seine Sonate für Violine und Klavier mit dem begehrten Mendelssohn-Preis ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde Ignatz‘ jüngerer Bruder Wladyslaw, der ihm nach Berlin gefolgt war, mit demselben Preis für seine Leistungen als Geiger ausgezeichnet.

    Nach dem Studienabschluss erhielt Ignatz eine Stelle als Kapellmeister an der Komischen Oper. Einige Jahre später folgte eine Berufung an das Essener Opernhaus. Der entscheidende Wendepunkt in seiner musikalischen Laufbahn kam jedoch 1912, als er zum Ersten Kapellmeister am neu erbauten Deutschen Opernhaus in der Bismarckstraße in Charlottenburg berufen wurde, heute als Deutsche Oper bekannt. Das ursprüngliche Gebäude wurde natürlich im Zweiten Weltkrieg zerstört und später wieder aufgebaut, befindet sich aber heute noch in derselben Straße. Wladyslaw Waghalter wurde zum Konzertmeister des neuen Opernhauses ernannt, das am 7. November 1912 mit einer Aufführung von Beethovens „Fidelio“ eröffnet wurde. Trotz des lautstarken Widerstands von Antisemiten und zahlreicher Morddrohungen dirigierte Ignatz Waghalter die Uraufführung.

    In den folgenden zehn Jahren behielt mein Großvater seine Position als Erster Kapellmeister am Deutschen Opernhaus. Drei seiner Opern, „Mandragola“, „Jugend“ und „Sataniel“, wurden am Opernhaus uraufgeführt. Waghalter war bekannt dafür, dass er sich für die Opern von Giacomo Puccini einsetzte, dessen Musik ein auf Richard Wagner fixierter Musikbetrieb zuvor abgelehnt hatte. Waghalter dirigierte im März 1913 die deutsche Uraufführung von Puccinis „La Fanciulla del West“ [Das Mädchen aus dem goldenen Westen], bei der Puccini selbst anwesend war. Es war ein Triumph, der Puccinis Ruf als großer Komponist in Deutschland begründete.
    Ignatz Waghalter mit Giacomo Puccini, Berlin, März 1913

    Während seiner langjährigen Tätigkeit am Deutschen Opernhaus hatte Waghalter mit antipolnischen und antisemitischen Vorurteilen zu kämpfen. Obwohl er selbst keine religiösen Rituale pflegte und keine Synagoge besuchte, weigerte sich Waghalter – im Gegensatz zu vielen anderen jüdischstämmigen Dirigenten – zum Christentum zu konvertieren. Der Gedanke, seine Religion zu wechseln, um seine Karriere zu fördern und sich damit den antisemitischen Vorurteilen anzupassen, war ihm zuwider.

    1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erhielt Waghalter ein Dirigierverbot, weil er im Russischen Reich geboren war, mit dem sich das kaiserliche Deutschland im Krieg befand. Proteste des opernbegeisterten Publikums in Charlottenburg führten jedoch zu seiner Wiedereinstellung.

    Waghalter blieb am Deutschen Opernhaus, bis dieses 1923 inmitten der katastrophalen Inflationskrise in Konkurs ging. Er verbrachte ein Jahr in den Vereinigten Staaten als Leiter des New York State Symphony Orchestra. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zum Generalmusikmeister der Filmgesellschaft UFA ernannt wurde. Eine Rückkehr an die Städtische Oper, wie das reorganisierte und wiedereröffnete Deutsche Opernhaus damals hieß, war für ihn jedoch nicht möglich.

    Die Machtergreifung Hitlers beendete seine Karriere und die seines Bruders als Musiker in Deutschland. Meine Mutter, damals noch keine 20 Jahre alt, hatte eine Vorahnung, dass das Dritte Reich Juden nicht nur die Karriere, sondern auch das Leben kosten könnte. Beatrice drängte ihre Eltern, Deutschland zu verlassen, ehe eine Flucht nicht mehr möglich sein würde. Sie folgten ihrem Rat und verließen Deutschland, reisten zunächst in die Tschechoslowakei und dann nach Österreich.

    Meine Mutter, eine hochbegabte Musikerin, blieb in Deutschland. Sie trat dem Jüdischen Kulturbund bei, wo sie als Sängerin in jüdischen Privathäusern in ganz Deutschland auftrat. Im Jahr 1937 erhielt sie ein Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten. Es gelang ihr, Einreisevisa auch für ihre Eltern zu besorgen. Meine Großeltern trafen im Mai 1937 in New York ein. Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft initiierte Ignatz ein Projekt von historischer Bedeutung: die Gründung des ersten klassischen Musikorchesters, das aus afroamerikanischen Musikern bestand.

    Dieses radikale Projekt stieß in dem rassistischen Umfeld der damaligen Zeit auf erbitterten Widerstand. Waghalter lud häufig schwarze Musiker zu Proben in seine Wohnung ein. Dies führte dazu, dass eine Petition in Umlauf gebracht wurde, die von fast allen weißen Bewohnern des Appartementhauses unterzeichnet wurde, und in der sie forderten, Waghalter aus der Wohnung zu werfen , falls er dieses Gebahren fortsetzte.
    Ignatz Waghalter bei einer Probe mit dem Nego Symphony Orchestra. Rechts ein Artikel darüber: „Musik kennt weder Glaubensbekenntnis noch Nationalität“

    Mein Großvater wurde von der afroamerikanischen Zeitung von Baltimore interviewt. Er drückte die Überzeugung aus, die ihn zur Gründung des Symphonieorchesters inspiriert hatte: „Musik, die stärkste Festung der universellen Demokratie, kennt weder Hautfarbe noch Glaube oder Nationalität.“

    Trotz Waghalters immenser Bemühungen machte das reaktionäre Umfeld es unmöglich, das Orchester aufrechtzuerhalten. In den letzten zehn Jahren seines Lebens wurde Waghalter zusehends isoliert. Er verlor den Kontakt zu seiner Familie. Erst nach dem Krieg erfuhr er, dass sein Bruder Wladyslaw (der Deutschland nicht hatte verlassen können) 1940 nach einem Besuch im Gestapo-Hauptquartier plötzlich verstorben war. Seine Frau und eine Tochter kamen 1943 in Auschwitz ums Leben. In der Brandenburgerstraße 49, der Adresse, an der mein Großonkel Wladyslaw gewohnt hatte, sind Stolpersteine eingelassen, die an das Leben und den Tod Wladyslaws und seiner Familie erinnern.
    Stolpersteine für Wladyslaw Waghalter und seine Familie an der Brandenburgerstraße 49, Berlin

    Glücklicherweise gelang einer Tochter Wladyslaws, Yolanda, die Flucht. Sie schaffte es nach Südamerika, lebte in Peru, wo sie erste Geigerin im Symphonieorchester von Lima wurde. Ihr Sohn Carlos, mein Cousin zweiten Grades, lebt heute in New Orleans, und wir sind, praktisch seit wir erwachsen sind, eng befreundet. Ignatz‘ Bruder Joseph starb im Warschauer Ghetto. Zwei der drei Schwestern kamen ebenfalls in Polen ums Leben. Nur sein ältester Bruder, der große polnische Cellist Henryk Waghalter, überlebte den Krieg. Mein Großvater starb unerwartet im April 1949 in New York, im Alter von 68 Jahren.
    Portrait von Toni und Ignatz Waghalter, April 1949. Links: Nachruf der New York Times für Waghalter, 8. April 1949

    Während seines kurzen Exils in der Tschechoslowakei in den Jahren 1935–1936 schrieb mein Großvater seine Memoiren, die mit einem Bekenntnis seine Ideale als Künstler schließen. Er wusste, dass die Nazis eine tödliche Bedrohung für die Juden darstellten, aber er gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Verbrecher des Dritten Reiches nicht über das ethische und moralische Engagement des jüdischen Volks für Gerechtigkeit siegen würden. Waghalter gab zu, dass er noch nicht wusste, wo er Zuflucht finden würde. Und so beendete er seine Memoiren mit den Worten:

    Wo immer es auch sein mag, ich möchte der Kunst und der Menschheit dienen, gemäß den Worten von Moses: „Du bist aus der Sklaverei befreit worden, um deinen Brüdern zu dienen.“

    Die Auffassung meines Großvaters von der jüdischen Ethik unterschied sich eindeutig von derjenigen, die in der Netanjahu-Regierung und dem heutigen zionistischen Staat vorherrscht. Er wäre entsetzt und erschüttert, wenn er wüsste, was im Namen des jüdischen Volks getan wird. Es gibt keine größere Verleumdung, kein größeres Geschenk an die wahren Antisemiten, als das jüdische Volk mit den Verbrechen in Verbindung zu bringen, die gegenwärtig jeden Tag gegen das unterdrückte palästinensische Volk begangen werden.

    Die Geschichte von meines Großvaters Leben und seiner Beziehung zu der Katastrophe, die das europäische Judentum überrollt hatte, war ein ständiges Gesprächsthema in meinem Elternhaus. Meine Großmutter, Ignatz‘ Witwe, die wir Omi nannten, lebte bei uns. Ich verbrachte unzählige Stunden in ihrem Zimmer, wo sie mir vom Leben in Berlin erzählte, von den Freundschaften mit so vielen großen Künstlern, davon, dass Giacomo Puccini sie in den Hintern gekniffen hatte, von all den Freunden, die sie kannte, von den Schriftstellern und sogar von Wissenschaftlern wie Albert Einstein, der häufig in der Wohnung in der Konstanzerstraße zu Gast war. Gern spielte er dort mit seiner Geige in einem Streichquartett mit. Die Mitbewohner hatten nichts dagegen.

    Die Geschichten meiner Großmutter wurden durch die Erzählungen meiner Mutter ergänzt, die ein besonders enges Verhältnis zu ihrem Vater gehabt hatte. Die meisten Geschichten wurden auf Deutsch erzählt, das bei uns zu Hause gleichberechtigt neben dem Englischen stand.

    Zumindest in der Straße, in der ich wohnte, war das nicht ungewöhnlich. Viele unserer Nachbarn waren Flüchtlinge: Dr. Jakobius, Frau London, Frau Spitzer, Frau Rehfisch, Walter und Uschi Bergen, Dr. Hartmann und Dr. Gutfeld. Es gab noch andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere, aber es war, als ob ein beträchtlicher Teil Charlottenburgs in einem Vorort von New York City neu entstanden wäre. Und dann waren da noch die vielen Freunde, die in anderen Teilen der Stadt lebten, aber häufig zu Besuch kamen: Greta Westman, Dela Schleger, Kurt Stern ...

    Viele der Gespräche, in denen das Leben in Berlin geschildert wurde, endeten mit dem Satz: „Und dann kam Hitler.“ Das war das Ereignis, das alles veränderte. In meinem jungen Kopf führte das zu vielen Fragen. „Wie kam Hitler?“ „Warum kam Hitler?“ „Hat ihn jemand vor 1933 kommen sehen?“ „Wann haben meine Großeltern und meine Mutter zum ersten Mal von Hitler gehört und erkannt, dass er kommen könnte?“ Und schließlich die wichtigste Frage von allen: „Warum haben die Menschen Hitlers Kommen nicht verhindert?“

    Das war eine Frage, auf die niemand, den ich kannte, eine vollständige und überzeugende Antwort hatte. Immerhin waren die Antworten, die ich zu Hause erhielt, in einigen Punkten hilfreich. Erstens wurden die Nazis eindeutig als rechtsgerichtete Bewegung gekennzeichnet. Die Trennlinie zwischen Gut und Böse verlief in meiner Familie also nicht zwischen Deutschen und Juden, sondern zwischen links und rechts. Diese Trennung, so betonte meine Mutter, gab es nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt und natürlich auch in den Vereinigten Staaten. Gelegentlich schaute sie sich bestimmte amerikanische Politiker an und sagte: „Ich traue dieser Bande nicht.“

    In diesem Punkt war meine Mutter besonders nachdrücklich. Sie hasste den Faschismus. Wenn sie eine bestimmte, besonders anstößige soziale und politische Haltung feststellte oder ihr begegnete, neigte sie dazu, die betreffende Person als „einen echten Faschisten“ zu bezeichnen.

    Sie war sich der Existenz von Antisemitismus in Deutschland vor Hitler durchaus bewusst. Solchen Tendenzen begegnete sie schon vor Hitlers Aufstieg unter den Lehrern ihrer Schule. Aber über diese Tendenzen sagte sie oft, dass sie nie geglaubt hätte, dass sie sich zwangsläufig bis zum Massenmord entwickeln würden. Sie glaubte nicht an eine solche Unvermeidbarkeit. Außerdem hat sie nie eine Spur von Hass oder Bitterkeit gegenüber den Deutschen gezeigt. Sie war stolz darauf, dass ihre Kenntnisse der deutschen Sprache auch 60 Jahre nach ihrer Flucht aus Deutschland nicht verblasst waren.

    Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich eine politisch überzeugende Antwort finden konnte, die erklärte, wie der Faschismus in Deutschland an die Macht gekommen war. Wie viele meiner Generation habe ich die Bürgerrechtsbewegung, die Ghettoaufstände und den Vietnamkrieg miterlebt. Die explosiven Ereignisse der 1960er Jahre regten mich zum Geschichtsstudium an und förderten mein Bedürfnis, aktuelle Ereignisse in einen größeren zeitlichen Rahmen einzuordnen. Darüber hinaus trieben mich die Wut über den nicht enden wollenden Vietnamkrieg und die stetig wachsende Desillusionierung über die Demokratische Partei und den amerikanischen Liberalismus weiter in Richtung Sozialismus. Dieser Prozess führte schließlich dazu, dass ich im Herbst 1969 erstmals die Schriften von Leo Trotzki entdeckte.

    Ich vertiefte mich in das Studium seiner verfügbaren Schriften: seine monumentale „Geschichte der Russischen Revolution“, seine Autobiographie „Mein Leben“, „Der neue Kurs“, „Die Lehren des Oktober“ und „Die verratene Revolution“. Alle diese Werke bildeten die Grundlage für meine Entscheidung, mich der trotzkistischen Bewegung anzuschließen. Aber der Band, der mich am meisten beeindruckte, war eine Sammlung von Trotzkis Schriften, die dem Kampf gegen die Machtergreifung der Nazis zwischen 1930 und 1933 gewidmet waren.

    Während dieser entscheidenden Jahre lebte Trotzki im Exil auf der Insel Prinkipo, vor der Küste Istanbuls. Das stalinistische Regime hatte ihn dorthin verbannt. Von dort, aus einer Entfernung von über 2.000 Kilometern, verfolgte er die Ereignisse in Deutschland. Seine Artikel, seine Warnungen vor der Gefahr, die von Hitler und der Nazipartei ausging, sind in der politischen Literatur ohne Beispiel.
    Leo Trotzki an seinem Schreibtisch in Prinkipo

    Trotzki erläuterte nicht nur das Wesen des Faschismus – seine Klassenbasis und seine wesentliche Funktion als Instrument des politischen Terrors gegen die sozialistische und die Arbeiterbewegung –, sondern er erklärte auch, wie die Nazis besiegt werden könnten. Er entlarvte die Politik der stalinistischen Kommunistischen Partei, der so genannten Dritten Periode, die behauptete, dass Sozialdemokratie und Faschismus identisch seien. Dieser bankrotten ultralinken Politik setzte er den Aufruf zu einer Einheitsfront aller Parteien der Arbeiterklasse entgegen, um die faschistische Gefahr zu besiegen. Seine Warnungen wurden ignoriert. Der Stalinismus und der Verrat der Sozialdemokratie machten den Sieg der Nazis möglich.

    Aber Hitlers Aufstieg zur Macht, die darauf folgende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Holocaust waren nicht unvermeidlich. Sie waren das Ergebnis des politischen Verrats der reformistischen und stalinistischen Führungen der Arbeiterklasse. Das zu verstehen, zu begreifen, was Faschismus war – und, wenn ich daran zurückdenke, die Erkenntnis, dass ich nur wenige Jahrzehnte nach all dem aufgewachsen bin – hatte eine tiefgreifende Wirkung auf mich. Die Überzeugung, dass es nie wieder Faschismus geben darf, und die Einsicht, dass es möglich ist, diesen politischen Horror zu besiegen, verpflichteten mich, in der sozialistischen Bewegung aktiv zu werden, insbesondere in jener politischen Organisation, die die größte Bedrohung der Menschheit richtig analysiert und eine Antwort darauf gegeben hatte.

    Trotzki sah den Grund für den Aufstieg des Faschismus nicht in der deutschen Psyche, sondern in der historischen Krise des Kapitalismus und des Nationalstaatensystems. Hitler und das faschistische Regime stellten letztlich den verzweifelten Versuch des deutschen Kapitalismus dar, durch Krieg und Massenmord eine Lösung für die Schranken zu finden, die ihm durch das bestehende nationalstaatliche System auferlegt worden waren. Er war gezwungen, „Europa neu zu ordnen“. Aber dies war kein ausschließlich deutsches Problem. Die Krise hat den amerikanischen Imperialismus vor eine noch größere Herausforderung gestellt, die ihn bis heute beschäftigt: die Aufgabe, die Welt neu zu ordnen.

    In späteren Schriften, die er nach Hitlers Machtübernahme verfasste, warnte Trotzki davor, dass dem europäischen Judentum durch den Sieg des Faschismus und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Vernichtung drohte. Diese Gefahr, so schrieb er, könne der Zionismus nicht abwenden, weil er eine nationale Lösung für ein Problem anstrebe, das in den globalen Widersprüchen des kapitalistischen Systems wurzelt.

    Nach dem Sieg der Nazis betonte Trotzki, dass das Schicksal der Juden mehr denn je mit dem Schicksal des Sozialismus verbunden sei. In einem Brief vom 28. Januar 1934 schrieb er:

    Die jüdische Frage ist nun, als Ergebnis des ganzen historischen Schicksals des Judentums, eine internationale Frage geworden. Sie kann nicht durch den „Sozialismus in einem Land“ gelöst werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der übelsten und niederträchtigsten antisemitischen Verfolgungen und Pogrome können und müssen die jüdischen Arbeiter revolutionären Stolz aus dem Bewusstsein schöpfen, dass die Tragik des jüdischen Volkes nur durch einen vollständigen und endgültigen Sieg des Proletariats überwunden werden kann.[6]

    Diese Perspektive hat sich in der Geschichte bestätigt. Diejenigen, die behaupten, die Gründung Israels sei ein politischer Triumph gewesen, haben eine merkwürdige Vorstellung davon, was ein politischer Triumph ist. Die Schaffung eines Staates, der auf dem unverhohlenen Diebstahl von fremdem Land beruht, der auf rein rassistischer Grundlage die demokratischen Grundrechte, die allen Bürgern zustehen sollten, verweigert, der Hass und Rache als Grundlage der Staatspolitik etabliert, der seine eigenen Bürger systematisch darauf abrichtet, die Menschen zu töten und zu quälen, denen er das Land gestohlen hat, und der sich zum meistgehassten Staat der Welt gemacht hat – das kann kaum als „politischer Triumph“ bezeichnet werden. Es ist eine politische Degradierung.

    Der anhaltende Krieg hat trotz all seiner Schrecken einen wichtigen politischen Beitrag geleistet. Er hat die Jugend wachgerüttelt. Er hat der Welt die Augen geöffnet. Er hat das zionistische Regime und seine imperialistischen Komplizen als die Verbrecher entlarvt, die sie sind. Er hat eine Flutwelle der Empörung in Bewegung gesetzt, die sich weltweit ausbreitet. Sie wird auch die Verantwortlichen für diesen Völkermord überschwemmen.

    Aber die große Herausforderung, vor der unsere Bewegung steht, besteht darin, die Empörung mit einem revolutionären sozialistischen Programm zu verbinden, das die globale Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen die imperialistische Barbarei vereinen kann. Unsere Bewegung – und nur unsere Bewegung – ist in der Lage, diese Herausforderung zu meistern. Sie verkörpert eine große politische Geschichte und eine große politische Erfahrung, die nun ein ganzes Jahrhundert umspannt. Es gibt keine andere Partei, die in einer Krise, wie wir sie jetzt erleben, ein Verständnis für ihre Dynamik und eine Perspektive vorlegen kann, um in die Situation einzugreifen und sie im Interesse der Arbeiterklasse zu ändern.

    Auch wenn dieser Vortrag kein formeller Bericht über den 100. Jahrestag des Trotzkismus war, hoffe ich doch, dass er zum Verständnis dessen beigetragen hat, was die trotzkistische Bewegung ist und in welchem Verhältnis sie zu den aktuellen Kämpfen steht, mit denen wir konfrontiert sind.

    #Pologme #USA #Israël #Palestine #Allemagne #Berlin #Charlottenburg #Konstanzer_Straße #Bismarckstraße #opéra #musique #nazis #antisemitisme #sionisme #fascisme #auf_deutsch

  • The Israeli state’s fascist ideology and the genocide in Gaza
    https://www.wsws.org/en/articles/2023/12/19/pers-d19.html

    Dans ce discours David North avance quelques arguments pour la thèse que le sionisme est un fascisme.

    Il souligne ces arguments d’actualité par le récit de son hisoire familiale marquée par l’ascension de pauvres musicients ambulants juifs en Pologne à la direction de l’opéra de Charlottenburg, ville indépendante intégrée dans la ville de Berlin en 1920. Après 1933 une partie de sa famille a émigré aux États Unis pendant que les autres ont péri dans les camps nazis.

    This lecture was given by World Socialist Web Site International Editorial Board Chairman David North at Humboldt University in Berlin, Germany on December 14, 2023.

    When one arrives at Humboldt University and one comes into the entrance of the building, one sees the famous quotation from Marx, “The philosophers have only interpreted the world; the point is to change it.” That basic invocation by Marx is one that should always guide speakers when they address a meeting. How is what they say going to contribute to changing the world?

    First of all, I want to thank my comrades in the German section of the International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) for inviting me to lecture this evening at Humboldt University. I understand that they encountered certain problems in establishing the topic of this lecture, and they were informed that the title of my lecture could not include a reference to the ongoing genocide by the Israeli government in Gaza. Well, they have observed this rule and there is nothing in the title which references this immensely significant event. This obvious restriction on free speech is part of the efforts of the German government, the media and subservient academic institutions to forbid and discredit opposition to the crimes being carried out by the Netanyahu government.

    Nevertheless, now that we have observed the restriction on the title of the lecture, I will proceed to speak about the events in Gaza. Is it possible not to?

    During the last two months, the world has been witnessing the Israeli government wage a war of staggering brutality against a defenseless population. The death toll is approaching, and may exceed, 20,000. More than half of those killed are women and children. The total number of casualties is a multiple of that number. During the first six weeks of this war, Israel dropped 22,000 bombs, supplied by the United States, on Gaza. That was just in the first six weeks; a substantial period of time has passed since then. To have some sense of the scale of the assault, bear in mind that the total size of Gaza is 365 square kilometers, which is less than half the area of Berlin (891.3 square kilometers).
    Smoke rises following an Israeli bombardment in the Gaza Strip, as seen from southern Israel, Saturday, December 16, 2023. [AP Photo/Ariel Schalit]

    No section of Gaza and no segment of the Gazan population is being spared by the Israeli military forces. Hospitals, schools, libraries, refugee camps and other public buildings are being bombed. Journalists, doctors, teachers, writers and artists are being deliberately targeted. The murder of the poet Refaat Al-Ar’eer is only the most prominent of the assassinations being carried out at the instructions of the Israeli government.

    This slaughter must be stopped and all those responsible for the crimes that are being committed against the Gazan population, and against all the Palestinian people living under occupation, must be held fully responsible, in accordance with the principles established at the Nuremberg Trials in 1945-46. And if I had any say in the matter, the same penalties would be applied.

    The restriction placed on the title of my lecture contains an element of irony. It is almost exactly one decade ago, in February 2014, that I was physically barred by security guards, summoned by Professor of History Jörg Baberowski, here at Humboldt, from attending a seminar that he had organized to discuss a new biography of Leon Trotsky by Professor Robert Service of Oxford University. In his announcement of the public seminar, it was stated that Service would answer questions from the attendees.
    Baberowski (in green jacket) and his security detail bar David North from entering the seminar in 2014

    Service’s biography was a shameless exercise in historical falsification. Its slanders against Trotsky were so blatant as to evoke a public protest from leading German historians, which resulted in a one-year delay in the release of the biography’s German-language edition.

    Among my objections to Service’s biography, which were detailed in several review essays, was the British historian’s explicit use of stereotypical antisemitic tropes in his denunciation of Trotsky. They included, among many other things, references to the shape of Trotsky’s nose and the changing of his actual Russian first name from “Lev” to “Leiba,” a Yiddish variant of the name used exclusively by antisemitic enemies of the Jewish-born Trotsky.

    As was soon to emerge, the alliance of Professors Baberowski and Service was based on a shared anti-communist political agenda. On the very day that I was barred from the Humboldt seminar, a new issue of Der Spiegel was published featuring a lengthy essay justifying Nazi crimes by arguing that Hitler’s policies were a legitimate response to the “barbarism” of the Bolshevik Revolution.

    Among those who were interviewed by Der Spiegel was Baberowski, who stated: “Hitler was not cruel. He didn’t like to hear of the extermination of the Jews at his table.” Baberowski went on to defend the pro-Nazi views of the now deceased Professor Ernst Nolte, who was at that time Germany’s leading Hitler apologist.

    In the face of the outrage among Humboldt students that followed the publication of Der Spiegel’ s essay, the administration of Humboldt University and the media stood behind Baberowski. This did not change even after a legal ruling by a German court that Baberowski can be referred to as a right-wing extremist. Baberowski enjoyed and continues to enjoy unlimited backing from Humboldt, which enabled him to appoint to the teaching staff of the Department of Eastern European Studies a certain Fabian Thunemann, whose curriculum vitae prior to his Humboldt appointment included participation in a neo-Nazi demonstration protesting the exposure of atrocities committed by the Wehrmacht during World War II.

    Ten years ago, I was barred from attending a seminar at Humboldt because I intended to challenge Service’s falsifications and his use of antisemitic slurs. Now the university, posturing as an irreconcilable opponent of antisemitism, forbids the inclusion of a reference to the Gaza genocide in the name of fighting antisemitism.

    I recall this incident from the not-so-distant past because it exemplifies the cynicism, hypocrisy, demagogy and unrestrained lying that drives the campaign to discredit opposition to Israel’s onslaught against Gaza as “antisemitic.” The use of this slur has become a critical weapon in the efforts of Israel and its imperialist accomplices to intimidate and isolate all those who are protesting the genocide of Palestinians.

    Suddenly, and from so many surprising quarters, warriors against antisemitism have emerged. Last week, in the United States, university presidents were summoned to Washington D.C. and questioned on their failure to suppress allegedly antisemitic protests on American college campuses. Leading the inquisitorial questioning was Congresswoman Elise Stefanik, a Republican from a district in New York State. She demanded to know why the presidents of the University of Pennsylvania, Harvard, the Massachusetts Institute of Technology and other major universities were tolerating calls for “genocide”—which the congresswoman identifies as any student protest that demands an end to the apartheid regime that deprives Palestinians of their democratic rights.
    Rep. Elise Stefanik, an advocate of the fascist “Great Replacement Theory” and supporter of the January 6 insurrection, is a leading proponent of the claim that “Anti-Zionism is antisemitism.” [AP Photo/Mark Schiefelbein]

    But what are Ms. Stefanik’s credentials as a fighter against antisemitism? She is a well-known advocate of what is known as the “Great Replacement Theory,” which claims that Jews are planning the elimination of white Christians in a plot to take over the world. In other words, she is an out-and-out antisemite, in the most classical definition of the term.

    The alliance of forces from the extreme right with the Israeli regime is an international political phenomenon. As you know, the Alternative für Deutschland (AfD), one of whose leaders dismissed the Holocaust as nothing more than a piece of “birdshit” in history, has joined the crusade against antisemitism. And, no doubt, were he still alive, the Führer would join it.

    Last December, a delegation from the Ukrainian Azov Battalion, many of whose members tattoo themselves with Nazi symbols, visited Israel to express its solidarity with the Netanyahu regime. These are not merely isolated and bizarre distortions of what is otherwise a legitimate effort to combat antisemitism. Rather, the entire campaign is based on the falsification of the historical origins and political function of antisemitism. The current campaign exemplifies a process which might be called “semantic inversion,” in which a word is utilized in a manner and within a context that is the exact opposite of its real and long-accepted meaning.

    Through sheer force of repetition, amplified by all the powers at the disposal of the state and the corporate media, the meaning of a term is fundamentally altered. The intended outcome of the falsification is the degrading of popular consciousness and its ability to understand reality.

    A significant example of how the term “antisemitism” is being used to falsify history, distort political reality and disorient popular consciousness is to be found in the recent speech by the silver-tongued Robert Habeck, the vice-chancellor in the present German coalition government. In a key passage, this political Tartuffe stated:

    However, I am also concerned about antisemitism in parts of the political left and unfortunately also among young activists. Anti-colonialism must not lead to antisemitism.

    Can anyone even begin to explain how anti-colonialism would acquire an antisemitic character? He goes on to say:

    In this respect, this part of the political left should examine its arguments and distrust the great resistance narrative.

    I’ll read this in German so that everyone can get the full weight of it:

    Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen linken und zwar leider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen.

    Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente prüfen und der großen Widerstand Erzählung mistrauen.

    Revealed in this passage is the central purpose of the application of semantic inversion to the word antisemitism. A phenomenon historically associated with the political right is transformed into a central attribute of the political left. The reactionary purpose of this process of falsification was demonstrated in the destruction of Jeremy Corbyn in Britain. I am hardly an admirer of Mr. Corbyn, whose most conspicuous political trait is the absence of a backbone. But for all his opportunist sins, the allegation of antisemitism against Corbyn and his supporters in the British Labour Party is a vicious smear, concocted by his right-wing opponents to destroy him politically.

    Another and even filthier example of the use of the slur is the vicious witch-hunt of Roger Waters. An artist who has devoted his life and art to the defense of human rights is being hounded in an internationally orchestrated campaign to label him an antisemite. Here in Germany, in Frankfurt and Berlin, attempts were made to have his concerts canceled. And what is the motivation for his persecution? Roger Waters defends the basic democratic rights of Palestinians and speaks out against their oppression.

    The complete separation of the term “antisemitism” from its actual historical and political meaning is fully achieved in its use against those who are Jewish who have protested in their thousands against the criminal policies of the Israeli regime. A particularly vile phrase is used against them: “self-hating Jews.” The gist of this insult is that opposition by those who are Jewish to Israeli policies, and to the entire Zionist project, can only be explained as the manifestation of some sort of psychological problem, a pathological rejection of one’s own identity.

    This diagnosis proceeds from the complete dissolution of Judaism as a specific religious identity into the Israeli state and the nationalist ideology of Zionism. An individual’s religious affiliation—which may, in the life of one or another Jewish person, be of limited or even no special importance—is endowed with a vast metaphysical significance.

    This ideological concoction is based not on history, but on biblical mythology. Indeed, the legitimacy of the Zionist project proceeds from the claim that the creation of Israel just 75 years ago marked the so-called “return” of the Jewish people after 2,000 years of exile to their ancestral home “promised” to them by God.

    This mythological nonsense has no basis in historical reality. More than 350 years have passed since Spinoza demolished, in his Theological-Political Treatise, the claim that the Pentateuch was dictated by God to Moses. The Bible was the work of many authors. As the historian Steven Nadler, an authority on Spinoza, has explained:

    Spinoza denies that Moses wrote all, or even most, of the Torah. The references in the Pentateuch to Moses in the third person; the narration of his death; and the fact that some places are called by names that they did not bear in the time of Moses all “make it clear beyond a shadow of doubt” that the writings commonly referred to as “the Five Books of Moses” were, in fact, written by someone who lived many generations after Moses.

    Proceeding from his repudiation of the authority of the Bible, Spinoza further enraged the elders of Amsterdam and provoked his excommunication by denying the claim—which was central to Judaism as a religion and Zionism as a political ideology—that Jews are a “chosen people.” As Nadler writes:

    If the origins and authority of Scripture are now suspect, then so must its grand claims about the “vocation” of the Hebrews. It is “childish,” Spinoza insists, for anyone to base their happiness on the uniqueness of their gifts; in the case of the Jews, it would be the uniqueness of their being chosen among all people. The ancient Hebrews, in fact, did not surpass other nations in their wisdom or in their proximity to God. They were neither intellectually nor morally superior to other peoples.

    Spinoza’s apostasy was informed by the rapid advance of science in the 17th century and rooted in philosophical materialism, and cleared the path for the most progressive and radical political tendencies. It brought down upon his head the wrath of the rabbinical enforcers of orthodoxy. The excommunication of Spinoza was proclaimed in language that was without precedent in its harshness. The excommunication read in part:

    Cursed be he by day and cursed be he by night; cursed be he when he lies down and cursed be he when he rises up. Cursed be he when he goes out and cursed be he when he comes in. The Lord will not spare him, but then the anger of the Lord and his jealousy will smoke against that man, and all the curses that are written in this book shall lie upon him, and the Lord shall blot out his name from under heaven.

    “Excommunicated Spinoza,” 1907 painting by Samuel Hirszenberg [Photo: Samuel Hirszenberg]

    Notwithstanding this denunciation, the name of Spinoza could not be blotted out. The influence of his heretical conceptions has persisted over centuries, contributing profoundly to the development of Enlightenment thought—including the Jewish Enlightenment known as the Haskalah—and its revolutionary political consequences in the 18th, 19th and even 20th centuries.

    The political theology of contemporary Zionism represents the extreme counterrevolutionary antithesis and repudiation of the progressive, democratic and socialist tradition derived from Spinozist and, later, Marxist thought among generations of Jewish workers and intellectuals. Reinterpreting religious myth in the spirit of extreme national chauvinism, contemporary Zionist theology imparts to the concept of a “chosen people” a thoroughly racist and fascistic character.

    While it is widely acknowledged that the Israeli government is composed of parties of the extreme right, this political fact is treated as a minor detail that has no particular relation to the events of October 7 and the Israeli state’s response. Virtually no reference is to be found in political coverage of the war to the influence of an apocalyptic “Theology of Revenge,” which explicitly demands the annihilation of all enemies of Israel, on the policies of the Netanyahu government.

    A central figure in the development of the “Theology of Revenge” was the late Meir Kahane. Born in Brooklyn in 1932, his father, Rabbi Charles Kahane, was a friend and associate of Ze’ev Jabotinsky, the leader of an avowedly fascist wing of the Zionist movement. Meir Kahane initially achieved public notoriety in the United States as the founder of the neo-fascist Jewish Defense League. The JDL targeted black organizations in New York, which Kahane denounced as a threat to Jews.

    In 1971, Kahane relocated to Israel and founded the virulently anti-Arab Kach party. His followers in the United States remained active. The Workers League, the predecessor of the Socialist Equality Party in the United States, became a target of the JDL in 1978 when it sought to disrupt through a bomb attack a showing in Los Angeles of the documentary titled The Palestinian, that had been sponsored by the International Committee.
    Meir Kahane in 1984 [Photo: Gotfryd, Bernard]

    Kahane’s role and influence in Israel is analyzed in an essay titled “Meir Kahane and Contemporary Jewish Theology of Revenge.” Published in 2015, its authors are two Israeli scholars, Adam and Gedaliah Afterman. They explain that Kahane’s theology

    centred on the claim that the State of Israel was established by God as an act of revenge against the Gentiles for their persecution of Jews, especially the systematic killing of Jews during the Holocaust.

    Kahane’s Kach party called for the annexation of all territory seized by Israel in the 1967 war and the violent expulsion of the Palestinian population. Kahane was elected to the Israeli parliament, the Knesset, in 1984. The Kach party was banned from running in the 1988 elections, but its influence continued despite Kahane’s assassination during a trip to New York in 1990.

    The Aftermans’ essay summarizes the three fundamental pillars of Kahane’s theory of revenge.

    First:

    The people of Israel are a collective mythical being ontologically rooted in divinity, that together with God faced a mythical enemy from its early days. This mythical enemy, “Amalek,” is embodied in different actual enemies throughout Jewish history, and the various persecutions and ordeals the Jews have suffered throughout history are manifestations of the same mythical struggle. Furthermore, there is an ontological difference between the mythical nation of Israel and the Gentiles, especially Israel’s enemies. The ontological difference between the Jewish and Gentile soul overrides the Jewish principle that all of humanity was created in the image of God. The belief that Gentiles are inferior and embody the demonic powers of history justifies acts of deadly violence and revenge.

    Second:

    …Thus, the argument proceeds, the people of Israel are religiously obliged to use all means possible to take revenge against their mutual enemies and to rehabilitate their mutual pride and status. Whether or not they realize it, the Palestinians and other forces fighting Israel are part of a mythical, religious battle that seeks the destruction of the people of Israel and its God. These factors permit the use of any and all measures to overcome the enemies.

    Third:

    The establishment of the State of Israel in 1948, shortly after the Holocaust, must serve one purpose: to facilitate redemptive revenge against the Gentiles. The establishment of the modern Jewish state in the historical land of Israel is an instrument for activating the redemptive process, rather than a result or a sign of such a process.

    Summing up the three pillars, the Aftermans explain that

    …Kahane argues that carrying out vengeance against the metaphysical enemy “Amalek” (hostile Gentiles) is fundamental to saving God and his people, both of whom almost ceased to exist as a result of the Holocaust. The establishment of the Jewish state, with its institutionalized power and military might, should, in Kahane’s view, be placed at the service of redemption-bound revenge. Kahane goes so far as to justify acts of vengeance even against innocent people by arguing that they belong to the mythical enemy that must be eradicated as a condition for the redemption of Israel and its God. In his view, the loss of innocent lives, if necessary, is a justifiable sacrifice.

    Kahane interpreted the doctrine of the “chosen people” as a comprehensive repudiation of all association with traditional Western values. He wrote in his book, Or Ha’Raayon:

    This is a Jewish state. It bows in front of Judaism and does not contradict it. It acts in accordance with Jewish values and Jewish commandments even if these contradict international law and diplomacy, even if they contrast the normal Western and democratic lifestyle; this is so even if this puts its interests under risk and threatens to isolate it from the civilized gentiles. … The duty of Judaism is to be separate, unique, different and chosen. This is the role of the Jewish people and their instrument, the State … We have no part in the standard values of the nations. Assimilation does not begin with mixed marriages, but in copying and adopting foreign values, alien and non-Jewish concepts and ideas.

    Kahane’s theory of revenge was identified in Hebrew as the concept of what he called Kiddush Hashem. He wrote:

    A Jewish fist in the face of an astonished gentile world that had not seen it for two millennia, this is Kiddush Hashem. Jewish dominion over the Christian holy places while the Church that sucked our blood vomits its rage and frustration, this is Kiddush Hashem.

    Actually, notwithstanding its semi-deranged invocation of a supposedly unique Jewish philosophy, Kahane’s Kiddush Hashem can be described as a Hebrew-language variant of the philosophy of Adolf Hitler’s Mein Kampf, the main difference being that Kahane’s hate-filled and racist diatribe was written in Hebrew from right to left rather than from left to right.

    Kahane’s influence persisted after his assassination in the increasingly right-wing political environment of Israel. On February 25, 1994, one of Kahane’s students, Baruch Goldstein, murdered 29 Palestinians and wounded another 150 in an attack on a Mosque in Hebron. This crime was praised by Kahane’s followers, including the extremely influential Rabbi Yitzchak Ginsburgh, who proclaimed that the mass murder carried out by Goldstein was an act of Kiddush Hashem.

    Now what does this have to do with today? Itamar Ben-Gvir, the leader of the xenophobic Otzmah Yehudet party, is now the Minister of National Security in Netanyahu’s coalition government. He was a member of the Kach party before it was outlawed. He remains an outspoken defender of the fascist theology and politics of Meir Kahane. This past April, Ben-Gvir, flanked by a security detail provided by the office of the prime minister, delivered a speech in which he praised both Kahane and Baruch Goldstein.
    President Joe Biden is greeted by Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu after arriving at Ben Gurion International Airport, Wednesday, Oct. 18, 2023, in Tel Aviv. (AP Photo/Evan Vucci)

    The invocation of Kahane’s doctrine of revenge by Israeli leaders has become increasingly common since the war began. Last month, Netanyahu declared in a public speech, “You must remember what Amalek has done to you, says our Holy Bible. And we do remember.” The implications of Netanyahu’s reference to Amalek was made explicit in a statement by Israeli Defense Minister Yoav Gallant: “We are fighting human animals, and we are acting accordingly. We will eliminate everything—they will regret it.” Many statements of an identical character have been made by Israeli leaders since the beginning of the war, and these statements have been actualized in the genocidal actions of the Israeli government and military.

    In the midst of the crimes being committed by the Israeli regime, there is no greater and more insidious lie than the claim that opposition to Zionism is, and must be, antisemitic. This is a lie that is refuted by the long history of pre-1948 opposition to Zionism among countless thousands of Jewish workers and intellectuals, spanning several generations, who rejected the myth-based call for a return to Palestine.

    The opposition to Zionism was expressed with the greatest political clarity by the socialist movement, which identified and denounced the politically reactionary character of the perspective of establishing a Jewish state in Palestine. It was understood that this project was a colonialist enterprise, which could only be achieved in alliance with imperialism and at the expense of the Palestinian Arab population that had lived in the territory for 2,000 years.

    Moreover, in their struggle against traditional religious persecution and the emergence, beginning in the late 19th century, of political antisemitism, the great mass of Jews sought to achieve political and social equality within the countries in which they lived. That was of profound truth especially in Germany. They wished to be part of the mass movement against oppression. For the most politically conscious section of Jewish youth, workers and intellectuals, this striving led to active involvement in the socialist movement.

    The present-day claim that Zionism is the necessary and genuine expression of Jewish identity has no basis in history. Moreover, the persistence of democratic convictions and a sympathy for the oppressed rooted in the experience of antisemitic prejudice and persecution finds expression in the large number of Jewish youth who have been involved in demonstrations opposing the Israeli onslaught against the Gazans.

    Despite all the propaganda, the images of the mass killing of defenseless Palestinians cannot help but evoke historical and familial recollections of the fate of the Jews at the hands of the Nazis. Thus, the war against the Gazan people evokes not only a sense of solidarity with the victims of Israeli atrocities, but also a deep anger against the exploitation of the tragedy of the Holocaust to justify the war.

    Of course, the Zionists and their apologists will claim that all that I have said is simply evidence of my deeply rooted antisemitism, which they claim—as I have already explained—is a prejudice widely held within the socialist movement. The more left an individual, the more emphatic his or her opposition to capitalism and imperialism, the more irreconcilable their opposition to the Jewish state and, therefore, their antisemitism.

    This allegation is as absurd as it is politically reactionary. Having been involved in the socialist movement for more than a half century, I really do not have any personal obligation to answer the claim that I and my comrades in the Trotskyist movement are antisemites. As the saying goes, my record speaks for itself.

    But, unfortunately, that is not generally true. The accusation of antisemitism requires the ignoring and distortion of a given individual’s political record.

    So I will, for the first time, respond to the accusation, by adding to my well-known public political record information relating to my personal background. Now having reached a somewhat more advanced age, just a little more than a year away from what will be my 75th birthday, I think the time has come to do this. I do not do so because it will have any effect on the slanderers, but because there are elements of my personal experience that may resonate with a younger generation and encourage them to intensify their struggle in defense of the Palestinians and against all forms of oppression.

    The dominant factor in the development of all individuals is the social and political environment of their time, conditioned at the most fundamental level by the prevailing socioeconomic structures of the societies into which they were born. The personalities of human beings are shaped by what Marx referred to as “an ensemble of social relations.” But these social relations are refracted through personal experiences, both one’s own and those transmitted through family, friends, teachers, acquaintances, and so on.

    I am a first generation American, born in 1950. The location of my birth—in fact, my existence—was determined by the events that had led to the Second World War, which had ended only four and a half years earlier. Both my parents had fled Europe to escape the Nazi persecution of the Jews. My mother, Beatrice, was born in Wilmersdorf on December 18, 1913—the exact same day Herbert Frahm, aka Willy Brandt, was born. The apartment building in which she was born, located on Konstanzer Strasse, still stands. Her father—my grandfather—occupied a significant position in the cultural life of Berlin. His name was Ignatz Waghalter. Born in Warsaw in 1881 into a very poor family of musicians, Waghalter made his way to Berlin at the age of 17 with the intention of receiving a proper musical education.

    My grandfather was the 15th of 20 children. Of those 20 children, 13 died in childhood, four in one day during the typhus epidemic of 1888. Of the 20 children, seven survived—four boys and three girls. My grandfather, from his earliest years, exhibited immense musical talent. By the age of six, he was already performing in the Warsaw circus. At the age of eight, he wrote and composed a revolutionary anthem that was so popular that a search began by the police to discover the name and identity of the insurrectionary musician. They were quite shocked when they discovered that it was an eight-year-old. The Waghalter family had deep roots in the revolutionary democratic struggle of the Polish people. In fact, I recently discovered in a library a revolutionary march written by my grandfather’s grandfather that had been composed in 1848.

    My grandfather wanted to obtain a genuine education. He didn’t want to be just an itinerant musician, he wanted to go to the musical capital of the world—Berlin—and learn how to become a serious composer. He was smuggled across the border in 1897 without any money. He endured great hardship, but eventually came to the attention of the great violinist and friend of Brahms, Joseph Joachim. Upon the recommendation of Joachim, my grandfather was admitted to the Akademie der Kunste. In 1902, his Sonata for Violin and Piano was awarded the coveted Mendelssohn Prize. Two years later, Ignatz’s younger brother Wladyslaw, who had followed him to Berlin, was awarded the same prize for his achievements as a violinist.

    Following his graduation, Ignatz obtained a post as a conductor at the Komische Oper. An appointment to the Essen Opera house followed several years later. But the decisive turning point in his musical career came in 1912, when he was appointed first conductor at the newly constructed Deutsches Opernhaus on Bismarck Strasse in Charlottenburg, known today as the Deutsche Oper. Of course, the original building was destroyed in the course of the Second World War and rebuilt, though it’s located on the same street today. Wladyslaw Waghalter was appointed concertmaster of the new opera house, which opened on November 7, 1912 with a performance of Beethoven’s Fidelio. Despite vocal opposition from antisemites and numerous death threats, Ignatz Waghalter conducted the premier performance.

    For the next 10 years, my grandfather maintained his position as first conductor at the Deutsches Opernhaus. Three of his operas, Mandragola, Jugend and Sataniel, had their premier at the opera house. Waghalter was known for his championing of the operas of Giacomo Puccini, whose music had been previously dismissed by a musical establishment obsessed with Richard Wagner. Waghalter conducted the German premier of Puccini’s La Fanciulla del West [Das Mädchen aus dem goldenen Westen] in March 1913, with Puccini in attendance. It was a triumph that established Puccini’s reputation as a great master in Germany.

    Throughout his lengthy tenure at the Deutsches Opernhaus, Waghalter had to contend with both anti-Polish and antisemitic prejudice. Though he himself did not observe any religious rituals or attend synagogue, Waghalter refused—in contrast to many other Jewish-born conductors—to convert to Christianity. The thought of changing one’s religion for the purpose of advancing one’s career, thereby adapting to antisemitic prejudice, was abhorrent to him.

    In 1914, upon the outbreak of World War I, Waghalter was forbidden to conduct because he had been born in the Russian Empire, with which Imperial Germany was at war. Protests by the opera-loving public of Charlottenburg led to his reinstatement.

    Waghalter remained at the Deutsches Opernhaus until 1923, when it went bankrupt in the midst of the catastrophic inflationary crisis. He spent a year in the United States as head of the New York State Symphony Orchestra. He then returned to Germany, where he was appointed musical director of the film company, Ufa. But he was unable to return to the Städtische Oper, as the reorganized and reopened Deutsches Opernhaus was then known.

    The coming to power of Hitler effectively ended his career, and that of his brother, as musicians in Germany. My mother, not yet 20, had a premonition that the Third Reich would cost Jews not only their careers, but also their lives. Beatrice urged her parents to leave Germany before it became impossible to escape. They followed her advice and left Germany, traveling first to Czechoslovakia and then to Austria.

    My mother, a highly gifted musician, remained in Germany. She joined the Jüdische Kultur Bund, where she performed as a singer at private homes of Jews throughout Germany. In 1937, she obtained a visa to enter the United States. She managed to secure entry visas for her parents. My grandparents arrived in New York in May 1937. Within days of arriving, Ignatz initiated a project of historic significance, the creation of the first classical music orchestra composed of African American musicians.

    This radical project encountered bitter opposition in the racist environment of the time. Waghalter frequently invited black musicians to rehearse at his apartment. This resulted in the circulation of a petition, signed by virtually all the white residents of the apartment building, demanding Waghalter’s eviction if he continued this practice.

    My grandfather was interviewed by the African American newspaper of Baltimore. He expressed the convictions that had inspired his creation of the symphony orchestra, stating, “Music, the strongest citadel of universal democracy, knows neither color, creed nor nationality.”

    Despite Waghalter’s immense efforts, the reactionary environment made it impossible to sustain the orchestra. During the final decade of his life, Waghalter became increasingly isolated. He lost contact with his family. Only after the war did he learn that his brother Wladyslaw—who had not been able to leave Germany—died suddenly in 1940 after a visit to Gestapo headquarters. His wife and one daughter perished in Auschwitz in 1943. In fact, on Brandenburgerstrasse 49, the location and address of my great uncle Wladyslaw, you can see Stolpersteine in which the life and death of Wladyslaw and his family are memorialized.

    Fortunately, one daughter of Wladyslaw, Yolanda, managed to escape. She made it to South America, lived in Peru, where she became first violinist in the Lima Symphony Orchestra, and her son Carlos, my second cousin, now lives in New Orleans, and we have been close friends for most of our adult lives. Ignatz’s brother Joseph died in the Warsaw Ghetto. Two of the three sisters also perished in Poland. Only his oldest brother, the great Polish cellist Henryk Waghalter, managed to survive the war. My grandfather died suddenly in New York at the age of 68 in April 1949.

    During his brief exile in Czechoslovakia in 1935-36, my grandfather wrote a brief memoir, which concludes with a statement of his ideals as an artist. He recognized that the Nazis represented a mortal threat to the Jews, but he expressed the conviction that the criminals of the Third Reich would not emerge victorious over the ethical and moral commitment of the Jewish people to justice. Waghalter acknowledged that he did not yet know where he would be able to find refuge. And so he ended his memoir with the words:

    Wherever it may be, I wish to serve art and humanity in accordance with the words of Moses, “You were freed from slavery in order to serve your brothers.”

    Clearly, my grandfather’s conception of Jewish ethics was very different from that which prevails in the Netanyahu government and the present-day Zionist state. He would be appalled and horrified if he knew what was being done in the name of the Jewish people. There could be no greater slander, no greater gift to the real antisemites, than to associate the Jewish people with the crimes that are being presently committed each day against the oppressed Palestinian people.

    The story of my grandfather’s life and its relation to the catastrophe that had overwhelmed European Jewry was a constant topic of discussion in my childhood home. My grandmother, Ignatz’s widow, whom we called Omi, lived with us. I spent countless hours in her room, where she told me of life in Berlin, the friendships with so many great artists, being pinched on her backside by Giacomo Puccini, all the friends she knew, the writers, and even scientists, including Albert Einstein, who frequently visited the apartment on Konstanzerstrasse, where he enjoyed playing his violin as part of a string quartet. The apartment residents did not object.

    The stories of my grandmother were supplemented by those told by my mother, who had enjoyed an especially close relationship with her father. Most of the stories were told in German, which enjoyed equal status with English in our home.

    At least on the street where I lived, this was not unusual. Many of our neighbors were refugees: Dr. Jakobius, Frau London, Frau Spitzer, Frau Rehfisch, Walter and Uschi Bergen, Dr. Hartmann and Dr. Gutfeld. There were others whose names I do not remember, but it was as if a substantial portion of Charlottenburg had been reassembled in a New York City suburb. And then there were the many friends who lived in other parts of the city but were frequent vistors: Greta Westman, Dela Schleger and Kurt Stern.

    So many of the discussions describing life in Berlin led to the phrase: “Und dann kam Hitler.” Then came Hitler. That was the event that changed everything. And this, in my young mind, led to so many questions. “How did Hitler come?” “Why did Hitler come?” “Did anyone, before 1933, see him coming?” “When did my grandparents and mother first hear of Hitler and realize that he might come?” And, finally, the most important question of all, “Why didn’t people stop Hitler from coming?”

    This was a question for which no one I knew had any fully formed and convincing answers. But there were certain elements of the answers that I received at home that were helpful. First, the Nazis were clearly identified as a right-wing movement. The dividing line, therefore, in my family between good and evil had not been between German and Jew, but between left and right. This division, my mother insisted, existed not only in Germany, but throughout the world, and, of course, within the United States. She would occasionally look at some American politicians and she would say, “Ich traue nicht dieser Bande” (“I don’t trust this gang.”)

    My mother was especially emphatic on this point. She hated fascism. When she noticed or encountered certain exceptionally objectionable social and political attitudes, she was inclined to describe the offending individual as “ein echter Fascist,” a real fascist.

    She was certainly aware of the existence of antisemitism in Germany prior to Hitler. She encountered such tendencies even before Hitler began to come, among teachers at her school. But she often made the point about these tendencies, that she would never have believed, and did not believe, that they would develop inevitably into mass murder. She did not believe in such an inevitability. Moreover, she never expressed a trace of hatred or bitterness towards Germans. She was proud that her command of the German language had not diminished even 60 years after her flight from Germany.

    It would take many years before I could find a politically convincing answer that explained how fascism had come to power in Germany. Like many of my generation, I passed through the experience of the Civil Rights movement, the ghetto uprisings and the Vietnam War. The explosive events of the 1960s stimulated my study of history, and encouraged the tendency to situate contemporary events in a broader temporal framework. Moreover, anger over the never-ending Vietnam War and steadily increasingly disillusionment with the Democratic Party and American liberalism impelled me further toward socialism. This process led finally toward my initial discovery, in the autumn of 1969, of the writings of Leon Trotsky.

    I immersed myself in the study of his available writings: his monumental History of the Russian Revolution, his autobiography My Life, The New Course, Lessons of October, and The Revolution Betrayed. All of these works served as the foundation of my decision to join the Trotskyist movement. But the volume that had the greatest impact upon me was a collection of Trotsky’s writings devoted to the struggle against the rise of the Nazis to power between 1930 and 1933.

    During those critical years, Trotsky lived in exile on the island of Prinkipo, off the coast of Istanbul. He had been exiled there by the Stalinist regime. Nearly 2,000 miles away from Germany, he followed the events that were unfolding. His articles, the warnings he made of the danger posed by Hitler and the Nazi party, are unequalled in political literature.
    Leon Trotsky at his desk in Prinkipo

    Trotsky not only explained the nature of fascism—its class basis and essential function as an instrument of political terror against the socialist and working class movement—but he also explained how the Nazis could be defeated. He exposed the policies of the Stalinist Communist Party, of the so-called Third Period, which declared that Social Democracy and fascism were identical. He countered this bankrupt ultra-left policy with a call for a united front of all the working class parties to defeat the Nazi threat. His warnings were ignored. Stalinism, as well as the betrayals of Social Democracy, made possible the victory of the Nazis.

    But Hitler’s rise to power and the ensuing catastrophe of World War II and the Holocaust were not inevitable. They were the outcome of the political betrayals of the reformist and Stalinist leaderships of the working class. To understand that, to understand what fascism was—and, when I think back on it, realizing that I was growing up only a few decades after this all had happened—had upon me a profound effect. Realizing that there must never again be fascism, and coming to understand that it was possible to defeat this political horror, one was obligated to become active in the socialist movement, and particularly in that political organization which had correctly analyzed and provided an answer to the greatest threat that humanity confronted.

    Trotsky rooted the rise of fascism not in the German psyche, but in the historical crisis of capitalism and the nation-state system. Hitler and the fascist regime represented, in the final analysis, the desperate attempt of German capitalism to find a solution, through war and mass murder, to the restraints imposed upon it by the existing nation-state system. It was compelled to “reorganize Europe.” But this was not an exclusively German problem. The crisis imposed upon American imperialism an even greater challenge, in which it is engaged today: the task of reorganizing the world.

    In subsequent writings, written after Hitler had come to power, Trotsky warned that fascism and the outbreak of World War II would confront European Jewry with the danger of extermination. The danger, he wrote, could not be averted by Zionism, which advanced a national solution to a problem rooted in the global contradictions of the capitalist system.

    Following the victory of the Nazis, Trotsky insisted that the fate of the Jews was more than ever bound up with the fate of socialism. He wrote, in a letter dated January 28, 1934:

    The entire Jewish historical fate being what it is, the Jewish question is an international one. It cannot be solved through “socialism in a separate country.” Under the circumstances of the present vile and detestable anti-Semitic persecutions and pogroms, the Jewish workers can and should derive revolutionary pride from the knowledge that the fate of the Jewish people can only be solved through the full and final victory of the proletariat.

    This perspective has been vindicated by history. Those who claim that the founding of Israel was a political triumph have a peculiar idea of what a political triumph consists of. The creation of a state that is founded on the blatant theft of other people’s land, that denies on a purely racialist basis the basic democratic rights that should be afforded to all citizens, that sanctifies hate and revenge as a basis of state policy, that systematically conditions its own citizens to kill and torment the people it has stolen from, and which has turned the country into the most hated in the world—this can hardly be described as a “political triumph.” It is a political degradation.

    The ongoing war, for all its horrors, has made one significant political contribution. It has awakened the youth. It has opened the eyes of the world. It has exposed the Zionist regime and its imperialist accomplices for the criminals they are. It has set into motion a tidal wave of outrage that is sweeping across the world and will sweep across those responsible for this genocide.

    But the great challenge that confronts our movement is to imbue the outrage with a revolutionary socialist program that can unify the global working class in a common struggle against imperialist barbarism. Our movement and only our movement is equipped to meet this challenge. It embodies a vast political history and a vast political experience that spans now an entire century. There is no other party which can bring to bear, in a crisis such as that which we now face, an understanding of its dynamic and a perspective to intervene in the situation and change it in the interests of the working class.

    So while this lecture was not a formal report on the centenary of Trotskyism, apart from present day events, I hope that it has contributed to your understanding of what the Trotskyist movement is and its relationship to the present-day struggles which we confront.

    #Pologme #USA #Israël #Palestine #Allemagne #Berlin #Charlottenburg #Konstanzer_Straße #Bismarckstraße #opéra #musique #nazis #antisemitisme #sionisme #fascisme

  • Schwerer Unfall am Fehrbelliner Platz in Berlin-Wilmersdorf: Mehrere Verletzte
    https://www.berliner-zeitung.de/news/schwerer-unfall-am-fehrbelliner-platz-mehrere-verletzte-li.2173242

    Uber schlägt zu. Mal wieder. Fahrer ohne Ortskenntnis + Lohndumping + Mangel an Erfahrung = Crash.

    Mal sehen, was mit der Versicherung des Mietwagens ist. Fahrgäste riskieren ihr Leben und Entschädigung. Kosten für Krankenhaus offen.

    2.1.2024 - Am Fehrbelliner Platz in Berlin-Wilmersdorf hat es am Dienstagabend einen schweren Unfall gegeben. Nach Angaben eines Sprechers der Feuerwehr kollidierten gegen 19.30 Uhr auf einer Kreuzung zwei Autos, wodurch insgesamt sechs Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Die Wucht des Aufpralls sei so stark gewesen, dass eine Person eingeklemmt wurde und mit schwerem Gerät aus dem Wrack befreit werden musste. Sie kam mit lebensbedrohlichen Verletzungen in ein Krankenhaus, so der Sprecher.

    Außerdem erlitten drei Insassen schwere Verletzungen, zwei weitere wurden leicht verletzt. Die Berliner Feuerwehr war mit 50 Einsatzkräften vor Ort, wie sie auf X mitteilte. Die Kreuzung ist voll gesperrt. Polizisten begannen umgehend mit den Ermittlungen zur Unfallursache. Nach Informationen der Berliner Zeitung handelt es sich bei den beiden Unfallwagen um einen Mercedes und einen Toyota, der gerade im Auftrag von Uber Fahrgäste transportierte.

    Update: Eine Person wurde im PKW eingeklemmt und musste mit hydraulischem Gerät befreit werden. Insgesamt wurden 6 Personen in Krankenhäuser transportiert, davon:
    🔴1 Person mit lebensgefährlichen Verletzungen,
    🟡4 Personen mit schweren Verletzungen
    🟢1 Person leicht verletzt. pic.twitter.com/Y7b3x8T7ys
    — Berliner Feuerwehr (@Berliner_Fw) January 2, 2024

    #Berlin #Wilmersdorf #Fehrbelliner_Platz #Verkehr #Uber #Unfall

  • Sommergäste (1976), russisch Datschniki Дачники
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sommerg%C3%A4ste_(1976)

    Sommergäste ist ein 1975 gedrehter und 1976 erschienener deutscher Spielfilm von Peter Stein, nach einem Theaterstück (1904) von Maxim Gorki. Stein besetzte diese filmische Umsetzung einer seiner zuvor an der Schaubühne am Halleschen Ufer gezeigten Inszenierungen mit seinen damaligen Ensemblestars Bruno Ganz, Otto Sander, Edith Clever und Jutta Lampe in den Hauptrollen.
    ...
    Sommergäste entstand Mitte 1975 auf der Pfaueninsel in Berlin. Die Uraufführung fand am 29. Januar 1976 statt, Massenstart war der 6. Februar 1976. In der DDR wurde der Film das erste Mal nachweisbar am 12. März 1977 im Berliner Kino Studio Camera in der Oranienburger Straße 54 aufgeführt.

    Steins Sommergäste-Inszenierung an der Schaubühne erwies sich als ungewöhnlicher Erfolg, sie wurde seit der Premiere im Dezember 1974 nahezu 150 Mal gezeigt

    Zieglerfilm
    https://www.zieglerfilmkoeln.de/produktionen/kino/produktion/sommergaeste.html

    Regie Peter Stein
    Drehbuch Botho Strauß, Peter Stein (Mitarbeit)
    Produktion Regina Ziegler mit dem Ensemble der Berliner Schaubühne Musik Peter Fischer
    Kamera Michael Ballhaus
    Schnitt Siegrun Jäger

    Summerfolk
    https://en.wikipedia.org/wiki/Summerfolk

    Summerfolk (Russian: Дачники, romanized: Dachniki) is a play by Maxim Gorky written in 1904 and first published in 1905 by Znaniye (1904 Znaniye Anthology, book Three), in Saint Petersburg.

    Full of characters who “...might have stepped out of a Chekhovian world”, it takes place in 1904—the same year that Anton Chekhov died. The play dramatises the Russian bourgeois social class and the changes occurring around them.[4] In Russia the play premiered on 10 November 1904 at the Komissarzhevskaya Theatre in Saint Petersburg.

    The British premiere of the play was given by the Royal Shakespeare Company at the Aldwych Theatre in London on 27 August 1974. It was directed by David Jones, who introduced several of Gorky’s plays to Britain.

    The Royal Shakespeare Company and BAM: A Brief History
    https://blog.bam.org/2013/03/the-royal-shakespeare-company-and-bam.html

    The 1974 season was so successful that the RSC returned for repertory engagements in the spring of both ’75 and ’76, including David Jones’ production of Gorky’s Summerfolk. Lichtenstein thought it was so successful that he tapped Jones a few years later for the position of artistic director of the BAM Theater Company, BAM’s short-lived experiment at maintaining an in-house repertory company largely modeled on the RSC.

    Dacha - Wikipedia
    https://en.wikipedia.org/wiki/Dacha

    https://de.wikipedia.org/wiki/Datsche

    Die Aufhebung der Leibeigenschaft führte in den 1860er Jahren zu einem Niedergang der Landbesitzer, die ihr Land nun häufig verkaufen mussten, wodurch sich die Datsche als Sommerfrische für wohlhabendere Städter etablierte. 1904 verewigte Maxim Gorki die Sommertage auf der Datsche im Theaterstück Sommergäste (russisch Дачники; transkribiert datschniki). In der Zeit nach der Oktoberrevolution, als die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden noch nicht geregelt waren, nahmen Stadtbewohner brachliegende Parzellen in Besitz und erschlossen sie als Zweitwohnsitz.

    En RDA / #DDR 3,4 millions des 16 millions d’abitants possédaient une datcha . Ceci signifiait que même sans en posséder soi-même on connaissait toujous quelqu’un chez qui passer les weekends et l’été á la campagne.

    entstand eine große Anzahl von Siedlungen, insbesondere an Ufern der zahlreichen Seen im Norden der DDR. Die Vergabe wurde vom Staat geregelt. Die Datschen waren vom Hauptwohnsitz aus meist innerhalb einer Stunde zu erreichen. Es wird geschätzt, dass es in der DDR etwa 3,4 Millionen Datschen gab – „die weltweit höchste Dichte an Gartengrundstücken“.

    Maxim Gorky / Gorki - Dachniki (1905)
    http://gorkiy-lit.ru/gorkiy/pesy/dachniki/dachniki.htm

    Mit Gorki im Birkenwald - Maxim Gorki: Sommergäste
    https://www.die-deutsche-buehne.de/kritiken/mit-gorki-im-birkenwald

    Theater:SchaubühnePremiere:22.12.1974Regie:Peter Stein

    Foto: Sommergäste, 1974 © Anne Fritsch Text:Anne Fritsch am 2. April 2020

    Nie hätte ich gedacht, dass ich mal eine Kritik schreibe über eine Inszenierung, die älter ist als ich. (Aber ich hätte auch sonst einiges nie geglaubt, was gerade Wirklichkeit ist.) Nun also ist es soweit. Das Streamen, aus der Not des Corona Shut-Downs geboren, macht’s möglich. Am 22.12.1974 hatten Gorkis „Sommergäste“ in der Schaubühne am Halleschen Ufer Premiere. Regie führte Peter Stein. Ein Jahr später verfilmte er die Inszenierung mit dem Kameramann Michael Ballhaus.

    Es ist dies eine eigentümliche Mischung aus Theater und Film, ein bisschen Freilufttheater, ein bisschen Stationendrama. Hier wird nichts verfremdet, nichts aktualisiert. Hier sieht die russische Datscha aus, wie man sich eine russische Datscha vorstellt: weiße Sprossenfenster, ein niedriger Bau aus Holz inmitten eines Birkenwäldchens. Denn die Birken, die liebt der Russe ja bekanntlich. Die Möbel sind aus dunklem Holz gedrechselt, die Beleuchtung so trübe wie die Stimmung der gelangweilten Sommergäste. Wenn sie nach draußen gehen, tragen die Männer Sommeranzüge und Hüte, die Frauen weiße Blusen, lange Röcke und Sonnenschirme. Manchmal pflücken sie sogar Gänseblümchen. Das war schon 1974 altmodisch – und führt einen mal wieder zurück zu der Frage, ob sich alles aktualisieren lässt. Oder ob bestimmte Geschichten einfach in ein bestimmtes Umfeld gehören?

    Immerhin gelingt dieser Inszenierung etwas, was die „Sommergäste“ des vergangenen Jahres, bei den Salzburger Festspielen (Regie: Evgeny Titov) und am Münchner Residenztheater (Regie: Joe Hill-Gibbins), vermissen ließen: zwar etwas altmodische, aber echte Menschen zu zeigen. Das Ensemble spricht die Texte so unbefangen, als würden sie tatsächlich in diesem Moment entstehen. Vielleicht passt dieses Stück einfach nicht in holzgetäfelte Hotel-Lobbys (wie in Salzburg) oder auf steril-leere Drehbühnen (wie in München). Vielleicht sind die Themen und Fragen des Stückes zwar zeitlos, das Kreisen um die eigenen privaten Probleme, das Ausblenden der Welt um einen herum; vielleicht sind die Gespräche aber doch zu sehr in ihrer Zeit verwurzelt, als dass man sie eins zu eins ins 21. Jahrhundert verfrachten kann. Vielleicht braucht dieser Text eher ein wenig Distanz als Anbiederung, um wirken zu können.

    Die Steinschen Schauspielerinnen und Schauspieler laufen also durch Birkenwälder und lamentieren über ihre Sinnkrisen und Sehnsüchte. Die Männer haben wenig Scheu, sich dominant und zuweilen brutal zu verhalten. Sie tun das mit einer Selbstverständlichkeit, die heute undenkbar wäre. In so einem Setting ist auch ein Samowar, wie er ja in Gorki- und Tschechow-Inszenierungen gerne auf den Bühnen steht, kein Fremdkörper, sondern Alltag. Hier distanziert sich niemand von Stück, Sprache oder Rolle. Die Kritik am Text wird nicht mitgespielt, die Kritik an den Umständen ergibt sich durch das Darstellen derselben.„Was ist aus mir geworden?“, fragt Sabine Andreas als Olga. „Ich war doch auch einmal glücklich.“ Sie spricht diese Sätze klar und ohne Attitüde. Nicht als Fazit des Stückes, sondern als ganz persönliche Feststellung. Sie alle sprechen über die meist fehlende Liebe, das Schreiben und den ganzen Rest. In allem, was sie reden, schwingt all das mit, über das sie nicht reden.

    „Mein Gott, was sind wir für gleichgültige Menschen“, sagt Edith Clever als Varvara in der Schlüsselszene des Stückes, auf einer kleinen Feier unter bunten Lampions. „Wir sind Sommergäste in unserem Land.“ Die viel reden und nichts tun. Die sich verhalten, als wären sie nur zu Gast auf dieser Welt, nur zu ihrem Vergnügen hier, ohne Verantwortung für den ganzen Rest.

    Dieser Stream ist ein Blick in die Vergangenheit. Auf Schauspieler wie Otto Sander, Ilse Ritter, Jutta Lampe, Rüdiger Hacke oder Bruno Ganz. Ein Blick, der in der Gegenwartskunst Theater sonst nicht möglich ist. Das Theater lebt vom Moment, vom gleichzeitigen Produzieren und Konsumieren der Kunst, von seiner Vergänglichkeit. Eine Aufführung stirbt für gewöhnlich am Tag ihrer Derniere. Höchstens Theaterwissenschaftler blicken hie und da noch in die aufgezeichneten Überbleibsel prominenter Aufführungen. Nun aber, da der Live-Moment des Theaters, das Zusammen-Theater-Schauen-und-Spielen zum Problem geworden ist, wagt die Schaubühne selbst den Blick zurück in ihr Archiv, streamt längst vergangene Produktionen und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich. Natürlich ersetzt das nicht das reale Theatererlebnis. Aber man bekommt Dinge zu sehen, die man immer mal sehen wollte, aber nicht konnte: weil man am falschen Ort war. Oder schlicht noch nicht geboren. So eine gelegentliche Rückschau könnten die Theater sich ruhig auch dann noch gönnen, wenn wir eines Tages in einen normalen Theateralltag zurückkehren können.

    Kleinbildnegativ: Schaubühne, 1974
    https://berlin.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=44306

    Dachniki and gardeners: The Presidential Library spotlights the history of the country life in Russia | Presidential Library
    https://www.prlib.ru/en/news/1344295

    20 August 2022, Source: The Presidential Library

    Ever since Peter I initiated the donation of land, a unique phenomenon occurred and developed in Russia – the country life.

    The first measurement and “dacha” (distribution) of “convenient and inconvenient lands” were meant for peasants and craftspeople. Evidence of that is the decree of June 3 (14), 1712 On distributing lands in Ingria as plots for the peasants’ and craftspeople’ settlement, the text of which is available on the Presidential Library’s portal.

    The best lands were given to Peter’s entourage “for strolls and clear air”, as well as “for the fun of animal and bird hunt”. Dachas were located on the shores of the rivers, the Gulf of Finland and along the roads.

    By the early XIX century, the country life captured not only “circles close to the emperor” but also officials and the bourgeoisie. Therefore, the “great dacha migration” happened. The travel guide Regarding the health benefits of Petersburg dacha areas (1881), available in the digital collections of the Presidential Library, says: “The main goal of relocating to dachas is “health improvement” and an opportunity to “touch the living rays of sunshine””.

    Townspeople found it more convenient to rent a dacha, instead of owning one (“a good dacha could’ve been rented for 150-200 rubles, while buying one costs 600-700 rubles”). It was only a matter of picking a “dacha direction”.

    The country life of Old Peterhof was especially luxurious. Here, dachas were owned by the “big” aristocratic families.

    The most popular place for staying in dachas was Pavlovsk, as Petersburg residents considered the Pavlovsk Railway Station a “cultural centre” – orchestra and choir concerts were held there. The book Dachas and suburbs of Petersburg (1891), available in the collections of the Presidential Library, says: “Dachas in Pavlovsk were acquired, like seats in operas, year after year… and “the audience” not only knew who lives where, but also the amount of one’s dresses, hats, horses… Everyone had fun, and the Pavlovsk “trend” grew stronger”.

    The dacha direction along the Nikolayevskaya Railway Road that connected St. Petersburg in Moscow was the most perspective in the first half of the XIX century. “Lately, Tosno, Sablino, Ushaki… give shelter to hundreds of families, and it is undeniable that all of these places have a future. If one wants to enjoy the summer village life, milk, fields and air, then he should definitely stay on the Nikolayevskaya line; dachas here are half the price of the Finnish ones and four times cheaper than the Baltic ones. It provides a complete privacy and the most natural village idyll”.

    The Finland direction was also lively: “Over 5,000 dacha people leave this road every day”. The empty locations along the railway road were immediately filled up with dachniki. In 1903, the Kellomäki station (currently the settlement Komarovo) was founded on the spot of the “moose swamp” and became the centre of literary pilgrimage.

    The country life of the XIX – early XX centuries consisted of reading, parties, woodland walks, sailing on boats, music and swimming in ponds. Dachniki didn’t do farming and considered it odd.

    Despite the fact that “dachniki of Tsarist Russia” were associated with the bourgeois lifestyle, “middle-class comfort” and had an unspoken status of “idlers, only caring for entertainment”, the dacha culture not only survived the revolution, but also got a new development in the Soviet times.

    In the second half of the XX century, “dachniki-idlers” transformed into productive gardeners. The gardening movement became a part of the agrarian policy of the state. It began in accordance with the Decree of the Council of Ministers of USSR of 1949 On the collective and individual farming and gardening of workers and officials. Therefore, the “collective gardens” owned by enterprises were created. New horticultural areas were founded near the railway platforms: Mshinskaya (Luzhsky District), Pupyshevo (Volkhovsky District), Chashcha (Gatchinsky District), Trubnikov Bor (Tosnensky District).

    The 1970-1990s are associated with the gardeners’ dreams of “their own land”. Soon, these dreams became true and formed a new type of dachniki – “owners” of the gardens.

    In the early XXI century, dachas with gardens transformed into real country houses where people could live all year round.

    Alexandra Kasatkina’s abstract of theses Country conversations as a subject of ethnographic research: creating a method based on the materials of interviews about the development of garden plots in the 1980-1990s (2019) is available in the electronic reading room of the Presidential Library. Garden maintenance, plot’s planning, house renovation, socialization in villages, family members’ attitude to the dacha, - those seemingly “mundane” aspects of dachniki’s conversations became a material, revealing the great importance of country life for a contemporary resident of Russia.

    Researchers, who study the phenomena of country life, view it as an evidence of a “special Russian way”. The correlation of the country life with the history of Russia reveals that the former mirrors the realities of the country. Depending on the situation, a townsman either became a dachnik-beholder, or a gardener and a farmer. Still, in both cases, the image of dacha had a special charm, evident in the excitement about going to dacha as some kind of “shelter full of meanings”, as well as the heroic cultivation of “your own garden”, accompanied by the traditional tea parties on the terrace and slow conversations about anything and everything.

    #théâtre #Russie #Allemagne #Berlin-Ouest

  • Alice Springs Retrospektive
    https://www.rbb-online.de/rbbkultur-magazin/archiv/20230603_1830/springs-alice-newton-fotografin-ausstellung-museum-fuer-fotografie-retros

    J’ai vu l’expo. Vous n’avez rien manqué. Voire https://seenthis.net/messages/1034120

    Sa 03.06.2023 | 18:30 | rbbKultur - Das Magazin

    Sie lernten sich 1947 in seinem Atelier in Melbourne kennen: Der 27-jährige Fotograf Helmut Newton und die 26-jährige Schauspielerin June Browne. 22 Jahre lange fotografierte June, die inzwischen Newton hieß, nur privat. Aber 1970 wurde Newton, inzwischen weltberühmt, vor einem Fotoauftrag krank - seine Frau sprang für ihn ein. Von diesem Tag an begann ihre öffentliche Karriere als Fotografin. Sie nannte sich nun Alice Springs. Und begann eigene Wege zu gehen. Vor 2 Jahren starb Alice Springs 98jährig und 17 Jahre nach ihrem Mann. Jetzt wurde ihr fotografischer Nachlass und der Hausstand der beiden aus Monte Carlo nach Berlin in die Helmut Newton Stiftung gebracht.

    Es ist Liebe auf den ersten Blick als Helmut Newton seine June 1947 zum ersten Mal fotografiert. Ein Jahr später heiraten sie. June Newton ist seine Muse und kuratiert seine Ausstellungen. Erst über 20 Jahre später wird sie eine renommierte Fotografin. Sie nennt sich Alice Springs. 2021 starb sie 98-jährig. Jetzt zeigt die Helmut Newton Stiftung die Retrospektive „Alice Springs“. Ihre Karriere als Fotografin begann per Zufall: Als Helmut Newton 1970 wegen einer Grippe nicht fotografieren kann, springt sie ein und macht ihr erstes Werbebild für die Zigarettenmarke „Gitanes“.

    June Newton alias Alice Springs, 2009

    „I will gehen, habe ich gesagt, ich habe eine Kamera, wenn es nicht funktioniert, kannst Du es nächste Woche nachholen, aber zumindest kann ich es dem Jungen, dem Fotomodell sagen. Er akzeptierte von mir fotografiert zu werden. Die Bilder gingen zum Kunden, und der Scheck kam zu Helmut Newton zurück, und dann hatte ich eine neue Karriere, ein neues Geschäft.“

    June Newton wird 1923 in Melbourne geboren. Sie feiert erste Erfolge als Schauspielerin, während Helmut Newton noch unbekannt ist. Er fotografiert sie in der Rolle der „Salomé“. Als Schauspielerin sensibilisiert sie Newton für das Rollenspiel bei der Inszenierung seiner Akt-Modelle. Sie gibt ihm viele Tipps für das Model-Shooting. Nacktheit ist für beide etwas ganz Natürliches. Im Alltag fotografieren sie sich gegenseitig.

    June Newton alias Alice Springs, 2009

    "Wir waren gerade beim Abendessen in der Küche, wie immer in Paris. Und ich habe eine Zigarette geraucht, und ich habe mich eben entspannt und Helmut hatte wie immer eine Kamera in der Hand, und er sagte: „Mach so Juni“, „Do that Juni“, und ich machte es."

    Matthias Harder, Kurator, „Alice Springs Retrospektive“

    „Ich glaube, das war ein tolles Wechselspiel der beiden. Also sie haben sich ja seit den 50er-Jahren eigentlich gegenseitig porträtiert, also lange bevor June Newton als Fotografin richtig reüssierte und dieses Bild im Hintergrund ist aus den Achtzigern. Man sieht Helmut Newton mit ihrem Hut, mit ihren Pumps. Und es ist dieses Rollenspiel, was zwischen den beiden schon unglaublich früh begann.“

    June Newton nennt sich in den 1970er Jahren Alice Springs, macht Modefotos für die Titelseiten internationaler Frauenmagazine. Im Gegensatz zu Newton, der seine Models aufwendig inszeniert, fotografiert sie ihre spontan, zeigt sie in ihrer Natürlichkeit. Bekannt wird sie mit einer großen Kampagne: Hier eines der Werbebilder für den legendären Pariser Friseur Jean Louis David. Sie macht auch Porträts: Zum Beispiel vom Schriftsteller William S. Bouroughs, Maler Gerhard Richter oder Modeschöpfer Karl Lagerfeld. Alice Springs öffnet sie emotional, fängt intensiv deren Blicke ein. Auch noch nie gezeigte Fotos von Alice Springs sind in der Ausstellung zu entdecken: Zum Beispiel ein Porträt des Philosophen Michel Foucault. Ihm entlockt sie ein herzliches Lachen. Alice Springs Schauspielerfahrung vor und hinter der Kamera kommt ihr dabei zugute. In der Ausstellung sehen wir Porträtbilder von Alice Springs und Helmut Newton nebeneinander. Hier ein Bild von Schauspielerin Catharine Deneuve. Alice Springs fotografiert sie privater und intimer als ihr Mann Helmut Newton - der inszeniert sie lasziv und mit geschickter Lichtregie.

    Matthias Hader, Kurator

    „Helmut Newton hat in den drei Fällen in den gleichen drei Feldern gearbeitet wie June Newton und tun hat es insbesondere im Porträt zu einer Meisterschaft gebracht. Ja, wenn wir die Bilder in Gegenüberstellung sehen, da hat vielleicht Helmut Newton gar nicht herangereicht. Es sind wirklich Menschenbilder voller Seele, die June Newton alias Alice Springs geschaffen hat. Und das ist ihre ganz große Leistung, auch in der Fotogeschichte.“

    In der Ausstellung ist auch der sogenannte „Living Room“, das Wohnzimmer des Künstlerpaares zusehen. An den Wänden: Ein Bild von Andy Warhol, Roy Lichtenstein und auch der verhüllte Berliner Reichstag.

    Matthias Harder, Kurator

    „Helmut Newton hatte ja immer ein Heimweh auch an seine Geburtsstadt Berlin und Helmut und June waren ja sehr, sehr häufig hier. Und das ist im Grunde auch dieses Porträt, was June von ihm gemacht hat vor dem Reichstag, was hier rein collagiert ist. Und so treffen sich die beiden in ihrem Werk immer wieder, und die eine ist ohne den anderen nicht denkbar und umgekehrt.“

    Ein unzertrennliches Ehepaar mit einem großen Werk, das unterschiedlicher nicht sein kann.

    – Museum für Fotografie
    Ausstellung: Alice Springs. Retrospektive, 03.06.2023 bis 19.11.2023

    Anlässlich des 100. Geburtstag von June Newton alias Alice Springs werden über 200 Fotografien auf der gesamten Ausstellungsfläche im ersten Stock des Museums für Fotografie gezeigt.

    #Berlin #Charlottenburg #Jebensstraße #photographie

  • Museum für überflüssige Fotografie Berlin
    https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/museum-fuer-fotografie/home


    Si vous vous trouvez à Berlin, n’y allez pas, profitez des autres musées, des parcs et lieux culturels à votre portée. Si par contre vous êtes toujours attirés par l’érotisme en noir et blanc des années 1960 - 1990, si vous avez envie de rencontrer la perspective male gaze d’un vieux résidant blanc de Monaco, ce musée est pour vous.

    Il se trouve que le musée de photographie est l’appendice de la fondation Helmut Newton Stiftung . Le riche photographe de mode originaire de Berlin a profité du besoin des politiciens de la capitale allemande de faire encore preuve de philosemitisme pour récupérer l’énorme bâtiment d’un ancien casino militaire dont on ne savait pas trop que faire au tournant du siècle.

    Le musée propose outre la collection Helmut Newton / Alice Springs des expositions changeantes, mais là encore, n’y allez pas tant qu’on y présente Flashes of Memory. Fotografie im Holocaust Je ne sais pas si on doit qualifier ce type d’assemblage de holocaust porn , mais il n’y a rien à apprendre. Quand on connaît le sujet c’est superflu et pour les non initiés la mise en scène des objets empêche la familiarisation avec et la découverte d’informations supplémentaires.

    A Berlin il y a plusieurs musées et collections de qualité sur le judaisme, le régime nazi et l’holocauste. Il y a les musées des arrondissements, les Stolpersteine et plein d’autres voies accès à l’histoire pour tout le monde. Ce n’est pas dans la Jebensstraße que vous allez découvrir quelque chose de nouveau.

    Rezension zu : Flashes of Memory. Fotografie im Holocaust
    https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-135894?title=flashes-of-memory-fotografie-im-holocaust&recno=11&q=&sor

    Ulrich Prehn, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin - Ein improvisiert wirkender dreirädriger Wagen, darauf ein Kamerateam. Der Wagen – im Filmjargon ein „Dolly“ – wird von einem Wehrmachtssoldaten an mehreren Reihen von Näherinnen, die an ihren Maschinen sitzen, vorbeigeschoben, um Aufnahmen von ihrer Arbeit anzufertigen. Die in dieser Szene an der Bildproduktion beteiligten Akteure gehörten der Propagandakompanie 689 der Wehrmacht an, Ort der Dreharbeiten im Mai 1941 war eine Näherei im Warschauer Ghetto.[1] Dies zeigt das groß gezogene Eingangsfoto zu Flashes of Memory. Fotografie im Holocaust, der deutschen Version einer Ausstellung, die bereits 2018 in Jerusalem zu sehen war. Klug und anschaulich legt sie mit diesem Beispiel einen Teil der Produktionszusammenhänge und damit die Gemachtheit von Fotografien und filmischen Bewegtbildern offen – und zwar keineswegs nur von Propagandabildern, wie sie für Diktaturen des 20. Jahrhunderts typisch waren.

    Erarbeitet wurde die Ausstellung von der Direktorin des Yad Vashem Museums in Jerusalem, Vivian Uria, und ihrer Stellvertreterin Maayan Zamir-Ohana. Als historischer Berater stand ihnen mit Daniel Uziel ein ausgewiesener Kenner der Film- und Fotoquellen zum Zweiten Weltkrieg und zur Shoah an der Seite. Zu der nun in Berlin präsentierten Adaption der Ausstellung, für die die Internationale Gedenkstätte Yad Vashem und der Freundeskreis Yad Vashem mit der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin (Co-Kurator: Ludger Derenthal) kooperiert haben, ist ein aufwendig produzierter, die Abbildungen in überzeugender Reproduktionstechnik wiedergebender Katalogband erschienen, der leider keine vertiefende Bibliographie enthält. Das Bildmaterial stammt überwiegend aus den Yad Vashem Archives, zum Teil aber auch aus deutschen, US-amerikanischen und einigen weiteren Archiven, darunter das zentrale staatliche Film- und Fotoarchiv der Ukraine.

    An den eingangs beschriebenen Opener schließt sich – ähnlich klug auf den (technischen) „Apparat“ wie auf erinnerungskulturell relevante Aspekte bezogen – ein einführender Abschnitt an, welcher der technik- und mediengeschichtlichen Entwicklung optischer Aufzeichnungsapparate von der Camera obscura bis zur Fotografie im digitalen Zeitalter gewidmet ist. Überdies eröffnet dieser Abschnitt im Zusammenhang des eigentlichen Themas der Ausstellung, „Fotografie im Holocaust“, anhand von Objektgeschichten ausgesprochen anschaulich ein weites Spannungsfeld von Aufzeichnung, Zeugenschaft und materieller Überlieferung: Gezeigt werden konkrete Fotoapparate, deren ursprüngliche Besitzer:innen und Wanderungen der Kameras von Hand zu Hand. So ist der „Korona Tankette“, der Kleinbildkamera eines polnischen Amateurfotografen aus Rypin namens Jacob Konskowolski, der nach Majdanek deportiert und dort ermordet wurde, mit der im Vergleich riesig wirkenden Studio-Plattenkamera der Neuen Kamera Werke Görlitz (Modell „Stella“) eine Akteursgeschichte aus dem Bereich der Berufsfotografie an die Seite gestellt: die Geschichte der erfolgreichen (Foto-)Künstlerin Františka Grubnerová, die in der Tschechoslowakei ein eigenes Studio betrieb, wo sie von der deutschen Besatzungsmacht unter dem Vorwand, sich antifaschistisch betätigt zu haben, verhaftet und 1942 zusammen mit ihrem Ehemann und ihren zwei Söhnen ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde.

    Abb. 1: Františka Grubnerovás wuchtige Studio-Plattenkamera verweist hier auf die Biographie der Fotografin, erhält aber auch selbst Protagonisten-Status.
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Abb. 2: Ausstellungsansicht Museum für Fotografie 2023, mit Grubnerovás Kamera rechts im Bild. An der Wand ist eine Zeitleiste zur Geschichte fotografischer Abbildungstechniken und Apparate zu sehen, im Vordergrund einer der Leuchttische mit ganz unterschiedlichen Fotos aus der NS-Zeit.
    (Foto: © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker)

    Das erste inhaltliche Kapitel trägt die Überschrift „Politische Fotografie und politischer Film im nationalsozialistischen Deutschland“. Es fängt leider schlimm an: Die Kurator:innen haben sich nicht gescheut, den Besucher:innen ein „Best of“ – oder treffender: ein „Worst of“ – der bekanntesten visuellen Propagandist:innen des NS-Regimes um Augen und Ohren zu hauen. Heinrich Hoffmann, Walter Frentz und Leni Riefenstahl sind, unterstützt von Auszügen aus Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels-Zitaten sowie garniert mit einem knipsenden „Reichsleiter“ Martin Bormann, die mehr als erwartbaren Protagonist:innen der ersten drei großflächigen Wände. Originelle oder intelligente Zugänge finden sich hier nicht. Vielmehr behält Riefenstahl, flankiert von ihren beiden Reichsparteitags- und „Olympia“-Kameramännern Frentz und Ertl, in viel zu lang präsentierten Ausschnitten aus Ray Müllers schon 1993 wenig überzeugendem Filmporträt Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl das letzte Wort. Wird in der Forschungsliteratur wie im Feuilleton gerade mit Blick auf Riefenstahl immer gern auf die bequeme Suggestiv-Formel von der „Macht der Bilder“ zurückgegriffen, so erweist sich in diesem Abschnitt der Ausstellung, mit welchem Unheil auch die häufig unterschätzte Macht der offenen Töne in Ausstellungsräumen verbunden sein kann. Der Rezensent war perplex und leicht verärgert, starrten die neben ihm stehenden Besucher:innen doch wie gebannt vor allem auf diesen Bildschirm – so als stünden sie unfreiwillig als lebender Beweis dafür, mit welch billigen Mitteln (audio-)visuelle Überwältigung und Überforderung noch immer leicht zu erzeugen ist. Riefenstahl darf munter, immer wieder unterschnitten mit den von ihr geschaffenen Inszenierungen muskulöser Körper beim Diskuswurf oder beim Fackellauf, ihr krudes Gemisch aus Anekdoten und Apologetik daherquatschen: ein beinahe ungebrochener, in die Jetztzeit wirkender unseliger „Triumph des Willens“.

    Abb. 3 und 4: Ufa-Filmplakat von Erich Ludwig Stahl zum NSDAP-Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ (1934/35), daneben Sequenzen aus Ray Müllers Film „Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl“ (1993). Eine kritische Kontextualisierung dieses Films und selbst ein klarer Exponat-Nachweis fehlen hier leider.
    (Fotos: © Ulrich Prehn)

    Und „düster“ geht es weiter, allerdings rein auf der inhaltlich verhandelten Ebene, auf der verschiedene Beispiele für „Fotografie als Spiegel des Antisemitismus“ präsentiert und beleuchtet werden. Dabei ist es ausgesprochen schwer, etwa die Botschaft eines von Polizisten kompilierten „Typen“-Albums über „Jüdische Verbrecher“, das der Polizeipräsident von Nürnberg und Fürth im Februar 1938 dem fränkischen Gauleiter und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer schenkte, „einzufangen“, was die Wirkung jener konstruierten „Verbrecher“-Porträts auch auf heutige Betrachter:innen angeht. Denn natürlich bewegt man sich auf Glatteis, wenn man sich als Kurator:in ausdrücklich für das extensive Zeigen solcher Exponate entscheidet (im Katalog erstrecken sich die Abbildungen aus dem Album immerhin über vier Seiten), zumal wenn es an den entsprechenden Stellen bei nur vorsichtigen Versuchen des „Einfangens“ mit konventionellen Mitteln bleibt, die aus skeptischer Sicht wohl lediglich auf „Schadensbegrenzung“ hinauslaufen können.[2]

    Gestalterisch auf den ersten Blick etwas altbacken wirkt eine Wand zur antisemitischen Propaganda des Stürmer, die sich – ein großes Verdienst – aber nicht nur auf die reine Präsentation der in besagtem Hetzblatt abgedruckten Quellen beschränkt, sondern sich auch aus dem Fundus des sogenannten Stürmer-Archivs bedient, zu dessen Beständen unzählige „Volksgenossinnen“ und „Volksgenossen“ in Form von Zuschriften, Amateurfotografien und -karikaturen beitrugen und damit den deutschen (und österreichischen) Antisemitismus „von unten“ dokumentierten. Ähnlich einer Zeitung im Kaffeehaus sind die einzelnen von der Wand „klappbaren“ Tafeln montiert, beidseitig mit Abbildungen und dazwischen mit kurzen Exponattexten versehen. Die Besucher:innen dürfen also „blättern“ und damit einsteigen in eine gelungene kritische Analyse der Gemachtheit der jeweiligen antisemitischen Feindbild-Konstruktionen. Denn im Vergleich zwischen den an die Stürmer-Redaktion eingesandten Fotos mit den tatsächlich gedruckten, neu betexteten Bildern offenbaren sich die vielfältigen Bearbeitungen, etwa durch Beschnitt oder Retuschen der jeweiligen Aufnahmen. Dieser Zugriff offenbart gelungenes Ausstellungs-„Handwerk“, wird hierdurch doch die (visuelle) „Lesefähigkeit“ der Betrachter:innen unterstützt, das Auge an konkreten, für viele Nutzer:innengruppen (etwa Schulklassen) auch überschaubaren Einzelbeispielen geschult.

    Abb. 5: Über den Tafeln ist ein Zitat aus den 1995 erstmals veröffentlichten Tagebüchern Victor Klemperers zu lesen. Am 17. August 1937 kommentierte der Literaturwissenschaftler ein im „Stürmer“ mit antisemitischer Botschaft abgedrucktes Foto und die Wirkung auf ihn.
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Das zweite Kapitel offenbart bereits in der Überschrift den kuratorischen Zugriff der Gegenüberstellung: „Fotografie aus dem Ghetto – zwei verschiedene Blickwinkel“. Dieser Abschnitt stieß am Tag meines Ausstellungsbesuchs auf das stärkste Publikumsinteresse, und dabei wiederum besonders die Aufnahmen, die jüdische Fotografen in den Ghettos von Lodz und Kaunas oft unter Lebensgefahr gemacht hatten. Kommt einigen der Fotos von Mendel Grossman und Henryk Ross mittlerweile beinahe der Status von Bildikonen zu[3], ist es ein Verdienst der Ausstellung, dem Publikum auch das Werk weniger bekannter „Ghetto-Fotografen“ näherzubringen: so etwa die 1943 heimlich im Ghetto Lodz angefertigten Aufnahmen des Assistenten Grossmans, Aryeh Ben-Menachem, die, in einem Album überliefert, die verheerenden Existenzbedingungen der Menschen dokumentieren, sowie die Bilder des Untergrundfotografen Zvi Hirsch Kadushin, der mit einer ins Ghetto Kaunas geschmuggelten Kamera ebenfalls heimlich fotografierte.

    In diesem Kapitel treten uns die vielfältigen Funktionen sowie die zum Teil komplizierten Entstehungs- und Rahmenbedingungen von Fotografie und Film vor Augen, die für beide Medien im nationalsozialistischen Regime und besonders unter der deutschen Besatzungsherrschaft in Ostmitteleuropa charakteristisch waren. So stehen den Aufnahmen, die die erwähnten jüdischen Fotografen im Ghetto Lodz teils im Auftrag des „Judenrats“ und teils heimlich, entgegen dem ausdrücklichen Verbot durch den „Judenrats“-Vorsitzenden Chaim Rumkowski, zu Dokumentationszwecken und gewissermaßen als Überlebensstrategie machten, viele Fotos und Filme gegenüber, die deutsche Fotografen in offizieller Funktion als Angehörige verschiedener NS-Organisationen zu Propagandazwecken anfertigten, bisweilen aber auch aus „privatem“ Interesse. Vor allem die Propagandafotos und -filme verfehlen – so steht zu vermuten – auch heute ihre (problematische) Wirkung auf die Betrachter:innen nicht, zumal wenn sie wie in Flashes of Memory so geballt, in so erheblicher Dichte präsentiert werden. Denn es ist wohl nur schwer möglich, sich der Reproduktion der in die fotografische Inszenierung eingeschriebenen Erniedrigung im Akt des erneuten Betrachtens zu entziehen. Denkt und fühlt man heute als Betrachter:in den Umstand, dass die Fotografierten kaum bzw. nur sehr begrenzt die Möglichkeit hatten, sich dem Fotografiert-Werden zu entziehen oder gar zu widersetzen, immer mit – oder wird man tendenziell zum Komplizen oder zur Komplizin der Täter und ihres Blicks?

    Die Ausstellungsmacher:innen haben in diesem Zusammenhang auf das bewährte Rezept zurückgegriffen, der ungeheuerlichen Täter-(Bild-)Sprache zeitgenössische Aussagen derer entgegenzusetzen, auf die sich die infame Hetze bezog: Ausschnitten aus dem fragmentarisch gebliebenen Film Asien in Mitteleuropa, den ein deutsches Kamerateam im Frühjahr 1942 im Warschauer Ghetto drehte[4], werden zum Beispiel Auszüge aus zwei Tagebüchern polnischer Jüd:innen gegenübergestellt. In der Ausstellung nehmen Exzerpte und Beispielseiten aus dem 1942 verfassten Tagebuch der damals in Warschau lebenden Journalistin Rachel Auerbach zwar einen gewissen Raum ein.[5] Doch bleibt fraglich, ob sie gegenüber der antisemitischen visuellen NS-Propaganda und den nicht in offizieller Funktion fotografisch festgehaltenen Täter-Blicken auch nur annähernd als „Gegengift“ zu wirken vermögen.

    Insgesamt wird das Ausstellungskapitel der Komplexität der „Ghetto-Fotografie“ durchaus gerecht, doch dominieren in der gewählten Präsentationsstrategie und dem entsprechenden Ausstellungsdesign an einigen Stellen die Video-Screens mit Bewegtbildern (also die Filmausschnitte, die in unablässigen Schleifen laufen) die Fotoabbildungen, wie der Wand-Ausschnitt in Abb. 6 verdeutlicht. Zwar ist die Anzahl der Foto- und Dokument-Exponate deutlich größer als die Anzahl der Stationen, die Filmausschnitte präsentieren. Dennoch ergibt sich ein Ungleichgewicht, wenn für die Bewegtbilder nicht eigene „Orte“ (oder Präsentationsformen) gewählt werden, die den unbewegten Bildern genug Raum zur Wirkung und „Selbstentfaltung“ lassen.

    Abb. 6: Diese im Ausschnitt abgebildete Wand, aus der die beiden blaustichig reproduzierten Screen-Stills hervortreten, ist überschrieben mit einem Zitat von Zvi Kadushin: „Ich machte tausende, ja abertausende [Fotos]. […] Ich habe immer weiter fotografiert, für später, für die Ewigkeit.“
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Außerdem ist mit Blick auf dieses Kapitel kritisch zu fragen, ob an den betreffenden Stellen das Übermaß antisemitischen Bildmaterials (mit einem hohen Anteil von zu Propagandazwecken angefertigten Bewegtbildern) in seiner Wirkung durch „Gegen-Zitate“, hier erneut aus dem Tagebuch von Rachel Auerbach (siehe Abb. 7) sowie aus dem Tagebuch von Chaim A. Kaplan, auch nur annähernd gekontert werden kann.

    Abb. 7: Über dem Exponat – der Bildstrecke „Juden unter sich“ aus der „Berliner Illustrierten Zeitung“ vom 24. Juli 1941 – ist ein Zitat aus dem Tagebuch von Rachel Auerbach zu lesen, das mit dem Plädoyer „Lasst sie filmen!“ beginnt. „Diese Gesichter, diese Augen, werden in der Zukunft lautlos aufschreien…“
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Das dritte und letzte Kapitel ist den Bildern von der Befreiung der Lager durch die alliierten Kriegsgegner Nazi-Deutschlands gewidmet. Auf den ersten Blick könnte man denken, hier werde lediglich der Pflicht nachgekommen, die „Geschichte zu Ende zu erzählen“ – ähnlich wie beim Einstieg zum ersten Kapitel über visuelle politische Propaganda des NS-Regimes. Zwar zeigen viele Exponate durchaus Erwartbares und „Bewährtes“, doch verweist der Untertitel dieses Abschnitts, „Zweck und Verbreitung“ (der Bilder von der Befreiung), auf den interessanten Aspekt der Vielfalt der Bilder und der mit ihrer Zirkulation verbundenen Interessen und Intentionen. Allerdings könnten Strategien und Rahmungen der Nutzung von Fotografien und Filmaufnahmen der Befreiung der Konzentrationslager sowie des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses seitens der westlichen Alliierten und der sowjetischen Befreier sicher noch weit präziser herausgearbeitet werden, als die Ausstellung es tut.[6]

    Die drei inhaltlichen Kapitel werden, was Ausstellungskonzeption und -architektur angeht, gestützt von einer Art „Mittelgräte“. Diese besteht aus vier Leuchttischen, die im Raum angeordnet auf ein (wechselndes) „Schlussbild“ zulaufen: Auf historisches Filmmaterial von Deportationen wird ein Zitat des französischen Philosophen und Fotografietheoretikers Roland Barthes über das „spectrum der Photographie“ projiziert. Auf den unterschiedlich langen Leuchttischen sind, wie zufällig hingeworfen, alle möglichen visuellen Zeugnisse dessen zu sehen, was die Ausstellung verhandelt. Das wirkt „irgendwie“ symbolisch aufgeladen – ist aber letzten Endes leider ziemlich inhaltsleer. Denn den Betrachtenden erschließt sich nicht: Soll hier die Vielfalt der „Fotografie im Holocaust“ in einer Überforderung (gleich Über-„Macht der Bilder“) qua Masse versinnbildlicht werden? Oder sollen sich die Betrachter:innen doch in einzelne Fotos vertiefen können – steht dahinter der kuratorische Versuch, sowohl die Individualität als auch die Masse der Fotografierten zum Ausdruck zu bringen? Zielt die Präsentation des den jeweiligen Kontexten entrissenen „Rohmaterials“ darauf ab, die Besucher:innen anzuregen, selbst nach Indizien zur Einordnung der Fotos zu suchen? All das ist denkbar. Und doch verfestigte sich mein Eindruck im Laufe des mehrstündigen Besuchs der Ausstellung zunehmend: Die Leuchttisch-Idee funktioniert nicht gut. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher:innen am ersten der Tische ist schon vergleichsweise kurz, ein zweiter wird im Zweifelsfall gar nicht mehr groß beachtet.

    Abb. 8: Ausstellungsansicht mit Leuchttischen, Museum für Fotografie 2023
    (Foto: © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker)

    Besser gelungen ist demgegenüber der baulich-konzeptionelle Übergang des letzten Leuchttisches in das bereits erwähnte Schlusszitat, das die Besucher:innen aus dem Diffus-Ubiquitären der Fotomassen in die Klugheit, Reduktion und literarische Befähigung des Autors Roland Barthes hinüberrettet: „Und was photographiert wird, […] [möchte ich] das spectrum der Photographie nennen […], weil dieses Wort durch seine Wurzel eine Beziehung zum ‚Spektakel‘ bewahrt und ihm überdies den etwas unheimlichen Beigeschmack gibt, der jeder Photographie eigen ist: die Wiederkehr des Toten.“ Nachdem am Beginn der Ausstellung schon ein anderes kurzes Barthes-Zitat zu lesen war, markiert dieses nun einen Abschluss.

    Abb. 9: Letzter Leuchttisch und Schluss-Zitat
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Festzuhalten bleibt: Die „Zeige-Strategien“ der Kurator:innen (in meiner Interpretation: „Im Zweifelsfall alles – auch bis an die Schmerzgrenze – zeigen, denn das alles hat es gegeben“) sind zwar in gewissem Sinne nicht nur schwer auszuhalten. Sie sind auch problematisch hinsichtlich einer „Ethik des Zeigens und Nicht-Zeigens“ – und, auf die Besucher:innen der Ausstellung zurückgeworfen, einer „Ethik des Sehens“, nicht zuletzt vor dem bereits erläuterten Hintergrund des fehlenden Einverständnisses der fotografierten bzw. gefilmten Personen. Dies mag beispielhaft eine letzte Abbildung verdeutlichen.

    Abb. 10: Auf dem Screen oben ist ein Ausschnitt aus dem um 1940 produzierten Propagandafilm „Der Jude im Regierungsbezirk Zichenau“ zu sehen. Von einigen der gefilmten Jüdinnen und Juden wurden auch Fotografien angefertigt, die in einem Album mit dem Titel „Typy Zydowskie“ (bzw. auf Deutsch: „Der jüdische Typ“) veröffentlicht wurden (unten: eine Beispielseite).
    (Foto: © Ulrich Prehn)

    Trotz der genannten Einwände sei aber betont: Die Ausstellung ist definitiv einen Besuch wert, bietet sie doch Einblicke in eine noch immer kaum zu überschauende Bandbreite fotografischen und filmischen Schaffens. Darüber hinaus lassen sich die einzelnen visuellen Zeugnisse und Inszenierungen, welche die Vorstufen des „Zivilisationsbruchs“ markieren, in den gelungenen Teilen der Ausstellung unter anderem daraufhin befragen, welchen Beitrag (audio-)visuelle Täter-Quellen zur Vorbereitung und Ermöglichung der Shoah leisteten.

    Anmerkungen:
    [1] Das Foto ist über die Bilddatenbank des Bundesarchivs verfügbar; als Fotograf ist dort Ludwig Knobloch genannt (Bild 101I-134-0769-39A, https://www.bild.bundesarchiv.de, 17.07.2023).
    [2] Allerdings hat die Diskussion um angemessene Strategien des Zeigens (bzw. des Nicht-Zeigens) visueller Zeugnisse von Gewalt, Menschenverachtung und Hass gerade in Bezug auf NS-Quellen in Deutschland erst jüngst Fahrt aufgenommen, so etwa im Rahmen des gemeinsam vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, dem Deutschen Historischen Museum sowie der Stiftung Topographie des Terrors veranstalteten Workshops „Vorzeigen, Verhüllen, Verschließen – Wie können antisemitische und rassistische Bilder und Objekte ausgestellt werden?“ (September 2022); vgl. den Programmflyer und Einladungstext:
    https://arthur-langerman-foundation.org/wp-content/uploads/2022/08/2022-09_Programm_Workshop_Vorzeigen_Verhu%CC%88llen_Ver (17.07.2023). Gute Überblicke sowie instruktive Überlegungen und Vorschläge bieten Felicitas Heimann-Jelinek, Kuratorische Überforderung? Zum Ausstellen von Zeugnissen des Holocaust, in: Anna-Maria Brandstetter / Vera Hierholzer (Hrsg.), Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen, Mainz 2017, S. 247–256, https://doi.org/10.14220/9783737008082.247 (17.07.2023); Maren Jung-Diestelmeier / Sylvia Necker / Susanne Wernsing, Antisemitische und rassistische Objekte und Bilder in Ausstellungen? Ein Gespräch über erprobte Strategien und offene Fragen, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2020), S. 26–53. Siehe darüber hinaus das im Juli 2020 begonnene Themendossier „Bildethik. Zum Umgang mit Bildern im Internet“, hrsg. von Christine Bartlitz, Sarah Dellmann und Annette Vowinckel, https://visual-history.de/2020/07/20/themendossier-bildethik (17.07.2023).
    [3] Vgl. hierzu Tanja Kinzel, Im Fokus der Kamera. Fotografien aus dem Getto Lodz, Berlin 2021; rezensiert von Andreas Weinhold, in: H-Soz-Kult, 28.01.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97007 (17.07.2023).
    [4] Zum Ghettofilm-Fragment vgl. Vicente Sánchez-Biosca, La muerte en los ojos. Qué perpetran las imágenes de perpetrador, Madrid 2021, S. 174–228.
    [5] Ergänzend zu den Schilderungen Rachel Auerbachs ist in der Ausstellung auch ein längeres Zitat aus dem (publizierten) Tagebuch von Adam Czerniakow platziert, das auf die perfiden Produktionsbedingungen des sog. Ghettofilm-Fragments verweist; vgl. Adam Czerniakow, Das Tagebuch des Adam Czerniakow. Im Warschauer Getto 1939–1942, München 2013, hier S. 256f. Die deutsche Erstausgabe war 1986 erschienen.
    [6] Vgl. hierzu Ulrike Weckel, Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart 2012; rezensiert von Sven Kramer, in: H-Soz-Kult, 23.11.2012, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-18688 (17.07.2023); außerdem z.B. Lawrence Douglas, Film as Witness: Screening Nazi Concentration Camps before the Nuremberg Tribunal, in: Yale Law Journal 105 (1995), S. 449–481, http://hdl.handle.net/20.500.13051/8920 (17.07.2023).

    #Berlin #Charlottenburg #Jebensstraße #photographie #musée #shoa

  • Verkehrspolitik der Grünen „im Kern unsozial“, sagt Berliner Fahrgastvertreter Wieseke
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/verkehrspolitik-der-gruenen-im-kern-unsozial-sagt-berliner-fahrgast

    28.12.2023 von Jens Wieseke - Die Partei sei zu sehr aufs Fahrrad fixiert, Bahn und Bus geraten ins Hintertreffen, meint Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband. Ein Gastbeitrag.

    Er ist das Gesicht der Berliner Fahrgastlobby. Seit 30 Jahren gehört Jens Wieseke dem Fahrgastverband IGEB an. Mit pointierten Einschätzungen vertritt der Ost-Berliner die Interessen der Nahverkehrsnutzer, die von Politikern und Planern oft übersehen werden.

    Doch eine solche Generalabrechnung wie diese gab es bislang von ihm nicht. In seinem Meinungsbeitrag über vertane Chancen bei der Berliner Verkehrswende rechnet Wieseke mit den Grünen ab, die von 2016 an fast sieben Jahre lang die Verkehrssenatorinnen stellten. Er kritisiert aber auch die CDU, die das Ressort danach übernahm, und die SPD.

    –—

    Die bisherigen Erfolge in der Berliner Verkehrspolitik seien „dürftig“, so der langjährige Sprecher des Fahrgastverbands. Die Grünen seien zu sehr aufs Fahrrad fixiert, die CDU verliere sich in Technikspielereien. In seinem Beitrag lässt er das verantwortliche Politikpersonal und dessen Umfeld Revue passieren. Von 2016 bis 2021 war Regine Günther als Senatorin für Berlins Verkehr zuständig, gefolgt von Bettina Jarasch, die ebenfalls den Grünen angehört. Die Wiederholungswahl im Februar 2023 brachte auch in dieser Verwaltung den Wechsel. Manja Schreiner ist seit Ende April Verkehrssenatorin.

    Vor der Wahl von 2016 erschien ein neuer Player auf dem Berliner Areal der Verkehrspolitik. Mit dem Volksentscheid Fahrrad verschaffte sich eine bisher stiefmütterlich behandelte Gruppe der Verkehrsteilnehmer Gehör. Deren Anliegen waren und sind berechtigt.

    Zum einen ist für viele Menschen in dieser Stadt das Fahrrad mehr als ein Teil aktiver Freizeit, sondern Teil der Alltagsmobilität. Zu Recht wird dargestellt, dass ein Fahrrad wesentlich weniger Platz benötigt und vor allem wesentlich umweltfreundlicher als private Automobilnutzung ist.

    „Mit ehrabschneidenden Beleidigungen überhäuft“

    Zum anderen führt aktive Nutzung des Fahrrads nicht nur zu weniger Kraftfahrzeugverkehr mit all seinen Folgen. Auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) kann spürbar entlastet werden. Die wachsende Gruppe der Radfahrer fordert ebenfalls zu Recht einen stärkeren Ausbau der Infrastruktur für das Fahrrad. Aber auch das Fahrrad ist ein Individualverkehrsmittel im Gegensatz zum ÖPNV.

    Allerdings trat ein Teil der Fahrradaktivisten mit geradezu populistischen Meinungsäußerungen an die Öffentlichkeit. Als der Berliner Fahrgastverband IGEB mit einer Presseerklärung an deren Entwurf eines Radgesetzes Kritik übte, wurde diese sachliche und inhaltliche Kritik mir gegenüber als „Blutgrätsche“ bezeichnet.

    Dazu muss ich erläutern, dass ich aus dem Bereich der Anhänger der Förderung des ÖPNV aufgefordert worden war, mich klar und deutlich dann zu äußern, wenn fehlerhafter Ausbau der Fahrradinfrastruktur die Straßenbahn und vor allem den Bus noch mehr verlangsamen würde. Beispiele gibt es inzwischen zur Genüge, exemplarisch steht dafür die Kantstraße. Der Entwurf des Radgesetzes sah eine eindeutige Bevorzugung des Fahrrades nicht nur gegenüber dem Auto, sondern auch gegenüber dem ÖPNV vor.

    Im Juni 2016 ergab sich dann die Gelegenheit, dass der Chef des Volksentscheids Fahrrad und ich uns das erste Mal trafen. Das Treffen verlief so, dass er mich mit ehrabschneidenden Beleidigungen überhäufte. Betont sei, dass wir uns vorher noch nie gesprochen hatten. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass der Fahrgastverband und ich eingeschüchtert werden sollten. Damit war aber die Basis für eine Zusammenarbeit zwischen dem Volksentscheid Fahrrad und dem Berliner Fahrgastverband IGEB vergiftet. Dass besagter Chef diese Beleidigungen in Gegenwart eines Journalisten äußerte, zeigte nur, wie wenig die Belange anderer Verkehrsteilnehmer wie zum Beispiel Fahrgäste die Protagonisten interessierten.

    „Die Grünen haben sich als Fahrradpartei positioniert“

    Vor diesem Hintergrund war der Wahlkampf 2016 im Bereich des Verkehrs sehr stark auf das Fahrrad fokussiert. Grundsätzlich ist das Fahrrad – wie eingangs erläutert – wichtig. Jedoch geriet dabei der ÖPNV ein Stück weit in den Hintergrund.

    Den Parteien der Koalition gelang es ab 2016, mit dem Rahmenwerk eines Mobilitätsgesetzes statt nur eines Radgesetzes auch bessere Bedingungen für den ÖPNV zu schaffen. Im Verlauf der Aktivitäten des Volksentscheids Fahrrad hatten sich vor allem die Grünen als Fahrradpartei positioniert. Insgesamt war jedoch die Koalitionsvereinbarung von 2016 auch ein großer Schritt für den ÖPNV. Viele Forderungen und Anregungen der IGEB wurden übernommen, vor allem beim Ausbau der Straßenbahn. Auch waren Angebotsausweitungen geplant, die zumindest im Bereich der S-Bahn realisiert werden konnten.

    So hatte ich mit der Übergabe des Verkehrsressorts an Vertreterinnen und Vertreter der Grünen große Erwartungen. Diese Erwartungen bezogen sich nicht so sehr darauf, dass jetzt jedes Straßenbahnprojekt sofort und in Gänze geplant, gebaut und fertiggestellt wird. Allerdings sollten zum Ende der Legislaturperiode 2021 immerhin vier Straßenbahnprojekte vollendet werden. Bekanntermaßen kam es anders.

    Über Radwege, Lastenfahrräder und Kiezblocks geht es meist nicht hinaus

    Wichtiger war und ist mir, dass es ein breites Bündnis für die Verkehrswende gibt. Es wäre die Kernaufgabe, insbesondere in der Amtszeit von Regine Günther gewesen, dieses Bündnis zu schmieden. Zwar konzentrierte man sich auf den Abschluss des Mobilitätsgesetzes. Aber es gab kaum Gesprächsthemen für die Grünen, die über Radwege, Lastenfahrräder und Kiezblocks hinausgegangen wären.

    Ein realistisches Programm, das eine attraktive Entwicklung des ÖPNV in den Außenbezirken vorsah, vermisste ich schmerzlich. Dazu kam, dass ein Teil der Grünen in dieser Zeit nach 2016 fast jede Kritik an ihrer Verkehrspolitik selbst von langjährigen verkehrspolitischen Weggefährten geradezu als Majestätsbeleidigung ansah. Die in vielfacher Hinsicht ungeeignete Senatorin Regine Günther schottete sich in ihrer Verwaltung regelrecht ab. Es gab lange Zeit keinen kontinuierlichen Austausch zwischen Verbänden wie der IGEB und der Senatsverkehrsverwaltung. So wurden bei der Ausarbeitung des Mobilitätsgesetzes die Fahrgastverbände nicht konsultiert.
    „Zu stark auf die Bedürfnisse eines innerstädtischen Bürgertums konzentriert“

    Warum auch ich Regine Günther als ungeeignet angesehen habe? Sie war nicht in der Lage, auf akute Probleme des Berliner Verkehrs einzugehen. So kam es zum Beispiel im Herbst 2018 zu einem dramatischen Einbruch in der Betriebsqualität der Berliner U-Bahn. In dieser Zeit gab es keine öffentlich wahrnehmbare Einflussnahme aus ihrem Hause gegenüber der BVG. Auch als zu Beginn der Pandemie die BVG im Gegensatz zum Beispiel zur S-Bahn durch unabgestimmte Kürzungen des Fahrplanangebots für überfüllte U-Bahnen und Busse sorgte, gab es von Regine Günther keine Reaktion. In dieser Situation unterblieb auch eine entsprechende Einflussnahme auf das Unternehmen durch Ramona Pop, die damalige Aufsichtsratsvorsitzende der BVG.

    Spätestens mit dem bösartigen Abservieren des Staatssekretärs Jens-Holger Kirchner durch Regine Günther hätte es die Gelegenheit für ihre Partei gegeben, sie als Senatorin zu ersetzen. Diese Chance wurde nicht genutzt.

    Ich kritisiere die Verkehrspolitik der Berliner Grünen auch deshalb, weil ich sie im Kern als unsozial ansehe. Sich zu stark auf die Bedürfnisse eines innerstädtischen Bürgertums zu konzentrieren, das sehr stark fahrradaffin ist, vernachlässigt die Bedürfnisse Hunderttausender Berlinerinnen und Berliner, die im Tarifgebiet B leben. Und damit meine ich natürlich nicht zuallererst in Zehlendorf oder Westend. Ich denke dabei insbesondere an die Großsiedlungen in beiden Teilen Berlins. Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwann nennenswerte Ideen für eine bessere Erschließung dieser Areale gab, die über das BVG-Busangebot hinausgegangen wären. Beispiele sind das Falkenhagener Feld oder das Kosmosviertel, die Plattenbausiedlung in Altglienicke.

    Wer das Wälzen von Findlingen in Kreuzberger Nebenstraßen und das Aufstellen von Sitzgruppen in der Friedrichstraße als Kern der Verkehrswende verkauft, der darf sich nicht wundern, insbesondere außerhalb des Hundekopfes zu wenige Wähler zu gewinnen.

    Es war definitiv richtig, dass es mit der Wahl 2021 im Amt der Senatorin einen Wechsel gab. Und aus meiner Sicht hatte Bettina Jarasch deutlich bessere und andere Ideen für den ÖPNV als ihre Vorgängerin. Natürlich gehört es zum politischen Geschäft, dass es im Detail sicherlich Kritik gab. Trotzdem ergab sich sehr schnell ein anderer aktiver Austausch gegenseitiger Positionen.

    Diese Haltung ist aber bei vielen anderen Grünen aus meiner Sicht noch nicht richtig angekommen. Noch immer wird dort das Fahrrad als Allheilmittel gesehen. Die Probleme, aber auch die Potenziale des ÖPNV werden nicht richtig erkannt. Die jetzige Krise beim Bus ist auch Ergebnis von Versäumnissen der Politik von 2016 bis 2023.

    So wären zum Beispiel als Kompromisslösung kombinierte und überbreite Fahrrad- und Busspuren eine einfache Möglichkeit, um Fahrrad und Bus gemeinsam zu bevorzugen. Solche Möglichkeiten scheinen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg allerdings unmöglich zu sein. Nur so ist es zu erklären, dass der hochgelobte zuständige Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes mir gegenüber offen sagte, dass das Fahrrad auch gegenüber dem Bus zu bevorzugen sei. Das sei sein politischer Auftrag, den er 2019 von der Bezirksbürgermeisterin bekommen habe.

    Diese dem Mobilitätsgesetz zuwiderhandelnde Vorgehensweise führt dazu, dass auch in Friedrichshain-Kreuzberg Busse immer langsamer werden. Das kann man bald in der Köpenicker und Schlesischen Straße begutachten, wo demnächst die Busse durch einen falsch angelegten Radweg noch langsamer werden. Damit steht auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht für die Verkehrswende im ÖPNV. Für mich sind die Berliner Grünen eine Partei der Fahrradaktivisten mit einer homöopathischen Prise ÖPNV.

    „Die Verkehrssenatorin wirkt farblos“

    Im April 2023 ist das Verkehrsressort nun an die CDU gegangen. Ähnlich wie ihre Vorvorgängerin Regine Günther ist Manja Schreiner ein in der Verkehrspolitik unbeschriebenes Blatt. In der Vielzahl von allgemeinen Floskeln fehlen mir bisher echte Akzente, die den verkehrspolitischen Alltag der Fahrgäste in Berlin durchgreifend verbessern. Die aktuelle Krise der BVG wird ähnlich schlecht gemanagt wie die U-Bahn-Krise im Herbst 2018, nämlich gar nicht.

    Vor diesem Hintergrund ist die Neben-Verkehrspolitik insbesondere des Berliner Fraktionsvorsitzenden der Berliner CDU, Dirk Stettner, für den Berliner Nordosten einigermaßen surreal. Das gilt für die Wiederbelebung der Idee einer Magnetschwebebahn an dieser Stelle ebenso wie die gigantischen U-Bahn-Planungen. Er wird dabei assistiert vom verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion Johannes Kraft. Die Verkehrssenatorin wirkt dabei farblos.

    So könnte sie in Berlin aussehen, die fahrerlose, automatische Magnetschwebebahn, die das Bauunternehmen Baufirma Max Bögl bereits auf einer Versuchsstrecke im Süden Deutschlands testet. Bereits 2020 hat die Berliner CDU ein solches Personentransportsystem für Berlin vorgeschlagen. Nun wurde der Wunsch bekräftigt.

    So könnte sie in Berlin aussehen, die fahrerlose, automatische Magnetschwebebahn, die das Bauunternehmen Baufirma Max Bögl bereits auf einer Versuchsstrecke im Süden Deutschlands testet. Bereits 2020 hat die Berliner CDU ein solches Personentransportsystem für Berlin vorgeschlagen. Nun wurde der Wunsch bekräftigt.Visualisierung: Firmengruppe Max Bögl

    Stellt sich die Frage, was Dirk Stettner und Johannes Kraft mit dem Feuerwerk verkehrspolitischer Absurditäten erreichen wollen? Eine realistische und vor allem zeitnahe Verbesserung der Probleme des ÖPNV ist damit weder im Nordosten und schon gar nicht für ganz Berlin zu erreichen. Das wurde allerdings in den letzten anderthalb Monaten hinreichend erörtert. Man muss eines dabei jedoch feststellen: Die Berliner CDU ist mit diesen Vorschlägen beherzt in die Lücke gesprungen, die die Berliner Grünen hinterlassen haben.

    Die CDU stellt sich als Macher-Partei dar, die sich um alle Teile Berlins kümmert. Ob diese Pläne dann realistisch sind, das wird nicht einmal ansatzweise in dieser Legislaturperiode zu überprüfen sein. Es sind Vorschläge für den Sank-Nimmerleins-Tag. Im besten Falle.

    Und die Berliner SPD? Sie schwankt zwischen einerseits guten Ideen für den ÖPNV und andererseits Gefangensein in einer Koalition, die dann doch mal wieder nur ein fauler Kompromiss für den ÖPNV ist. Eine U7 zur Heerstraße und zum BER wird die Berliner Probleme kaum lösen – schon gar nicht vor 2040.

    Der Berliner Linkspartei ist zwar die grundsätzliche Bedeutung des ÖPNV klar, aber ihr politischer Einfluss ist in diesem Bereich ziemlich gering. Und währenddessen steht der Fahrgast frierend an der Bushaltestelle oder kuschelt in überfüllten U-Bahnen.
    Forderung: Mit der U9 künftig auch nach Pankow und Lankwitz

    Aber das alles bringt mich nicht davon ab weiterzumachen. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass es endlich gelingt, ein breites Bündnis für eine Verkehrswende zu formen. In diesem Bündnis müssen die verschiedenen Akteure konstruktiv miteinander zusammenarbeiten. Um es konkret zu benennen: Zukünftig muss viel stärker beachtet werden, dass der Radwegeausbau nicht so geschieht, dass Straßenbahn und Bus noch langsamer werden. Auch Bushaltestellen sind keine Manövriermasse für schnelle Radwege. Das erfordert von allen Akteuren ein stärker integratives Denken und Handeln. Das Dogma der „autogerechten Stadt“ durch das Dogma der „fahrradgerechten Stadt“ zu ersetzen, wäre für mich kein Fortschritt.

    Die aktuelle Krise der BVG muss überwunden werden. Wie das geht, hat die S-Bahn seit 2009 vorgemacht. Berlin wächst. Dazu gehört auch ein kluger Ausbau der Schienensysteme in Berlin. Nein, ich denke nicht nur an die Straßenbahn. Auch die U-Bahn kann und sollte verlängert werden, so die U9 sowohl im Norden Richtung Pankow als auch im Süden Richtung Lankwitz.

    Aber dazu mehr im Frühling 2024.

    #Berlin #Verkehr #Politik #Fahrgaeste

  • Kampf um Steglitzer Kreisel: Das lange Warten auf die Wohnung mit Blick zum Sonnenuntergang
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kampf-um-steglitzer-kreisel-das-lange-warten-auf-die-wohnung-mit-bl

    24.12.2023 von Ulrich Paul - André Gaufer erwarb vor fünf Jahren eine Wohnung im Steglitzer Kreisel, die spätestens Ende Juni 2022 fertiggestellt sein sollte. Doch daraus wurde nichts.

    Wenn André Gaufer an der Baustelle des Steglitzer Kreisels vorbeikommt, wird er immer etwas wehmütig. „Dann stelle ich mir vor, wie ich mit meiner Tochter in unserer neuen Wohnung Weihnachten feiere“, sagt der 58-Jährige. „Doch leider ist das bis jetzt nur ein Traum, der durch gebrochene Vertragsversprechen verhindert wird“, fügt er hinzu. „Hätten meine Vertragspartner ihr Wort gehalten, würden wir jetzt unser zweiter Silvester dort oben feiern“, sagt Gaufer.

    Dort oben, das ist im 19. Obergeschoss des ehemaligen Bürohauses, das zum Wohnturm umgebaut werden soll. Im Jahr 2018 hat Gaufer eine knapp 70 Quadratmeter große Wohnung erworben. „Mit Blick zum Sonnenuntergang“, sagt er. Spätestens Ende Juni 2022 hätte die Wohnung mit der Nummer 256 fertig werden sollen. Genauso wie die übrigen der insgesamt 330 Eigentumswohnungen, die im Kreisel geplant sind. Doch die Bauarbeiten sind ins Stocken geraten. Der Kreisel präsentiert sich seit Jahren weithin sichtbar als Gerippe aus Stahl und Beton, auch wenn die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter Berufung auf Angaben aus dem Bezirk zwischenzeitlich von „Maurer- und Stahlbetonarbeiten“ berichtete.

    Gaufer hat den Kaufvertrag vor fünf Jahren für die Wohnung sowie für einen Stellplatz im Parkhaus auf den Namen seiner Firma Profinance unterzeichnet. Kaufpreis: 623.900 Euro. Damals wollte die CG-Gruppe des Unternehmers Christoph Gröner das Projekt realisieren. Doch dann gab es einen Wechsel bei den Projektverantwortlichen. Inzwischen ist die Adler Group Eigentümer des Steglitzer Kreisels. Sie legte Gaufer wie anderen Erwerbern Nachträge zu den Kaufverträgen vor, mit denen die Vereinbarungen im Nachhinein geändert werden sollten.

    So sollte für Gaufer der mit dem notariellen Kaufvertrag erworbene Stellplatz als Kaufgegenstand entfallen. Stattdessen wurde ihm nur noch „die Möglichkeit zum Erwerb eines Stellplatzes in der Tiefgarage des künftigen Bürogebäudes“ zugesagt, das anstelle des alten Parkhauses geplant ist. Darüber hinaus sollte es weitere bauliche Abweichungen vom ursprünglichen Kaufvertrag geben. Zudem wurde der Fertigstellungstermin von 2022 auf 2024 verschoben und Gaufer sollte einen höheren Miteigentumsanteil erhalten, was zum Beispiel eine stärkere finanzielle Beteiligung an künftigen Instandhaltungen mit sich brächte.

    Gaufer lehnte eine Unterschrift unter die nachträglichen Änderungen ab und pochte auf Vertragserfüllung. Die Gegenseite erklärte daraufhin den Rücktritt vom Kaufvertrag – mit Verweis auf einen angeblichen Verstoß Gaufers gegen das „Kooperationsgebot“. Vor dem Landgericht konnte sich die Adler Group damit aber nicht durchsetzen. Das Gericht entschied im Sommer dieses Jahres, dass die Adler Group mangels Rücktrittsgrund nicht den Rücktritt vom Vertrag habe erklären können. Damit bleibe es bei der ursprünglichen Vereinbarung.

    Erstrittenes Urteil ist noch nicht rechtskräftig

    Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Adler Group ist in Berufung gegangen. Sie argumentiert unter anderem, dass sich die Klage Gaufers an die falschen Adressaten gerichtet habe: an die Steglitzer Kreisel Turm GBR sowie die Steglitzer Kreisel Parkhaus GBR. Diese seien zu dem Zeitpunkt aber bereits in GmbHs umgewandelt gewesen. Die Auffassung des Landgerichts, Gaufer habe ersichtlich seine Kaufvertragspartner in Anspruch nehmen wollen, sei „rechtsfehlerhaft“ gewesen. Die nachträgliche Änderung der Miteigentumsanteile führt der Rechtsanwalt der Adler Group darauf zurück, dass bei der Ermittlung der ursprünglichen Miteigentumsanteile „ein Fehler unterlaufen“ sei, woraufhin die Anteile auf Veranlassung des Grundbuchamts noch mal neu berechnet werden mussten.

    Gaufers Anwalt weist die Argumentation zurück. Die Klage sei „keineswegs gegen eine nicht existierende Partei geführt worden“. Die Änderung von einer GBR zu einer GmbH sei „identitätswahrend“ geschehen. Deswegen habe die Bezeichnung berichtigt werden können. Die Miteigentumsanteile könnten noch geändert werden, wie im Kaufvertrag vereinbart worden war. Das Kammergericht muss den Fall nun entscheiden. Ein Termin wurde bisher aber noch nicht festgesetzt, berichtet Gaufer.

    Die Adler Group macht auf Anfrage keine Angaben zum Baufortschritt und zum geplanten Fertigstellungstermin. Im März dieses Jahres hatte das Unternehmen noch davon gesprochen, „dass große Teile des Komplexes im Jahr 2024 fertiggestellt werden, unter anderem auch die Wohnungen.“ Die gesamte Fertigstellung des Projekts wurde für 2025 in Aussicht gestellt. Das Land Berlin hat, wie berichtet, wegen der Bauverzögerungen bereits eine Strafzahlung verhängt. Diese wurde nach Angaben der Adler Group „vollständig geleistet“. Dass der Turm des Steglitzer Kreisel wieder an das Land Berlin zurückfällt, falls die Bauarbeiten überhaupt nicht fertig werden sollten, ist im Privatisierungs-Kaufvertrag nicht vorgesehen.
    Grundschuld in Höhe von 4,3 Milliarden Euro eingetragen

    Die Adler Group schafft unterdessen neue Tatsachen. So ließ sie im Grundbuch für etliche ihrer Immobilien in Berlin, darunter die von André Gaufer im Steglitzer Kreisel, eine Grundschuld in Höhe von 4,3 Milliarden Euro eintragen. Auf Anfrage erklärt die Adler Group die Eintragung damit, dass im Rahmen ihrer „finanziellen Restrukturierung Grundschulden als Sicherheit für unsere Kreditgeber hinterlegt worden sind“.

    Gaufers Problem: Er hat zwar im Jahr 2018 einen Kaufvertrag für eine Wohnung und einen Stellplatz im Kreisel unterschrieben, doch gibt es zu seinen Gunsten keine sogenannte Auflassungsvormerkung im Grundbuch, also keine Vormerkung für ihn als Eigentümer. Denn Gaufer hat den Kaufvertrag unterschrieben, als die Grundbuchblätter für die geplanten Wohnungen noch nicht angelegt waren. Als sie angelegt waren, sollte er den nachträglichen Änderungen am Kaufvertrag zustimmen, was er nicht tat. Deswegen gibt es im Grundbuch bis heute keine Auflassungsvormerkung zu seinen Gunsten.

    Wäre Gaufer per Auflassungsvormerkung als künftiger Eigentümer der neuen Wohnung im Grundbuch eingetragen worden, hätte die Adler Group die Wohnung nicht mit einer Grundschuld belasten können. Denn eine Auflassungsvormerkung sichert die Rechte eines Käufers gegenüber dem Verkäufer – auch, damit der Verkäufer zum Beispiel eine Wohnung nicht ein zweites Mal verkaufen kann. Gaufer steht nun vor dem Problem, dass er seinen eigenen Kredit, sobald er ihn abruft, kaum per Grundschuld im Grundbuch absichern lassen kann, solange seine Immobilie durch die Globalgrundschuld der Adler Group belastet ist.

    Vorwürfe gegen den beurkundenden Notar erhoben

    Gaufer sieht im Verhalten des Notars, der 2018 den Kaufvertrag beurkundete, eine Pflichtverletzung. Er habe den Notar im Jahr 2021 gebeten, seinen „Pflichten bei der Umsetzung des Kaufvertrages nachzukommen“, berichtet Gaufer. Er habe gegenüber dem Notar betont, dass er auf die „Einhaltung des Vertrages vom 18. Oktober 2018“ bestehe. Doch der Notar habe trotzdem keine Auflassungsvormerkung zu seinen Gunsten eingetragen, „sondern sein weiteres Handeln vom Abschluss“ des geforderten Nachtrags abhängig gemacht, so Gaufer. „Da ich einer solchen Regelung nicht zugestimmt habe, wurde mein Kaufvertrag nicht vollzogen“, so Gaufer.

    Gaufer hat Beschwerde bei der Notarkammer und beim Landgerichtspräsidenten eingereicht, der als Dienstaufsicht für Notare fungiert. Was aus der Beschwerde geworden ist, hat Gaufer bisher nicht erfahren. Die Notarkammer teilte ihm vor kurzem mit, dass die Beschwerdeabteilung „das in standesrechtlicher Hinsicht erforderlich Erscheinende veranlasst“ habe – und wies zugleich darauf hin, dass sie aufgrund der sie „bindenden Verschwiegenheitspflicht“ weitere Einzelheiten nicht mitteilen dürfe. Was das Landgericht unternommen hat, weiß Gaufer ebenfalls nicht. Die für seine Dienstaufsichtsbeschwerde zuständige Richterin habe ihm am 27. Juni mitgeteilt, dass die „Prüfung des Vorgangs“ noch andauere. Sie versprach, sie werde „unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen“. Gaufer: „Dies ist bis heute nicht geschehen.“ Der 58-Jährige ist unzufrieden. Er sei enttäuscht, dass er „als Beschwerdeführer“ keine Informationen darüber erhalte, wie seine Beschwerde behandelt werde, sagt er.

    Der Notar verweist auf Anfrage der Berliner Zeitung auf die „Verschwiegenheit“, der er unterliege. Den Vorwurf der Pflichtverletzung weist er zurück. „Eine Pflichtverletzung in Zusammenhang mit der nicht erfolgten Eintragung von Eigentumsübertragungsvormerkungen habe ich nicht begangen“, erklärt er. „Auch hat wegen der nicht erfolgten Eintragung von Eigentumsübertragungsvormerkungen weder die Notarkammer noch die Dienstaufsicht dienst- oder aufsichtsrechtliche Konsequenzen ergriffen.“
    Einstweilige Verfügung beantragt, um Rechte zu sichern

    Gaufer versucht unterdessen alle rechtlichen Möglichkeiten auszunutzen, um die Erfüllung seines Kaufvertrages durchzusetzen. Über seinen Anwalt hat er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, um die Auflassungsvormerkung im Grundbuch zu erwirken. Die Entscheidung steht aus.

    Der Bauherren-Schutzbund (BSB), der sich für die Rechte von Erwerbern von Wohneigentum einsetzt, fordert eine bessere gesetzliche Absicherung für Käufer von Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern. „Bauträger müssen akzeptieren, dass die geschlossenen Verträge einzuhalten sind“, sagt BSB-Sprecher Erik Stange. „Nur in besonderen Ausnahmefällen sind Abweichungen von den getroffenen Vereinbarungen ohne Zustimmung des Erwerbers zulässig“, sagt er. Um die Position der Erwerber zu stärken, setzt sich der Bauherren-Schutzbund seit langem für die Schaffung einer verpflichtenden Rückabwicklungssicherheit ein, sagt Stange. Die Erwerber könnten dann wenigstens vom Bauträgervertrag zurücktreten und erhielten die schon gezahlten Raten zurückerstattet.

    Gaufer sind bereits hohe Kosten entstanden. Er musste Grunderwerbssteuer in Höhe von sechs Prozent auf den Kaufpreis bezahlen, rund 37.000 Euro. Zudem fielen Notarkosten und Ausgaben für den Rechtsstreit an. Hinzu kommen Bereitstellungszinsen für den Kredit, den er aufgenommen, aber noch nicht abgerufen hat.

    André Gaufer zeigt sich kämpferisch. „Ich werde nicht aufgeben, bevor ich zu meinem Recht gekommen bin“, sagt er. „Wie lange es auch dauern mag: irgendwann werde ich in meiner Wohnung im Steglitzer Kreisel zusammen mit meiner Tochter Weihnachten feiern.“

    #Berlin #Steglitz #Hermann-Ehlers-Platz #Kuligkhofstraße #Schloßstraße #Kreisel #Immobilien #Spekulation

  • Überfall in Neukölln: Uber-Fahrer mit Waffe bedroht und geschlagen
    https://www.berliner-zeitung.de/news/ueberfall-in-neukoelln-uber-fahrer-mit-waffe-bedroht-und-geschlagen

    Aus der Rubrik „dümmer als die Polizei erlaubt“. Bei diesen Räubern war noch nicht angekommen, dass Uber und nicht der Fahrer den Geldfluss kontrolliert. Man muss ziemlich dämlich sein, um Taxifahrer zu überfallen. Bei Uber-Kutschern ist noch weniger zu holen, im Prinzip nämlich genau garnichts.

    23.12.2023 von Kathrin Merz - Drei Unbekannte überfallen in Neukölln einen Uber-Fahrer. Er wird mit einer Schusswaffe bedroht und verprügelt. Die Täter erbeuten allerdings nichts.

    Ein Uber-Fahrer ist in der Nacht zum Samstag in Berlin-Neukölln überfallen und verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, wurde der 29-Jährige gegen 2 Uhr in der Lahnstraße von drei bisher unbekannten Tätern mit einer Schusswaffe bedroht.

    Die Männer forderten Geld, welches der Überfallene jedoch nicht herausgab. Daraufhin schlugen ihm die drei Unbekannten mit der Waffe und ihren Fäusten gegen den Kopf und durchsuchten dann das Handschuhfach seines Wagens. Sie fanden jedoch nichts, sodass sie ohne Beute flüchteten.

    Der Angegriffene fuhr vom Tatort zu einer Tankstelle in der Karl-Marx-Straße, von wo aus Polizei- und Rettungskräfte alarmiert wurden. Der 29-Jährige erlitt bei dem Überfall mehrere Platzwunden am Kopf und blutete erheblich, sodass ihn die Rettungskräfte zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus brachten. Die Polizisten suchten die Umgebung nach den Tätern ab, die Suche verlief jedoch erfolglos. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen schweren Raubes.

    #Berlin #Uber #Kriminalität #Überfall #Raub

  • „Die Blase ist geplatzt“ : Immobilienpreise sinken in dritten Quartal um mehr als zehn Prozent
    https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/finanzen/die-blase-ist-geplatzt-immobilienpreise-sinken-in-dritten-quartal-um-me

    Début 2024 sera un bon moment pour récommunaliser une partie des immeubles d’habitation que les gouvernements berlinois précédants ont bradés. Manque de peau l’actuel gouvernement est composé de partis politiques plutôt opposé à ce projet.

    22.12.2023 - Es ist der stärkste Rückgang seit dem Jahr 2000: Die Kosten für eigene vier Wände sind weiter deutlich gesunken. Und der Trend dürfte anhalten, so Experten.

    Schlechte Nachrichten für Besitzer von Immobilien, wer in ein eigenes Heim investieren will, darf sich dagegen freuen: Die Preise für Wohnungen und Häuser in Deutschland sind im dritten Quartal erneut in Rekordtempo gesunken. Sie fielen von Juli bis September um durchschnittlich 10,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Es war demnach das stärkste Minus seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000.

    Im zweiten Vierteljahr war ein Rückgang von 9,6 Prozent verzeichnet worden und zu Jahresbeginn von 6,8 Prozent – jeweils zum Vorjahreszeitraum.

    Ausschlaggebend für die sinkenden Preise dürften eine geringere Nachfrage wegen gestiegener Finanzierungskosten und die Inflation sein. Viele Menschen können oder wollen sich die eigenen vier Wände nicht mehr leisten. Das Neugeschäft der Banken mit Immobilienkrediten ist eingebrochen.


    Sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Regionen waren im Sommer deutliche Preisrückgänge zu verzeichnen, wie die Agentur Reuters unter Berufung auf das Bundesamt berichtet. In den Top-7-Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf) sanken die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser demnach um 12,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal.

    Für Eigentumswohnungen mussten 9,1 Prozent weniger gezahlt werden. In den dünn besiedelten ländlichen Kreisen waren Ein- und Zweifamilienhäuser um 12,4 Prozent günstiger zu haben, Wohnungen 5,6 Prozent.

    „Bis 2022 gab es eine spekulative Preisblase in Deutschland, eine der größten in den letzten 50 Jahren“, sagte Konstantin Kholodilin von der Abteilung Makroökonomie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Seitdem fallen die Preise. Die Blase ist geplatzt.“

    Einer Studie der DZ Bank zufolge dürfte sich der Abwärtstrend 2024 trotz der erwarteten Zinswende fortsetzen, wie Reuters weiter schreibt. „Wir rechnen im Jahresdurchschnitt mit einem Minus von einem halben bis zweieinhalb Prozent“, sagte Analyst Thorsten Lange.

    Wegen der sinkenden Inflation rechnen viele Ökonomen demnach damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im kommenden Jahr eine geldpolitische Wende einleiten und ihre Zinsen senken wird. Damit dürften auch Hypothekenkredite wieder günstiger werden. Aktuell liegt der Leitzins bei 4,5 Prozent.
    Tatsächliche Preise liegen deutlich unter den Werten der Angebote

    Kaufinteressenten können in der aktuellen Lage wieder stärker verhandeln: Die tatsächlich erzielten Preise für Häuser und Wohnungen liegen deutschlandweit deutlich unter den inserierten Angebotspreisen. Das geht aus einer Auswertung des Kreditvermittlers Interhyp hervor, über die der „Spiegel“ berichtet.

    2023 konnten Käufer demnach Immobilien im Schnitt zwischen drei und vier Prozent unterhalb des ursprünglich geforderten Preises erwerben. „Käufer ­haben aufgrund des höheren Angebots inzwischen deutlich mehr Verhandlungsmacht als vor der Zinswende“, sagte Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr.

    Vergleichbar große Abschläge hat es auf dem Immobilienmarkt dem Bericht zufolge seit Jahren nicht gegeben. Auf dem Höhepunkt des Booms, im Mai 2021, zahlten Käufer durchschnittlich 2,5 Prozent mehr als den aufgerufenen Preis.

    Besonders großen Verhandlungsspielraum gibt es demnach derzeit bei unsanierten Bestandsimmobilien. Für Objekte mit den Energieeffizienzklassen C bis E lagen die tatsächlichen Verkaufspreise 2023 im Schnitt zeitweise sieben Prozent unter den Angebotspreisen. Derzeit sind es noch knapp vier Prozent.

    Noch stärker fallen die Preisabschläge bei Immobilien in den niedrigen Effizienzklassen F bis H aus. Hier beträgt der Unterschied zu den Angebotspreisen aktuell minus 4,5 Prozent. Neben dem Kaufpreis fallen dann aber auch Modernisierungskosten an.

    Die derzeitige Entwicklung spiegelt sich auch in Zahlen der Baubranche wider. Die Aufträge sind im Oktober den zweiten Monat in Folge merklich gefallen – trotz der steigenden Nachfrage nach Wohnungen. Das Neugeschäft im Bauhauptgewerbe schrumpfte inflationsbereinigt um 6,3 Prozent zum Vormonat.

    Der Hochbau, der vor allem durch den Wohnungsbau geprägt und überwiegend von der privaten Nachfrage abhängig ist, meldete ein Minus von 14,9 Prozent, so das Statistische Bundesamt.

    Das Neugeschäft im Tiefbau, wozu beispielsweise der staatlich dominierte Straßenbau zählt, legte im Oktober zu: Hier wuchs der Auftragseingang real um 2,4 Prozent zum Vormonat. Im Wohnungsbau allein zog die Nachfrage dem Reuters-Bericht zufolge an, und zwar um 5,4 Prozent.

    #Berlin #immobilier

  • Berliner Clan : So versuchten Unbekannte einen gefangenen Remmo zu befreien
    https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-gefangenenbefreiung-eines-clan-mitglieds-scheitert-li.217056

    Berlin a ses Mesrine de pacotille. Ces jeunes gens vivent leur propre mythe. Leurs triomphes éphémères (le vol de la pièce d’or la plus lourd du monde, une intrusion armée dans la bijouterie du KaDeWe, l’accumulation d’un patrimoine immobilier) sont célébrés par les rappeurs et l’entreprise criminelle tourne sans relâche.

    Pourtant tenir le cap est plus difficile dans vraie vie que dans les histoires. La tentative de libération d’un membre de la bande vient d’échouer parce que l’évasion a été mal préparée. C’est l’hybris chez les fiers braqueurs.

    On se rappelle de la fin de la traque de Mesrine. Les cambrioleurs les plus fiers de Berlin, les frères Sass, ont été assassinés après l’arrivée au pouvoir des nazis. La bande des Remmo aura réussi son entrée dans la ligue des braqueurs historiques. Espérons que leur fin sera moins dramatique.

    Les grands criminels qui ont réussi à bätir une fortune pour les génerations suivantes ont fait preuve de grande discrétion et de compétences en politique. Pour ne citer que les exemples les mieux connus, il s’agit des familles derrière Porsche, BMW et Mercedes. Leurs ancêtres ont su transmettre leurs fortunes acquises par la guerre et le génocide au dela la fin du fascisme allemand . Ils ont réussi à rétablir les bonnes relations d’avant-guerre avec les impérialistes états-uniens. Aujourd’hui ces familles font partie du cartel qui contrôle le destin de l’Allemagne

    Les kurdo-arabes Remmo n’accederont jamais à ce niveau de pérennité. Ils n’ont pu qu’agir à l’encontre des lois. Leurs adversaires sont les forces qui travaillent pour les criminels qui font les règles dans l’état allemand. On le sait déjà quelle bande gagnera.

    21.12.2023 von Christian Gehrke - Ein Mitglied eines Berliner Clans sollte aus einem gesicherten Krankenhaus in Buch befreit werden. Wachleute bemerkten die Aktion jedoch. Der Berliner Zeitung liegen weitere Details vor.

    Ein Mitglied des bekannten arabischstämmigen Remmo-Clans in Berlin sollte aus einem gesicherten Krankenhaus für Kriminelle befreit werden. Der Versuch der Gefangenenbefreiung in der Nacht zu Mittwoch im Stadtteil Buch im Norden Berlins scheiterte aber, weil Wachleute den Einbruch bemerkten. Das Clan-Mitglied befand sich in einem sogenannten Krankenhaus des Maßregelvollzugs, einer Klinik für psychisch kranke Straftäter.

    Am Donnerstag werden weitere Details zur Tat bekannt. Nach Informationen der Berliner Zeitung verschafften sich vier mit Sturmhauben maskierte Männer, die dunkel gekleidet waren, über die Zufahrt des benachbarten Helios-Klinikums Zugang zu dem gesicherten Krankenhaus. Mit einem Winkelschleifer durchtrennten sie den Außenzaun und hebelten mit einem Kuhfuß die Durchgangstür auf.

    Die Täter liefen danach zu dem Haftraum des 26-jährigen Clan-Mitglieds und gaben ihm durch die vergitterten Fenster einen Winkelschleifer. Mit dem Winkelschleifer und weitere Geräten versuchten die vier Männer und der Inhaftierte, das massive Fenstergitter zu entfernen. Die Alarmanlage wurde ausgelöst, Sicherheitsmitarbeiter störten die Täter. Die vier Männer ergriffen die Flucht in einem BMW und einem Audi und ließen den Inhaftierten zurück. Dieser wurde in einen anderen Bereich des Krankenhauses verlegt, bei ihm wurden mehrere Mobiltelefone gefunden.
    Remmo-Clan: Polizei Berlin kennt die Kennzeichen der Fluchtautos

    Die Ermittler werten jetzt Videoaufnahmen aus und versuchen, die Täter so zu überführen. Die Kennzeichen der Fluchtautos sind ihnen bekannt.

    Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, der „dreiste Versuch“ beweise einmal mehr, dass es im Zusammenhang mit der bekannten Großfamilie Täter gebe, die den Rechtsstaat missachteten. „Wir hoffen, dass die Videoaufnahmen zur Überführung der Täter führen. Dann müssten sie auch nicht wieder mit Flex Zäune und Gitter durchtrennen, sondern könnten gleich in der Zelle nebenan Platz nehmen.“

    Guten Morgen!
    Nach Recherche von @DennisMeischen sollte in der Nacht zu Mittwoch ein kriminelles Mitglied der Familie Remmo aus dem Maßregelvollzug in Buch befreit werden - Der Fluchtversuch scheiterte dank aufmerksamer Arbeit des Personals https://t.co/TpUvl100ZE pic.twitter.com/E0Csx6IkLE
    — GdP Berlin (@GdPHauptstadt) December 21, 2023

    #Allemagne #Berlin #criminalité #mythologie

  • 20 Jahre „Arm, aber sexy“: Was hat Berlin noch zu bieten?
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/berlin-20-jahre-nach-klaus-wowereits-arm-aber-sexy-was-hat-die-haup

    13.12.2023 vin Ralf Hutter - Ende 2003 pries der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Berlin in aller Welt mit dem Slogan an, der berühmt wurde. Er hat der Stadt damit geschadet, findet unser Autor.

    Berlin sei arm, aber sexy – die berühmte Aussage von Berlins damaligem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist nun 20 Jahre alt. Sie ist nicht nur in Deutschland sehr bekannt. Eine Internetsuche nach „Berlin poor but sexy“ erbringt gleich auf der ersten Ergebnisseite sowohl Artikel in großen Medien wie Financial Times, Bloomberg und The Economist als auch wissenschaftliche Texte.

    Kürzlich sendete Arte eine sehenswerte fünfteilige Dokureihe über die Geschichte Berlins seit dem Mauerfall namens „Capital B“. Der vierte Teil trägt ebenfalls den Titel: „Arm, aber sexy“. Darin gestehen sogar zwei Wowereit-Kritiker zu, diese Diagnose habe Lage und Lebensgefühl der Stadt gut getroffen.

    Das ist aber zu unkritisch. Wowereits wirkmächtige Aussage drückt auf kürzestmögliche Weise den politischen Ansatz aus, mit dem Ausverkauf der Stadt selbige „groß“ zu machen. Das Zitat ist oft spöttisch wiedergegeben, aber vielleicht nie fundamental kritisiert worden. Wer seine Bedeutung analysiert, wird es nicht witzig finden.

    Arm, aber sexy: Zum ersten Fall fiel der Spruch im Focus-Money-Interview

    Wenn ein Bürgermeister seine Stadt als sexy bezeichnet, klingt das vielleicht positiv. Das wäre aber ein Irrtum. Die so bezeichnete Attraktivität der Stadt soll vor allem eine für Externe sein. Der historische Hintergrund bei Wowereit wird in der Arte-Doku benannt, auch von den politischen Protagonisten selbst: In West-Berlin sprudelten die Sondersubventionen für das einst permanent von jenseits der Mauer begaffte Schaufenster des Kapitalismus nicht mehr, im Osten waren viele Großbetriebe abgewickelt worden. Nun galt es, sich neu auf dem Weltparkett zu Wort zu melden und Investitionen anzuziehen. Aber womit? Was hatte Berlin, was die Welt brauchte?

    Jedenfalls keine Hard Facts. Zur Veranschaulichung: Unter den Nachgeborenen dürfte kaum bekannt sein, dass der noch viel mehr als Wowereits Aussage bespöttelte neue Hauptstadtflughafen schon in den frühen 1990ern geplant wurde – er sollte ursprünglich 2007 eröffnen –, und dass das Projekt erst 2003 von der öffentlichen Hand übernommen wurde, weil das jahrelang interessierte privatwirtschaftliche Konsortium nicht das ganze Kostenrisiko tragen wollte.

    Sprich: Ein neuer Flughafen versprach trotz Schließung der alten nicht unbedingt Profitabilität. Deutschland hatte gerade eine jahrelange Privatisierungswelle hinter sich, aber niemand wollte ohne staatliche Hilfe den Flughafen der Hauptstadt betreiben.

    In dieser Situation, im November 2003, fiel Wowereits Aussage in der Zeitschrift Focus Money. Er wollte eine Kultur, ein Lebensgefühl vermarkten. Dabei besteht prinzipiell eine Gefahr, die die Tourismusforschung so auf den Punkt gebracht hat: Indem die Touris das finden, was sie suchen, tragen sie zu seiner Zerstörung bei. Kultur ist kein beliebig vermehrbares Produkt.

    Wir können nun so gnädig sein, Wowereit zu konzedieren, dass er vielleicht nicht ganz so viel von dem zerstörerischen Tourismus und Immobilienkapital hier haben wollte, wie es nun schon seit etlichen Jahren Realität ist. Es bleibt aber ein grundsätzliches Problem bei seinem Zitat: Es richtete sich nach außen. Die Aussage ergibt gegenüber der eigenen Bevölkerung keinen Sinn.

    Stellen wir uns zum Beispiel eine protestierende Menschenmenge vor, die einem Bürgermeister entgegenruft: Wir verarmen! Wir können uns die Mieten in unserem Stadtteil nicht mehr leisten! Unsere Kinder hängen auf den Straßen rum, weil weder wir noch die öffentliche Hand nennenswert Räume für sie hat! Kein Stadtoberhaupt würde antworten: Hey Leute, aber immerhin ist unsere Stadt doch sexy!

    Wowereits Lob war vergiftet, geradezu heimtückisch. Was auch immer er mit „sexy“ meinte – die Armen hatten immer weniger davon, je mehr Leute von außerhalb an den sexy Dingen teilhaben wollten. Es ist eine allgemeine, auf sozialer Ungleichheit beruhende Dynamik: Wenn die Armen gewisse nette kulturelle Elemente ausbilden, die auf der Verfügbarkeit von freien beziehungsweise billigen Räumen beruhen, dann wird das alles umso mehr verschwinden, je mehr Menschen mit ordentlich Geld dazukommen, die diese Räume vereinnahmen und die Preise für Alltagsdinge wie Miete und Gastronomie steigen lassen.

    Genau so hat Berlin sich entwickelt: Freiräume werden kleiner, Kulturorte werden vertrieben oder teurer, das Leben ist aufgrund der hohen Mieten und des Verdrängungsdrucks stressiger.

    Wowereit konnte die Karriere des Slogans nicht voraussehen

    Wie wenig Wowereit bei seiner Aussage an seine eigene Bevölkerung dachte, wird noch klarer, wenn wir das Zitat auf die individuelle Ebene ziehen. Kaum jemand würde so über sich selbst sprechen: Ich bin arm, aber sexy. Es bringt einem kaum was in seiner Armut, wenn man sexy ist.

    Wo soll da der Sinn sein? Bevor ich hungern muss, kann ich immer noch auf den Strich gehen? Es ist kein Zusammenhang vorhanden. Die Aussage ist austauschbar mit so etwas wie: Ich bin arm, aber ich habe keinen Krebs. Oder: ... aber ich lebe in einer Stadt, in der es keine Erdbeben gibt. Das sind bestenfalls Durchhalteparolen.

    Wowereit konnte die Karriere dieser Aussage nicht vorhersehen, und er hat sie wohl auch nie als Kampagnenmotto genutzt. Aber seine Politik zielte auf genau diese Kulturvermarktung ab, wie auch in der Arte-Doku deutlich wird. Im immer globaleren Wettbewerb um den bestmöglichen Ausverkauf der Städte wurde Deutschlands Hauptstadt als sexy herausgeputzt ins weltweite Schaufenster gestellt, um kapitalkräftigere Leute anzulocken. Wenn wir die sexuelle Metapher aufgreifen, können wir heute feststellen: Weil Berlin so sexy war, wird es seitdem immer mehr vom Kapital penetriert.

    Das lässt sich mittlerweile ohne Metaphern beschreiben. Im Stadtteil Kreuzberg gründete sich im sogenannten Reichenbergerkiez im Herbst 2022 die Nachbarschaftsinitiative No Hype No Hide (der komische Name kommt vom komischen, niemandem verständlichen Namen des Bauprojekts Hype & Hide), weil die Leute festgestellt hatten, dass innerhalb weniger Straßenzüge ein halbes Dutzend Baustellen laufen, bei denen sehr teure Eigentumswohnungen in Innenhöfen errichtet werden sollen.

    Noch mehr Beton und Autos in einem dicht bebauten Innenstadtviertel, noch weniger Bäume und andere Pflanzen in den im Sommer immer stärker aufgeheizten Höfen, noch mehr Wohnraum, den sich kein normaler Mensch leisten kann. Das Kapital aus aller Welt dringt immer tiefer in die Stadt ein.

    Schon 2021, als sich ein berlinweites Bündnis für den Erhalt von Grünflächen gegründet hatte, sagte Florian Schmidt, Grünen-Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Friedrichshain-Kreuzberg, dem Mitgliedermagazin des Berliner Mietervereins: „Seitdem der vorgeschriebene Mindestabstand in der vorletzten, rot-roten Koalition auf das 0,4-fache der Gebäudehöhe gesenkt wurde, sehen wir eine zunehmende Nachverdichtung in den Hinterhöfen, die wieder in Richtung der Gründerzeitdichten geht.“

    Mit besagter Koalition regierte Wowereit. Dass lange vorher durch Abrisse (größere) Innenhöfe geschaffen wurden und Berlins Bevölkerung nun nicht mehr so dicht gedrängt wie vor 100 Jahren leben muss, gilt als Fortschritt. Jetzt erleben wir den politisch hervorgerufenen Rückschritt. Leute wie Wowereit riefen das Kapital aus aller Welt, und das baut nun die als Anreiz dienenden Freiräume wortwörtlich zu.

    Deshalb geht nun, auch im Sinne einer selbstbestimmten Sexualität, eine Ansage aus der Berliner Innenstadt raus: Hallo Welt! Du findest uns sexy, wir dich aber nur so lala. Wir waren und sind weltoffen, aber wir haben damit auch schlechte Erfahrungen gemacht. Du penetrierst uns immer stärker, Welt, wogegen wir nicht prinzipiell etwas haben, aber du tust es auf respektlose Weise. Wir glauben nicht, dass du wirklich auf unsere inneren Werte stehst, die uns wichtig sind. Unsere Freiheitsliebe ist tiefgehend und schließt schädliche Freiheiten aus, zum Beispiel die Freiheit zur Ausbeutung. Deine Freiheitsliebe ist oft nur oberflächlich und, wie wir seit Langem erleben, nicht nachhaltig. Du zerstörst hier Freiräume.

    Viele Menschen aus vielen Ländern haben sich in den vergangenen Jahrzehnten von unserem Widerstandsgeist angezogen gefühlt, der uns vor sehr vielen Metropolen auf dem Planeten auszeichnet. Wir finden nun: Wir brauchen mehr solcher Menschen, die uns nützen, und weniger, die uns ausnutzen.

    Berlin hat in der jüngeren Geschichte ein historisch bedeutsames Zeichen in die Welt gesetzt. Nein, nicht 1989, als wir daran beteiligt waren, den sozialistischen Imperialismus zu stürzen. Schon 1988 zelebrierte Berlin den ersten großen Gipfelprotest gegen den kapitalistischen Imperialismus, als sich Weltbank und Internationaler Währungsfonds hier trafen. Da war übrigens auch Ost-Berlin ein bisschen beteiligt.

    Im Westen, im Umfeld des Gipfels, wendete die Zivilgesellschaft ihre üblichen Mittel des politischen Kampfes an: Gegenkongress, Großdemo, Brandanschläge auf Firmensitze und Autos. Wenn du an massive Gipfelproteste denkst, dann bestimmt an die Periode ab den legendären Blockaden von Seattle 1999, Welt. Wir waren elf Jahre vorher am Start. Leider ist das wegen 1989 in Vergessenheit geraten.

    Aber zum Glück nicht bei allen. Als die schwedische Band Refused, eine der erfolgreichsten und wichtigsten Hardcore-Bands überhaupt, 2016 hier spielte, sagte Sänger Dennis Lyxzen auf der Bühne: „Für uns als eine Band der 90er war Berlin immer eine harte Stadt.“ Nachdem er über 20 Jahre lang seinen Antikapitalismus ins Mikrofon geschrien hatte – zwischendurch bei den heute wohl bekannteren The (International) Noise Conspiracy –, bekannte er, sich in den 90ern nicht hart genug für diese Stadt gefühlt zu haben. „Berlin ist eine politische Stadt“, führte Lyxzen aus, und das bewunderten diese „paar Feiglinge aus Nordschweden“ nach wie vor.

    Es ist kein Zufall, Welt, dass Lyxzen Berlin nicht sexy nannte. Wahre Zuneigung macht sich nicht an Oberflächlichkeiten fest.

    Wir holen aktuell wieder zu einem welthistorischen Schlag aus. Wir werden in ein paar Jahren den zweiten Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienfirmen gewinnen. Und dann, Welt, werden nicht nur viele Leute in Deutschland blöd schauen, die das Thema bisher weitgehend ignorieren; dann werden nicht nur SPD und Grüne bundesweit auf eine Zerreißprobe gestellt, weil sie sich entscheiden müssen zwischen der Akzeptanz eines Volksentscheids und der sozialistischen Elemente des Grundgesetzes auf der einen Seite und dem üblichen politischen Murks auf der anderen.

    Dann werden wir nicht nur darauf hinweisen, dass Artikel 15 Grundgesetz neben der Vergesellschaftung von Grund und Boden auch die von Naturschätzen und Produktionsmitteln erlaubt; dann werden nicht nur in anderen deutschen Städten Initiativen es uns nachtun wollen – sondern dann werden wir auch sehen, wer auf diesem Planeten uns wirklich toll findet, wie wir sind, und sich auch bei diesem Thema von uns inspirieren lässt.

    Und vor allem, Welt: Wenn wir das geschafft haben, werden wir uns nicht nur sexy fühlen, sondern in allen Bedeutungen des Wortes so richtig geil.

    Ralf Hutter ist studierter Soziologe und lebt seit 20 Jahren in Berlin-Kreuzberg, die letzten 14 Jahre war er als Journalist tätig.

    #Berlin #Politik #Gentrifizierung #Immobilien #Ausverkaiuf

  • Quartier »Bricks Berlin Schöneberg« von GRAFT - Backsteinhöhle
    https://www.db-bauzeitung.de/bauen-im-bestand/bricks-berlin-schoeneberg-graft

    Bestand saniert, leerstehende Dächer ausgebaut, neue Gebäude ergänzt: Beim Nachverdichten eines Postareals zum gemischt genutzten Quartier setzt das Büro GRAFT auf Ziegel als gestalterische Klammer – aber natürlich mit parametrischer Verfremdung.

    Was heute unter dem Namen »Bricks Berlin Schöneberg« vermarktet wird, blickt auf eine über hundertjährige Geschichte zurück. Das Postamt in Berlin-Schöneberg wurde von Otto Spalding 1902 im Stil der Neo-Renaissance errichtet. Spalding, ehemals Partner des Berliner U-Bahn-Architekten Alfred Grenander, war »Post-Baurat«. Von ihm stammen viele Fernmeldeämter in Berlin, daneben ist er auch der Schöpfer des Kurhauses in Binz auf Rügen.

    1933 erhielt das Schöneberger Postamt in einem der Innenhöfe einen Anbau für das »Fernsprechamt Süd«. Die Telefontechnik hatte sich bereits von der gesteckten Verbindung durch das »Fräulein vom Amt« zur Selbstwähl-Telefonie weiterentwickelt und auch die Architektur des Amtes tat einen großen Sprung nach vorn. Ein langer ziegelbekleideter Riegel mit rundem Kopfende und horizontalen Bandfassaden, in Mendelsohn’scher Manier entworfen von Fritz Nissle, drückte die Begeisterung für die neuen Stromlinienformen aus – die Deutsche Reichspost wurde damals gerade motorisiert. Im Jahr 1935 richtete man in dem Ensemble dann eine der ersten Fernsehstuben Deutschlands ein.

    Das Areal durchquert inzwischen einen ganzen Block von der Haupt- bis zur Belziger Straße. Der Postbetrieb wurde in den 80er Jahren aufgegeben, die Gebäude anschließend von der Telekom genutzt. Seit 1996 stehen sie unter Denkmalschutz. Jetzt hat das Büro GRAFT das Ensemble modernisiert und um zwei Neubauten erweitert. Es ist nun ein Gewerbezentrum mit Büros, Restaurants, Geschäften und Wohnungen. Zugleich wurden die alten Dächer für gewerbliche Nutzungen ausgebaut und mit Fenstern perforiert, bei denkmalgeschützten Gebäuden immer ein heikler Punkt. Daher wurden nur die Dachflächen zum Hof umgestaltet, bei der Straßenansicht ließ die Denkmalpflege nicht mit sich reden. Bauherr des Um- und Neubaus ist das Immobilienunternehmen Trockland.

    »Um sich in das Ensemble einzufügen, erhielten die Neubauten Ziegelfassaden« geben die Architekten an und liefern damit eine Erklärung für den Namen »Bricks Berlin Schöneberg«. Den Zugang zum Areal von der Hauptstraße in den Hof haben sie aufwendig inszeniert. Die Ziegel folgen einer parametrisch entworfenen geschwungenen Geometrie und bilden einen höhlenartigen Eingang aus. Wie schon zuvor bei ihrem Entwurf für das Paragon-Wohnareal in Berlin-Prenzlauer Berg versuchen die Planer von GRAFT aus einer unregelmäßigen Stapelung von Fensterkästen, die aus der Fassade hervortreten, architektonische Funken zu schlagen. Im Innenraum lassen sich diese Elemente als Sitzerker nutzen. Außen heben sich die hellen, beigefarbenen Fenstereinfassungen deutlich von der dunkleren Backsteinfläche ab – ein Gestaltungsprinzip, das in verfremdeter Form vom alten Postamt nebenan übernommen wurde. Die Hoffassaden sind – ebenfalls analog zum Postamt – deutlich sparsamer gestaltet.

    Am anderen Ende des Areals, in einer Baulücke an der Belziger Straße, markierte ein kleines Torhaus den Zugang zum Gelände. Es wurde erhalten, zum Café umfunktioniert und, um die Baulücke nutzen zu können, brückenartig mit einem Wohngebäude überspannt. Dieses knüpft mit geschwungenen Balkonbrüstungen Bezüge zu den abgerundeten Ecken des alten Torhauses. Der herrliche ehemalige Vermittlungssaal des Telegrafenamtes im Innern des Blocks dient jetzt als ein jüdisches Kaballah-Zentrum.

    ~Ulf Meyer, Christian Schönwetter

    #Berlin #Schöneberg #Geschichte #Architektur #Fernmeldeamt #Hauptstraße #Belziger_Straße #Post #Fernsehen #Fernsehstube #Fernseh-Großbildstelle

  • „Hauptstadt des Verbrechens“
    https://anwaltsblatt.berlin/hauptstadt-des-verbrechens-2

    Bemerkenswert: Verbrechen als Krankheit, von der Verbrecher befallen werden.

    Von Julia Steinmetz - Zeitreise zu den historischen Gerichts- und Gefängnisgebäuden der 1920er-Jahre.

    Schon der Treffpunkt der Reisegruppe, bestehend aus Mitgliedern des Berliner Anwaltsvereins und des Richterbunds, war am 14. Juni um 16 Uhr ein historischer: der #Tränenpalast an der #Friedrichstraße. Von dort aus sollte das diesjährige Sommerhighlight, die „Krimitour durch Berlin“, organisiert durch den Berliner Anwaltsverein, starten. Aufgrund einer kleinen Busverspätung (der Berliner Verkehr) stellen die beiden Referenten Arne Krasting und Alexander Vogel vor dem Einstieg in den Bus sich und auch die Idee zur gemeinsamen Tour vor.

    Arne Krasting ist Historiker und Autor zweier Bücher. Sein erstes Buch „Fassadengeflüster. Berliner Bauten der Weimarer Republik“ erschien 2021. Gemeinsam mit dem Juristen Alexander Vogel veröffentlichte er 2022 das Buch „Justizgeflüster. Gerichte und Gefängnisse in Berlin“. Um Letzteres sollte es bei der Kriminaltour gehen, in der ein Blick auf die „dunkle Seite“ von Berlin, auch inspiriert von der Kultserie „Babylon Berlin“, geworfen werden sollte. Die Gegend um den #Bahnhof_Friedrichstraße schien hierfür der optimale Startpunkt, war sie doch in den 1920er-Jahren ein Ort des Amüsements, aber auch der Kriminalität und Prostitution mit zahlreichen Theatern und Bars in der Nähe.

    „Die Geschichte Berlins ist eine Geschichte von Kriminalität“

    Die Tour beginnt mit dem zwischenzeitlich eingetroffenen Reisebus, welcher im Inneren mit großen Bildschirmen ausgestattet ist, auf denen die Referenten untermalendendes Bild- und Videomaterial zeigen. Passend zur Fahrt über die Berliner Friedrichstraße und der Straße #Unter_den_Linden berichten die Referenten von der Diebstahlsgeschichte der Quadriga auf dem #Brandenburger_Tor sowie über die weithin bekannte Geschichte des Betrügers Friedrich Wilhelm Voigt, dem Hauptmann von Köpenick. Vorbei an der #Marienkirche, die im 13. Jahrhundert das Zentrum des mittelalterlichen Berlins darstellte und damals Schauplatz eines berüchtigten Lynchmordes wurde, der einen päpstlichen Bann über Berlin nach sich zog und erst nach Zahlungen und dem Aufstellen eines Sühnekreuzes wieder aufgehoben wurde, geht es zum #Alexanderplatz. Vogel macht schon zum Beginn der Tour deutlich: „Die Geschichte Berlins ist eine Geschichte von Kriminalität“.

    DER ALEXANDERPLATZ – SCHON VOR 100 JAHREN EIN KRIMINALITÄTSHOTSPOT

    Da gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Kriminalität um den Alexanderplatz immer mehr zunahm, wurde 1890 genau dort das große neue Polizeipräsidium von Berlin gebaut, welches sich vorher am #Molkenmarkt befunden hatte. In das neue Gebäude zog auch der berühmteste Kommissar der Zeit ein: Ernst Gellert, auch der „Buddha vom Alex“ genannt. Er leitete die erste modern arbeitende Mordkommission und erfand, laut Vogel und Krasting, die Tatortarbeit. Auch neu war ein Fernsehformat, was in den zahlreich eröffnenden Berliner Fernsehstuben ab 1935 gezeigt wurde. In „Die Polizei bittet um Mithilfe“ zog Gellert die Bevölkerung in seine Ermittlungsarbeit ein; ein Format, was auch heute noch im Fernsehen zu finden ist. Nach der Fahrt rund um den Alex kommt die Reisegruppe in der #Littenstraße an. Ziel ist hier das Gerichtsgebäude, der sogenannte „Justizpalast“, der 1904 fertiggestellt wurde. Der Architekt des Gebäudes, so erklärt Krasting, sei Otto Schmalz, der für die Architektur vor allem Elemente des Rokokos und des Jugendstils gewählt habe, darüber hinaus gebe es viele Einzelheiten, die Krasting den Teilnehmenden vor Ort und anhand von Bildern erläutert. Nachdem alle Teilnehmer wieder sicher im Bus sitzen, geht die Fahrt über den #Straußberger_Platz, im Mittelalter der als „#Rabenstein“ bekannte Hinrichtungsplatz vor den Toren Berlins, weiter in das #Scheunenviertel.

    DAS VERBRECHERVIERTEL DER 20ER-JAHRE

    Vogel erklärt, dass die Gegend in den 1920er-Jahren der Ort des organisierten Verbrechens in Berlin gewesen sei und daher auch in „Babylon Berlin“ immer wieder Ort des Geschehens ist. In den sogenannten Ring-Vereinen, die ursprünglich gemeinnützige Organisationen zur Wiedereingliederung von Strafgefangenen und ehemaligen Häftlingen sein sollten, entwickelten sich damals kriminelle Strukturen und Verbrecherbörsen. Ort der Planung für die nächsten Coups waren oft Bars und Kneipen wie die „Mulackritze“, in der sich Gestalten wie „Muskel- Adolf“ oder Adolf Leu (der Schränker) trafen.

    „In den sogenannten Ring-Vereinen entwickelten sich damals kriminelle Strukturen und Verbrecherbörsen“

    Wie sehr Verbrechen und Tod zu dieser Zeit zum Alltag der Bevölkerung dazugehörten, wird auch in der #Hannoverschen_Straße 6 deutlich, dem ehemaligen Leichenschauhaus. Hier war es laut Vogel in den 1920er-Jahren üblich, am Sonntag zur Leichenschau zu kommen, in der unbekannte Opfer von Tötungstaten hinter Glasfenstern ausgestellt wurden, damit Besucher diese identifizieren konnten.

    RUND UM DIE LEHRTER STRASSE

    Ziel der letzten Station der Tour sollte die Gegend um die #Lehrter_Straße sein, in der seit den 1840er-Jahren verschiedene Gefängnisgebäude entstanden waren, die heute nur noch teilweise bestehen. An das große Zellengefängnis in der Lehrter Straße erinnert nur noch der Geschichtspark Zellengefängnis #Moabit, der 2006 eröffnet wurde. Kriminalität wurde 1840 als ansteckende Krankheit angesehen, sodass Ziel des damaligen Gefängnisneubaus die Unterbringung der Gefangenen in Einzelzellen war, in der zwischenmenschliche Kommunikation nicht möglich sein sollte. Auch beim einstündigen Freigang am Tag kamen die Gefangenen durch die panoptische Architektur niemals mit ihren Mithäftlingen in Kontakt. Diese unmenschliche Art der Unterbringung bestand bis 1910. Nach dem Attentat auf Adolf Hitler 1944 wurden in dem Gefängnis verdächtigte Beteiligte festgehalten, unter anderem Albrecht Haushofer und Klaus Bonhoeffer, die im April 1945 dort erschossen wurden. Ersterer schrieb während seiner Gefangenschaft die „Moabiter Sonette“, 80 Gedichte, die heute im Park in einer nachempfundenen Zelle über Lautsprecher vorgelesen werden.

    Zu Fuß ging es zum Schluss noch zum ehemaligen Frauengefängnis in der #Lehrter_Straße 60, in dem von 1945–1985 weibliche Gefangene aus Westberlin untergebracht waren. Ursprünglich war dieses Gebäude eine Militär-Arrestanstalt, nach dem Ersten Weltkrieg ein Gefängnis für Männer ohne Militärgerichtsbarkeit, in dem auch Kurt Tucholsky einsaß. 1973 und 1975 gelingt weiblichen Gefangenen zweimal der spektakuläre Ausbruch aus dem Gefängnis, sodass anschließend ein neues Frauengefängnis in Berlin-Charlottenburg gebaut wurde. Seit 2012 steht das Gebäude leer. Zukünftig geplant sei hier, laut Krasting, Proberäume für Musiker und Kunstateliers unterzubringen. Zudem diente das ehemalige Gefängnis als Drehort für „Babylon Berlin“.

    Auf dem Weg zurück zur Friedrichstraße und somit dem Endpunkt der gemeinsamen Tour erzählten die Referenten noch einen letzten Fall: die „Pleiten, Pech und Pannen-Karriere“ der Gebrüder Sass, Einbrecher, die als erstes auf die Idee kamen, Geldschränke nicht mehr aufzustemmen, sondern aufzuschweißen. Gegen 18:30 Uhr endete die sehr kurzweilige, höchst interessante Tour, an die alle Teilnehmenden sicher gern zurückdenken werden.

    #Berlin #Geschiichte #Kriminalität #Stadtführung #Sightseeing #Krankheit #Fernsehstube #Fernseh-Großbildstelle

  • Hermannplatz
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hermannplatz

    Der Hermannplatz stellt sich als breite Spange zwischen zwei Kreuzungen dar. An der nördlichen Kreuzung treffen #Urbanstraße, #Kottbusser_Damm und #Sonnenallee auf den Platz. Die Urbanstraße wurde 1874 angelegt und trifft von Westen auf den Platz. Der Kottbusser Damm hieß bis 1874 #Rixdorfer_Damm. Dieser Straßenname geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und die Straße ist eine der ältesten im Bezirk Kreuzberg. Die ältesten Aufzeichnungen der heutigen Sonnenallee stammen von 1890. Seit 1893 ist für die Straße der Name #Kaiser-Friedrich_Straße bekannt. 1938 bekam die Straße östlich des Hermannplatzes mit #Braunauer_Straße (benannt nach dem Geburtsort Hitlers) einen nationalsozialistischen Namen. 1947 verschwand dieser wieder aus dem Straßenbild und der Straßenzug erhielt den Namen Sonnenallee.

    Die Kreuzung an der Südseite des Hermannplatzes ist der Treffpunkt der Straßen #Hasenheide, #Hermannstraße und #Karl-Marx-Straße. Die Straße Hasenheide wurde bereits um 1678 als Weg angelegt und 1854 als befestigte Chaussee ausgebaut. Die Hermannstraße hat als Verbindung nach Britz ebenfalls eine sehr lange Vergangenheit und hieß bis Ende des 19. Jahrhunderts auch nur #Straße_nach_Britz. Im Jahr 1712 wurde über die aktuelle Trasse der Hermannstraße führend die #Poststraße Berlin – Mittenwalde – Dresden eröffnet. Die Karl-Marx-Straße (bis 31. Juli 1947 Berliner Straße) ist (wie der Kottbusser Damm) eine der ältesten Straßen am Platz. Schon bevor die Poststraße nach Dresden über die Hermannstraße eröffnet wurde, führte über die Berliner Straße ein Postweg nach Cottbus.

    #Berlin #Kreuzberg #Neukölln

  • Von Marzahn nach Spandau : Berliner Rettungswagen braucht 46 Minuten zum Notfall
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/von-marzahn-nach-spandau-berliner-rettungswagen-braucht-46-minuten-

    Le service d’aide médicale urgente de Berlin n’est plus capable d’intervenir dans des délais raisonnables. La croissance de la ville, le manque d’effectifs et de véhicules et les files d’attente dans les autres service médicales ont crée une trop grande demande pour le SAMU. Après des décennies d’austérité et de restructurations du secteur médical la survie des patients est menacé par de très longues temps d’attente.

    14.12.2023 von Andreas Kopietz - Berliner sollten keinen medizinischen Notfall erleiden – und wenn, dann nur zu bestimmten Tageszeiten. Oft ist kein Rettungswagen frei. So häufig galt im Dezember Ausnahmezustand.

    Es gibt inzwischen Feuerwehrleute, die bei dem Thema sarkastisch werden: Den Herzinfarkt, die Niereninsuffizienz oder den Schlaganfall solle man besser verschieben, wenn man in Berlin wohnt. Die Feuerwehr hat nämlich zu wenige Rettungswagen (RTW). In diesem Monat ist es besonders schlimm. Jeden Tag herrscht „Ausnahmezustand Rettungsdienst“. Zeitweise steht nicht ein einziger Rettungswagen zur Verfügung. Und wenn, dann brauchen die Retter oft zu lange zum Patienten – mitunter mehr als 30 Minuten. Denn sie müssen weite Strecken durch die Stadt zurücklegen.

    So musste sich nach Informationen der Berliner Zeitung zum Beispiel in der vergangenen Woche der RTW 6110 von seinem Stützpunkt in Marzahn mit Blaulicht durch die gesamte Stadt bis nach Spandau quälen. Er benötigte dafür 46 Minuten. Gerufen wurde er wegen Rückenschmerzen. Diese sind in den meisten Fällen harmlos. Selten könnte die Ursache aber auch ein Herzinfarkt sein, dessen Schmerz in den Rücken ausstrahlt.
    So oft gab es im Dezember schon Ausnahmezustand Rettungsdienst:

    Am Mittwoch war bisher der schlimmste Tag für die Rettungskräfte: 16 Stunden Ausnahmezustand.

    Am Mittwoch war bisher der schlimmste Tag für die Rettungskräfte: 16 Stunden Ausnahmezustand.Berliner Zeitung

    Der Ausnahmezustand Rettungsdienst wird immer dann ausgerufen, wenn mehr als 80 Prozent der Rettungswagen ausgelastet sind und die vorgegebene Zeit vom Notruf bis zum Eintreffen der ersten Helfer nicht mehr gehalten werden kann. Dann muss Personal, das laut Plan auf Löschfahrzeugen sitzt, Rettungswagen besetzen – was zulasten des Brandschutzes geht. Ein Beispiel: Laut der vom Lagedienst erstellten Stärkemeldung waren am Montag dieser Woche 22 Löschfahrzeuge personalgemindert oder gar nicht besetzt. Es fehlten 14 RTW, davon 13 von den Hilfsorganisationen, die über einen extremen Mangel an Notfallsanitätern klagen. Diese wandern nach der Ausbildung oft in andere Bundesländer ab, wo das Arbeiten angenehmer und die Bezahlung besser sind.

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    Notfallrettung in Not: Warum Sie im Dezember in Berlin keinen Infarkt bekommen sollten

    Berliner Rettungsdienst: Feuerwehr rückt mit Blaulicht und Notarzt wegen Nagelbettentzündung an
    Im Durchschnitt elf Stunden und 22 Minuten Ausnahmezustand

    Bei Ausnahmezustand können die Rettungswagen nur für nötigste Arbeiten, wie etwa das Auffüllen von Material, außer Betrieb genommen werden. Für Putzen und Pausen ist da keine Zeit.

    Im Durchschnitt dauerte der tägliche Ausnahmezustand im Dezember elf Stunden und 22 Minuten. Im Allgemeinen setzt der Mangel gegen Mittag ein und dauert bis in die Nacht. An diesem Donnerstag wurde der Ausnahmezustand um 10.08 Uhr ausgerufen. Er endete am Freitagmorgen, um 1.15 Uhr. Und so droht der Dezember den Rekord vom November zu schlagen, als an 25 Tagen die RTW knapp waren.

    Experten nennen viele Ursachen für die Krise des Rettungsdienstes: etwa der Mangel an ausgebildeten Notfallsanitätern. Oder ein hohes Anspruchsdenken in der Bevölkerung, weshalb wegen Kleinigkeiten sofort der Notruf 112 gewählt wird. Als eine weitere Ursache wird auch das System der Arztpraxen benannt, wo Kassenpatienten keine Termine bekommen und sich deshalb an die Feuerwehr oder direkt an die Notaufnahmen der Krankenhäuser wenden. Der Rettungsdienst muss im Grunde die Mängel des Gesundheitssystems ausbaden.
    Innenverwaltung stoppt Ausschreibung an private Dienstleister

    Kritisiert wird von vielen das sture Anwenden des Standardisierten Notruf-Abfrageprotokolls (SNAP), weshalb ein RTW beziehungsweise Notarzt auch wegen einer Nagelbettenzündung oder wegen „Blutung mit internistischer Ursache“ (Nasenbluten) losfährt. Mit den standardisierten Fragen sei es nicht möglich, bei der Notrufannahme zu differenzieren, lautet einer der Kritikpunkte. Etwa bei der Frage „Atmet die Person normal?“ Der Verein „Berlin brennt“, ein Zusammenschluss von Feuerwehrleuten, würde SNAP deshalb am liebsten abschaffen, während andere, wie die Deutsche Feuerwehrgewerkschaft, dafür werben, SNAP klug anzuwenden, weil es Rechtssicherheit gebe. Es schütze die Kollegen, argumentiert auch ein Behördensprecher.

    „Berlin brennt“ kritisiert in einer Presseerklärung zudem, dass die Senatsinnenverwaltung den benötigten Mehrbedarf an RTW nun doch nicht durch einen privaten Dienstleister auffüllen will wie zunächst geplant. Sie habe eine Ausschreibung von 18 zusätzlichen RTW ohne Angabe von plausiblen Gründen oder wirksamen Ersatzmaßnahmen überhastet gestoppt. Der feuerwehrpolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Alexander Herrmann, sagt dazu: „Es ist eine Grundsatzfrage, ob man privatisiert oder die Hilfsorganisationen stärkt. Wir favorisieren die Stärkung der Hilfsorganisationen.“

    #Allemagne #Berlin #SAMU #austérité #santé

  • Wildes West-Berlin – Gespräch mit dem Fotografen Christian Schulz
    https://www.tip-berlin.de/stadtleben/geschichte/west-berlin-fotos-interview-christian-schulz

    Ohne Fotografen wie Christian Schulz würden wir heute weniger über Berlin wissen. Seit den frühen 1980er-Jahren hält er flüchtige Augenblicke des Stadtlebens fest. Vor allem seine Fotos aus West-Berlin sind wichtige historische Dokumente, die viel vom Alltag in der Mauerstadt erzählen. Jenseits von Prunk und Glamour ging der Autodidakt einfach los und machte spontan seine Bilder. In besetzten Villen in Zehlendorf, im Kreuzberger Kiez, vor dem KaDeWe, bei linken Demos und dem Sechstagerennen. Er veröffentlichte in der „taz“ und der ZITTY, später in der „Berliner Zeitung“. Wir sprachen mit Schulz über seine ersten Schritte als Fotograf, Inspirationen, das Verhältnis von Theater und Hausbesetzungen, türkische Ölringer im Görlitzer Park und den Mauerfall.


    Der Fotograf Christian Schulz dokumentiert seit Jahrzehnten das Leben in Berlin. Dieses Selbstporträt zeigt ihn 1983. Foto: Christian Schulz

    Christian Schulz wurde 1961 geboren, er wuchs in Frankfurt am Main und später einer Kleinstadt auf. Nach einer Ausbildung zum Maler und Lackierer folgten erste fotografische Arbeiten um 1980. Er zog 1981 nach West-Berlin, lebte in besetzten Häusern und gründete 1990 eine Fotoagentur. Seit Ende der 1990er-Jahre arbeitete er für die „Berliner Zeitung“ und als Setfotograf bei Dreharbeiten, unter anderem für Regisseure wie Christian Petzold und Oskar Roehler.

    tipBerlin Herr Schulz, Sie kamen 1981 nach West-Berlin, waren Sie da schon Fotograf oder begann Ihre Laufbahn erst in der Mauerstadt?

    Christian Schulz Ich fing in Westdeutschland an, mit einer einäugigen Rolleiflex zu fotografieren, aber damals noch nicht beruflich. Ich machte erst eine Maler- und Lackiererlehre und interessierte mich sehr für Filme, las Bücher und Zeitschriften, wusste alles über Filme von Michelangelo Antonioni oder Elia Kazan. Dabei habe ich deren Filme nie gesehen, konnte aber jeden Kameramann und Ausstatter nennen. Diese Filme wurden in dem Kino in meiner Kleinstadt aber einfach nicht gezeigt.
    Fotograf Christian Schulz: „Ich wollte raus aus der Kleinstadt“

    tipBerlin Deshalb kamen Sie nach West-Berlin – wegen der Programmkinos?

    Christian Schulz Ja. Ich wollte raus aus der Kleinstadt, Menschen und Filme sehen, die mir entsprachen, ein ganz anderes Leben leben. Zur gleichen Zeit kam die Bundeswehr, die was von mir wollte. Die Musterung habe ich noch über mich ergehen lassen und dann war ich weg. Es war im Grunde eine Flucht vor dem bürgerlichen Leben, das mich da erwartet hätte.

    tipBerlin Dann begann also die Fotografie, die Sie seit nunmehr als 40 Jahren betreiben?

    Christian Schulz Ich bin Autodidakt, zwar habe ich am Anfang in Berlin überlegt mich beim Lette Verein zu bewerben, verwarf aber die Idee. Es gab in Friedenau noch einen Laden, der hieß Märzfoto und die haben mit Senatsgeld Jugendliche zu Fotografen ausgebildet, nach einem halben Jahr wurden aber die Förderungen gestrichen und das war es dann mit meiner Ausbildung. Ich fing an, mir Fotobücher von Richard Avedon, Diane Arbus und Edward Steichen zukaufen. Der Fotograf Robert Lebeck inspirierte mich, das war meine Art zu studieren: Learning by doing. 1982 kaufte ich mir meine erste Nikon F2, damit fühlte ich mich schon mal richtig professionell.

    tipBerlin Wie fanden Sie Anschluss in der neuen Stadt?

    Christian Schulz Einige Leute aus meinem Umfeld kamen vor mir nach West-Berlin. So bin ich also erst einmal dort untergekommen, wohnte bei Freunden in Schöneberg. Darüber kam die Verbindung zu einem besetzten Haus in Zehlendorf.


    Party in der besetzen Villa in der Limastraße in Zehlendorf, 1981. Foto: Christian Schulz

    tipBerlin Es gab besetzte Häuser in Zehlendorf?

    Christian Schulz Das erste von jungen Leuten besetzte Gebäude in Zehlendorf war eine Brauerei, von dort sind dann weitere Besetzungen erfolgt. Es wurde immer nach geeigneten Häusern geschaut, davon gab es in West-Berlin ziemlich viele. Zum Höhepunkt der Hausbesetzerbewegung in den frühen 1980er-Jahren waren etwa 180 Häuser in der Stadt besetzt. Jedenfalls habe ich dann mit zehn Leuten eine alte leerstehende Villa mit riesigem Garten besetzt, die der katholischen Kirche gehörte. Die anderen Bewohner kannte ich kaum, ich begegnete denen bei irgendeinem Plenum und dann ging es rein. Das war ein ziemliches Abenteuer und auch nicht immer politisch. Ich war 20 Jahre alt und wollte gucken, was überhaupt möglich ist.

    tipBerlin Was war möglich, wie sah Ihr Leben in der besetzten Villa aus?

    Christian Schulz Wir hatten holzvertäfelte Säle, Kamine, allein der Wintergarten war gewaltig. Schon absurd. Die Nachbarschaft war durchaus wohlwollend, es gab nicht nur Ablehnung. Ich blieb aber nicht sehr lang und zog dann in die Muthesius-Villa in der Limastraße, auch in Zehlendorf.

    tipBerlin Von einer besetzten Villa in die nächste, nicht schlecht! Wer ist denn Muthesius?

    Christian Schulz Herrmann Muthesius war ein deutscher Architekt, der um die Jahrhundertwende einige Stadtvillen in Berlin baute. Zu der Villa gehörte ein riesiger Garten und ein Swimmingpool. Die Leute, mit denen ich dort gewohnt hatte, waren größtenteils Studenten der Theaterwissenschaften. Ein Nachbar von uns war deren Professor, die kannten sich von der Uni. Das war sehr sympathisch. Ein anderer Nachbar war Peter Lorenz, der CDU-Politiker, der 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt wurde. Seine Frau sammelte Unterschriften, damit wir geräumt werden. Die hatte Angst um ihren Mann.

    „Die Leute orientierten sich am unsichtbaren Theater“

    tipBerlin Wurden Sie auf die Initiative von Frau Lorenz geräumt?

    Christian Schulz Erst einmal nicht. Man hat uns das Wasser abgestellt, aber das konnten wir kreativ lösen. Die Limastraße blieb bis 1982 besetzt, ich wohnte aber nicht bis zum Schluss dort. Vor allem erinnere ich mich an die Theateraktionen in der Lima. Die Theaterleute orientierten sich damals am „unsichtbaren Theater“. Man wollte das Geschehen mitten in die Stadt bringen, also zogen sie zu zehnt los und fingen plötzlich an, etwas zu inszenieren. Es ging nicht darum, es echt aussehen zu lassen, eher darum, über den Happening-Charakter politische Inhalte zu transportieren.

    tipBerlin Theater und Hausbesetzung, das passte gut zusammen?

    Christian Schulz Sehr gut sogar. Einmal gab es in der Lima ein ganzes Wochenende lang ein Theaterfest in dem Garten. Auch der Chef der Polizeiwache mit seiner Familie war da, als Gast. Ein anderer Polizist aus der Gegend wollte das Fest beenden. Der Chef sagte dem, das ist schon in Ordnung, lass die mal in Ruhe.


    Die im Februar 2021 verstorbene Musikerin Françoise Cactus (Stereo Total) arbeitete in den 1980er-Jahren als Layouterin bei der „taz“. Foto: Christian Schulz

    tipBerlin Warum zogen sie vor der Räumung weg?

    Christian Schulz Ich wollte in die Stadt und ging nach Kreuzberg, erst nach 61 in eine Fabriketage und dann nach 36. Ich war viel unterwegs in den Straßen, um das Leben einzufangen, der Begriff Straßenfotografie war damals noch nicht so geläufig. Außerdem fotografierte ich für die „taz“ und lernte dadurch Françoise Cactus kennen, mit der ich eine Weile in einem Hausprojekt gewohnt habe.

    tipBerlin Wie war damals die Stimmung in der „taz“, die Geschichte der linken Tageszeitung hatte ja da gerade erst angefangen.

    Christian Schulz Gut. Ich kam zur „taz“, indem ich einfach in die Redaktion ging, mit einem Foto von nackten Protestierenden und Polizisten, das bei einer Tuwat-Demo entstand. Ich fragte, ob sie das veröffentlichen wollen. Das war mein Anfang als Fotograf dort. Françoise Cactus hat damals bei der „taz“ als Layouterin gearbeitet. So lernten wir uns kennen. Die „taz“, hatte ein eigenes Fotolabor und so konnte ich selbst entwickeln. Meistens hing ich also mit den anderen Fotografen in der Bildredaktion ab. Dann zogen wir los und machten Fotos.


    Wilde Fotos aus West-Berlin: 1981 wurde nackt gegen das Vermummungsverbot protestiert: Teilnehmerinnen der Tuwat-Demo vor (bekleideten) Polizisten. Foto: Christian Schulz

    tipBerlin Die Mauerstadt war schon aufgrund der politischen Situation eine Besonderheit. An Motiven dürfte es nicht gemangelt haben. War es ein Paradies für Fotografen?

    Christian Schulz Architektur oder Stadtbild haben mich wenig interessiert, sondern die Menschen, die darin leben. Bis heute fotografiere ich kaum Landschaften, auch keine Stadtlandschaften. Ich flaniere eher durch die Straßen, beobachte und mache spontan meine Fotos. Auch bei der Berlinale, die ich ab 1987 für die „taz“ fotografierte, habe ich so gearbeitet. Es war nicht alles so reglementiert, man musste selten Termine machen, um die Schauspieler:innen oder Regisseur:innen zu fotografieren, meistens standen sie nach der Pressekonferenz noch rum und sprachen mit den Journalisten. Man konnte sie dann einfach fotografieren. Sehr intensive und offene Arbeitsphasen waren das.

    „Dann endete die wilde West-Berliner Zeit“

    tipBerlin Erinnern Sie sich jenseits der Berlinale an bestimmte Ereignisse oder Momente, die Sie fotografiert haben und die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

    Christian Schulz Da war zum Beispiel die Tuwat-Demo. Ich weiß nicht mehr, wie viele Leute daran teilnahmen, aber ein großer Teil entledigte sich der Kleider und lief nackt über die Yorckstraße. Oder die Öl-Ringkämpfe im Görlitzer Park, in die ich zufällig geraten bin. Ich habe in den 1980er-Jahren Fotos gemacht, die aussahen, als wären sie in den 1960er-Jahren entstanden. So gesehen also die einmalige West-Berliner-Zeit festgehalten. Dabei aber selten die Szenehelden der Ära fotografiert, weder Nick Cave noch Blixa Bargeld. Ich war auch nur zwei oder drei mal in der legendären Kneipe Risiko. Dafür oft im Marabu in der Görlitzer Straße, wo ich gewohnt habe. Ich wollte einfach mein Ding durchziehen, meine Szenen festhalten, abseits von gängigen Vorstellungen und vor allem hatte ich keine finanziellen Sorgen, weil man mit relativ wenig Geld gut klarkommen konnte. Das ging alles sehr entspannt.


    Noch nicht der richtige Mauerfall. 1987 errichtete das Büro für Ungewöhnliche Massnahmen auf der Kottbusser Brücke ein Mauer aus Pappe. Foto: Christian Schulz

    tipBerlin Wie haben Sie den Mauerfall erlebt?

    Christian Schulz Obwohl ich sehr nah an der Mauer lebte, fühlte ich mich nicht von ihr eingesperrt. Ich habe sie zwar fotografiert, aber keine systematische Dokumentation oder sowas dazu gemacht. Den Mauerfall habe ich aber exzessiv durchfotografiert. Am 9. November stand ich am Checkpoint Charlie, das war zwar nicht der ideale Ort, weil die meisten Bilder, die an den nächsten Tagen publiziert wurden, am Brandenburger Tor gemacht wurden. Fotografisch war es aber ein Rausch. Dann endete die wilde West-Berliner Zeit. In den 1990ern gründete ich mit anderen Kollegen eine Agentur und meine fotografische Laufbahn professionalisierte sich.

    Buchtipp: „Christian Schulz: Die wilden Achtziger. Fotografien aus West-Berlin“, herausgegeben von Mathias Bertram mit einem Vorwort von Arno Widmann, Lehmstedt 2016, 160 S. mit 125 ganzseitigen Duotone-Tafeln, 24,90 €. Christian Schulz wird durch die Galerie Collection Regard vertreten. Mehr über Schulz und mehr West-Berlin Fotos auf www.cs-christianschulz.de.

    Mehr wilde West-Berlin Fotos von Christian Schulz


    Anwohner beschimpfen Teilnehmer einer Demonstration gegen die vom damaligen Innensenator Heinrich Lummer (CDU) angeordneten Räumung von acht besetzen Häusern. Bei der Demo kam der junge Berliner Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay ums Leben, 22. September 1981. Foto: Christian Schulz

    Elefantenparade am Ku’Damm


    Elefantenparade des American Circus auf dem Kurfürstendamm an der Gedächniskirche, 1986. Foto: Christian Schulz

    Massage im Bearwaldbad


    Massage in der öffentlichen Badeanstalt Baerwaldbad in der Baerwaldstraße, 1983. Foto: Christian Schulz

    Wilmersdorfer Witwen vor dem KaDeWe


    Der Eingangsbereich des KadeWe am Tauenzien, 1981. Foto: Christian Schulz

    Schultheiss und Sechstagerennen


    Sechstagerennen in der Deutschlandhalle, 1983. Foto: Christian Schulz

    Türkische Ringer im Park


    West-Berlin Fotos: Ölringkämpfe im Görlitzer Park, 1983. Foto: Christian Schulz

    Vor den Smartphones


    Öffentliche Telefonzellen, 1988. Foto: Christian Schulz

    Kiez-Friseure


    West-Berlin Fotos: Straßenfest im Wrangelkiez, 1983. Foto: Christian Schulz

    Wilde Brache: Görlitzer Park


    Performance der Mutoid Waste Company im Görlitzer Park, 1989. Foto: Christian Schulz

    #Berlin #Geschichte #Fotografie

  • »Manches offene Wort geführt«
    https://www.spiegel.de/politik/manches-offene-wort-gefuehrt-a-a88a5842-0002-0001-0000-000013496025

    Der Napoleon von #Lummerland starb 2019.

    3.9.1989 Der Generalbundesanwalt muß mögliche strafrechtliche Folgen einer sorgsam vertuschten Spionageaffäre prüfen: Der ehemalige Berliner Bürgermeister und Innensenator Heinrich Lummer, zeitweise einer der bestinformierten Politiker des Westens, verschwieg lange Zeit private Beziehungen zu einer jungen DDR-Agentin.

    Im Rathaus Schöneberg floß der Schampus. Heinrich Lummer, Stimmungskanone und damals Berliner Innensenator, feierte am 21. November 1982 seinen 50. Geburtstag mit einem feuchtfröhlichen Empfang. »Heinrich fürs Grobe«, wie der rechte Christdemokrat auch von Parteigängern genannt wird, genoß die Gratulationscour, zu der Freund und Feind angetreten waren.

    Unter den Präsenten fand Lummer auch einen üppigen Blumenstrauß aus Ost-Berlin, dem eine Glückwunschkarte beigefügt war. Die Botschaft kam von »Susanne, Micha und W. Lindner«, die ihre »Hoffnung auf ein persönliches Wiedersehen in Nah und Fern« ausdrückten und dem CDU-Politiker »Gesundheit und Mut für unsere weitere Partnerschaft« wünschten.

    Lummer allein wußte, was die Ost-Post in Wahrheit bedeutete: eine verschlüsselte Pression. Absender des Blumengrußes waren Spitzenspione des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die dem Innensenator und obersten Chef des West-Berliner Geheimdienstes deutlich machen wollten, daß ihn die DDR politisch in der Hand habe - aufgrund intimer Lummer-Eskapaden mit einer Ost-Berliner Agentin, durch die der Christdemokrat sich erpreßbar gemacht hatte.

    Die Liebesgrüße vom MfS sind das wohl bizarrste Detail einer Spionageaffäre, die zumindest in der Geschichte der CDU ohne Beispiel ist und die den Berliner Christdemokraten ebenso peinlich sein muß wie die jahrelange Kette von Schmierfilz-Skandalen und Immobilienschiebereien örtlicher Unionsfreunde.

    In der geteilten Stadt, die auch nach dem Ende des Kalten Krieges weiterhin Hochburg internationaler Spionageaktivitäten und Kulisse ungezählter Polit-Thriller war, lief über Jahre eine östliche Geheimdienstoperation ab, wie sie sich Frederick Forsyth, John Le Carre oder andere Romanautoren kaum skurriler hätten ausdenken können.


    Klaus-Rüdiger Landowsky
    https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus-R%C3%BCdiger_Landowsky

    Die Verquickung von Frauengeschichten und Politik im Fall Lummer erinnert ein wenig an den Skandal, den der britische Kriegsminister John Profumo 1963 seinem konservativen Kabinett bescherte: Der Politiker stürzte über eine Liebschaft mit dem rothaarigen Callgirl Christine Keeler, das von einem kommunistischen Masseur betreut wurde. Getroffen hatte sich Profumo mit seiner Mätresse in einer Wohnung, in der auch ein Agent des sowjetischen Militärgeheimdienstes verkehrte.

    In der jahrelang sorgsam vertuschten Affäre Lummer figurieren, neben West-Berlins einstigem Bürgermeister, eine offenbar betörende DDR-Spionin und ihre Führungsoffiziere im Stasi-Ministerium, ferner ein ranghoher Ost-Berliner KGB-Resident, der westdeutsche Generalbundesanwalt Kurt Rebmann und, am Rande, auch der derzeitige Bundespräsident und einstige Berliner Stadtregent Richard von Weizsäcker.

    Schauplätze sind die Bürgermeisterräume im Schöneberger Rathaus und die zerschossenen Bürgerkriegsstädte des Libanon, die Büros des West-Berliner Verfassungsschutzes sowie diverse Deckadressen in Ost-Berlin.

    Der Fall, in dem es um politisch motivierte Erpresserpost und um Fotos von verborgenen Techtelmechteln geht, hat hochpolitische und womöglich strafrechtliche Aspekte: Ausgerechnet der stramme Unionsrechtsaußen Lummer ("Ich bin Antikommunist, weil ich Demokrat bin") ist dem kommunistischen Nachrichtendienst Ost-Berlins mit schier unglaublicher Naivität auf den Leim gegangen.

    Nach amtlichen Feststellungen hat es der CDU-Sicherheitsexperte lange Zeit versäumt, den West-Berliner Verfassungsschutz, dessen oberster Vorgesetzter er von 1981 bis 1986 war, über seine Beziehungen zu östlichen Agenten rechtzeitig und umfassend zu informieren - eine Unterlassung, wie sie nicht einmal einem kleinen Polizeibeamten oder Bundeswehrsoldaten nachgesehen wird.

    Mehr noch: Der Senat, dem Lummer angehörte, und Lummer-Untergebene im Verfassungsschutz haben jahrelang dazu beigetragen, die Spionageaffäre zu verheimlichen - obwohl sich in deren Verlauf der CDU-Prominente nicht nur erpreßbar gemacht hat, sondern auch wiederholt handfesten Erpressungsversuchen ausgesetzt war.

    Die Bemühungen, den Fall aus politischen Gründen unter der Decke zu halten, führten dazu, daß ein östlicher Kontaktmann Lummers - obwohl dem Christdemokraten längst als Agent bekannt - ungehindert weiter in West-Berlin operieren konnte:

    Eine Festnahme hätte, wie Geheimdienstler warnten, womöglich zu unliebsamer Publizität und zum vorzeitigen Ausscheiden Lummers aus dem Senat geführt.

    Das Fehlverhalten des christdemokratischen Sicherheitsexperten begann vor fast zwei Jahrzehnten. Bereits 1970 setzte Ost-Berlin erstmals einen Agenten auf den Unionspolitiker an: einen langjährigen Bekannten Lummers namens Sven Bergmann, der CDU-Interna und das Privatleben des Politikers ausforschen sollte.

    Lummer, von seinem Bekannten von Anfang an eingeweiht, informierte dennoch weder seine Partei noch die zuständigen Behörden, sondern ließ den MfS-Kundschafter, angeblich nach Absprache mit ihm, in Ost-Berlin Bericht erstatten.

    Und zurück bis in das Jahr 1973 - damals trennte sich Lummer von seiner Ehefrau Aurelia - reichen intime Beziehungen, die er zu der damals 25jährigen DDR-Bürgerin Susanne Rau unterhielt, einer Frau, die sich ihm als ledig und im staatlichen Kunsthandel der DDR beschäftigt vorstellte, von der er aber spätestens seit 1981 weiß, daß auch sie für das MfS tätig war.

    Die Affäre mit Susanne, die rund acht Jahre lang dauerte, hatte harmlos angefangen. Zusammen mit West-Berliner Freunden Lummers und Kneipen-Bekanntschaften aus der DDR unternahm das Paar Ausflüge, so etwa an einem Vatertag, wahrscheinlich 1973, zum Müggelsee oder, 1975, nach Köpenick.

    Bei diesen Wanderungen wurde auch fotografiert. Am Müggelsee drückte unter anderem Kumpel Bergmann auf den Auslöser, von dem Trip nach Köpenick schickte später ein unbekannter Informant den Sicherheitsbehörden eine Aufnahme, die, neben anderen, Lummer und Susanne Rau zeigte - womöglich ein Indiz dafür, daß im Lummer-Umfeld schon damals die Beziehung zu Susanne politisch suspekt erschien.

    Gewißheit, auch beim Tete-a-tete Zielperson des MfS zu sein, erhielt Lummer, inzwischen zum Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses avanciert, im März 1981. Telefonisch bat Langzeit-Freundin Susanne um einen Besuch Lummers in Ost-Berlin; als Treffpunkt wurde das Hotel Metropol verabredet.

    Das älteste und meistfrequentierte Devisenhotel am Bahnhof Friedrichstraße, gegenüber dem Internationalen Handelszentrum, ist bei kapitalistischer Kundschaft und Stasi-Kundschaftern gleichermaßen gefragt. An der Valuta-Bar bieten Damen diskret ihre Liebesdienste an, bei denen nach westlicher Geheimdienst-Einschätzung die Kunden für die Stasi ausgehorcht werden. In den noblen Salons tafeln nicht nur Diplomaten, Kaufleute und Notabeln des DDR-Außenhandelsministeriums, auch Stasi-Personal feiert dort bisweilen Betriebsfeste.

    An jenem Märztag aber wollte Susanne Rau nicht im Hotel bleiben. Und auch Lummers Wunsch, gemeinsam ein nettes Lokal aufzusuchen, fand sie nicht so passend. Sie überredete den CDU-Politiker, mit in ihre Wohnung im Neubauviertel Marzahn zu kommen. Lummer folgte der Bitte, wie er später behauptete, nur widerstrebend, weil er angeblich wenig Zeit hatte.

    Damals, zwei Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus, mußte Lummer im Westteil der Stadt, gemäß seinem Credo, nicht nur Wahlkampf für »die ethische Motivation der Politik durch die christliche Ethik« führen. Gleichzeitig hatte er mit Betty Bedecker, 22, einer Schauspielerin und Miterbin des Babynahrungsherstellers Hipp, wie Bild vermeldete, »Berlins größte Romanze«.

    Die Marzahner Heinrich-Rau-Straße 50, damalige Wohnadresse der Susanne Rau, ist Teil eines elfstöckigen, langgestreckten Häuserblocks; das Haus Nummer 50 besteht aus 33 Wohneinheiten. Den Eingang ziert ein Bronzeschild mit der sogenannten Goldenen Hausnummer, die vorbildlichen sozialistischen Wohnkollektiven verliehen wird.

    Das Beisammensein des Politikers mit der Agentin wurde jäh gestört. Kurz nach dem Eintreffen in der Wohnung klingelten zwei Männer, die sich unter den Namen »Wagner« und »Lindner« als Beauftragte der DDR-Regierung vorstellten und mit Lummer ein politisches Gespräch führen wollten.

    Der Christdemokrat akzeptierte den Vorschlag, die Unterhaltung in einem Lokal fortzusetzen. Statt in eine Kneipe fuhr das Quartett jedoch zu einer Wohnung, nach Lummers Erinnerung in der Karl-Marx-Allee. Das Zusammensein war nett arrangiert. Eine Serviererin reichte Speisen und Getränke.

    Zufall oder nicht: Im bundesdeutschen Nachrichtendienstlichen Informationssystem (Nadis) ist eine Frau Rau, Vorname unbekannt, unter der Deckadresse Gubener Straße 13 d registriert - unmittelbar hinter der Karl-Marx-Allee. Auf der Klingelleiste dieses Hauses steht auch heute noch der Name »Rau«.

    Daß der DDR-Geheimdienst über Jahre hinweg immer wieder versucht hat, gerade Lummer auszuforschen und zu erpressen, macht politisch Sinn. Als Mitglied des Sicherheitsausschusses des West-Berliner Abgeordnetenhauses hatte der Christdemokrat schon Anfang der siebziger Jahre Zugang zu mancherlei vertraulichen Informationen; in geheimer Parteimission operierte er bisweilen auch in der Grauzone zwischen CDU und Rechtsextremisten.

    Später, als Berliner Innensenator, zählte Lummer zu den bestinformierten Politikern des Westens. Seiner Behörde waren die Daten des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) zugänglich und darüber hinaus, aufgrund des Nachrichtenaustausches mit den Westalliierten, vielerlei Erkenntnisse der amerikanischen CIA, des britischen MI 5 und der französischen Securite, die in West-Berlin weiterreichende Abhörbefugnisse haben als in ihren Heimatländern. Über die Nadis-Computer war die von Lummer kontrollierte Senatsbehörde außerdem elektronisch vernetzt mit allen westdeutschen Geheimdiensten: dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern.

    Lummer will an jenem Abend mit Susanne Rau offengelassen haben, ob er der Aufforderung der beiden Männer zu weiteren Gesprächen folgen wolle. Die Gelegenheit ergab sich - unfreiwillig, wie Lummer später behauptete - etwa sechs Wochen darauf.

    Als Susanne Rau bei ihm anrief und um ein neuerliches Treffen bat, wollte Lummer sie angeblich unter vier Augen wegen des überfallartigen Besuchs der beiden Herren zur Rede stellen. Doch als er zum Treffen ins Hotel Metropol kam, erwartete ihn in der Empfangshalle schon wieder das komplette Trio, das ihn abermals zur Karl-Marx-Allee bugsierte.

    Auch diesmal war ein Essen vorbereitet. Nach einer politischen Tour d’horizon erboten sich »Wagner« und »Lindner«, dem damaligen West-Berliner Parlamentspräsidenten Lummer private Einladungen etwa zu Jagdausflügen in die DDR zu vermitteln - was der Christdemokrat indes ebenso ausschloß wie eine Fortsetzung der politischen Diskussionen.

    In der Folgezeit mied Lummer Ost-Berlin und die DDR. Ende Juli oder Anfang August 1981, Lummer war seit kurzem Innensenator und Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Weizsäcker, setzte die Stasi einen weiteren Sendboten auf ihn an: einen Mann namens Michael Piek, gemeinsamer Bekannter des Duos Lummer/Rau.

    Piek war Lummer, gelegentlich einer Prag-Reise im Sommer 1980, von Susanne Rau vorgestellt worden. Alle drei logierten damals, kaum zufällig, im selben Hotel. Der promovierte Ost-Berliner Piek, nach Erkenntnissen westlicher Dienste ein hochrangiger »Inoffizieller Mitarbeiter« des MfS, wohnte oder wohnt im Hatzenporter Weg 1 - unweit der Rau-Wohnung und der Liegenschaften prominenter DDR-Bürger wie des Anwalts und Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel.

    Gegenüber Lummer gab sich Piek als Pädagoge aus, der in der internationalen Jugendarbeit tätig sei und deshalb ohne weiteres jederzeit nach West-Berlin einreisen könne. Als Piek im Sommer 1981, nach telefonischer Verabredung, den kurz zuvor gewählten CDU-Innensenator im Flanier-Cafe Möhring am Kurfürstendamm traf, wurde Lummer an die aufdringlichen Ost-Berliner Gesprächspartner erinnert - Piek richtete Grüße von »Wagner« und »Lindner« aus.

    Im Auftrag dieser - laut Piek - hohen Regierungsvertreter versuchte der Emissär später, vom U-Bahnhof Krumme Lanke aus, den Christdemokraten telefonisch zur Wiederaufnahme der privaten Polit-Runde in Ost-Berlin zu überreden, notfalls auch an einem für Lummer unverfänglichen Ort im Ausland, etwa in Wien oder Triest. Doch der Senator (CDU-Schnack: »Lummer ist kein Dummer") blieb diesmal unnachgiebig: Mit MfS-Beauftragten rede er nicht, will er das Angebot abgewehrt haben.

    Nach weiteren erfolglosen Bemühungen Pieks, Lummer umzustimmen, schlug die Stasi eine härtere Gangart ein. Ende Mai 1982 avisierte Piek dem Innensenator telefonisch einen Brief, der bei einer Bekannten für ihn deponiert werde. Die Botschaft enthielt mehrere jener Fotos, die bei den Zusammenkünften und geselligen Treffen in Ost-Berlin aufgenommen worden waren. Lummer verstand die Drohung: Er beschimpfte Piek am Telefon, erklärte ihm, daß er sich nicht erpressen lasse, und brach das Gespräch ab.

    Daß Lummer in jenen Monaten nachdrücklicher als früher die Annäherungsversuche zurückwies, lag wohl kaum daran, daß der Senator plötzlich Skrupel wegen seiner jahrelangen Ost-Berliner Eskapaden bekommen hätte. Vielmehr wurden ihm im Februar 1982 neue Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über Piek mitgeteilt - aus denen sich der dringende Verdacht ergab, daß der MfS-Agent gezielt auf Lummer angesetzt war.

    Der Diplom-Sportlehrer Kurt Johannes Mocker, 48, im Jahr zuvor von Berlin-Ost nach Berlin-West übergesiedelt, hatte beim Landesamt für Verfassungsschutz ausgepackt. Er berichtete von einem »Dr. Michael Piek«, der »im Jugendbereich« des MfS arbeite und Veranstaltungen organisiere.

    Diesen Dr. Piek, so Mocker, habe er Ende 1980 auf der Preußen-Ausstellung in Ost-Berlin beobachtet, wie er Lummer bei einem Rundgang durch die Ausstellungsräume führte. Argwöhnisch sei er geworden, weil er Piek als MfS-Mann kenne, dem jegliche fachliche Qualifikation als Museumsführer fehle.

    Seine Skepsis, berichtete der promovierte Sportlehrer, habe sich noch verstärkt, als er Piek Monate später in West-Berlin, nahe dem Schöneberger Rathaus, erneut begegnet sei. Die anzügliche Frage, ob er hinter Lummer herspioniere, habe den ehemaligen Studienkollegen verlegen gemacht. »Verstört« habe Piek erklärt, er kenne Lummer seit einer »privaten Prag-Reise«.

    Am 9. Februar 1982 wurde Lummer vom Verfassungsschutz schriftlich über die Mocker-Aussage unterrichtet. An den Rand der Mitteilung schrieb der Christdemokrat die handschriftliche Notiz »Trifft zu«, mehr nicht. Eine nähere Erläuterung zu seinen Ost-Kontakten gab er nicht.

    Erst fünf Monate später gab der Innensenator in einem Gespräch mit dem ihm unterstellten Chef des Landesamts für Verfassungsschutz, Franz Natusch, weitere Auskünfte, die aber teils unvollständig, teils falsch waren. So verschwieg er die lange Dauer seiner Beziehung zu Susanne Rau wie auch deren Namen und die wiederholten Anrufe Pieks vor der Brief-Zustellung. Und er unterschlug, daß er sich auf ausführliche Gespräche mit »Wagner« und »Lindner« eingelassen hatte.

    Doch selbst die geschönte Lummer-Version alarmierte den gestandenen Dienst-Mann. Natusch empfahl dem Senator, unverzüglich den Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker zu informieren. Um den drohenden Schaden zu begrenzen, schlug er außerdem vor, Weizsäcker möge bei passender Gelegenheit dem sowjetischen Generalkonsul oder einem anderen hohen Sowjetfunktionär klarmachen, daß Piek als MfS-Agent enttarnt sei. Moskau solle auf die Stasi einwirken, die Finger von Lummer zu lassen.

    Die delikate Mission wurde, mit Weizsäckers Erlaubnis, dem damaligen Chef der Senatskanzlei, Hansjürgen Schierbaum, übertragen. Weizsäcker selbst wußte den kompetenten Ansprechpartner: Walentin Dmitrijewitsch Kosobrodow, 55, Botschaftsrat in der Sowjetbotschaft in Ost-Berlin, Generalmajor des KGB und vormals stellvertretender Generalkonsul in West-Berlin.

    Mit dem Russen ließ sich sogar deutsch reden. Der studierte Germanist kann, nahezu akzentfrei, auswendig Goethe rezitieren, vom »Faust« bis zum »Westöstlichen Divan«. Schierbaums Demarche blieb gleichwohl fruchtlos - wenige Monate später erhielt Lummer, wieder vorab von Piek telefonisch angekündigt, erneut Druck-Post vom MfS.

    Diesen zweiten Brief, zugestellt an die Adresse der Lummer-Tochter Barbara, beurteilte das LfV als noch handfesteren Pressionsversuch. Die Verfasser hoben besonders die »seit 1975« bestehenden intimen Kontakte Lummers zu ihrer »Mitarbeiterin« Susanne hervor - ein Umstand, den Lummer dem Verfassungsschutz bislang verheimlicht hatte. In einer späteren Analyse zog das Amt daraus den Schluß, daß die junge Frau von vornherein mit einem Ausspähungsauftrag Lummer zugeführt worden war.

    Die Geheimdienstler, die in West-Berlin an der Straße Auf dem Grat residieren, waren schon zuvor in heller Aufregung gewesen - ausgelöst offenbar durch Erkenntnisse aus dem Schierbaum/Kosobrodow-Gespräch. Amtschef Natusch war mittlerweile klargeworden, daß Lummer ihm eine lückenhafte Darstellung der Vorgänge gegeben hatte. Er drängte den Innensenator zu einem weiteren Gespräch, in dem Lummer, Ende August 1982, seine erste Aussage in wesentlichen Fakten korrigierte und ergänzte. Nun erinnerte sich Lummer etwas genauer. Er gab zu, daß er schon »bald nach 1972« mit Besuchen in Ost-Berlin begonnen habe, etwa viermal pro Jahr, »in unterschiedlichen Lokalen«. An den Zusammenkünften habe bisweilen auch Walter Sickert (SPD), der frühere Präsident des Abgeordnetenhauses, und sehr häufig sein Bekannter Bergmann teilgenommen.

    Bergmann, 59, nach eigenen Angaben »ein guter Freund Lummers«, hatte den Christdemokraten 1963 bei der Freiwilligen Polizeireserve, einer Art Bürgerwehr gegen Ost-Infiltration, kennengelernt. Schräg gegenüber von Bergmanns Wohnung in der Lankwitzer Gallwitzallee übten beide in einer Gruppe Objektschutz und Stadtverteidigung. Bergmann: »Ich war sein Unterführer, er führte mir das Wachbuch.«

    Bergmann, ehemals SPD-Mitglied, betätigte sich bisweilen als Fluchthelfer für DDR-Bürger. Bei einer Transitfahrt im Januar 1970 wurde er im Osten gestellt und unter Haftandrohung zum Spitzeldienst verpflichtet. Seine Aufgabe war es, über Veranstaltungen der West-Berliner Union und die Person des Polit-Aufsteigers Lummer zu berichten.

    Fünf Jahre lang lieferte Bergmann seine Berichte, die er mit Lummer abgesprochen haben will, nach Ost-Berlin. Der CDU-Politiker hat demnach 1971 in seiner Sicherheitserklärung die bei Geheimnisträgern obligatorische Frage nach »nachrichtendienstlichen Kontakten, Verpflichtungen oder Umständen, die auf entsprechende Versuche hindeuten können«, wissentlich falsch beantwortet - mit nein.

    Erst 1975 informierte Lummer den Verfassungsschutz und gab eine merkwürdige Begründung für das lange Stillhalten. Er habe »das Spiel mitgemacht«, um zu erfahren, was das MfS von ihm wollte. Zu seiner und Bergmanns rechtlichen Absicherung habe er einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) konsultiert und ihm laufend berichtet.

    Das war, wieder mal, nur die halbe Wahrheit. Der BND bestätigte dem Berliner Verfassungsschutz lediglich eine »gesprächsweise« Erstinformation und bestritt ausdrücklich, über den weiteren Fortgang unterrichtet worden zu sein. Erst einen Monat vor seiner Offenbarung beim Verfassungsschutz bekannte Lummer seinem BND-Kontaktmann das ganze Ausmaß der MfS-Anforderungen an Bergmann, der inzwischen sogar mit technischem Gerät für Lauschoperationen ausgestattet worden sei.

    Sogar der Generalbundesanwalt beschwerte sich seinerzeit darüber, daß Lummer eigenmächtig gehandelt und wesentliche Tatsachen verheimlicht habe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz forderte die Berliner Kollegen auf, Lummer in die Schranken zu weisen: Solche Fälle gehörten ohne Rücksicht auf parteipolitische Aspekte in die Hand der zuständigen Behörden.

    Bergmann ("Ich bin ein kleiner Mann im Öffentlichen Dienst") wollte vorige Woche auf Fragen des SPIEGEL nach seiner Tätigkeit für den »Konsum« (Insider-Jargon für das MfS) nicht eingehen. Den Namen von Lummers Ost-Berliner Bekannten Susanne Rau will er nie gehört haben: »Susanne wie?«

    Vor 13 Jahren, beim LfV, war Bergmann gesprächiger. Damals berichtete er, Lummer besuche seit langem Ost-Berlin, führe in Kneipen Gespräche mit DDR-Bürgern und habe dort ein Verhältnis mit einer Susanne. Er äußerte sogar die Befürchtung, daß die Dame die Beziehung nicht nur aus Liebe pflege.

    Als dann die Kontakte zwischen Weizsäckers Senatskanzlei und dem KGB-Residenten Kosobrodow nichts fruchteten und das MfS seine Erpressungsversuche fortsetzte, begannen die West-Berliner Verfassungsschützer unruhig zu werden. Amtschef Natusch erkannte, daß der Spionagefall Lummer nicht nur für Lummer, sondern auch für das Landesamt brenzlig werden könnte.

    Natusch und sein Spionageabwehrleiter befürchteten, daß Lummer auch zu Fall gebracht werden könnte, wenn er den Anwerbeversuchen widerstehe - allein dadurch, daß der gegnerische Dienst westlichen Medien gezielt Indiskretionen zuspiele. Selbst ein Eingreifen Weizsäckers oder gar des Bundeskanzlers, so die Einsicht, würde dies nicht verhindern.

    Mit einer verqueren Logik verwarfen die Verfassungsschützer die auch ihrer Meinung nach »an sich« gebotene Möglichkeit, Staatsanwaltschaft und Polizei einzuschalten, um den nach wie vor aktiven Kundschafter Piek bei einer seiner West-Touren zu fassen.

    Einerseits wäre das Amt nach der Rechtslage verpflichtet gewesen, den Fall an die Exekutivorgane abzugeben, weil die Verfassungsschützer sich vom Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nichts versprachen. Andererseits hätte eine Festnahme Pieks, wie das Amt realistisch urteilte, ebenso zwangsläufig den Sturz Lummers zur Folge gehabt.

    Die verunsicherten Verfassungsschützer faßten daher gar keinen Entschluß, sondern schoben die Entscheidung den Politikern zu. Am 22. November 1982, einen Tag nach Lummers Geburtstagsfete, sprach Natusch bei Weizsäcker vor. Doch es blieb beim Aussitzen: Im Februar 1984 schloß der Verfassungsschutz die Akte Lummer - bis zum Machtwechsel an der Spree.

    Denn der Hardliner Lummer, ein »populistischer Stimmenfänger«, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nannte, mußte von dem liberalen Weizsäcker im Amt gehalten werden, um die konservative Stammkundschaft der West-Berliner CDU einzubinden. Außerdem stand im Herbst 1982 ein Bundestagswahlkampf bevor; da hätte die Enttarnung von Lummers Ost-Kontakten eine verheerende Wirkung gehabt.

    Auch in der Folgezeit bemühte sich die Ost-Berliner Spionagezentrale hartnäckig um Kontakte zu Lummer. Sogar als der Senator auf DDR-Fahrt mit Polizeischülern die Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück besuchte, folgte ihm ein Stasi-Schatten.

    Aber auch Weizsäcker-Nachfolger Eberhard Diepgen wurde einer Entscheidung enthoben, weil Lummer, der des öfteren sorglos Kontakte knüpfte, über eine ganz andere Affäre stolperte: Als der CDU-Politiker am 8. April 1986 zum letzten Mal einen Drohbrief vom MfS erhielt, hatte er tags zuvor als Innensenator zurücktreten müssen - vor allem deshalb, weil der SPIEGEL enthüllt hatte, daß Lummer 15 Jahre zuvor einer Neonazi-Gruppe, die SPD-Plakate überkleben sollte, 2000 Mark aus der CDU-Kasse gezahlt hatte.

    Sieben Jahre nach Lummers Einlassungen beim Verfassungsschutz wird nun die Akte doch noch zum Fall - und wohl auch zum Politikum. Ein anonymer Brief, der im Juli vorigen Jahres bei den Nachrichtendienstlern einging, bezichtigte Mocker, den Hinweisgeber in der Lummer-Sache, selber für das MfS aktiv gewesen zu sein. Bei ihren Recherchen stießen die Verfassungsschützer im Tresor des LfV-Leiters auf die alten Vermerke über Lummers MfS-Connection.

    Dabei stellten die Geheimdienstler fest, daß die frühere Behördenleitung sträflich geschlampt hatte. Der - 1986 pensionierte - LfV-Chef Natusch (SPD) hatte, aus Furcht vor einem politischen Skandal, nichts unternommen, um den Hintergrund der dubiosen Lummer-Kontakte aufzuhellen. Auch unter dem parteilosen Natusch-Nachfolger Dieter Wagner, der bis März dieses Jahres amtierte, wurden die Papiere im Tresor nicht angerührt: Während Natusch sich erinnert, beim Amtswechsel den Panzerschrank »Ordner für Ordner« übergeben zu haben, will Wagner »lediglich den Schlüssel vorgefunden« haben.

    Erst die Nachschau unter dem vom rot-grünen Senat eingesetzten neuen Amtschef Dieter Schenk offenbarte, daß noch erheblicher Aufklärungsbedarf besteht. Eine erste Überprüfung verstärkte die Befürchtung, daß Lummer jahrelang von der DDR »abgeschöpft« (Geheimdienstjargon) worden sei, außerdem habe der CDU-Politiker durch das Verschweigen seiner Kontakte die Festnahme eines Ost-Agenten vereitelt. Der Vorgang wurde daraufhin an den Generalbundesanwalt weitergereicht.

    Bei Kurt Rebmanns Behörde, die bisher »keine Ermittlungen« führt, aber die strafrechtliche Relevanz des Falles prüfen muß, liegt nun ein brisantes Bündel von Beweisstücken und internen Bewertungen. Dazu zählen Vermerke, die Natusch, um den Kreis der Mitwisser im Amt klein zu halten, handschriftlich gefertigt hatte.

    Das Material bietet tiefe Einblicke in die hartnäckigen Anwerbungsversuche der Ost-Berliner Stasi und das leichtfertige Verhalten des West-Berliner Grenzgängers Lummer, der sich jenseits der Mauer mehr als eine Blöße gab.

    Das Ausmaß der Affäre um Heinrich Lummer, 56, mit zweitem Vornamen Jodokus (keltisch: »Krieger"), ist kaum abzusehen. Denn bislang sind keinerlei Ermittlungen angestellt worden, um herauszufinden, was der leutselige CDU-Politiker, der einem Ohrenzeugen zufolge auch in Ost-Berlin »manches offene Wort geführt« hat, in geselliger Runde oder trauter Zweisamkeit drüben ausgeplaudert haben könnte.

    Umgarnt worden war von der DDR-Staatssicherheit ein ethisch motivierter Katholik, dessen umtriebiges Nachtleben seit Jahren in Berlin für Gesprächsstoff sorgt und der offen zugibt, daß er weiblichen Reizen gern erliegt. Die mit ihm befreundete Stasi-Mitarbeiterin, die sich Susanne Rau nannte und möglicherweise auch so heißt, hatte daher mutmaßlich leichtes Spiel.

    Dabei mußte sich der Sicherheitspolitiker Lummer, aufgewachsen in der Kalten-Kriegs-Atmosphäre der Frontstadt Berlin, bei seinen Beziehungen zu Susanne Rau über das von östlichen Nachrichtendiensten bevorzugte »Mata-Hari-Modell« im klaren gewesen sein: Experten umschreiben damit die Methode, Informanten durch geheimdienstlich geschulte Frauen zu ködern - nach dem Vorbild jener holländischen Nackttänzerin, die im Ersten Weltkrieg in Paris für die Deutschen spioniert haben soll und 1917 erschossen wurde.

    Wenn nichts sonst, dann hätte spätestens die Enttarnung des Bonner Kanzleramtsspions Günter Guillaume 1974 den Innenpolitiker alarmieren müssen - zumal Lummer damals umgehend Strafanzeige gegen den zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt wegen angeblich fahrlässiger Preisgabe von Staatsgeheimnissen erstattete. Der Christdemokrat war zu jenem Zeitpunkt selber bereits seit vier Jahren in die geheimdienstlichen Aktionen des Ostens verwoben.

    Wie bei der Stasi-Verstrickung wurde Lummer auch bei der 2000-Mark-Spende an die Rechtsextremisten ein Opfer zweier ihn kennzeichnender Mängel an Gespür: Bei der Wahl seiner Freunde verliert der Christdemokrat allzuoft das Gefühl für politische Hygiene, und wenn er durch derlei Umgang in die Bredouille gerät, behindert er die Wahrheitsfindung regelmäßig durch sein fast pathologisch schlechtes Gedächtnis - er erinnert sich grundsätzlich an nichts, bis zum Beweis des Gegenteils.

    Ins Zwielicht geriet Lummer auch durch seine Beziehung zu dem Wuppertaler Autohändler Otto Putsch. Der inzwischen zu zwei Jahren Haft verurteilte Kaufmann hatte Lummer um Vermittlung beim geplanten Billig-Erwerb des Erbbaurechts für 2000 landeseigene Wohnungen bemüht. Lummer will seinen Bekannten lediglich an die »zuständigen Fraktionsstellen« weitergereicht haben. Während Putsch an Eides Statt versicherte, es habe 1984 deswegen vier Treffen mit Lummer gegeben, mag sich der nur an zwei erinnern.

    Die Putsch-Behauptung, der CDU-Baustadtrat Wolfgang Antes habe mit Wissen Lummers von ihm »Parteispenden oder Schmiergelder« kassiert, konterte der Senator mit der Erklärung, »wenn der Begriff Forderung gefallen sein sollte«, könne sich das »nur darauf« bezogen haben, ob etwa die Charlottenburger Verwaltung »irgendwelche Preisforderungen« gestellt habe.

    Daß der Christdemokrat seinem Bekannten Putsch durchaus zu Gegenleistungen verpflichtet gewesen sein könnte, legten weitere Putsch-Enthüllungen nahe: »Herr Lummer wurde von mir bzw. meiner Firma auf Wunsch einer Bonner Dienststelle im Frühjahr 1973 nebst zwei weiteren Herren zu einer Libanon-Reise nach Beirut eingeladen.«

    Eine ganz andere Version, wer den Libanon-Flug - neben einer weiteren »Gesellschaftsreise« (Bergmann) nach Syrien im selben Jahr - mitfinanziert hat, kommt aus dem Dunstkreis der Lummer-Bandeleien mit der Staatssicherheit der DDR. Die westlichen Dienste gehen davon aus, daß das MfS aus Informationsinteresse beide Reisen mit je 1200 Mark bezuschußt hat - was Lummer auch bekannt gewesen sei.

    Dafür sprechen weitere Indizien. Libanon-Freund Lummer, der in den siebziger Jahren insgesamt 17mal zu den bedrängten Christenmilizen reiste, bekam für die beiden ersten Trips, 1970 und an der Jahreswende 1971/72, die Flugkosten vom Bundespresseamt erstattet. 1973 hingegen haben, wie der damalige Staatsminister im Kanzleramt, Friedrich Vogel, vor dem Bundestag versicherte, weder das Presseamt noch die anderen »drei in Frage kommenden Bundesressorts« - Auswärtiges Amt, Entwicklungshilfeministerium und das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen - Lummers Libanon-Reise bezahlt.

    Welche Dienste der Antikommunist Lummer der DDR womöglich unwissentlich geleistet hat, läßt sich aufgrund der nachlässigen Aufklärung kaum abschätzen. Der über viele Hintergründe Bonner Politik informierte CDU-Bundestagsabgeordnete ist auch heute noch Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Jede Äußerung einer Zielperson, zumal eines Politikers wie Lummer, in Anwesenheit eines feindlichen Agenten gilt nach CIA-Sprachgebrauch als »human intelligence«, von Personen beschaffte Nachrichten. Informationen dieser Art »sind im allgemeinen die spärlichsten, am schwersten zu beschaffen, aber potentiell am wertvollsten«, schreibt der US-Spionagekenner Thomas Powers.

    Strafrechtlich ist es gleichgültig, wie ergiebig eine von Ost-Agenten angezapfte Polit-Quelle sprudelt. Wie genau es die westdeutsche Justiz mit Ost-Kontakten nimmt, machte Ende 1978 ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg deutlich. Der dritte Strafsenat verurteilte damals den Hamburger Kriminaloberkommissar Rolf Grunert wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe.

    Der Angeklagte, früher Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hatte zwischen 1971 und 1977 etwa 30mal seine Schwester in Ost-Berlin besucht und sich dabei regelmäßig mit einem ihrer Bekannten, angeblich einem Gewerkschaftssekretär, unterhalten.

    Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Mann MfS-Agent gewesen sei, an den der Kripo-Beamte Geheimnisse verraten habe. Grunert bestritt die Vorwürfe vehement, Beweise gegen ihn gab es nicht. Doch Indizien und der Augenschein genügten den Richtern für ihren Schuldspruch. Der gebürtige Thüringer Grunert, durch das Urteil in seiner bürgerlichen Existenz ruiniert und hoch verschuldet, wanderte sieben Jahre später in die DDR aus.

    Die Parallelen dieses Falles zur fast zeitgleichen Ost-Connection Lummers sind augenfällig. Der CDU-Politiker konnte an der wahren Identität seiner Gesprächspartner schließlich eher noch weniger Zweifel haben, als sie der Verurteilte Grunert nach Ansicht des Gerichts gegenüber seinem Ost-Berliner Bekannten hätte haben dürfen.

    Wer sich zur »Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen« a n einen gegnerischen Geheimdienst »oder einen seiner Mittelsmänner« bereit erklärt, riskiert laut Strafgesetzbuch bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.

    Dabei »braucht der Täter nicht selbst Agent im technischen Sinne zu sein«, erläutert ein Strafrechtskommentar, es genüge »für die mittäterschaftliche Beteiligung das Sicheinspannenlassen« in die Agententätigkeit.

    Die Kriterien könnte Heinrich Lummer erfüllt haben. Der jetzige Innensenator Erich Pätzold (SPD) mochte sich vorige Woche, vom SPIEGEL befragt, zu den »unterstellten Vorgängen nicht äußern« - jedenfalls »noch nicht«.

    https://www.mz.de/mitteldeutschland/seltsame-allianzen-wie-die-stasi-versuchte-westdeutsche-neonazis-zu-unterwandern-

    Aktion Reiskorn e.V. - Wir über uns
    http://www.aktion-reiskorn.de/Verein/Wir-ueber-uns

    Wir haben weltweit mehr als 100.000 Menschen in Not geholfen

    Es fing damit an, daß Joachim Siegerist Anfang der „Achtziger“ als Chef-Reporter der HÖRZU ins „Goldene Dreieck“ nach Thailandreiste und dort unglaubliches Elend sah. Sterbende Kinder, Sklavenarbeit, Kinder-Prostitution. Danach nur noch die Idee im Kopf „Du darfst nicht nur berichten, Du mußt berichten und helfen zugleich.“

    Mit Hilfe von Max Schmeling gründete Joachim Siegerist das Kinderhilfswerk AKTION REISKORN e.V. Joachim Siegerist ist Vorsitzender dieses gemeinnützigen Vereins, Vorsitzender der Deutschen Konservativen und der Motor des DEUTSCHLAND-Magazin. Mit diesem „Trio“ wurden im Laufe der vergangenen 25 Jahre mehr als 100 000 Menschen weltweit geholfen.

    Nie nach Rasse und Religion gefragt

    Dabei wurde nie nach Rasse, Religion oder Herkunft gefragt. Ohne die vielen Freunde dieser Zeitung wäre solche Hilfe gar nicht möglich. Hilfe für verarmte Deutsche in Namibia, Deutsch-Balten, Letten, Juden, Russen, Muslimen auf der Flucht vor fanatischen Serben, evangelischen und katholischen Projekten in siebenbürgischen Rumänien, von Medizinmännern gejagten Albino-Kindern in Afrika. Hilfsprojekte gegen Kinder-Prostitution in Thailand. Die Liste der Hilfe ist ellen lang, würde mehr als ein dickes Buch füllen.

    Konservativ – das heißt auch sozial

    Joachim Siegerist: „Konservativ bedeutet für mich auch immersozial – was mit sozialistisch absolut nichts zu tun hat.“

    Während andere Hilfsorganisationen unter Vertrauensverlust leiden, bekommt die AKTION REISKORN e.V. mehr und mehr Zustimmung.

    http://homepagedesigner.telekom.de/imageprocessor/processor.cls/CMTOI/cm4all/com/widgets/PhotoToi/11/93/82/54/13f67442683/scale_1200_0%3Bdonotenlarge/13f67442683
    Heinrich Lummer (rechts) und Joachim Siegeristreisten im Kosovo-Krieg nach Albanien und halfen dort von fanatischen Serben verfolgtenMuslimen – hier auf dem Foto in einem Kinderdorf. Der Berliner Bürgermeisterund Innensenator a. D. Heinrich Lummer ist Ehren-Präsident der Konservativen.

    #Berlin #CDU #Stasi #Prostitution #Rechte #Politik

  • Explosion in Berlin-Charlottenburg : Unbekannte sprengen Blitzer am Kurfürstendamm
    https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-charlottenburg-explosion-von-blitzer-am-kurfuerstendamm-li.2

    C’est la guerre. Après de nombreux assassinats et des agressions quotidiennes contre les autres automobilistes, motards, cyclistes et piétons la guérilla des conducteurs death-proof vient de faire sauter une colonne radar placée au début de son circuit préféré Kurfürstendamm à Berlin-Halensee.

    12.12.2023 von Eva Maria Braungart - Trümmerteile des Blitzers flogen bis zu 60 Meter weit. Bereits Ende Oktober explodierte ein Blitzer in der gleichen Straße.

    Unbekannte haben in der Nacht zu Dienstag einen Blitzer auf dem Berliner Kurfürstendamm in Charlottenburg gesprengt. Ein Passant gab an, dass das Gerät gegen 2.15 Uhr explodierte. Wie die Berliner Polizei mitteilte, flogen Trümmerteile der Säule bis zu 60 Meter weit durch die Luft.

    Die alarmierten Einsatzkräfte sicherten am Ort Spuren, die auf die Verwendung eines pyrotechnischen Gegenstands schließen lassen. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt zu dem oder den Tätern und fertigt offenbar mehrere Anzeigen an. Darunter sei das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und schwere Sachbeschädigung.

    Bereits am 20. Oktober wurde eine Blitzersäule ebenfalls am Kurfürstendamm gesprengt. Die Kosten eines Blitzers belaufen sich je nach Ausstattung auf 80.000 bis 130.000 Euro.

    Kurfürstendamn
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kurf%C3%BCrstendamm

    Straßenlänge: 3500 Meter
    ...
    Der Kurfürstendamm wurde um 1542 als Dammweg vom Berliner Stadtschloss zum Jagdschloss Grunewald angelegt und diente zunächst als Reitweg für den Kurfürsten Joachim II.

    #Berlin #Halensee #Kurfürstendamn #excès_de_vitesse

  • BVG lässt am 3. Advent historische U-Bahn fahren
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/12/berlin-bvg-advent-historische-bahn.html

    9.12.23 - Am dritten Adventssonntag können Fans in Berlin mit einer historischen U-Bahn der Baureihe EIII fahren. Die AG U-Bahn, die die historischen Fahrzeuge pflegt, lädt an diesem Tag zu Sonderfahrten auf der Linie U5 ein, wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) am Freitag mitteilte.

    Die erste Fahrt beginnt am 17. Dezember um 9:06 Uhr ab Friedrichsfelde, die letzte Fahrt beginnt um 14:10 Uhr am Hauptbahnhof. Für die Mitfahrt reicht ein normales VBB-Ticket.

    Der letzte Zug fuhr 1994

    Die Wagen der Baureihe EIII, die ab 1963 im U-Bahnnetz im Osten Berlins unterwegs waren, hatten schon ein Vorleben. Im Frühjahr 1962 hatte das Verkehrsministerium der DDR beschlossen, ältere S-Bahnwagen der Baureihe ET168 für den Einsatz im U-Bahnnetz umzubauen. Insgesamt 86 Einheiten aus Trieb- und Beiwagen wurden letztlich gebaut. Damit begann ein Umbauprogramm, das praktisch bis zum Ende der DDR andauerte.

    Vier Baureihen von S-Bahnen wurden auf diesem Weg über mehr als zwei Jahrzehnte zu „Spenderwagen“ für die U-Bahn. Nötig wurde der Umbau der S-Bahnwagen, weil nach Kriegsende 1945 insgesamt 120 Wagen der U-Bahn-Baureihe C nach Moskau gebracht worden waren. Damit standen keine Großprofilwagen mehr für die damalige Linie E (heute U5) zur Verfügung.

    Es wurden stattdessen umgebaute Kleinprofilzüge eingesetzt. Sie waren noch bis Ende der 1960er Jahre im Einsatz, bis sie schließlich komplett durch die EIII-Züge ersetzt wurden. In ihrem „zweiten Leben“ blieben die Züge der Baureihe EIII bis nach dem Mauerfall im Einsatz. Der letzte reguläre Zug fuhr 1994.

    DR-Baureihe ET 165
    https://de.wikipedia.org/wiki/DR-Baureihe_ET_165


    Dieser Typ war 69 Jahre lang im Einsatz von 1928 bis 1997.

    Die ET 165, später Baureihe 275 (DR), ab 1993 475, waren elektrische Triebwagen, die von 1928 bis 1932 für die Berliner S-Bahn gebaut wurden. Sie waren bis 1997 im Einsatz und wurden bis 2004 mit Ausnahme einiger Museumsgarnituren verschrottet. Nach der Berliner Stadtbahn wurden sie auch Stadtbahner genannt.

    #Berlin #U-Bahn #Geschichte

  • Sprecher der Berliner Fahrgäste: „Mit der U8 fahre ich nicht mehr“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/sprecher-der-berliner-fahrgaeste-mit-der-u8-fahre-ich-nicht-mehr-li

    Die Bettler sind da und bevölkern die U-Bahn Linie 8. Unterträglich ist das für alle biederen Bürger.

    26.01.2023 von Peter Neumann - Zum Fototermin mit der Berliner Zeitung steigt Jens Wieseke in den U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße hinab. Doch normalerweise nutzt der Vizevorsitzende und Sprecher des Fahrgastverbands IGEB die düstere Station an der U8 nicht mehr. Im Interview erklärt der 58-jährige Berliner, der aus dem Osten der Stadt stammt und seinen Berufsweg als Briefträger mit Abitur begann, warum er manchmal lieber mit seinem Auto fährt. Der Fahrgastlobbyist äußert sich auch zum Desaster auf der U2 unter dem Alexanderplatz, zu Gottesdienstbesuchen mit Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch, ob der BER einen U-Bahnanschluss braucht – und darüber, ob er wählen geht.
    ...
    Apropos Frau Jarasch: Vor Weihnachten haben Sie ein Foto getwittert, das Sie und die Grünen-Politikerin nach einem katholischen Gottesdienst in Berlin zeigt. Sehen Sie sich häufiger in der Kirche?

    Ich möchte nur so viel dazu sagen: Wir sind beide Katholiken, und es kommt vor, dass wir uns in dieser Eigenschaft sonntags sehen. Und ja, es kommt vor, dass es danach auch um unser gemeinsames Thema geht. Als nach dem Fahrplanwechsel im Dezember Probleme im Regionalzugverkehr deutlich wurden, schrieb mir die Senatorin zwei Stunden nach dem Gottesdienst eine Mail und bat um Hinweise. Wenige Tage später lud der Senat die Beteiligten zu einem Krisentreffen ein. Aber ich achte darauf, die Begegnungen nicht zu überfrachten. Auch Frau Jarasch hat ein Recht auf einen möglichst arbeitsfreien Sonntag.
    ...
    Wie kommen Sie zur Arbeit?

    Derzeit nicht mit dem öffentlichen Verkehr. Zwar liegt der Bahnhof Südkreuz nicht weit von meinem Arbeitsplatz in Schöneberg entfernt. Ich weigere mich aber, die U8 zu nutzen. Mit der U8 fahre ich nicht mehr, diese U-Bahn-Linie tue ich mir seit einigen Jahren nicht mehr an. In der warmen Jahreszeit gehe ich stattdessen ein paar Schritte weiter zur U2, zum U-Bahnhof Spittelmarkt, vom Potsdamer Platz nehme ich dann die S-Bahn oder den Regionalexpress. Aber im Winter fahre ich in den meisten Fällen mit meinem Auto zur Arbeit.
    ...
    Warum fahren Sie nicht mehr mit der U8?

    In unserem Verein gibt es den Spruch: Alles ist besser als die U8. Es sind viele negative Erlebnisse, die sich über die Jahre zu einem negativen Bild verdichtet haben. Es geht um Schmutz, Verwahrlosung und um vieles andere mehr, sowohl in den U-Bahnhöfen als auch in den Zügen. Wenn ich auf den Bahnhof Heinrich-Heine-Straße komme und alle Sitzbänke sind mit Drogenabhängigen oder Wohnungslosen besetzt, ist das einfach nicht schön. Ich stelle nicht in Abrede, dass es den Junkies schlecht geht und dass man sich um sie kümmern muss. Aber der Nahverkehr kann nicht die sozialen Probleme Berlins zulasten der Fahrgäste lösen. Das wäre unzumutbar. Auf der U8 ist es schon seit vielen Jahren nicht schön, und es wird immer schlimmer. Ich werfe den Bezirken und dem Senat vor, dass sie zu wenig unternehmen.

    #Berlin #U-Bahn #Alexanderplatz #Heinrich-Heine-Straße #Potsdamer_Platz #Spittelmarkt #Südkreuz #Religion #Bettler

  • Nationalsozialismus: Vergessene Zwangsarbeiter
    https://taz.de/Nationalsozialismus/!5978208


    Das Lichtenberger Arbeitshaus in Rummelsburg, Die Lichtenberger Aktionswoche erinnert an die Opfer des Arbeitshauses Foto: dpa | Felix Zahn

    4.12.2023 von Peter Nowak - In der Lichtenberger Aktionswoche wird mit einem Gedenkspaziergang an die Opfer des Lichtenberger Arbeitshauses erinnert.

    BERLIN taz | Rund 30 Personen versammeln sich am sich am Sonntagnachmittag vor der Hauptstraße 8. Dort wartet bereits der Historiker Thomas Irmer, der über das Berliner Arbeitshaus geforscht hat, das dort seit 1879 für viele arme Menschen ein Ort des Schreckens war. Im Kaiserreich mussten die Menschen vor allem auf den Rieselfeldern schuften, die damals zur Reinigung der Abwässer angelegt wurden. Der Historiker zitiert aus zeitgenössischen Dokumenten, aus denen hervorgeht, dass es sich dabei um Zwangsarbeit handelte.

    In der NS-Zeit verschärfte sich die Situation für die In­sas­s*in­nen in jeder Hinsicht. „Jetzt mussten sie nicht mehr auf den Rieselfeldern, sondern in der Rüstungsindustrie schuften, die sich in Lichtenberg angesiedelt hatte“, erklärte Irmer. 1933 sorgten Razzien und Verhaftungswellen dafür, dass das Arbeitshaus bald überbelegt war. Arrestzellen für Homosexuelle und “psychisch Abwegige„, ein “Bewahrungshaus„ für “Asoziale„ und eine “Sonderabteilung„ für Juden wurden eingerichtet.

    Nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums von 1937 wurden die Insassen aus Rummelsburg, soweit sie für den “Zwangs­arbeitsein­satz„ ungeeignet waren, in Konzentrationslager überführt, berichtet Irmer über die Intensivierung des Terrors im NS. Am 13. Januar 1941 wurden 30 jüdische In­sas­s*in­nen des Arbeitshauses in die Tötungsanstalt Bernberg gebracht und dort mit Gas ermordet. Unter ihnen war Auguste Löwenthal, die im Alter von 67 Jahren im Juni 1939 verhaftet wurde, weil ihr vorgeworfen wurde, als Prostituierte zu arbeiten. Über ihr Schicksal hat Irmer geforscht und die Frau so dem Vergessen entrissen. „Arme Menschen schreiben keine Geschichte und hinterlassen oft kaum Dokumente“, sagt Irmer.

    Für den 2007 gegründeten Arbeitskreis Marginalisierte Gestern und heute ein Grund, sich für das Gedenken der als asozial stigmatisierten In­sas­s*in­nen des Arbeitshauses einzusetzen. Seit 2015 informieren Tafeln über die Menschen, die zu den verschiedenen Zeiten dort verfolgt wurden. In der DDR dienten die Gebäude als Gefängnis. Dort waren auch Menschen inhaftiert, die bei Demonstrationen und Proteste in der letzten Phase der DDR festgenommen wurden.

    Der Gedenkspaziergang am Sonntag war Teil der Lichtenberger Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus, die von einem Bündnis von Antifaschist*innen, der Berliner Obdachlosenhilfe und der Erwerbsloseninitiative Basta organisiert werden. Noch bis Mitte Dezember soll es an unterschiedlichen Orten Veranstaltungen geben, die sich mit der Abwertung von armen Menschen befassen. So soll am 8. Dezember ab 18 Uhr im Café Maggie in der Frankfurter Allee 205 über das Gedenken an die heutigen Opfern sozialchauvinistischer Gewalt diskutiert werden. Zwei davon gab es in Lichtenberg: 1993 wurde dort Kurt Schneider von Neonazis ermordet und 2016 Eugeniu Botnar von einem Warenhausdetektiv erschlagen.

    #Berlin #Lichtenberg #Rummelsburg #Hauptstraße
    #Armut #Nazis