• Les nuits berlinoises après le Covid
    https://laviedesidees.fr/Les-nuits-berlinoises-apres-le-Covid

    Spéculation immobilière, gentrification, crise sanitaire et climatique : Berlin n’est plus la ville accessible où il faisait bon faire la fête. La ville saura-t-elle se remettre au vert ?

    #Société #Allemagne #nuit
    https://laviedesidees.fr/IMG/docx/20230721_berlin-2.docx
    https://laviedesidees.fr/IMG/pdf/20230721_berlin-2.pdf

  • Ukrainische Journalisten werfen „Katapult“ vor, sie benutzt und dann fallen gelassen zu haben.
    https://uebermedien.de/80934/ukrainische-journalisten-werfen-katapult-vor-sie-benutzt-und-dann-fallen

    En lisant ce reportage on ne peut que gagner l’impession que le média á succès Katapult est le projet où d’un mégalomane où d’un fils à papa assez riche pour être libre de toute considération humaine propre au gens ordinaires. Une équipe de journalistes unkrainiens en a souffert.

    30.1.2023 vin Stefan Niggemeier - Am Anfang ging es ganz schnell. Russland griff am 24. Februar 2022 die Ukraine an. Zwei Tage später machte das Greifswalder Magazin „Katapult“ ukrainischen Journalisten ein verlockendes Angebot.

    Sein Chef und Gründer Benjamin Fredrich schrieb „Jobs for Ukrainians“ aus. Er suchte „Reporter, Fotografen, Journalisten“, die aus und über das Land berichten. Das Gehalt: 1650 Euro pro Monat.

    „Wir können hier nicht einfach so weitermachen und so tun, als wäre nichts“, erklärte Fredrich. „Wir müssen alles tun, was wir können – und weil wir Journalist:innen sind, müssen wir genau das machen: Journalismus. Aufklären. So viel und so direkt wie möglich!“

    Deshalb werde sein Magazin „jetzt 20 weitere Journalist:innen einstellen“: „Wir müssen über die Ukraine berichten – von hier aus und von der Ukraine aus. Wir werden freie Leute aus der Region unterstützen und auch selbst welche einstellen, ihnen einen sicheren Hafen bieten – mit Geld und Infrastruktur!“

    Für den ukrainischen Journalisten Sergey Panashchuk aus einem Vorort von Odessa klang das perfekt. Der 38-Jährige schreibt seit langem für lokale und internationale Medien und unterstützt als Fixer Kollegen aus dem Ausland bei ihren Recherchen in der Ukraine.
    Sergey Panashchuk
    Sergey Panashchuk

    Zwei deutsche Journalisten machten ihn auf die Anzeige aufmerksam, er bewarb sich per Mail und bekam sofort eine Zusage: „Wir sind sehr interessiert und würden dir gern einen Vertrag anbieten“, schrieb Fredrich. Panashchuk konnte wählen, ob er in der Ukraine bleiben oder nach Greifswald kommen wollte, wo die Zentrale von „Katapult“ ist. Er solle sich gut überlegen, hieß es noch in der Mail, ob er die 1650 Euro brutto haben wolle: „Wenn du nicht alles brauchst, können wir mehr Leute einstellen.“

    Panashchuk nahm das Angebot an – „natürlich“, wie er uns sagt:

    „Das schien eine großartige Chance. Nicht nur, weil es ein ziemlich gutes Gehalt für die Ukraine ist, sondern weil ich etwas Wichtiges und Nützliches für mein Land tun konnte. Zu dieser Zeit war die russische Propaganda noch ziemlich mächtig in Europa, viele Leute haben sie geglaubt. Und der einzige Weg, das zu ändern, war aus der Ukraine zu berichten.“

    Das erste Gehalt kam schon, bevor er wirklich anfangen konnte zu arbeiten. „Es war unglaublich.“
    Roksana Panashchuk

    Seine damalige Ehefrau Roksana Panashchuk (inzwischen sind die beiden getrennt) fand es so unglaublich, dass sie es eher nicht glauben wollte. Es klang alles zu märchenhaft. Aber es war auch für die damals 39-Jährige, die ebenfalls seit vielen Jahren als Journalistin arbeitet, eine Chance. Es gab damals die Sorge, dass die Russen Odessa einnehmen könnten, und so entschied sie sich, nach Deutschland zu gehen, nach Greifswald, um von dort aus für „Katapult Ukraine“ zu arbeiten.

    Sie floh über Moldawien. Mitte März fing sie als Redaktionsleiterin bei „Katapult Ukraine“ an.

    Es ging rasant weiter. Ende April habe Fredrich sich gemeldet, sagt Sergey Panashchuk: Er wolle Büros überall in der Ukraine eröffnen. Panashchuk übernahm die Aufgabe, sich um das Büro in Odessa zu kümmern. „Ich wollte, dass er hierher kommt und sich das anschaut und entscheidet, was er für nötig hält“, sagt Panashchuk. Fredrich habe geantwortet: „Lass mich dir einfach das Geld schicken.“ Irgendwann werde er versuchen, nach Odessa zu kommen, aber jetzt nicht, jetzt habe er keine Zeit.

    „Er schickte 6000 Euro für Büro-Ausgaben, twitterte die Neuigkeit, dass er ein Büro in Odessa, Ukraine, eröffnet habe, und vergaß uns.“

    Heute gibt es das Büro nicht mehr, Sergey Panashchuk und den anderen Mitarbeitern dort wurde gekündigt. Auf der Projektseite erscheinen wochenlang keine Inhalte, von den vielen ukrainischen Mitgliedern des „Katapult Ukraine“-„Teams“, die angeblich eingestellt wurden, ist kaum noch jemand dabei, und Roksana Panashchuk ist längst nicht mehr Redaktionsleiterin und zurück in der Ukraine. Beide fühlen sich benutzt von „Katapult“ und machen Benjamin Fredrich Vorwürfe.

    Als wir mit ihnen einzeln in mehreren Videocalls sprechen, sind im Hintergrund immer wieder Sirenen zu hören, Luftalarm. Sie entschuldigen sich, wenn sie verspätet auf Fragen im Chat antworten oder E-Mails in kleinen Häppchen schicken: Der Strom fällt immer wieder aus, das Licht wird abgeschaltet, das Internet geht zwischendurch nicht.
    Große Freiheiten, große Fragezeichen

    Im Frühling vergangenen Jahres hatte sich Sergey Panashchuk an die Arbeit gemacht. Er organisierte Büroräume und machte sich daran, Mitarbeiter zu rekrutieren. „Ich wollte, dass dieses Projekt ein Erfolg wird.“ Er holte eine Journalistin, einen Journalisten, eine Fotografin, eine Grafik-Designerin, alle mit viel Berufserfahrung, wie er betont. Die eigentlich zugesagten Arbeitsverträge von „Katapult“ habe keiner von ihnen erhalten. Aber alle bekamen ein festes Gehalt.

    Es habe keinerlei Vorgaben von „Katapult“ gegeben, was Arbeitszeiten betrifft, Umfänge, Themen, sagt Sergey Panashchuk. Das bedeutete für ihn große Freiheiten, aber auch große Fragezeichen: „Niemand schien verantwortlich für uns zu sein. Niemand kümmerte sich um das, was wir machen.“

    Seiner Frau in Greifswald erging es ähnlich. Vor ihr waren schon drei Leute aus der Ukraine angekommen, mit denen sie in Greifswald das „Katapult Ukraine“-Team bildete. Sie wunderte sich: „Meine Kollegen waren eine Bibliothekarin, eine Studentin und ihr 17-jähriger Bruder.“ Bei einem Projekt, das speziell die Unterstützung ukrainischer Journalisten versprach? Auch die ukrainischen Autoren der ersten Texte, die erschienen, seien in den wenigsten Fällen Journalisten gewesen.

    Sie war formal die Chefin von „Katapult Ukraine“ und hatte die Aufgabe, die Arbeitsabläufe zu organisieren. „Benjamin hat nie mit mir über das Projekt, seine Entwicklung und seine Zukunft gesprochen“, sagt sie. „Was genau ist die Absicht? Wer ist unsere Zielgruppe?“

    Fredrich habe auf solche Fragen bloß per Slack geantwortet, sie solle tun, was sie will.
    Gleich für einen Preis nominiert

    Das Projekt generierte schnell viel positive Aufmerksamkeit. „Tagesspiegel“, „taz“, Deutschlandfunk und viele andere Medien berichteten. Nur zwei Monate nach dem Start wurde „Katapult Ukraine“ bereits für den Grimme-Online-Award nominiert.
    „Ihr spendet 190.000 €, wir zahlen Gehälter in die Ukraine“ und andere Schlagzeilen
    Screenshots: „Katapult“

    Fredrich ist meisterhaft darin, Aufmerksamkeit und Aufregung zu generieren, für sich und für seine Projekte. „Katapult“ begann als Zeitschrift, die Wissen originell und mit Witz vor allem in Form von Karten vermittelte. Die Katapult-Magazin GmbH ist als gemeinnützig anerkannt.

    Fredrich macht Eindruck durch schnelle, mutige Entscheidungen, die er offensiv und forsch kommuniziert – zum Beispiel die, mit seinem kleinen, aber schnell wachsenden Imperium in Greifswald zu bleiben, in der Nähe seiner Heimat. Konflikte mit anderen Medien nutzte er, um mit extremer Angriffslust ein David-gegen-Goliath- und Gut-gegen-Böse-Image zu pflegen. Das bringt ihm Sympathien und Abos ein. Auf einen kritischen Artikel von Übermedien, in dem ihm ehemalige Wegbegleiter einen zweifelhaften Umgang mit ihrer Privatsphäre vorwarfen, reagierte er mit heftigsten Gegenangriffen auf uns und unseren Autor.

    Er legte sich mit der regionalen Tageszeitung an und verkündete, deren Monopol zu brechen: durch eine eigene Lokalzeitung. Für das daraus entstandene Projekt „Katapult MV“ ist er gerade zu „Deutschlands bestem regionalen Chefredakteur 2022“ gewählt worden. Er gründete einen Buch-Verlag. Er kaufte eine heruntergekommene Schule und ließ sie renovieren. Das ist das Projekt, das ihn ausweislich seiner Social-Media-Aktiväten gerade am meisten beschäftigt: der Umbau des Gebäudes und der Aufbau einer eigenen „Journalismusschule“.

    In den ersten Tagen des Krieges aber hatte er nur ein Thema: die Ukraine. In atemberaubendem Tempo, mit unbändiger Energie und größtem Pathos engagierte er sich und forderte zu Spenden auf. „Spiegel, Zeit, SZ, taz: Kommt an Bord, wenn ihr könnt!“, rief er. Im April 2022 fuhr er sogar selbst in die Ukraine und berichtete aus Butscha. Die „Katapult“-Community feierte ihn als Mann, der allen anderen wieder mal zeigte, was möglich ist, wenn man einfach loslegt, ohne groß zu zögern oder an Konsequenzen zu denken.

    Dass diese Methode des Voranpreschens nicht unproblematisch ist, wurde schnell offenkundig: Als Fredrich vorgab, dass die „Katapult“-Mitarbeiter für die Unterstützung der Ukraine auf eine Hälfte ihres Gehaltes verzichten sollten (er selbst würde auf sein Ganzes verzichten), gab es intern Widerstand und heftigen Streit über seine Art, das zu kommunizieren. Aber wer will jemandem etwas übel nehmen, der in bester Absicht übers Ziel hinausschießt? „Klar, wenn wir was machen, machen wir Fehler“, sagte Fredrich im Gespräch mit „Zapp“. „Aber gar nichts zu machen, gar nichts zu probieren, das hätten wir als größeres Problem gesehen.“
    Wie die Prinzessin im Märchen

    Embed from Getty Images

    Roksana Panashchuk wurde in dieser Zeit das ukrainische Gesicht von „Katapult Ukraine“. Sie trat in der Öffentlichkeit als die erfahrene Journalistin auf, die für Qualität und Seriosität bürgte – gegen russische Propaganda, aber auch gegen übergroße ukrainische Emotionalität. Fredrich hatte sie schon öffentlich angekündigt, als sie noch unterwegs nach Greifswald war: „Die, die auf dem Weg zu uns ist, hätte das Zeug dazu, [Chefredakteurin von ‚Katapult Ukraine‘ zu werden,] weil sie etwas mehr Erfahrung hat und für größere internationale Medien gearbeitet hat.“

    Im April und Mai sprach sie mit einem Filmteam des NDR-Medienmagazins „Zapp“ und mit der Nachrichtenagentur AFP über das Projekt; Mitte Mai stellte sie es beim „Exile Media Forum“ der Körber-Stifung vor, im Juli sprach sie mit dem Medienmagazin des BR. Es gab sogar internationale Berichte.

    Dabei hatte sie intern viele Zweifel und offene Fragen.

    „Mir wurde anfangs gesagt, dass es viel Geld für das Projekt gibt. Ich könne tun, was ich will, Leute einstellen und entlassen. ‚Wenn du Geld brauchst, wenn du irgendwas brauchst, geben wir es dir.‘ Ich fühlte mich wie die Prinzessin im Schloss im Märchen.“ Das habe sie stutzig werden lassen: „Ich begann zu vermuten, dass es tatsächlich ein Märchen ist und nicht echt. Ich habe darauf gewartet, dass Benni mir sagt, was er von mir erwartet. Aber wenn ich versucht habe, mit ihm zu reden, hatte er nie Zeit.“

    Er habe sie an einen Kollegen verwiesen, doch der habe ihre Fragen auch nicht beantworten können, weil er nicht wusste, was Fredrich wollte. Ein langjähriger „Katapult“-Macher habe ihr gesagt, so sei Fredrich, erzählt Roksana Panashchuk: „Benjamin startet Projekte, dann verliert er das Interesse daran, und dann schlafen sie ein.“
    Außer Haus, aber voll hinter den Projekten

    Wenn man Benjamin Fredrich Fragen schickt zum Projekt „Katapult Ukraine“ und zu solchen Vorwürfen seiner ehemaligen ukrainischen Mitarbeiter, bekommt man zunächst eine automatische Abwesenheitsnotiz mit der Betreffzeile „Benjamin Fredrich ist nicht online“:

    „Hallo,

    ich ziehe mich bis Ende Januar zurück und schreibe meinen zweiten Roman.“

    Seine Referentin teilt mit, er sei nicht im Haus und könne unsere vielen detaillierten Fragen deshalb erst in zwei Wochen antworten. Es klappt dann aber doch innerhalb von drei Tagen.

    Fredrich schreibt, er habe „großes Interesse an der Redaktion und an dem Projekt“ „Katapult Ukraine“:

    „Nicht jedes Projekt braucht mich im laufenden Betrieb, aber die meisten unserer Projekte brauchten mich als Initiator. Ich stehe voll hinter unseren Projekten und habe für den konkreten Fall ‚Katapult Ukraine‘ das Interesse, dass es stabil wird, dass es saubere und qualitative Arbeit leistet und dass wir damit einen ernstzunehmenden Beitrag leisten.“

    Embed from Getty Images
    Kündigung

    Roksana Panashchuk erschien vieles merkwürdig und unprofessionell an der Arbeit in Greifswald, aber sie sagt, sie habe das gemacht, was sie für ihren Job hielt: Sie besprach mit Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine Artikel, sorgte dafür, dass sie in andere Sprachen übersetzt werden und produzierte sie auf der Webseite. „Ich habe dieses Projekt sehr ernst genommen, um russischer Propaganda etwas entgegen zu setzen.“

    Sie habe das Gefühl gehabt, dass es andere schon bald nicht mehr so wichtig nähmen. Fredrich habe sie und ihre Team-Mitglieder immer wieder in andere Arbeiten eingespannt, auch für das Lokalprojekt „Katapult MV“. (Fredrich bestreitet das.) „Die Arbeit für ‚Katapult Ukraine‘ wurde davon beeinträchtigt“, sagt Roksana Panashchuk. Es hätten die redaktionellen Ressourcen gefehlt, um die angelieferten Artikel zu produzieren. Und plötzlich habe es auch geheißen, dass Geld keineswegs im Überfluss da sei, sondern sie an Honoraren für freie Mitarbeiter sparen solle.

    Ihr sei gesagt worden, es würden noch drei Journalisten nach Greifswald kommen – aber niemand erschien. „Keiner von den ‚Katapult‘-Leuten hat sich für das Projekt interessiert. Alle warteten nur auf Ansagen von Benni.“

    Roksana Panashchuk sagt, im Nachhinein sei ihr klargeworden: „Das einzige, was man wirklich von mir wollte, war, dass ich Medien Interviews über das ‚Katapult Ukraine‘-Projekt gebe.“ Benjamin Fredrich sagt dazu auf Nachfrage: „Roksana Panashchuk sollte das Team leiten und wollte die Interviews führen. Sie hat sich selbst dazu entschieden.“

    Sie habe nicht gewusst, ob „Katapult Ukraine“ wirklich eine Zukunft hat, erzählt Roksana Panashcuk, sei isoliert gewesen, habe kein Feedback bekommen. Es habe außerdem inhaltliche Konflikte mit anderen Teilen der „Katapult“-Redaktion gegeben, zum Beispiel über den Umgang mit dem umstrittenen Asow-Regiment oder über eine ihrer Meinung nach irreführende Formulierung in der ukrainischen Version des Buches „100 Karten über die Ukraine“, das ab März 2022 produziert wurde. Die Deutschen nahmen ihr wohl übel, dass sie in mehreren Fällen widersprochen und Kritik geübt habe – so stellt Roksana Panashchuk es dar.

    Ende Juli habe ihr die Personalabteilung dann mitgeteilt, Fredrich habe entschieden, dass sie Urlaub nehmen sollte. Auf Nachfrage sei ihr bestätigt worden, dass man nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten wolle. Im August wurde ihr gekündigt. Sie meldete sich arbeitslos, merkte dann aber, dass sie nicht in Deutschland leben konnte oder wollte, während ihre Freunde in der Ukraine ausharrten und kämpften. Im Oktober kehrte sie nach Odessa zurück.

    Benjamin Frederich antwortet auf die Frage, warum sich „Katapult Ukraine“ von Roksana Panashchuk getrennt habe:

    „Frau Panashchuk hat in einer Übersetzung unseres 100-Karten über die Ukraine-Buches mehrere kritische Abschnitte über die Ukraine entfernt sowie bei der Onlineberichterstattung inhaltlich fragwürdige Entscheidungen getroffen. Sie wollte ihrem Heimatland damit helfen, aber sie hätte uns als journalistischem Medium damit geschadet.“

    Panashchuk bestreitet das und sagt, sie sei für ihre Arbeit an dem Buch von der Projektleiterin ausdrücklich gelobt worden. Was Fredrich mit den „fragwürdigen Entscheidungen“ meine, sei ihr unklar – er habe sie nie darauf angesprochen.
    „From now we are almost out of money“

    Auf die Frage, wer die Leitung des Projektes nach der Trennung von Roksana Panashchuks übernahm, antwortet Benjamin Fredrich: Benjamin Fredrich. Die alltägliche Koordination von „Katapult Ukraine“ übernahm aber allem Anschein nach Travis Sauer, ein amerikanischer Journalist.

    Das Büro in Odessa sei aufgefordert worden, weniger zu produzieren, erzählt Sergey Panashchuk: „Im August sagte Travis Sauer zu uns: ‚Das Projekt braucht nicht viele Artikel.‘“ Fertige Texte seien ewig nicht veröffentlicht worden. Sauer sei einen größeren Teil der Zeit nicht im Dienst oder mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Sauer sagt dagegen auf Nachfrage, er habe darauf hingewiesen, dass die Artikel „nicht ganz den Ansprüchen des Teams“ entsprächen und vorgeschlagen, sich lieber mehr Zeit für „längere, detailliertere Artikel mit mehr Kontext, mehr Recherche und mehr Analyse“ zu nehmen. Und er habe exklusiv für „Katapult Ukraine“ und damit verbundene Projekte gearbeitet.

    „Im September wurde ich langsam depressiv, weil es gar kein Feedback mehr gab“, sagt Panashchuk. „Ich hatte das Gefühl, wie ein Idiot behandelt zu werden.“

    Laut Panashchuk sind auch die Überweisungen aus Deutschland für Gehalt und Büro nicht mehr pünktlich gekommen. Mails und Chat-Verläufe, die Übermedien einsehen konnte, zeigen, wie er sich immer wieder nach dem ausbleibenden Geld und noch nicht bearbeiteten Texten erkundigt und keine Antwort bekommt oder vertröstet wird.

    Im November wurden die Redakteure in Odessa aufgefordert, in den Tweets die Namen der Autoren nicht mehr zu erwähnen. Der Twitter-Account war der zentrale Publikationsort des Teams in Odessa. Hier veröffentlichte es Nachrichten, Fotos, Videos und Infografiken aus Odessa. Auf ihn hatten die Redakteure direkten Zugriff – im Gegensatz zur Internetseite.

    Benjamin Fredrich erklärt die Vorgabe, keine Namen in den Tweets mehr zu nennen, damit, dass „wir als Team arbeiten“. Die Namensnennung sei bei „Katapult“ und anderen Medien keine gängige Praxis. Allerdings war diese Praxis zu Beginn der Zusammenarbeit mit Sergey Panashchuk und dem Team schriftlich vereinbart worden.

    Ein Bericht mit eigenen Fotos aus der gerade befreiten Stadt Kherson, den das Team am 16. November nach Greifswald geschickt habe, sei nie veröffentlicht worden, sagt Sergey Panashchuk. Am 21. November schließlich habe Fredrich ihm per Whatsapp mitgeteilt, dass es fast kein Geld mehr gebe, und er die ausstehenden Gehälter für Oktober und November nicht mehr zahlen werde. Man könne nur noch für einzelne Artikel zahlen.

    „Ich habe darauf bestanden, dass das Odessa-Team für Oktober und November bezahlt werden müsse“, sagt Panashchuk. Später hätten die Mitglieder des Teams an Fredrich geschrieben und ihr Geld verlangt. Seine Antwort lautete:

    „Ich hatte euch angeboten, ab jetzt unkompliziert per Artikel, per Post oder per Bild abzurechnen. Das muss für euch nicht schlechter sein. Auf diese Weise hättet ihr durchaus mehr Geld als 1.650 pro Monat bekommen können. Andere Journalisten aus der Ukraine bekommen auf diese Weise höhere Summen von uns.“

    Angesichts der Tatsache, dass nur noch wenige Artikel veröffentlicht wurden, obwohl das Team nach seiner Darstellung eigentlich gerne viel mehr gearbeitet hätte, hält Sergey Panashchuk es für extrem unwahrscheinlich, dass seine Mitarbeiter durch die Zahlung pro Artikel auf ein ähnliches Einkommen gekommen wären wie bisher. Dass andere Journalisten das geschafft hätten, findet er zweifelhaft, jedenfalls sei nicht zu erkennen, wo deren Arbeiten veröffentlicht worden wären.
    „Wir wollen nun gar nicht mehr mit euch arbeiten“

    Benjamin Fredrich stellt die Vorgänge ganz anders dar. Dass ukrainische Mitarbeiter im Sommer teilweise lange auf ihre Honorare warten mussten, erklärt er damit, dass manche „sehr wenig Artikel und Bilder abgeliefert“ hätten „und wir das erst prüfen mussten“.

    Auf die Frage, warum er sich weigere, die Gehälter der Redakteur:innen in Odessa für Oktober und November zu zahlen, antwortet er: „Es gab nie Gehälter für das Büro in Odessa. Die Leute haben als Pauschalist:innen gearbeitet.“ Aber auch Pauschalen lassen sich nicht einfach nachträglich streichen, und in den monatlichen Überweisungen stand ausdrücklich „SALARY“ und „GEHALTSZAHLUNG“.

    Fredrich behauptet gegenüber Übermedien: „Das Team in Odessa hat über Wochen keine Artikel produziert und nur wenige Tweets veröffentlicht, wobei die qualitativ weit unter unseren Erwartungen blieben.“ Deshalb habe er die Zahlweise geändert, von pauschal auf pro Artikel.

    Aber sein Angebot an das Odessa-Team, „Artikel (die unseren Standards entsprechen) für uns zu schreiben und diese gut zu bezahlen“, bestehe weiterhin. Auf unsere Frage, warum er die Zusammenarbeit mit dem Team beendet hat, antwortet er: „Ich habe die Zusammenarbeit nicht beendet.“

    In einer Mail am 1. Dezember an Sergey Panashchuk, die Übermedien vorliegt, hatte er jedoch wörtlich geschrieben: „Ich […] beende hiermit unsere Zusammenarbeit.“

    Auch anderen Team-Mitgliedern hatte er ausdrücklich und empört die Zusammenarbeit aufgekündigt, weil sie gemeinsam angekündigt hatten, sich notfalls anwaltliche Unterstützung zu suchen, um ihre ausstehenden Gehälter zu bekommen. Darauf bezogen schrieb er:

    „Durch eure Drohung wollen wir nun aber gar nicht mehr mit euch arbeiten. KATAPULT ist bereit, Geld auszugeben und Leuten zu vertrauen. Wenn dieses Vertrauen verletzt wird, stoppen wir die Zusammenarbeit. In eurem Fall haben wir Hinweise auf eine größere Veruntreuung unserer Gelder durch die Odessa-Büroleitung. Wir wissen nicht wirklich, was mit unserem Geld passiert ist. Es scheint dort größere Probleme mit Korruption zu geben.“

    Worin diese „größere Veruntreuung“ bestehen soll, ist unklar. Fredrich wirft Panashchuk vor, dass die Kosten für das Büro „auf mehr als das Doppelte explodiert seien“. Panashchuk sagt, das seien die Kosten für Reinigung, Strom, Heizung, Benzin, die zusätzlich zu den 300 Euro reiner Miete fällig wurden. Er habe Fredrich vorab eine Liste mit diesen Ausgaben geschickt und das Geld sei entsprechend überwiesen worden. Fredrich bestreitet, darüber informiert gewesen zu sein.

    „Ich gebe Menschen, die für uns arbeiten, gerne viel Freiheit“, schrieb er Panashchuk. „Wenn ich dann sehe, dass etwas nicht stimmt, beende ich es.“

    Panashchuk weist die Unterstellung der Veruntreuung empört zurück – es sei aber schwierig für ihn, darauf zu reagieren, ohne die genauen Vorwürfe zu kennen. In jedem Fall aber hätten die Gehaltszahlungen an die anderen damit nichts zu tun.

    Die Angestellten warten bis heute auf ihr Geld, das sie teilweise dringend benötigen.

    Benjamin Fredrich verweist auf unsere Frage, worin die Veruntreuung besteht, auf die Erhöhung der Bürokosten, und fügt hinzu: „Die Veruntreuung werfe ich nicht vor, die vermute ich lediglich.“ In einer Mail an Sergej Panashchuk hatte er geschrieben: „ich habe entschieden, die kein Geld mehr zu schicken, weil wir Hinweise auf Veruntreuung unserer Gelder durch dich haben.“
    „Wir wollen das ab jetzt ewig machen“

    Um „Katapult Ukraine“ wurde es nach der plötzlichen Trennung ruhig. Auf der Internetseite erschien im November noch eine Reportage von Benjamin Fredrich selbst, der nach Charkiw gereist war, und danach wochenlang nichts mehr. Fredrich erklärt das damit, dass Travis Sauer „einen langen Heimaturlaub in den USA gemacht hat und sich das ukrainische Team um eine Russischübersetzung eines Buches und die neue Ausgabe gekümmert hat“.

    Im März 2022 hatte Fredrich den längstmöglichen Atem versprochen:

    „Ein Journalist fragte mich vor sechs Tagen, wie lange wir das mit dem Ukraine-Team eigentlich durchziehen wollen, das könne man ja nicht ewig machen. Ich verstehe nicht ganz und frag sicherheitshalber noch mal nach. Wie lange beschäftigen wir bei KATAPULT ukrainische Journalist:innen? Das kann man doch wohl nicht ewig machen. Die Antwort ist, wir wollen das ab jetzt ewig machen.“

    Er schien in Jahrzehnten zu denken – so lange werde die Ukraine „für alle anderen Demokratien von großer Bedeutung sein“. An Pathos sparte er nicht:

    „KATAPULT und die Ukraine, das wird jetzt nicht mehr getrennt – egal, wie der Krieg ausgehen wird! Das könnt ihr allen antworten, die euch fragen.“

    An Geld schien es nicht zu mangeln. „Ihr spendet 190.000 €, wir zahlen Gehälter in die Ukraine“, schrieb Fredrich in einem Artikel Anfang März und schilderte eine überwältigende Flut an Hilfsbereitschaft von Lesern und Unternehmen.

    Ende März stellte er die neue Redaktion vor und veröffentlichte etwas, das er den „ersten Transparenz-Bericht“ zu „Katapult Ukraine“ nannte. Ein zweiter „Transparenz-Bericht“ ist bis heute nicht veröffentlicht worden. Und am ersten gibt es Zweifel.

    Laut der Aufstellung sind zu diesem Zeitpunkt Anfang März einmalige Spenden in Höhe von 260.000 Euro eingegangen. Dem stünden unter anderem Ausgaben für „Ausrüstung für ukrainische Reporter“ (70.000 Euro), „Infrastruktur ukrainische Redaktion“ (25.000 Euro) sowie „Gehalt“ von monatlich 41.000 Euro gegenüber. 37.160 Euro kämen durch Abos monatlich hinzu.
    KATAPULT-Ukraine Transparenz
    Screenshot: „Katapult“

    Wohin ist das Geld geflossen? Nicht alles ins Projekt „Katapult Ukraine“, vermutet Roksana Panashchuk. Sie bezweifelt mehrere Posten auf der Aufstellung, vor allem die angegebenen Gehälter von 41.000 Euro. Sie selbst habe die monatlichen Finanzberichte angefertigt. In keinem Monat seien mehr als 20.000 Euro für Gehälter und Honorar für „Katapult Ukraine“ ausgegeben worden. Fredrich sagt, das sei falsch.

    Am 2. März hatte Fredrich auf der Webseite verkündet, man habe die ersten 15 ukrainischen Journalisten eingestellt. Vier Wochen später gab er bekannt: „Unsere neue Redaktion steht.“ Im Text heißt es, „21 ukrainische Journalist:innen und Fotograf:innen“ arbeiteten seit ein paar Wochen „bei uns“, und weil genug Geld da sei, „holen wir noch weitere fünf Leute aus der Ukraine dazu“.
    Screenshot: „Katapult“

    Ein Bildermosaik soll das „KATAPULT-Ukraine Team“ zeigen. Zu sehen sind 16 Menschen. Zwei der gezeigten sind Roksana und Sergey Panashchuk. Von fast allen anderen finden sich allerdings nur einzelne Artikel aus dem März 2022 auf der „Katapult“-Website.

    Auf die Frage, wer die „Gehälter“ in Höhe von 41.000 Euro bekommen hat, verweist Benjamin Fredrich auf eine Liste, die er mitschickt, von 21 Leuten, „die anfangs bei uns gearbeitet haben“: „Ein Teil davon hat leider keine journalistische Arbeit gemacht. Wir haben uns von einigen wieder getrennt, weil die Qualität nicht gestimmt hat oder bspw stereotype Sprache verwendet wurde. Andere sind ein paar Monate bei uns gewesen und dann wegen Familienzusammenführungen wieder aus Greifswald weggezogen.“

    Aber auch Mitte Juni ist in einem Artikel von 24 Frauen und Männern die Rede, die „bislang eingestellt wurden“. Roksana und Sergey Panashchuk bezweifeln, dass je so viele ukrainische Journalistinnen und Journalisten von „Katapult Ukraine“ eingestellt wurden.

    „Es war von Anfang an alles übertrieben“, sagt Sergey Panashchuk. „Nach allem, was passiert ist, und nachdem ich das verdauen konnte, glaube ich: Das war von Anfang an so geplant. Benjamin nutzte die Situation hier für seine eigene PR und seinen eigenen Hype. Er schaffte die Illusion einer großen Hilfsorganisation für ukrainische Journalisten.“

    Roksana Panashchuk sagt: „Ich vermute, er wollte nur Geld, um seine Journalistenschule bauen zu können. Ich glaube, er hat uns benutzt, um Geld zu sammeln.“ Fredrich widerspricht: Die Projekte seien getrennt. Es sei kein Geld, das für „Katapult Ukraine“ gezahlt wurde, für andere „Katapult“-Projekte verwendet worden.
    Jeder Cent an Journalisten und Medien in der Ukraine?

    „Katapult“ wirbt auf seiner Homepage bis heute dafür, „Katapult Ukraine“ zu abonnieren – für 10, 20 oder 200 Euro im Monat. „KATAPULT-Mitarbeitende verzichten auf 50 % Gehalt und stellen 20 Mitarbeitende aus der Ukraine ein!“, heißt es dort. „Wir werden ein Newsteam aufbauen – mit Leuten, die in der Ukraine bleiben, mit welchen, die gerade nach Deutschland flüchten, und mit welchen, die in die Ukraine reisen werden. Ab und zu wird gedruckt.“

    Ab und zu? „Wie oft die Zeitung gedruckt werden soll, entscheidet ihr!“, heißt es auf der Website. „Wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich?“ Nun schreibt Fredrich uns auf Anfrage, geplant seien zwei Ausgaben im Jahr. Die erste sei Mitte Dezember in Druck gegangen und „direkt an alle Abonnent:innen verschickt“ worden.

    Am Tag nach dem Kriegsausbruch hatte Benjamin Fredrich erstmals zu Spenden für die Ukraine aufgerufen. „Wir haben ein Spendenkonto angelegt“, schrieb er, „und wir werden jeden Cent an Journalisten und Medien in der Ukraine senden.“

    Heute sagt er auf unsere Anfrage, dass insgesamt 310.000 Euro für das Projekt gespendet worden seien. „Damit haben wir ein Geflüchtetenheim gebaut, eine Redaktion gegründet, eine Redaktion in Odessa gegründet (die derzeit inaktiv ist), die Stadt Greifswald finanziell bei der Erstaufnahmeausstattung unterstützt und bei mehreren Fahrten Hilfsgüter, Sicherheitskleidung, Medikamente, elektronische Geräte in die Ukraine gebracht und Kleidung, Matratzen, und Betten an Aufnahmelager in Vorpommern übergeben.“

    Die Zahl der Abonnenten gibt er mit 1.990 an. „Über die Abos werden die laufenden Kosten der Ukraine-Redaktion (angestellte und freie Journalisten und Druckkosten) bezahlt.“ Auf die Frage, wer derzeit für „Katapult Ukraine“ arbeitet, schickt er eine Liste mit 18 Namen, davon sind fünf als „derzeit inaktiv“ gekennzeichnet – das sind die, denen er geschrieben hatte, dass er nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten wird.

    Außerdem stehen die beiden Geschwister Mascha Shykolay und Philliip Shykolay auf seiner Liste, Travis Sauer und Benjamin Fredrich selbst (Zusatz: „ohne Gehalt“). Sechs weitere Ukrainer:innen sind angegeben, darunter welche, von denen zuletzt Artikel im September oder gar im März 2022 veröffentlicht wurden. Sophie Kopach, die ebenfalls als aktuelle Mitarbeiterin geführt wird, sagt dazu: „Im September und Oktober haben sie zwei Artikel von mir veröffentlicht. Dann hat mir Travis geschrieben, dass sie keinen Platz mehr hätten. Seitdem haben sie keine Artikel von mir veröffentlicht. Sie haben mir für die letzten zwei Artikel noch nicht das Honorar gezahlt. Ich warte inzwischen seit fünf Monaten darauf.“

    Immerhin erscheinen jetzt wieder täglich Artikel oder Karten auf der Website von „Katapult Ukraine“ – exakt seit dem Tag, an dem wir unseren Fragenkatalog an Fredrich und die Redaktion geschickt haben, dessen erste Frage lautet: „Was ist aus dem Projekt ‚Katapult Ukraine‘ geworden?“

    Zu den neuen Inhalten gehört eine Karte, die in gebrochenem Deutsch und unter der rätselhaften Überschrift „Selenskyj ist heute 45. Biografie“ anmoderiert wird und mehrere faktische Fehler enthält. Nicht nur angesichts dessen können es Roksana und Sergey Panashchuk nicht glauben, dass ausgerechnet sie sich nun im Nachhinein vorwerfen lassen müssen, dass ihre Arbeit nicht gut genug gewesen sei. Benjamin Fredrich schrieb uns in Bezug auf die Arbeit des Ukraine-Teams, deren Qualität habe sich „nicht masgeeblich verbessert“ [sic!].
    Ein Schock

    Sergey Panashchuk sagt, er könne sich bis heute nicht erklären, was bei „Katapult Ukraine“ passiert ist und womit sein Team in Odessa es verdient habe, so ungerecht behandelt zu werden. Roksana und er betonen, wie wichtig sie ihre Aufgabe fanden, wie viel Mühe sich sich gegeben hätten, damit es funktioniert. „Ich war stolz auf das Projekt und habe mich immer mit Benjamin und Travis abgesprochen“, sagt Sergey Panashchuk. Dass Fredrich sich entschied, die Zusammenarbeit so zu beenden, „war ein Schock für mich.“

    Was ist wirklich schiefgelaufen bei „Katapult Ukraine“? Wie viel war Unprofessionalität oder Überforderung und wieviel Kalkül? Fest steht, dass „Katapult“ das Projekt immer wieder übertrieben dargestellt hat, zum Beispiel dadurch, dass öffentlich behauptet wurde, dass ukrainische Journalisten „eingestellt“ wurden, wenn sie in Wahrheit offenbar nur frei ein oder zwei Artikel schrieben. Von der versprochenen Transparenz ist nichts geblieben, die Auskünfte Fredrichs sind zweifelhaft.

    Im Nachhinein macht er den ehemaligen ukrainischen Mitarbeitern Vorwürfe, von denen die sagen, sie wären während ihrer Arbeit nie geäußert worden. Und er spricht von einem größeren Problem mit Korruption im Büro in Odessa – wenn es im Kern offenbar um ein paar Hundert Euro für Reise- und Büronebenkosten geht, von denen Benjamin Fredrich entweder wusste oder nicht.

    Sergey Panashchuk sagt: „Ich fühle mich verantwortlich, ich muss etwas für das Team tun.“ Deshalb kämpft er dafür, dass es die noch ausstehenden Gehälter bekommt. Aber er hat auch eine neue Organisation gegründet und offiziell registriert: „Save UA Media“. Ein Ziel ist es, neue Arbeitsplätze zu schaffen für die Leute, die vorher bei „Katapult Ukraine“ gearbeitet haben.

    Nachtrag. Benjamin Fredrich ist als Geschäftsführer und Chefredakteur von „Katapult“ zurückgetreten.

    Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.

    #Allemagne #Ukraine #médias #journaliame #cartographie

  • Berliner Zeitung: Wie Silke und Holger Friedrich ihr Geld verdienen
    https://www.manager-magazin.de/unternehmen/berliner-zeitung-wie-silke-und-holger-friedrich-ihr-geld-verdienen-a

    18.11.2019 von Philipp Alvares de Souza Soares - Vor wenigen Wochen übernahm das Ehepaar Friedrich die „Berliner Zeitung“. Nun stellen sich grundlegende Fragen. Denn in ihrem Reich verwischen die Geschäftsleute die üblichen Grenzen.

    Als Unternehmer sind Holger (53) und Silke Friedrich (47) äußerst selbstbewusst. Sie verhehlen kaum, dass sie sich anderen überlegen fühlen. Was früher allerdings nur Geschäftspartnern oder Mitarbeitern offenbar wurde, erfährt nun das ganze Land.

    Im Herbst kaufte das Ehepaar dem DuMont-Verlag die kriselnde „Berliner Zeitung“ ab. Seitdem nutzen die Friedrichs das Traditionsblatt gern auch, um ihre eigenen Ansichten zu verbreiten. Sie dankten Egon Krenz, hoben ihre IT-Kompetenz hervor oder beantworteten vorab kritische Presseanfragen zu Holgers Stasi-Vergangenheit.

    In der Tech-Szene indes fiel Holger Friedrich, der mit seinem IT-Unternehmen Core SE vor allem für Banken arbeitet, immer wieder auch durch sein Talent auf, trotz Misserfolgs der von ihm betreuten Projekte viel Geld zu verdienen. So steht Core etwa hinter dem Bezahldienst Paydirekt, mit dem die deutschen Banken PayPal Kunden abjagen wollten, oder hinter der Identitätsplattform Verimi, einem nur sehr schleppend gestarteten Gemeinschaftsprojekt von Allianz, Axel Springer, Deutscher Bank, Lufthansa und anderen Schwergewichten.

    Beide Angebote gelten in der Digitalszene als teure Rohrkrepierer. Entwicklung und Betrieb von Paydirekt haben mehrere hundert Millionen Euro verschlungen, der Dienst rangiert in Umfragen aber weit hinter Paypal, Sofortüberweisung, Amazon Pay und anderen Konkurrenten. Verimi vermeldete 2018 gerade mal 13.000 registrierte Nutzer. Aktuelle Zahlen möchte das Unternehmen auf Anfrage nicht preisgeben.

    Das hindert Friedrich allerdings nicht an großen Visionen. Er sieht Core offenbar als Börsenkandidat, wie er intern wie extern mehrfach betont haben soll.

    Wie so oft bei den Friedrichs verwischten bei Verimi sonst übliche Grenzen. Holger Friedrich war via Core nicht nur Gesellschafter, sondern zeitweise auch Geschäftsführer von Verimi – und als Dienstleister der maßgebliche Auftragnehmer. Ein Interessenkonflikt, der gerade bei Konzernprojekten normalerweise vermieden wird.

    Die Entwicklung des Kernprodukts, eines sogenannten „Generalschlüssels“ für Onlinedienste, wurde nach der gemeinschaftlichen Gründung nicht ausgeschrieben, sondern Friedrichs Core übertragen. Erst spät hat Verimi eine eigene IT-Mannschaft aufgebaut, mit der man sich von Friedrichs Truppe emanzipieren konnte. Heute sei das Unternehmen „sauber“, betont ein Insider.

    Für Friedrich hat es sich trotzdem gelohnt. Seine Firma war nicht nur für die Programmierung, sondern auch als Beratung bei Verimi tätig, wofür man vierstellige Tagessätze berechnet haben soll. Core, heißt es in Unternehmenskreisen, habe mit den Verimi-Aufträgen bislang mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag eingenommen. Die Doppelrolle als Gesellschafter und Dienstleister macht es also möglich, dass Core trotz bisherigen Misserfolgs bei den Nutzern von dem Engagement profitiert.

    Während etwa die Deutsche Bank nach wie vor Cores Leistungen lobt, fühlen sich andere Beteiligte „über den Tisch gezogen“. Zu den Unzufriedenen gehört auch Axel Springer, das anfangs die Verlagsmanagerin Donata Hopfen (43) als Co-Geschäftsführerin entsandt hatte. Im April 2018 hatte Hopfen das Unternehmen im Streit verlassen.

    Verimi dementiert auf Anfrage einen Konflikt um Core, auch Friedrichs Abtritt als Geschäftsführer Ende April 2019 sei von Anfang an geplant gewesen. Springer möchte sich nicht äußern.

    Das Vermögen der Friedrichs speist sich maßgeblich aus dem Verkauf des IT-Unternehmens SPM Technologies GmbH an den Softwareriesen SAP im Jahr 2004. Über eine Familienholding halten sie heute ihre Core-Anteile. Von hier gibt es zahlreiche Verbindungen zu ihren anderen Aktivitäten. Das Unternehmen residiert in einer opulenten Villa der Friedrichs am Wannsee, wo auch die Schauspielerin Angelina Jolie übernachtet haben soll, als Brad Pitt für das Weltkriegsdrama „Inglourious Basterds“ in Berlin drehte. Und es nutzt Büroflächen in dem bekannten Veranstaltungsort Ewerk in Berlin-Mitte – das ebenfalls den Friedrichs gehört.

    Das unternehmerische Geschick des Ehepaars offenbart sich auch an Berlins größter internationaler Privatschule, der „Metropolitan School“ im Stadtteil Mitte. Hier fungiert Silke Friedrich als Executive Director. Sie führt die Schule, die als gemeinnützige GmbH auftritt und allein 2018 öffentliche Gelder in Höhe von 7,37 Millionen Euro einstrich – fast 43 Prozent des Umsatzes. Der Rest sind Schul- und Aufnahmegebühren.

    Auch dieses Geschäftsmodell steht in der Kritik. Der Bildungsjurist Michael Wrase, Professor am Wissenschaftszentrum Berlin, hält die Förderung angesichts von hohen Schulgeldern, die arme Kinder ausschließen, für verfassungswidrig. „Die Senatsverwaltung schaut bewusst weg“, klagt Wrase. Selbst Eltern mit einem Jahresbruttoeinkommen von weniger als 30.000 Euro müssen derzeit mindestens 100 Euro im Monat zahlen. Andere Berliner Privatschulen agieren ähnlich. Eine neue, strengere Regulierung, die geringere Mindestgebühren vorsieht, wird vom rot-rot-grünen Senat verschleppt.

    Die Berliner Senatsverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass man der Metropolitan School nach einer Prüfung der Schulgeldregelung 2017 und 2018 Auflagen erteilt habe, die erfüllt worden seien. Welche das sind, bleibt offen.

    Indirekt spielt auch Holger Friedrich bei der Metropolitan School eine maßgebliche Rolle: Er kümmert sich als Eigentümer und Geschäftsführer um die Berlin Metropolitan Service GmbH, der die Schule inklusive der gGmbH gehört. Eine eigenwillige Konstruktion. Allein für Mietzahlungen überweist die Schule der Service GmbH jedes Jahr über 1,7 Millionen Euro. Laut Bundesanzeiger verfügte die Service GmbH 2017 über Grundstücke und Bauten im Wert von 13,46 Millionen Euro. Der Co-Geschäftsführer Toni Goll sitzt auch im Aufsichtsrat der Core SE.

    Den Friedrichs liegt das Bildungsthema offenbar am Herzen. In ihrer „Berliner Zeitung“ erschien kürzlich ein Interview mit dem langjährigen Berliner Schulstaatssekretär Mark Rackles und einem Bildungsforscher. Zwar ging es dort nicht explizit um ihre eigene Schule, aber unter anderem um die Vorzüge von Privatschulen. Die Fragen stellten eine Redakteurin – und Silke Friedrich.

    Die Zeitung als Plattform für die eigenen Geschäftsinteressen – dieses Gefühl stellt sich auch in einem anderen Fall ein, über den der SPIEGEL am Freitag berichtet hatte. Die „Berliner Zeitung“ hatte euphorisch über den Börsengang der ostdeutschen Biotech-Firma Centogene berichtet, ohne darauf hinzuweisen, dass Holger Friedrich dort im Aufsichtsrat sitzt und Anteile hält. Der Hinweis an die Chefredaktion, der den Bericht auslöste, stammte laut „Berliner Zeitung“ von Holger Friedrich persönlich.

    Das manager magazin hat Friedrich gebeten, mehrere Fragen zu Core und der Metropolitan School zu beantworten. Er ließ seinen Anwalt Christian Schertz auf Anfrage mitteilen, dass er „gegenwärtig keine Veranlassung“ sehe, sich zu „geschäftlichen Interna zu äußern“.

    #Allemagne #presse

  • VW stellt weniger E-Autos her – der Anfang vom Ende ?
    https://www.telepolis.de/features/VW-stellt-weniger-E-Autos-her-der-Anfang-vom-Ende-9217944.html?seite=all

    L’industrie automobile d’Allemagne est en train de perdre le marché chinois. En même temps elle sait pas satisfaire la demande de ses clients allemands qui achètent de plus en plus de voitures asiatiques. C’est le résultat du lobbying de l’industrie fossile et de l’abandon du fournisseur de carburant bon marché russe. Étant donné que l’industrie automobile est le noeud central du réseau industriel et économique allemand les perspectives sont plutôt sombres pour l’entière économie allemande.

    17.7.2023 von Hans-Josef Fell - Deutsche Autokonzerne verlieren den Anschluss bei E-Mobilität. Während man gegen höhere Emissionsgrenzwerte vorgeht, schreiten China und USA voran. Droht ein Niedergang wie bei der deutschen Solarindustrie?

    Angesichts angeblicher Kaufzurückhaltung bei E-Autos hat der VW-Vorstand beschlossen, die Produktion von E-Autos im Werk Emden zu drosseln.

    Als Gründe werden eine Verringerung der Förderung in Deutschland sowie hohe Strompreise angegeben. Diese Begründung ist nicht überzeugend, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Strompreise in den letzten Wochen und Monaten weiter gesunken sind und Volkswagen nicht nur in Deutschland E-Autos verkauft.

    Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

    Besonders bemerkenswert ist jedoch, dass der Absatz von E-Autos auch in Deutschland rasant steigt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat die Zulassungszahlen für Juni veröffentlicht – und somit auch die Halbjahresbilanz für die erste Hälfte 2023. Demnach wurden in Deutschland im Juni knapp 54.000 vollelektrische Fahrzeuge zugelassen, was einem Plus von 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat entspricht.

    Ihr Anteil an den Gesamtzulassungen betrug damit 18,9 Prozent. Im ersten Halbjahr sind somit knapp 32 Prozent mehr Elektroautos zugelassen worden als noch im Vorjahr.

    Für viele Beobachter kommt die Schwäche im Verkauf von Volkswagen-E-Autos nicht überraschend und sie sehen die Gründe in der schlechten Aufstellung von VW gegenüber der Konkurrenz aus Fernost und Tesla. Obwohl VW aktuell etwa 19 Prozent am innerdeutschen E-Automarkt hält, scheint dies für den Konzern offensichtlich nicht ausreichend zu sein, weshalb die Produktion gekürzt werden musste.

    Deutsche Hersteller sind im E-Auto-Kleinwagensegment sowie bei der für E-Autos besonders wichtigen Softwareausstattung insgesamt nicht so gut aufgestellt wie die ausländische Konkurrenz. Obwohl VW bidirektionales Laden angekündigt hat, konnte mir das Unternehmen kein bidirektional ladefähiges Auto anbieten, als ich eines kaufen wollte.

    Deshalb entschied ich mich für einen Nissan Leaf. VW hat zwar vor Jahren eine große Politik für E-Autos angekündigt, kann jedoch offensichtlich nicht mit der Konkurrenz aus Fernost und Tesla mithalten.

    Das zeigt sich insbesondere auch im großen chinesischen E-Mobilmarkt. VW und erst recht die anderen deutschen Automobilkonzerne können dort kaum Fuß fassen. Nicht nur die Chinesen wollen mehr als nur einen fahrbaren Untersatz, sie möchten eher ein fahrendes Smartphone. Die Chinesen kaufen daher kaum deutsche E-Autos, was besonders problematisch ist, da VW dadurch einen weiteren großen Absatzmarkt neben Europa verliert.
    Union und Autolobby gegen höhere Emissions-Grenzwerte in EU

    Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass deutsche Hersteller, insbesondere VW und die mit ihnen verbundenen konservativen Politiker aus Union und FDP, immer noch am fossilen Verbrennungsmotor festhalten. Dadurch wird die E-Mobilität nicht in dem Maße verfolgt, wie es beim Verbrennungsmotor der Fall ist.

    Anstatt sich uneingeschränkt der emissionsfreien Mobilität zuzuwenden, lobbyieren die deutschen Konzerne auf europäischer Ebene erneut aggressiv gegen Vorschläge der EU-Kommission zur Verschärfung der Emissionsgrenzwerte von Autos. Der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke bezeichnete den von Frans Timmermans, dem EU-Chef für den Grünen Deal, vertretenen Regulierungsansatz als „schädlich für den Wirtschaftsstandort Europa“.
    Der Verbrennungsmotor: Hypothek der deutschen Automobilindustrie

    Dabei ist es genau umgekehrt. Gerade weil die deutschen Konzerne, allen voran VW, sich zu lange gegen saubere Autos gewehrt haben – ja sogar mit Schadstoffsoftware betrogen haben –, geraten sie nun in Schwierigkeiten. Sie können schlichtweg nicht mit der rasant wachsenden globalen Nachfrage nach emissionsfreien Autos mithalten.

    Der globale Markt für Elektrofahrzeuge wächst sehr schnell. Schon bald wird weltweit jedes fünfte verkaufte Auto elektrisch sein.

    Mit diesem Wachstum schrumpft automatisch der Markt für schmutzige Verbrennungsmotoren, und wer wie VW nicht bei emissionsfreien Antrieben mithalten kann, verliert dann eben insgesamt Marktanteile.

    Selbst nachdem Rupert Stadler, der ehemalige Vorstand von Audi, wegen Betrugs im Abgasskandal verurteilt wurde und alle Vorwürfe gestanden hat, scheinen die führenden Manager der deutschen Automobilbranche nicht aus diesen Fehlern zu lernen und wollen weiterhin schmutzige, gesundheitsschädliche Autos bauen.
    VW und Co.: Kollateralschaden Lungenkrankheiten

    Schmutzige und krank machende fossile Autos verursachen jedes Jahr in Deutschland allein viele zehntausend Todesfälle aufgrund von Lungenerkrankungen. Laut einer neuen Studie, die kürzlich in „The Lancet“ veröffentlicht wurde, wird weltweit jeder sechste Todesfall auf Luftverschmutzung zurückgeführt.

    Gleichzeitig tragen diese Fahrzeuge zur Erderwärmung bei, was zu einer Zunahme von Hitzekranken und Hitzetoten führt. Dennoch wollen Union und FDP weiterhin auf schmutzige fossile Verbrennungsmotoren als Hauptgrundlage des Geschäftsmodells der europäischen Automobilkonzerne setzen.

    Gerade jetzt wäre die Stimme von Gesundheitsminister Lauterbach wichtig, um die Vorschläge der EU-Kommission zur Reduzierung der gesundheitsschädlichen Emissionen zu unterstützen. Doch auch hier herrscht, wie schon in der Vergangenheit, Schweigen, während die Kosten im Gesundheitswesen aufgrund von Kranken durch Luftverschmutzung und Klimaaufheizung weiter steigen.
    Neue Skandale um VW-Manager

    Anstatt sich endlich ihrer ökologischen Verantwortung zu stellen, nehmen die Skandale um die VW-Manager immer weiter zu. Es wurde nun aufgedeckt, dass einige verantwortungslose Manager Steuererleichterungen für ihre Flugreisen mit Privat- und Firmenjets ausnutzten.

    Statt sich ausreichend um Klimaschutz und die Entwicklung kundenfreundlicher sauberer Autos zu kümmern, die keine gesundheitlichen Schäden verursachen, haben sie Kunden und staatliche Behörden mit Betrugssoftware getäuscht und nutzen Steuererleichterungen für ihren luxuriösen Lebensstil mit Privat- und Firmenjets.

    Letztendlich fahren sie damit ihre eigenen Automobilkonzerne an die Wand, da die internationale Konkurrenz längst auf den unaufhaltsamen Zug der sauberen und umweltfreundlichen Elektromobilität aufgesprungen ist. Diese Einsicht scheinen viele deutsche Automanager nicht wirklich zu besitzen, während sie weiterhin auf den Verbrennungsmotor, der kaum noch eine Zukunft haben wird, setzen.

    Die Leidtragenden werden die vielen Beschäftigten bei VW und Co. sein, insbesondere auf mittleren Ebenen, wo hochengagierte IngenieurInnen die emissionsfreie Mobilität auch innerhalb der Konzerne vorantreiben. Jedoch werden auch sie letztendlich nicht in der Lage sein, den rasant wachsenden Wettbewerb aus Fernost und den USA abzuwehren und somit den Niedergang des VW-Konzerns zu verhindern.
    Chinesischer Erfolg bei E-Autos: Strenge Emissionsgrenzwerte

    Der Aufstieg der sauberen Mobilität in China wurde nicht zuletzt durch immer strengere Emissionsgrenzwerte geschaffen, die die deutschen Konzerne, sowie Union und FDP in der EU permanent verweigern. Die Drosselung der E-Mobilitätsproduktion von VW in Emden sollte ein letzter Warnschuss sein.

    Das Chinageschäft scheint für VW bereits weitgehend verloren zu sein, da zum 1. Juli 2023 neue Schadstoffgrenzwerte für Autos in China in Kraft getreten sind, die VW mit seiner Flotte kaum einhalten kann. Diese Grenzwerte, die Kanzlerin Merkel und Minister Gabriel im Jahr 2018 mit einem Besuch in Beijing noch verhindern wollten, hätten besser in deutsche Gesetze umgesetzt werden sollen, anstatt dem Lobbyismus der Abgasbetrüger von VW nachzugeben.

    Jetzt kann VW auf dem rasant wachsenden chinesischen Markt für E-Mobilität nicht mehr mithalten. Und nun erobern Hersteller aus Fernost und Tesla zunehmend auch den europäischen und deutschen Markt. Gleichzeitig drosselt VW die Produktion von E-Autos in Emden. Die Alarmglocken könnten nicht schriller klingen.

    Ich befürchte, dass die deutsche Automobilwirtschaft den Weg in den Niedergang einschlagen wird, ähnlich wie es vor zehn Jahren der aufblühenden Solarindustrie in Deutschland erging: ein weitgehender Zusammenbruch in Deutschland und ein Aufblühen in Fernost.

    Nur werden die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft diesmal noch viel dramatischer sein, da die Automobilindustrie immer noch die größte Stütze der deutschen Industrie ist.

    Die Schuld daran tragen erneut vor allem Politiker aus der Union und der FDP, die bereits im Jahr 2012 die Solarindustrie wegen des Schutzes von Erdgas- und Kohlestrom nach China vertrieben haben. Selbst heute noch, wie am Beispiel des Europaabgeordneten Jens Gieseke (CDU) zu sehen ist, hören sie weiterhin nur auf den Lobbyismus verantwortungsloser Spitzenmanager von VW, anstatt sich endlich bedingungslos für Klimaschutz, Luftreinhaltung und saubere Mobilität einzusetzen.

    Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien und Sprecher der Bürgerinitiative Bürger Solarfabrik.

    #Allemagne #économie #énergie

  • Letzte Generation : Schnellverfahren gescheitert – Klatsche für Staatsanwaltschaft
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/letzte-generation-schnellverfahren-gescheitert-klatsche-fuer-staats

    A Berlin un procès contre un militant anti-rechauffement climatique qui a participé à un blocage de la circulation routière ne se passera pas suivant le protocole de comparution immédiate. Le procureur d’état a essayé de faire appliquer la procédure expéditive mais la juge a éstimé qu’il y a trop d’éléments à vérifier pour arriver à un jugement bien fondé. Les actes de déobéissance civile commis par les activistes de « la dernière génération » sont présenté par les médias de droite comme des actes criminels à punir ave sévérité pour les faire cesser.

    11.7.2023 von Katrin Bischoff - Die Richterin sieht den Fall einer Straßenblockade in Berlin als nicht geeignet für ein beschleunigtes Verfahren an. Sie setzt die Verhandlung gegen den Angeklagten aus.

    Zwei Stunden und 40 Minuten lief am Dienstag das erste beschleunigte Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten, das die Berliner Staatsanwaltschaft gegen ein Mitglied der Letzten Generation beantragt hatte. Der Angeklagte soll sich an einer Straßenblockade beteiligt haben. Auch ein Zeuge war bereits gehört worden. Dann machte die Richterin Lola Petersen diesem Prozess ein Ende. „Die Sache ist für ein beschleunigtes Verfahren nicht geeignet“, entschied sie am Nachmittag. Es handle sich um keinen einfachen Sachverhalt und keine klare Beweislage. Beides sind Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren.

    Petersen sagte, es sei in der Akte nicht ausreichend dokumentiert worden, welche Auswirkungen die Straßenblockade gehabt habe. Das heißt: Die Ermittlungen reichten nicht aus. Es seien weitere Zeugen erforderlich, die nun „zur Aufklärungspflicht“ in einem regulären Verfahren gehört werden müssten.

    Die Entscheidung ist eine Klatsche für die Berliner Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beantragt hatte. Damit gab die Richterin letztlich doch noch den Anwälten des angeklagten Julian L. recht, die einen schnellen Prozess abgelehnt und deswegen zu Beginn der Verhandlung mehrfach die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatten.

    Ihr Mandant, ein 35-jähriger Student der Geoökologie, soll sich am 11. November des vergangenen Jahres an der Kreuzung Warschauer Straße Frankfurter Tor in Friedrichshain an einer Blockadeaktion der Gruppe Letzte Generation beteiligt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Studenten Nötigung vor.

    Es ging an diesem Verhandlungstag nicht so sehr um den Tatvorwurf gegen den Angeklagten, sondern vielmehr um die Frage: Können die Klima-Kleber in beschleunigten Verfahren abgeurteilt werden? Eignen sich solche Fälle für derartige schnelle Prozesse? Beschleunigte Verfahren sind möglich, wenn der Sachverhalt einfach, die Beweislage eindeutig, für die Tat keine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist und die Angeklagten ein Geständnis abgelegt haben.

    Die Verteidiger von Julian L. hatten bereits zu Beginn des Prozesses erklärt, dass ein solches Verfahren im Fall ihres Mandanten ungeeignet sei. Viel zu spät sei ihnen Akteneinsicht gewährt worden. Damit würden die Rechte des Angeklagten verletzt. Der Sachverhalt gehe auch weit über den „schlanken Anklagesatz“ der Staatsanwältin hinaus, hatte Verteidiger Tobias Krenzel bemängelt. Zudem sei der Angeklagte nicht geständig.

    Das beschleunigte Verfahren gegen den Angeklagten sei allein eine politische Entscheidung der Staatsanwaltschaft, so Krenzel. Die Anwälte verwiesen zudem auf ein Interview, das Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner Ende Mai der Bild-Zeitung gegeben hatte. Darin enthaltene Aussagen würden sie als politische Einflussnahme wahrnehmen, sagten die Verteidiger. Der CDU-Politiker hatte unter anderem erklärt: „Ich will beschleunigte Verfahren für die Klima-Kleber einführen, damit wir hier zu schnellen Urteilen kommen.“

    Drei Wochen später kündigte die Staatsanwaltschaft an, künftig mit beschleunigten Verfahren gegen die Aktivisten vorzugehen. Auch um die Behörde zu entlasten, die zu dieser Zeit immerhin 2146 Verfahren unter anderem gegen Straßenblockierer zu bearbeiten hatte, etwa 90 Prozent davon richteten sich gegen Mitglieder der Letzten Generation.

    Seither hat die Staatsanwaltschaft 25 Anträge auf beschleunigte Verfahren beim Amtsgericht Tiergarten gestellt. Dort entstanden daraufhin fünf neue Abteilungen für derartige Fälle. Zwei dieser Abteilungen sind derzeit besetzt, eine davon mit Richterin Lola Petersen. 13 der Anträge hatte sie auf dem Tisch, zwei davon lehnte sie bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung ab. Einen Antrag entschied sie jetzt im Gerichtssaal. Die Verfahren müssen nun in einem normalen Strafprozess verhandelt werden.

    Schon bei Prozessbeginn hatte Richterin Petersen erklärt, sie habe bereits bei Eingang der „ganz schön dünnen Akte“ im Fall Julian L. ihre Zweifel gehabt, ob sich die Sache für ein beschleunigtes Verfahren eigne, die Frage aber zu dieser Zeit noch ganz knapp bejaht. Sie habe die Beweisaufnahme abwarten wollen und gedacht, die Schwächen der Dokumentation könnten in der Verhandlung ausgeglichen werden. Bei einer Nötigung spiele die Frage der Verwerflichkeit eine Rolle und damit die Auswirkungen auf die Menschen, die von Staus betroffen seien.

    Verteidiger Tobias Krenzel zeigte sich nach der Entscheidung zufrieden. Er sagte, die Staatsanwaltschaft sei mit dem Versuch, gegen einen Klimaaktivisten ein beschleunigtes Verfahren durchzuziehen, gegen die Wand gefahren. In einem solchen Fall müsse richtig ermittelt werden. Man könne nicht einfach mit dem Schwamm drübergehen, nur weil es so viele Blockadeaktionen gibt.

    #Allemagne #Berlin #justice #comparution_immédiate #climat #désobéissance_civile

  • Conrad Kunze - Deutschland als Autobahn
    https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5943-6/deutschland-als-autobahn/?number=978-3-8394-5943-0


    Téléchargez et lisez ce livre pour comprendre pourquoi l’Autobahn est vraiment un projet nazi. On se battra jusqu’au dernier homne, jusqu"à notre dernière goutte de sang pour défendre ce patrimoine de l’empire de 1000 ans. Heil Autobahn ;-)

    Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus

    Sie ist die Heldin der heimlichen Nationalhymne und das hiesige Äquivalent zum Waffenwahn der USA. Schon in ihren Anfängen war sie ein rechter Raum für die vom Futurismus besungene neue Männlichkeit: die Autobahn. Mussolini und Hitler machten sie nicht zufällig zu Staatsprojekten ersten Ranges und ihre Propaganda überdauert versteckt bis heute – und zeigt sich zunehmend wieder ganz offen. Mit dem drohenden Klimakollaps ist überdeutlich, dass Auto und Autobahn historische Fehler waren. Conrad Kunze liefert eine Handreichung für alle, die davon träumen, diese Form der fossilen Moderne zugunsten einer Moderne von Klimaschutz und Emanzipation zu überwinden.
    Kapitel-Übersicht

    Frontmatter
    Seiten 1 - 6
    Inhalt
    Seiten 7 - 8
    Danksagung
    Seiten 9 - 10
    Das Auto wider die Vernunft – Vorrede zur Methode
    Seiten 11 - 16
    Einleitung
    Seiten 17 - 30
    Der Futurismus – Automobil und neue Männlichkeit
    Seiten 31 - 48
    Vorläufer der Autobahn: Long Island, Avus, Autostrada und Köllner Kraftfahrstraße
    Seiten 49 - 62
    Die Moderne des Faschismus
    Seiten 63 - 72
    Das fossile Kapital hinter der NSDAP
    Seiten 73 - 116
    Wurden die Deutschen verführt?
    Seiten 117 - 138
    Staatlich verwaltete Männlichkeit
    Seiten 139 - 228
    Holocaust: Vernichtung durch Arbeit im Straßenbau
    Seiten 229 - 274
    Hat die Autobahn Deutschland den Sieg gekostet?
    Seiten 275 - 280
    Entnazifizierungsversuche
    Seiten 281 - 302
    Bundesrepublik
    Seiten 303 - 322
    DDR
    Seiten 323 - 360
    Postsozialismus (1990 – )
    Seiten 361 - 390
    Das giftige Erbe
    Seiten 391 - 418
    Anfang im Ende
    Seiten 419 - 430
    Epilog – Definition des Automobilismus
    Seiten 431 - 444
    Literatur
    Seiten 445 - 460

    Merci à Peter Nowak pour ce lien.
    https://www.telepolis.de/features/Wie-faschistisch-sind-die-deutschen-Autobahnen-9213346.html?seite=all

    #Allemagne #nazis #Autobahn

    • French riots show how entrenched inequalities have become

      The gulf between immigrants and those born in the country is larger than in almost any other developed nation

      Imagine two countries. The first is proudly Christian, it allowed racial segregation in living memory and racism is mentioned more frequently in its media than anywhere else in the developed world. The second is strictly secular and legally prohibits the collection of data on people’s race, a conscious effort by its leaders to avoid using ethnicity to differentiate or divide.

      Which do you think would offer people from diverse racial and religious backgrounds the best prospects of success? Of becoming equal participants in society? The answers revealed in the data are surprising.

      In 2021, US unemployment was 5.5 per cent for those born in the country, and 5.6 per cent for those born overseas. Black and white employment rates are now neck and neck. In France, unemployment is seven per cent among those born in the country, but 12 per cent for immigrants, rising past 17 per cent among those who arrived in the last ten years. Comparisons with Britain, whose demographics and colonial history perhaps make for a fairer benchmark, are similarly damning.

      Following a week of rioting across France, spurred by the death of a teenager of North African descent shot dead by police at a traffic stop, these statistics are worth revisiting. While the number of arrests has declined this week, the need for a serious conversation about how France continues to fail its immigrant communities and their neighbourhoods remains.

      Just as in France’s 2005 bout of urban violence, or London’s own riots in 2011, fractious relations between police and ethnic minorities provided the spark for unrest fuelled by deprivation and social exclusion. Rioters tend to come disproportionately from disadvantaged neighbourhoods: those who don’t have a stake in society have little to lose in burning it down.

      Across the west, young black and brown men have grown bitterly used to being disproportionately targeted by police stop and searches, but the magnitude of the disparity in France is shocking. In London, black people are between two and three times as likely to be apprehended as their white counterparts, but in Paris the figure rises to six times, and almost eight times for those of Arab origin.

      Encounters with French police are more lethal, too, as officers are routinely armed and are allowed to shoot at people who don’t comply with traffic stops if they are deemed to pose a safety risk. There were 26 fatal police shootings in France in 2022, compared to just 2 in the UK, and in the past 18 months French police have shot dead 17 people during traffic stops such as that which sparked the latest riots.

      Last Friday as the unrest escalated, the two largest police unions released a statement declaring they were “at war” with “vermin” and “savage hordes”. This culture of hostility has grown since Nicolas Sarkozy abandoned neighbourhood policing two decades ago, in favour of more repressive tactics. A future government led by Marine Le Pen’s far-right party would surely only lean into the adversarial approach.

      And there is little sign of improvement on integration. One in five of France’s foreign-born population believe they are discriminated against, the joint highest with Italy in the developed world. Meanwhile France’s immigrants are almost three times as likely as those born in the country to be in poverty. In the UK, the poverty rates between immigrants and others are the same.

      This French disparity is compounded by decades of failed urban policy resulting in immigrant communities being concentrated in the banlieues, emphasising their otherness and hampering social mobility. The cheek-by-jowl nature of wealth and poverty in London comes with its own problems, but has been a buttress against the ossification of inequality seen in France. Twenty-eight per cent of recent French immigrants are now in the lowest tenth of earners, compared to just eight per cent of non-immigrants. In the UK, the figure is ten per cent regardless of country of birth.

      Despite claims that France is race-blind, the data tells a different story. Without reforms in both policing and social exclusion, there is little hope that these violent episodes will cease any time soon.

      john.burn-murdoch@ft.com, @jburnmurdoch

    • Les langues se délient dans la presse étrangères. Très bien. Mais à moins qu’une agence de notation dégrade à nouveau la France sur le marché de la dette, quels bénéfices pourrait-on retirer de ce « Macronie bashing » ?
      Sur un horizon proche, perso, je ne vois que des emmerdes. Les « investisseurs » se désinvestissent (trop d’insécurité). La France ainsi ostracisée perd tout crédit sur la scène internationale (n’est pas Donald Trump qui veut).
      Le gouverne-ment s’arqueboute sur un déni de plus en plus surréaliste. Pendant qu’une grande partie de la population tombe dans la précarité voire la misère, le pays « se tient sage » grâce à la propagande de Brave France Macronnienne (BFM) et consorts...
      {edit] j’oubliais grâce aussi au lobbying intense des « syndicats » du crime policier.

  • Die Berliner Zeitung erzählt einen Araberwitz.
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/der-100-tag-im-bushido-prozess-sie-wissen-noch-immer-nicht-wer-wir-

    Kommen Nasser, Yasser, Arafat und Rommel Abou-Chaker ins Landgericht in Moabit ...

    Aber vielleicht sollte das auch ein Juristenwitz werden.

    Bevor allerdings der Zeuge befragt wird, hält Arafat Abou-Chakers Verteidigung ein T-Shirt in die Höhe, das dieser „von einem Fan“ geschenkt bekommen habe. Es ist olivfarben; darauf ist ein Gerichtsgebäude abgedruckt. Darüber steht: „Jubiläum 100. Prozesstag Abou-Chaker vs. Bushido“. Der Anwalt fügt leise an, dass die Reihenfolge ja wohl eigentlich umgekehrt sein müsse.

    #Allemagne #Berlin #justice #wtf

  • Unsicherer Herkunftsstaat BRD
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174379.linke-im-exil-unsicherer-herkunftsstaat-brd.html
    Essayes de vivre ton rêve d’une meilleure société. Tu sera persécuté parce que tu n’aura pas fait de compromis et tu crèveras dans les coins du monde d’où tout le monde sauf toi tente de s’échapper. La vengeance des riches et puissants est sans merci.

    30.6.2023 von Peter Nowak - Auch aus Deutschland gingen politisch Verfolgte ins Exil – unter anderem nach Mosambik, wie der Antifaschist Ricardo. Ein Buch will an ihn erinnern und eine Debatte über linke Flucht und Illegalität anstoßen

    Wenn es um Flucht und Asyl aus politischen Gründen geht, denkt kaum jemand, dass die Geflüchteten aus Deutschland kommen. Dabei gab – und gibt – es immer wieder linke Aktivist*innen, die sich einer drohenden langen Haftstrafe durch Flucht entzogen und sich für das Exil im Ausland entschieden.

    Einer von diesen Menschen war Ricardo. Er wurde 1986 in Dresden geboren und war jahrelang in linken Zusammenhängen in Sachsen aktiv, unter anderem in der Graffiti-, der Hausbesetzer*innen- und in der Antifa-Szene. »Dies führte zu ständiger staatlicher Repression und mehreren Knastaufenthalten. Als Schwarzer Mensch war er zusätzlich ständigem Rassismus ausgesetzt«, schreibt das Autor*innenkollektiv gata preta, das jüngst im Immergrün-Verlag das Buch »Ich vermisse euch wie Sau« über Ricardo herausgegeben hat.

    Die Kollektivmitglieder sind Freund*innen und Genoss*innen von Ricardo, die Jahre nach seinem Tod mit der Herausgabe des Buches auch ihre Trauer über den bis heute nicht geklärten Tod ihres Freundes verarbeiten. Zugleich wollen sie eine Auseinandersetzung über die auch in der Linken in Deutschland tabuisierten Themen Flucht, Exil und Illegalität anstoßen.
    Aktivist auf der Flucht

    Vor allem Letzteres ist den Autor*innen gut gelungen. Über das Leben und vor allem den Tod von Ricardo bleibt hingegen vieles ungeklärt – was die Herausgeber*innen auch offen einräumen. Dabei ist durchaus positiv zu bewerten, dass hier nicht der Eindruck von Klarheit suggeriert wird, die es nicht gibt. So bleibt letztlich offen, ob der Tod von Ricardo ein Suizid war, und welche Rolle seine Verwandten spielten, die ihn bei der Übersiedlung nach Mosambik im Jahr 2014 unterstützten.

    Mit seiner Flucht aus Deutschland wollte Ricardo sich einer längeren Haftstrafe entziehen. Diese war aus der Zusammenzählung verschiedener Einzelstrafen entstanden, die ihm sein politischer Aktivismus eingebracht hatte. Vor seiner Verurteilung war Ricardo auch über Dresden hinaus als linker Aktivist bekannt gewesen, der Wert auf eine längerfristige Organisierung legt. Die Autor*innen erzählen, wie viel Kraft er in die Vernetzungsarbeit mit linken Projekten in kleineren Städten in Südbrandenburg gesteckt hat, darunter der Aufbau eines linken Infoladens und Spätshops im brandenburgischen Finsterwalde. Bei der rechten Szene in der Gegend war er doppelt verhasst: Als linker Aktivist, der in Gegenden antifaschistische Räume aufbauen wollte, wo die Rechten stark waren – und als Schwarzer Mensch.

    Erfahrungen mit rassistischer Gewalt, die Ricardo auch 2005 bei einer mehrmonatigen Haftstrafe wegen verschiedener politischer Delikte in einem Jugendgefängnis im sächsischen Zeithain machen musste, trugen ebenfalls zu seiner Entscheidung für Haftentzug bei. »Gerade in Zeithain war er als Schwarzer politischer Mensch mit rassistischer Gewalt konfrontiert. In regelmäßigen Abständen kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen«, heißt es im Buch. Doch Ricardos Hoffnung auf einen Neuanfang in Mosambik wurde vermutlich bitter enttäuscht. Drei Jahre später war er tot.

    Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

    Besonders beeindruckend sind die auf rund 35 Seiten dokumentierten Mails, die Ricardo in unregelmäßigen Abständen aus dem Exil an seine Genoss*innen schrieb. Aus ihnen lässt sich seine Stimmung ablesen, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt. So beschreibt Ricardo etwa die Probleme in seinem Exilland, als er sich als Bauzeichner selbständig machen will. Auch seine anarchistischen Überzeugungen wurden mit der Realität in einem Land konfrontiert, dessen Regierungspartei FRELIMO zwar eine Vergangenheit im Kampf gegen den Kolonialismus hat, aber längst als bürokratische und korrupte Machtpartei gilt. Trotzdem will Ricardo sich auch im Exilland politisch betätigen und erwägt einen Eintritt in die Partei.

    Auch Ricardos Prinzipien der bedingungslosen Selbstorganisation wurden in Mosambik auf eine harte Probe gestellt, wenn er in seinen Mails beschreibt, wie Dorfmilizen auf dem Land tatsächliche oder vermeintliche Diebe eigenhändig liquidierten. Ricardo machte sich keine Freunde, als er dieser Selbstjustiz widersprach. Immer wieder zeigt er sich in seinen Mails verwundert, dass der Kampf um einen sicheren Arbeitsplatz für ihn einmal wichtig werden könnte. »Manchmal denke ich mir zwar, dass ich einfach ein bisschen rumcrimen könnte …, aber zocken ist hier echt keine gute Idee«, schreibt Ricardo einige Monate nach seiner Ankunft im Exil. Zwischendurch überlegt er auch, wieder nach Deutschland zurückzukehren und die Strafe abzusitzen. Doch dazu kam es nicht mehr.

    »Am 4. Dezember 2017 erreichte uns die schlimme Nachricht, dass unser Freund Ricardo in seinem selbstgewählten Exil am Tag zuvor zu Tode gekommen ist«, schreiben gata preta. Im Buch ist kein einziges Foto des toten Freundes zu finden, wohl aus Rücksicht auf seine Verwandten, die ebenfalls nicht zu Wort kommen. Was aber deutlich gezeigt wird: Exil und Flucht sind nicht das große Abenteuer, wie es sich oft in den Köpfen vieler Linker darstellt.

    Realität gegen Ideal

    Die Interviews, in denen Linke über ihre Erfahrungen mit Flucht und Exil berichten und die den zweiten Teil des Buches ausmachen, fahren einer solchen Romantisierung ebenfalls in die Parade. Unter anderem kommt ein Mensch aus anarchistischen Zusammenhängen zu Wort, der vor vielen Jahren plötzlich und unerwartet einen Genossen aufnehmen musste. »Da ich der einzige von uns war, der gerade im Ausland gelebt hat, fiel die Entscheidung sehr schnell auf mich, ohne dass mich jemand nach meiner Meinung gefragt hat«, erinnert er sich und betont noch heute, was für eine riesige Herausforderung die Fluchthilfe war: »Ich habe zu der Zeit in sehr prekären Verhältnissen gelebt und konnte der Person nicht wirklich helfen«. Am Ende musste sich der politische Exilant aus gesundheitlichen Gründen der Polizei stellen und der Fluchthelfer zieht nach vielen Jahren ein ernüchterndes Fazit. Es habe »irgendwie funktioniert für einen sehr hohen Preis. Und diesen Preis hat die Person bezahlt, die auf der Flucht war. Die viele Jahre gebraucht hat, sich irgendwie davon zu erholen«. Da alle Angaben in dem Gespräch anonymisiert sind und auch die Hintergründe zu dem Fall fehlen, ist es schwer, das Ganze politisch einzuordnen. So bleiben auch hier für die Leser*innen wieder viele Fragen offen.

    Die ehemalige RAF-Angehörige Margit Schiller beschreibt ihre Probleme in den Exilländern Kuba und Nicaragua. Sie entzog sich 1985 einer weiteren Haftstrafe und setzte sich nach Kuba ab, ohne jede Unterstützung. Noch im Flugzeug fragte sie fremde Menschen, wo sie auf der Insel Exil beantragen kann. Im Exilland angekommen, habe sie sich aus Selbstschutz von der Außenwelt abgeschottet, unter anderem mit einer alten kubanischen Kommunistin nichts zu tun haben wollen, weil diese für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet hatte.

    Als dann Freund*innen aus Deutschland zu Besuch kamen, freundeten diese sich mit der alten kubanischen Genossin an, was Schiller ihnen übel nahm. Auch mit einer Freundin, die ihr den Erstkontakt nach Uruguay vermittelt hatte, zerstritt sich Schiller. In ihrem Bericht wird ersichtlich, welche psychische Belastung solche Fluchterfahrungen bedeuten.

    Ein anderes Interview führten die Herausgeberinnen mit Bernd (mittlerweile verstorben) und Thomas, zwei Mitgliedern der autonomen Gruppe K.O.M.I.T.E.E., die 1995 bei der Vorbereitung eines Anschlags auf ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis von der Polizei entdeckt wurden. Beide fanden Exil in Venezuela und betonten bereits in vorherigen Interviews unter anderem in dem Film »Gegen den Strom – abgetaucht in Venezuela« (2022), dass sie bei dem Weg ins Exil viel Solidarität erfuhren. Hier wird deutlich, wie unterschiedlich die Umstände politisch motivierter Flucht sind. Letztlich kommt es sicher auch auf das solidarische Umfeld an, das bei vielen der im Buch zu Wort kommenden Genoss*innen offensichtlich fehlte.

    Insgesamt ist »Ich vermisse euch wie Sau« ein ebenso bedrückendes wie wichtiges Buch – trotz und gerade wegen der vielen Fragen, die die Lektüre aufwirft.

    Gata Preta (Hrsg.): Ich vermisse euch wie Sau. Eine Auseinandersetzung mit Flucht, Exil und Illegalität. Immergrün-Verlag 2022, br., 224 S., 12 €.

    #réfugiés #Allemagne #terrorisme_d_état #utopie #politique #répression

  • Kriegshaushalt über alles
    https://www.unsere-zeit.de/kriegshaushalt-ueber-alles-4781817
    Le gouvernement allemand sacrifie l’essentiel de ses promesses électorales sociales sur l’autel de guerre.

    Als im Frühjahr vergangenen Jahres zeitgleich mit dem Ausrufen der „Zeitenwende“ durch Bundeskanzler Olaf Scholz der NATO-Krieg gegen Russland forciert wurde, schien der Bundeshaushalt davon unberührt. Kurzerhand wurden lange vorbereitete Pläne zur Aufrüstung zwar aus der Schublade geholt, aber mit einem als „Sondervermögen“ betitelten Kriegskredit von 100 Milliarden Euro finanziert. Der Kernhaushalt selbst behielt im Wesentlichen seine alte Struktur.

    Das kann – zumal in Zeiten wirtschaftskriegsbedingter Zinsanstiege – auf Dauer auch ein noch reiches Land wie Deutschland nicht durchhalten. Für die Bundesregierung waren die zurückliegenden Tage „die Woche der Wahrheit“, wie die reaktionäre Tageszeitung „Die Welt“ am 3. Juli zur Recht titelte. In der Tat ist ein Bundeshaushalt ein in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm, das weit aussagekräftiger ist als alle schönen Reden und hübsch gebundenen Koalitionsverträge zusammengenommen.

    Die Kabinettsitzung, in der der Entwurf des Bundeshaushalts verabschiedet werden sollte, hat nach Redaktionsschluss der UZ stattgefunden. Aber die Beschlussvorlage des Finanzministers Christian Lindner hat eine klare Richtung: Das wird der erste ordentliche Kriegshaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Er wird seine Spuren tief in die Finanzstruktur der Republik graben und hat schon jetzt alle sozialen Ankündigungen dieser Bundesregierung in den Papierkorb befördert.
    Das Versprechen auf 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, ist auf etwas mehr als 200.000 geschrumpft. Von den rund 50 Milliarden Euro, die laut Mieterbund erforderlich wären, um wenigstens mittelfristig den rasanten Anstieg der Mieten zu dämpfen, ist keine Rede mehr.

    Die großspurig angekündigte „Kindergrundsicherung“, die laut der Familienministerin rund 12 Milliarden Euro erfordert, ist auf kümmerliche 2 Milliarden zurechtgestutzt worden und wird für Familien mit Kindern weitgehend wirkungslos versickern.

    Die lauten Rufe der Kommunen und Länder nach Finanzhilfen, um die Flüchtlingsströme zu bewältigen, die durch die Politik aller NATO-Länder in Nordafrika und anderswo ausgelöst werden, stoßen auf taube Ohren. Genauso ihre dringenden Appelle, etwas zu tun gegen den beschleunigten Zerfall des öffentlichen Personennahverkehrs jenseits der Ballungszentren.

    Der sozialdemokratische Gesundheitsminister verzichtete in den Gesprächsrunden, die der Kabinettsvorlage vorausgingen, großmütig auf eine Milliarde Euro an Bundeszuschüssen für die Pflegeversicherung. Sein Gesundheitsetat soll um 8,3 Milliarden Euro gekürzt werden.

    Wo es langgeht, durfte einer der grünen Reservehoffnungsträger, Danyal Bayaz, Finanzminister in Baden-Württemberg, am 3. Juli in der „FAZ“ so formulieren: „Die Zeit der Gießkanne, die sich die Bundesrepublik im vergangenen Jahr mit Tankrabatt und Energiepauschale für alle geleistet hat, ist vorbei. Wir werden nicht mehr alles, was wir in Koalitionsverträge schreiben, hinbekommen. Da gibt es auch Zumutungen, die wir aussprechen müssen.“

    Nur einer steht jenseits aller „Zumutungen“: Rüstungsminister Boris Pistorius. Er ist schon im Vorfeld als einziger von allen Kürzungsrunden ausgenommen worden. Sein Etat wächst um 1,7 Milliarden auf die Rekordsumme von 52 Milliarden Euro.

    „Wenn Neues auftaucht, muss Altes schwinden“, stellte die „FAZ“ am 4. Juli schulterzuckend fest. Das Alte sind die sozialen Versprechen der Vergangenheit. Das Neue ist der Krieg gegen Russland – und China.

    #Allemagne #économie #guerre

  • Angela Davis : eine Amerikanerin in der DDR
    https://www.mdr.de/geschichte/ddr/kalter-krieg/angela-davis-amerikanerin-solidaritaet-briefe-100.html

    La solidarité internationale était une des raisons d’être de l’état est-allemand. C’était un sujet où ses dirigeants étaient entièrement d’acord avec la majorité des citoyens ordinaires. Ma famille de la DDR m’a étonné quand ils continuaient après 1989 à collecter des dons et les envoyer au Vietnam par cargaison de conteneur EVP et par coli postal pour les dons individuels. Chez nous à l’Ouest la solidarité internationale se limitait (et c’est toujours comme ça) aux cartes postales de noël pour Amnesty.

    Angela Davis était alors considérée comme symbole de la lutte contre l’oppression et la ségrégation raciste de l’impérialisme américain. Ce mouvement prenait une ampleur que les historiens et journalistes de droite n’ont jamais compris. Ils essayent toujours de le dénoncer comme campagne organisée sous des contraintes généralisées alors que c’est faux. Va savoir pourquoi. Depuis les raisons pour les réactionnaires de l’acabit de Pécresse de haïr Angela n’ont fait qu’augmenter. La célèbre professeure d’université s’est muée du personnage du parti communiste des États Unis le mieux connu en militante de la cause féministe et gay.

    Aujourd’hui au contraire de ses camarades communistes qui ont perdu leur influence avec la disparition du bloc de l’Est Angela Davis ne cesse de représenter les causes actuelles de la lutte contre l’oppression par les élites capitalistes . C’est la raison pour l’acharnement de la droite contre elle.

    Angela Davis ist eine schwarze Bürgerrechtlerin, die von 1970 bis 1972 unschuldig hinter Gittern sitzt. Sie ist des Mordes, Menschenraubes und der Verschwörung angeklagt. Aus der DDR erreichen sie in dieser Zeit mehr als eine Millionen Briefe und Postkarten. 1972 wird sie in allen Punkten freigesprochen und sagt: „Diese Briefe haben meine Gefängniszelle aufgeschlossen“. Als Angela nach ihrem Freispruch die DDR bereist, um sich bei ihren Unterstützern zu bedanken, warten sehnsüchtig Tausende in Berlin, Magdeburg und Leipzig auf die Ankunft der jungen Frau.
    Angela Davis’ Kampf

    Bereits im jungen Alter ist Angela Davis politisch aktiv. Nach ihrem Erststudium der französischen Literatur in Massachusetts und Paris zieht sie nach Frankfurt am Main, um Philosophie und Soziologie zu studieren. Dort wird sie Mitglied im Hochschulverband der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und nimmt an ersten Protestaktionen teil. Nach ihrer Rückkehr in die USA verstärkt sich Angelas politisches Engagement. Vordergründig setzt sie sich nun für die schwarze Bürgerrechtsbewegung ein und wird Mitglied der „Black Panther Party“. Angela engagiert sich für die Freilassung von schwarzen Gefangenen. Einer der Haftinsassen ist George Jackson. Jonathan Jackson, Georges Bruder, versucht ihn im August 1970 aus einem Gerichtssaal zu befreien. Doch der Versuch missglückt. Es kommt zu einer Schießerei und vier Toten. Eine der verwendeten Waffen ist auf Angela Davis zugelassen. Das FBI setzt die untergetauchte Angela Davis auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA. Einige Wochen später, am 13. Oktober, wird sie verhaftet.
    Solidaritätskampagne für Angela

    Bis zu ihrem Prozess im Jahr 1972 entwickeln sich weltweit Kampagnen und Proteste für Davis. Viele Menschen glauben, dass die Vorwürfe konstruiert sind, um die Stimme der jungen Frau und Black Power-Aktivistin mundtot zu machen. Die Ungerechtigkeit stößt besonders in der DDR auf Gegenwehr. Die Solidarität, die Bürgerrechtlerin Davis dort erhält, ist beispiellos. Mit Briefen, Postkarten, gemalten Rosen und Buttons mit dem Aufdruck „Free Angela“ stehen sie Davis bei.

    Diese Eigendynamik führte dazu, dass wirklich aus dem letzten Dorf und aus der letzten kleinen Dorfschule die Post abgeschickt worden ist. Ich hab das in den USA selbst gesehen. Ich bin in einer LKW-Kolonne durch San Francisco gefahren. Auf den LKWs waren Säcke über Säcke mit Solidaritätspost für Angela Davis.
    (Klaus Steiniger Ehemaliger Korrespondent „Neues Deutschland“)

    Nach zweijähriger Prozessdauer wird Davis am 4. Juni 1972 in allen Punkten der Anklage freigesprochen. Nach ihrer Freilassung reist sie in die DDR, um ihre Unterstützer persönlich zu treffen. Die DDR-Presse betitelt die Reise als „Triumphtour“. In Berlin, Magdeburg und Leipzig macht Angela Halt, um sich zu bedanken. Allein in Leipzig kommen 200.000 sehnsüchtige Besucher, die gemeinsam mit ihr feiern und jubeln wollen. Auch in Berlin sammeln sich am 10. September 1972 50.000 Bürger am Flughafen Berlin Schönefeld. Auf die Frage einer Reporterin, was der Empfang von Davis für die Unterstützer bedeutet, antwortet eine junge Frau:

    Wir haben gerade gesagt, dass der heutige Empfang von Angela Davis vielleicht ein Stück Geschichte für uns ist. Wir haben diesen Kampf alle gemeinsam geführt und es ist für uns praktisch ein Triumph, dass wir Angela Davis empfangen können.
    Junge DDR-Bürgerin kurz vor der Ankunft von Angela Davis

    Zum Beginn der Solidaritätskampagne wird eine Broschüre mit dem Titel „Freiheit für Angela Davis“ verteilt. Das Heft wird über 500.000 Mal gedruckt und für den Betrag von Zwei Mark in der ganzen DDR verkauft. Der Erlös fließt dem zentralen „Solidaritätskonto“ der DDR zu.

    Diese halbe Millionen Exemplare gelangten in alle Betriebe, in alle Ecken des Landes. Schon zu diesem Zeitpunkt hat Angela Davis viel Post bekommen. Aber jetzt wurde voll aufgedreht.
    (Klaus Steiniger Ehemaliger Korrespondent „Neues Deutschland“)

    Die Broschüre wird auch ins Englische übersetzt und in Amerika verlegt. Als Herausgeber der Heften wird das DDR-Komitee für Menschenrechte sowie der Friedensrat der DDR genannt. Historiker Dr. Stefan Wolle schaut kritisch auf die Solidaritätskampagne, die die DDR für Davis inszenierte.

    Das war organisiert bis ins Letzte. Also wenn die DDR etwas verstanden hat, dann die Organisation von Kampagnen. Und das wurde sehr, sehr gründlich gemacht. Da blieb kein Auge trocken.
    (Dr. Stefan Wolle Historiker)

    Historiker Prof. Wolle ist der Meinung, dass sich die DDR mit Davis als eine der wenigen westlichen Ikonen schmückte. Seine Erklärung für Menschenmassen, die sich beim Empfang von Davis in Leipzig, Magdeburg oder Berlin sammelten, liegt in dem „freiwilligen Zwang“, den die DDR-Bürger verspürten.

    In der DDR war jeder an den freiwilligen Zwang gewöhnt. Es war alles formal freiwillig. [...] Das heißt wer sich dem verweigert, der hatte mehr oder weniger schon große Schwierigkeiten. Und so ähnlich war das auch mit den ständigen Solidaritätskampagnen.
    Dr. Stefan Wolle Historiker

    Durch ihre Verhaftung und den späteren Freispruch wurde Angela Davis weltweit zu einer Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA. Seit September 1972 trägt sie die Ehrendoktorwürde, die ihr von der Karl-Marx-Universität, jetzt Universität Leipzig, verliehen wurde. Noch heute ist Angela Davis eine der bekanntesten Gesichter der Black-Power-Bewegung.

    https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Angela_Yvonne_Davis_Wanted_Poster.jpg


    ADN-ZB-Franke-26.11.71-ku-Berlin : Solidarität - Prof. Werner Klemke signierte am 26.11.71 in der Ausstellung des Friedensrates der DDR « Freiheit für Angela » Reproduktionen seiner Davis-Porträtzeichnung zur Aktion « Eine Million Rosen für Angela »."


    Berlin 1972, Erich Honecker empfängt Angela Davis

    Way : Lycée Angela Davis (522038422)
    https://www.openstreetmap.org/way/522038422#map=16/48.9139/2.3643

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Angela_Davis

    #DDR #Allemagne #solidarité_internationale #USA #gauche #communisme #racisme #histoire

  • Die « Letzte Generation » – eine kriminelle Vereinigung ?
    https://www.telepolis.de/features/Die-Letzte-Generation-eine-kriminelle-Vereinigung-9206365.html?seite=all

    Comprution immédiate pour jeunes révoltés et un million d’Euros pour un policier tueur en France, condamnations par la justice et razzias contre les militants paisibles du groupe Dernière Génération en Allemagne, l’état aiguise ses armes contre toute mise en cause du statut quo.
    L’article étudie la question si le groupe Dernière Génération peut être considéré comme association de malfaiteurs selon le § 129 StGB du code pénal allemand.

    4.7.2023 von Pauline Engels - Für die Einstufung müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Auch eine Verwerflichkeitsprüfung ist nötig. Warum die Ermittlungsmaßnahmen gegen Klimaaktivisten ein Problem sind.

    Am Anfang war die Angst – die Angst einer Gruppe Menschen vor der globalen Erwärmung. Davor, was die Folge von unserem ausbeuterischen Umgang mit natürlichen Ressourcen sein, wie unsere Welt aussehen könnte, wenn wir der fortschreitenden Überhitzung dieses Planeten nicht mit einem radikalen Umdenken unserer Lebensweise begegnen. Davor, dass diese Erde in absehbarer Zeit schlicht kein lebenswerter Ort mehr sein könnte.

    Nun ist da eine politische Bewegung, an der sich die Geister scheiden: die „Letzte Generation“. Die Gruppierung bekämpft ihre Angst vor der globalen Erwärmung mit Aktionismus. Sie kämpft dafür, dass die Regierung den Klimaschutz ernst nimmt und folgerichtig effektivere Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Erwärmung trifft.

    So weit, so bekannt: schon die Organisation Greenpeace und die Gruppe Fridays for Future hatten mit ihren Protestaktionen große Menschengruppen mobilisiert, die in ganz Deutschland, schließlich auch im Berliner Regierungsviertel dem Wunsch nach mehr Klimaschutz Gehör verschafften. Die Letzte Generation aber beschränkt sich bei ihrem Kampf nicht mehr auf Mittel, die man je nach Gusto auch ignorieren kann.

    Sie stört – und zwar vor allem Menschen, die sie durch die Aktionen in ihrem Alltag unterbricht. Insbesondere die Straßenblockaden durch die Letzte Generation, bei denen sich die Mitglieder mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festklebten, führten zu diesen Hindernissen.
    Razzien und Gerichtsurteile

    Bereits seit einiger Zeit haben auch die Strafverfolgungsbehörden ein Auge auf die Gruppe geworfen. Schon im Dezember 2022 gab es erste Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der „Letzten Generation“. Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppe, wurde bereits zu zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Bewährungszeit: drei Jahre. Hinrichs setzte danach ihre Aktionen mit der „Letzten Generation“ fort. Das blieb folgenlos, denn es war kein Bewährungsverstoß: Die Entscheidung über die Strafaussetzung war noch nicht rechtskräftig.

    Dann, im Mai 2023, wurden erneut sieben Mitglieder der Bewegung zuhause von Polizeibeamten überrascht, die erneute Razzien gegen die Gruppe durchführten. Sogar die Website der Gruppe wurde kurzerhand vom Bayerischen Landeskriminalamt gekapert und Besucher auf deren Online-Präsenz umgeleitet (hierbei fehlten der Behörde aber wohl die notwendigen vertieften technischen Kenntnisse, denn die Gruppe konnte binnen kurzer Zeit die Gewalt über ihre Website zurückgewinnen).

    Grundlage dieser eingriffsintensiven Maßnahmen durch die Polizei: der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft München I, bei der Letzten Generation handele es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB. Weil die betroffenen Mitglieder eine Spendenaktion zugunsten der Bewegung organisiert hatten, wurde ihnen die Unterstützung und/oder Mitgliedschaft bei einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

    Man kann sich nun freilich mitreißen lassen von dem Impuls, der Letzten Generation auf Grundlage dieses Vorwurfs kriminelles Verhalten zu unterstellen, das mit der von § 129 StGB vorgesehenen Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren sanktioniert werden sollte. Aus einem juristischen Blickwinkel stellt sich aber durchaus die Frage, ob das Vorgehen der Gruppe nicht auch anders bewertet werden könnte.
    Rechtliche Grundlage des Vorwurfs: § 129 StGB

    Der § 129 im Strafgesetzbuch (StGB) blickt auf eine längere Normhistorie zurück: Schon im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) fanden sich Vorschriften gegen sogenannte Geheimgesellschaften, an die die Norm bis heute angelehnt ist. Der heutige § 129 StGB wurde bislang vor allem auf einzelne spezifische Milieus angewendet, in denen sich organisierte kriminelle Strukturen fanden – darunter Rockerbanden oder Zuhältergruppen.

    Erst in den 1970er-Jahren begann man, den Paragraphen auch auf politische Vereinigungen anzuwenden – und gab dem Normzweck damit noch einmal eine neue Richtung. Heute wird die Norm in gern kritisch als „Türöffner-Paragraph“ bezeichnet - und das nicht ohne Grund.

    Denn sie knüpft auf Tatbestandsseite zunächst einmal an Taten an, die „im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“. Darunter fallen durchaus auch Taten, die nicht in den Bereich der Schwerst-, sondern der einfachen Kriminalität fallen, wie etwa Sachbeschädigung oder Unterschlagung.

    Auf Rechtsfolgenseite eröffnet sie hingegen intensivste staatliche Eingriffsmöglichkeiten im Bereich der Paragraphen 100a bis 100c der Strafprozessordnung (StPO). Unter diese invasiven Maßnahmen fallen etwa der Einsatz von V-Leuten, diverse Abhörmaßnahmen und andere heimliche Maßnahmen, die eine massive Beeinträchtigung der Privatsphäre Betroffener zur Folge haben.

    Schon aufgrund von Taten mit vergleichsweise geringer Strafandrohung werden mit § 129 StGB also sehr eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen legitimiert. Dieses (instinktiv empfundene) Missverhältnis rechtfertigt sich dadurch, dass die Straftaten im Rahmen einer Vereinigung stattgefunden haben.

    Ob diese Rechtsfolgen im Falle der „Letzten Generation“ tatsächlich zu rechtfertigen sind, lässt sich nur beurteilen, nachdem man festgestellt hat, ob es sich bei der Gruppe auch tatsächlich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handeln könnte.
    Die Tatbestandsmerkmale

    Kaum Diskussionsbedarf besteht bei der Frage, ob es sich bei der „Letzten Generation“ um eine Vereinigung handelt. In § 129 Abs. 2 StGB wird die Vereinigung als „ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“ definiert.

    Ohne Zweifel besteht mit der „Letzten Generation“ ein dauerhafter Personenzusammenschluss von mehr als zwei Personen, die ein übergeordnetes Interesse verfolgen. Auch die interne Organisation der Gruppe, die Mitgliederzuordnung in Arbeitsgruppen und das übergeordnete Unterstützernetzwerk deutet auf ein System mit einer übergeordneten Regelungsstruktur und damit auf eine Vereinigung hin.

    Für die Beteiligung an der Vereinigung reicht schon ihre regelmäßige Unterstützung, auch in Form von mehreren oder einzelnen größeren Spenden, aus. Damit fällt auch das Organisieren einer Spendenaktion in den Tatbestand des § 129 StGB.

    Fraglich ist allerdings, ob Zweck oder Tätigkeit der Gruppe auch auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Zumindest hinsichtlich des Zwecks scheint das nur schwer vertretbar. Denn der eigentliche Zweck, für den sich die Mitglieder der „Letzten Generation“ zusammengeschlossen haben, ist die Bekämpfung der Klimakrise. Straftaten mögen zwar als Mittel von der Gruppe eingesetzt werden, um diesen Zweck zu erreichen und damit gegebenenfalls notwendiges Zwischenziel der Gruppe sein. Ihr originärer Zweck jedoch ist ein anderer.

    In Betracht kommt jedoch, dass die Tätigkeit der Vereinigung „Letzte Generation“ auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Betrachtet man die meistkommentierte Aktionsform der Gruppe in den vergangenen Monaten, das Festkleben auf und Blockieren von Straßen, kann man eine strafbare Tätigkeit zumindest nicht ausschließen.
    Abwägung zwischen Grundrechten

    Denn das Blockieren der Straße und damit ein Verhalten, dass Autofahrer zur Duldung der Blockade zwingt, könnte eine Nötigung gemäß § 240 StGB darstellen. Die Aktionen sind zunächst Gewalt im Sinne der Norm. Zu der Prüfung, ob eine Nötigung vorliegt, gehört jedoch immer auch eine Verwerflichkeitsprüfung – das heißt, sie muss „zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen“ sein.

    Im Kontext der Protestaktionen der „Letzten Generation“ geht es vor allem darum, ob die Aktionen noch von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind – denn wenn die Gruppenmitglieder mit den Aktionen legitimerweise von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen, ist das verständlicherweise nicht strafbar.

    Dann kann die Nötigung nur noch in Ausnahmefällen als verwerflich eingestuft werden, nämlich dann, wenn die eingeschränkten Grundrechte der von der Aktion betroffenen Menschen im Einzelfall schwerer wiegen.

    Es kommt also auf die besonderen Umstände der einzelnen Blockadeaktion an – wie lange dauerte die Blockade? Konnten die betroffenen Autofahrer ausweichen, wussten sie von der Aktion? Wurden gar wichtige Transportfahrten aufgehalten und konnten deshalb vielleicht sogar, wie bei einigen Aktionen behauptet, Verletzte nicht rechtzeitig versorgt werden?

    Diese Kriterien, die auch bei der Bewertung der einzelnen Aktionen der „Letzten Generation“ zum Tragen kommen dürften, wurden vom Bundesverfassungsgericht für friedliche Blockadeaktionen festgelegt und dienen vor allem dazu, der Versammlungsfreiheit wegen ihres besonderen Gewichts möglichst viel Raum zu geben. Wie das Gericht die einzelnen Fragen angesichts der Umstände bei einzelnen Blockaden entscheiden wird, ist unklar – und damit auch, ob die „Letzte Generation“ bei ihren Aktionen wirklich verwerflich gehandelt hat.

    Während also noch nicht ganz klar ist, ob sich die „Letzte Generation“ mit den Straßenblockaden einer Nötigung strafbar gemacht hat, hat sie sich bei anderen Aktionen wohl recht eindeutig strafbar verhalten. So war etwa die Beschädigung von Gemälderahmen eine Sachbeschädigung nach § 303 StGB.

    Erschwerend kommt hinzu, dass die Gruppe sich ausdrücklich dazu bekennt, die Begehung von Straftaten für notwendig zu erachten – wiederholt haben Mitglieder offen zugegeben, ohne strafbare Handlungen keine Erfolgschancen für ihre Aktionen zu sehen. Auch ist bekannt, dass innerhalb der Gruppenhierarchien die Mitglieder als besonders zielstrebig erachtet werden, die bereit sind, besonders weit zu gehen und dabei auch die Grenzen der Strafbarkeit hinter sich zu lassen.

    Zuletzt könnte die Strafbarkeit der Gruppe hingegen noch an dem Tatbestandsausschluss nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB scheitern – sofern es sich bei den Straftaten der „Letzten Generation“ um solche mit nur „untergeordneter Bedeutung“ handelt. Aus welcher Sicht beurteilt werden muss, ob eine Straftat nur untergeordnete Bedeutung hat, ist umstritten.

    In der juristischen Literatur wird zum Teil dafür plädiert, bei der Interpretation dieses weiten Begriffs insbesondere die Rechtsgüter mit einbeziehen muss, die von den Straftaten betroffen wurden.

    Eine Straftat, die das Eigentum einer Person betrifft, könnte demnach nur untergeordnete Bedeutung haben. Ungeachtet dessen haben die Taten für die Aktivisten selbst natürlich nicht nur untergeordnete Bedeutung – und ebenso wenig für betroffene Autofahrer und den großen Teil der Bevölkerung, der die Aktionen der „Letzten Generation“ grundsätzlich ablehnt.

    Es bleiben damit viele Fragen offen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Medium beantworten kann. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Gericht entscheidet. Es gibt allerdings sehr wohl eine Facette an dem Vorwurf gegenüber den Aktivisten, die schon jetzt einer kritischen Betrachtung unterworfen werden sein kann und sollte - und zwar der § 129 StGB selbst.
    Zur Einordnung

    Der Rechtsgedanke der Norm ist an sich nachvollziehbar: Vereinigungen, die aktiv kriminelle Strukturen aufgebaut haben und diese nutzen, um (wiederholt) Straftaten zu begehen, sollen verfolgbar sein und auch sanktioniert werden können. Dass dabei zunächst einmal die tatsächliche Tätigkeit der Gruppen im Vordergrund steht, und weniger ihre idealistischen Fernziele wie etwa der Umwelt- und Klimaschutz, ist auch nicht direkt falsch.

    Denn würde man die Vereinigungen schon allein wegen ihrer guten Fernziele vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung freisprechen, müsste man dabei konsequent vorgehen. Auch rechtsradikale Gruppen könnten dann folgerichtig das Fernziel der „nationalen Sicherheit“ oder der „Wahrung kultureller Errungenschaften“ vorbringen und damit ihre strafbaren Aktivitäten rechtfertigen.

    Diese „gleiche“ Bewertung der Aktivitäten der „Letzten Generation“ aber, die von Strafverfolgungsbehörden letztlich auf dieselbe Stufe gestellt wird wie eben jene organisierten kriminellen Strukturen, die sonst aufgrund des § 129 StGB beobachtet werden, hinterlässt einen faden Beigeschmack.

    Es fühlt sich schlicht „falsch“ an, weil sich da ja eigentlich nur Menschen gegen alle Widerstände für ein Ziel einsetzen, das auch in Art. 20a GG verankert ist. Mit der Verfolgung der Gruppe aber wird suggeriert, dass es sich bei der „Letzten Generation“ um ein strukturelles Problem und eine Gefahr für die ganze Gesellschaft handelt. Die Entscheidung, das zweifelhafte Potential des § 129 StGB als Türöffner voll auszuschöpfen und eine Gruppe von Klimaschutzaktivisten, die vermeintlich Sachbeschädigungen und Nötigungen begehen, mit der vollen Härte des Rechtsstaats zu überwachen, ist kritikwürdig.

    Denn sie lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit auf die temporäre Verstimmung einiger Autofahrer und Museumsbesucher, weg von dem Damoklesschwert der globalen Erwärmung. Sie ermöglicht es den Behörden auch, tiefe Einblicke in die Strukturen einer politischen Bewegung zu erlangen, ja, sie auszuspionieren.

    Das wiederum wirkt nicht nur auf die Mitglieder dieser Organisation selbst abschreckend, sondern auch auf alle anderen, die Mitglieder einer zivilgesellschaftlich engagierten Gruppierung sind oder eine solche unterstützen (wollen). Hier schlummert die eigentliche Gefahr, die von den Behördenaktivitäten gegen die „Letzte Generation“ ausgeht.

    Es kommt zu sogenannten „chillig effects“, einer Entwicklung, bei der Menschen in ihrer Grundrechtsausübung eingeschränkt werden, weil sie von dieser aus Angst vor der potentiellen Strafbarkeit ihres Handelns absehen. Mit anderen Worten: Menschen, die die Geschehnisse rund um die „Letzte Generation“ verfolgen, werden sich zukünftig dreimal mehr überlegen, ob sie wirklich gegen die Ignoranz gegenüber dem Klimawandel aktiv werden und demonstrieren möchten.

    Sie werden möglicherweise indirekt auch zur Schwächung der bereits existierenden Aktivistengruppen beitragen, weil sie sich nicht mehr trauen, durch Spenden deren Arbeit zu unterstützen. Und wie könnte man Menschen solche Erwägungen und Schlussfolgerungen verübeln, wenn ihnen suggeriert wird, dass bereits die Spendenzahlung an eine Gruppe von Klimaaktivisten eine Freiheitsstrafe zur Folge haben kann.

    Auf die Anwendung des § 129 StGB auf die „Letzte Generation“ folgt also im schlimmsten Fall die strukturelle Behinderung der öffentlichen Meinungsbildung. Das kann in einer demokratischen Gesellschaft kaum gewollt sein.

    Und damit nicht genug, denn Konsequenz dieser Entwicklung könnten paradoxerweise abermals kriminelle Aktivitäten sein: während noch nicht aktive Menschen, die sich mehr Maßnahmen zum Klimaschutz wünschen, vielleicht überhaupt nie aktiv werden, könnten bereits aktive Menschen isoliert werden, sich in den Untergrund zurückziehen und tatsächlich radikal und kriminell werden.

    Vor diesem Hintergrund scheint die Anwendung des § 129 StGB auf die „Letzte Generation“ also keinesfalls im Einklang mit den Zielen unserer Verfassung zu stehen.

    #Allemagne #droit #climat #association_de_malfaiteurs

  • 10 Jahre AfD – Höckes Sozialfeindlichkeit - Campact Blog
    https://blog.campact.de/2023/01/afd-rassismus-des-hoecke-fluegels

    11.1.2023 Andreas Kemper - Am Wahlabend des 20. Januar 2013 wurde die AfD gegründet. Der Plan, als Wahlalternative 2013 mit Hilfe der Freien Wähler in den Bundestag einzuziehen, erschien aussichtslos. Bernd Lucke war als ein Spitzenkandidat in Niedersachsen angetreten, dieser erreichte jedoch nur 1,1 % der Wähler*innenstimmen. Im ersten Teil dieser Reihe hatte ich diese Entstehungsphase des ersten Sprecher*innen-Teams mit Bernd Lucke, dessen Hamburger Appell die Abschaffung des Sozialstaates forderte, mit Konrad Adam, der in der WELT offen das Wahlrecht für Arbeitslose in Frage stellte, und mit Dagmar Metzger, die dem Mises-Institut nahestand, welches nicht nur den Sozialstaat abschaffen, sondern den Staat komplett zerschlagen und durch eine totale Privatisierung ersetzen will, veröffentlicht. Im zweiten Teil habe ich das klerikal-aristokratische Netzwerk um Beatrix von Storch beleuchtet. Im dritten und letzten Teil wird nun die Sozialfeindlichkeit des Faschisten Björn Höcke genauer betrachtet.
    Björn Höckes aka Landolf Ladigs Weltkriegsthesen

    Faschisten wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz traten bereits im März 2013 der AfD bei und machten sehr schnell Karriere. Kalbitz wurde aus der Partei geworfen, als seine jahrzehntelange politische Arbeit in faschistischen Organisationen bekannt wurde. Als „Strippenzieher“ muss er auch gar nicht unbedingt Parteimitglied sein. Höcke hingegen ist mit seinem Oberstudienrats-Habitus der bürgerlichen Halbbildung (Adorno) ein Repräsentant der faschistischen Bewegung, was vielleicht erklärt, warum er im Gegensatz zu Kalbitz nicht aus der Partei geworfen oder auch nur der Ämter enthoben wurde. Anlässe hierfür gab es genug.

    Als ich 2014/15 aufdeckte, dass Höcke 2011/12 hinter den neonazistischen Texten unter dem Pseudonym Landolf Ladig in den Publikationen von Thorsten Heise stand, gab es innerparteilich Versuche, Höcke zu entmachten. Schließlich ging es hier nicht einfach „nur“ darum, ob Höcke in NPD-Blättern Texte verfasst habe, wie dies in verschiedenen Medien verkürzt-verharmlosend dargestellt wurde, sondern um eine Zusammenarbeit mit Thorsten Heise, der den rechten Rand der NPD repräsentiert – mit Bezügen zu rechtsterroristischen Organisationen wie dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und „Combat 18“ („Kampfgruppe Adolf Hitler“). Der damalige Parteivorsitz um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel forderte im Sommer 2015 daher Björn Höcke auf, er solle mich anzeigen und im Gerichtsprozess eidesstattlich erklären, er sei nicht Landolf Ladig. Ihm wurde ein Ultimatum gesetzt: Schaffe er die Vorwürfe nicht gerichtlich aus der Welt, würden ihm alle Parteiämter entzogen. Höcke hat im Laufe seines Landesparteivorsitzes der AfD Dutzende von Prozessen geführt, mich jedoch hat er trotz dieser ultimativen Aufforderung nie angezeigt. Diese Geschichte endete damit, dass mehrere tausend Mitglieder um Lucke und Henkel die AfD verließen, die Partei zwischenzeitlich bei fünf Prozent landete, unter Frauke Petry dann aber erstmals laut Umfragen über fünfzehn Prozent erreichte.

    2017 kam es dann unter Frauke Petry zu einem Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke. Ein Gutachten, das vom Parteivorstand der AfD in Auftrag gegeben wurde, kam wörtlich zum Schluss: Andreas Kemper habe Recht, Björn Höcke sei der Nazi Landolf Ladig. Das Verfahren wurde vom Landesschiedsgericht Thüringen mit einer nicht-öffentlichen Begründung abgeschmettert und Frauke Petry verließ zusammen mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell und einigen Getreuen wenig später die Partei. Jörg Meuthen, der 2022 die AfD verließ, begründete nachträglich, warum er als Parteivorsitzender Kalbitz (aber nicht Höcke) aus der Partei entfernte, damit, dass dies in der Partei nicht machtbar gewesen sei. Schon bei Kalbitz war es ein knappes Ergebnis gewesen.
    Von Energieknappheit bis zu Präventivkriegen

    Es geht in diesem Artikel zur Sozialfeindlichkeit der AfD bei der Frage der Identität von Höcke mit Ladig nicht um „Kontaktschuld“, sondern vor allem darum, was Höcke kurz vor seinem Eintritt in die AfD unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ verfasste. In einem früheren Campact-Beitrag bin ich bereits darauf eingegangen, dass Höcke/Ladig in dem Nazi-Blatt „Volk in Bewegung“ eine Energieknappheit voraussagte, die die Möglichkeit einer Revolution in Aussicht stellte, auf die die nationalistische Systemopposition sich vorzubereiten habe.

    Höcke/Ladig vertritt die Auffassung, „daß eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege war, sondern letztlich ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum. Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, daß die etablierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen. Der zweite Krieg war allerdings nicht nur ökonomisch motiviert, sondern darf auch als ideologischer Präventivkrieg angesprochen werden, hatte sich im nationalsozialistischen Deutschland doch eine erste Antiglobalisierungsbewegung staatlich etabliert, die, wären ihr mehr Friedensjahre zur Erprobung vergönnt gewesen, wahrscheinlich allerorten Nachahmer gefunden hätte.“ (Höcke 2011)

    Der Zweite Weltkrieg war also laut Höcke/Ladig ein ökonomisch-ideologischer Präventivkrieg fremder Mächte gegen die Antiglobablisierungsbewegung im nationalsozialistischen Deutschland. Hier sollte man sich vor Augen führen, dass der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann. Wie sah zu diesem Zeitpunkt die „Antiglobalisierungsbewegung“ im Nationalsozialismus aus?
    Exkurs zur NS-Wirtschaftpolitik

    Da ich weder Historiker, noch Wirtschaftsexperte bin, beziehe ich mich auf den Artikel „Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz“ von Hans-Ulrich Thamer, abgedruckt 2005 bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

    In den 1930er Jahren erholte sich die Weltwirtschaft von ihrer Krise Ende der 1920er und auch die deutsche Industrie profitierte von den drastisch gesunkenen Arbeiter*innenlöhnen. Und Hitler hatte bereits 1933 verkündet, dass im Kampf gegen das „internationale Judentum“ eine „Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes“ notwendig sei. Die Rüstungsausgaben stiegen von „720 Millionen Reichsmark im Jahre 1933 auf 10,8 Milliarden Reichsmark bereits im Jahre 1937“ (Thamer 2005). Die Finanzierung der 90 Milliarden Reichsmark für die Aufrüstung wurde vor allem mit Wechsel für die Rüstungsindustrie, für die der Staat die Bürgerschaft übernahm, praktiziert. Diese Praxis war aufgrund des Inflationsrisikos nur bis 1938 vorgesehen, wurde ab diesem Zeitpunkt stattdessen aber noch erheblich ausgedehnt. Zugleich kapselte sich das Regime vom Weltmarkt ab und baute eine autarke Struktur auf, ebenfalls vor allem aus dem Grund, im Kriegsfall autark zu sein. Allerdings behielt sie das kapitalistische System bei. Thamer: „Die kapitalistische Wirtschaftsstruktur wurde nicht abgeschafft, sondern auf ein vorrangiges Ziel ausgerichtet“ (ebd.), nämlich die Aufrüstung. Die Gewerkschaften waren bereits am 2. Mai 1933 zerschlagen worden und auch die NS-Gewerkschaftsbewegung der Nationalsozialistischen Betriebsorganisationen (NSBO) wurden schon im November 1933 wieder abgeschafft und durch ein „Führerprinzip im Betrieb“ (ebd.) und ein autoritäres Überwachungssystem von „Betriebs-, Straßen- und Blockwarten“ (ebd.) ersetzt. Auch Arbeitsrechte wurden abgeschafft, beispielsweise die Möglichkeit der freien Arbeitsplatzwahl. 1935 führte die NSDAP die „Arbeitsdienstpflicht“ ein.

    Entgegen aller Versprechungen litt der Mittelstand eher unter der NS-Wirtschaftspolitik, die vor allem die Rüstungsindustrie-Konzerne puschte. Beschwichtigt wurden große Teile des Mittelstandes durch die verklärende NS-Ideologie und die Plünderung jüdischer Geschäfte und Vermögen – auch diese als „Arisierungen“ bezeichneten Maßnahmen begannen bereits vor dem Krieg.
    Ideologisch wurden Frauen im Nationalsozialismus zu Gebärmaschinen für das Vaterland erklärt, ihr Ort sei das Heim. Tatsächlich wurden Frauen im Nationalsozialsozialismus aber von qualifizierten, gut bezahlten, in unqualifizierte, schlecht bezahlte Berufe gedrängt.

    Im Mai und Juni 1938 wurden mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ Menschen, unter ihnen viele Jüd*innen, verhaftet und in KZs interniert, weil sie nicht dem NS-Konzept von Volksgemeinschaft und deutscher Arbeitsfront entsprachen. Hierauf möchte ich im übernächsten Abschnitt konkreter eingehen. Doch zunächst noch ein paar Worte zur sogenannten „Antiglobalisierungsbewegung“.
    Höckes „Antiglobalisierungsbewegung“

    Der Begriff „Globalisierung“ entstand erst in den 1960er Jahren und wurde im Nationalsozialismus nicht verwendet. Statt von „Globalisierung“ wurde von „Internationalismus“ gesprochen. Wenn Höcke also von einer „Antiglobalisierungsbewegung“ im nationalsozialistischen Deutschland spricht, dann meint er damit die Bewegung gegen das internationale Finanzkapital und das war im Nationalsozialismus ohne jeden Zweifel die Bewegung gegen das von den Nazis so genannte „internationale Judentum“.

    Es gab im Nationalsozialismus keine Bewegung eines Anti-Internationalismus, die nicht zugleich auch antisemitisch war. Das zu wissen, unterstelle ich dem Geschichtslehrer Björn Höcke. Bereits im 19. Jahrhundert sprachen Marr und Treitschke von einer Gefahr des internationalen Judentums. Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ auf. Hitler kennzeichnete das „Weltjudentum“ bereits in den 1920er Jahren als Hauptfeind. Im Januar 1939, noch vor Kriegsbeginn, wurde das „internationale Judentum“ zu „dem“ Problem ernannt. Und in seinem „Politischen Testament“, welches er unmittelbar vor seinem Suizid diktierte, heißt es bei Hitler: „Es ist unwahr, dass ich oder irgendjemand anderer in Deutschland den Krieg im Jahre 1939 gewollt haben. Er wurde gewollt und angestiftet ausschliesslich von jenen internationalen Staatsmännern, die entweder jüdischer Herkunft waren oder für jüdische Interessen arbeiteten. […] Es werden Jahrhunderte vergehen, aber aus den Ruinen unserer Städte und Kunstdenkmäler wird sich der Hass gegen das letzten Endes verantwortliche Volk immer wieder erneuern, dem wir das alles zu verdanken haben: dem internationalen Judentum und seinen Helfern. […] Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“ (Hitler 1945)

    Der Text Höckes „Krisen, Chancen und Auftrag“ unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in der neonazistischen Zeitschrift „Volk in Bewegung“ übernimmt nicht nur Hitlers Deutung, dass fremde Mächte für den Krieg verantwortlich seien, weil sich hier eine „Antiglobalisierungsbewegung“ / „Bewegung gegen das Internationale Judentum“ etabliert habe; er liest sich wie eine Übernahme des Auftrags von Hitlers, wie die Absicht der Vollstreckung seines Testaments:
    Höcke aus dem Beamtenverhältsnis entlassen!

    Ein Faschist, der Kinder unterrichtet? Dagegen wehrt sich Ulf Berner auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact. Er fordert: Björn Höcke muss der Beamtenstatus entzogen werden. Unterzeichne hier die Petition!

    „Trotz der beinahe totalen Zerschlagung des europäischen Zentrums ist hier die Glut immer noch nicht erloschen. Eine kleine politische Avantgarde existiert, die in der Lage ist, dieser Welt den Weg aus der kapitalistischen Sackgasse zu weisen. Ob sie sich eine Chance erkämpfen kann, hängt auch von den äußeren Umständen ab. […] Sollte die Menschheit weiter wachsen, wird die Natur ihre seit Jahrmillionen erprobten Selbstregulierungsmechanismen in Gang setzten. Wenn der große Hunger eine neue Wolfszeit einleitet, wird der heute herrschende Humanitarismus lange vergessen sein. Schon einige Dekaden vorher wird der Mangel, die Industrieländer eingeschlossen, überall bemerkt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Peak Oil, Peak Soil und Peak Everything. […] Der Zusammenbruch globaler Wertschöpfungsketten könnte nicht nur spürbare Auswirkungen auf den Handel und das Preisgefüge haben, sondern recht rasch Engpässe bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern hervorrufen. […] Der Systemkollaps wäre wohl unausweichlich. Wenn in dieser Situation dann bereits eine allgemeine und anhaltende Vertrauenskrise gegenüber zentralen staatlichen Institutionen und der Problemlösungsfähigkeit der Politik besteht, wie sie sich seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 in stetig wachsendem Maße manifestiert, wird eine politische Revolution denkbar. […] Begreift sich die identitäre Systemopposition als in der Tradition der deutschen Ideenschmiede stehend und begehrt sie politischen Führungsanspruch, muß sie jetzt beginnen, die Fragen einer mittelfristigen Zukunft zu beantworten.“

    Höcke schrieb diesen Text als Geschichtslehrer (der er formal noch immer ist, nur freigestellt aufgrund seiner Tätigkeit als Landtagsmitglied; hier besteht dringender Handlungsbedarf) ein Jahr vor Gründung der AfD und trat parallel mit Neonazis wie Andreas Kalbitz bereits im März 2013 in die AfD ein, um dort seine Agenda fortzuführen.
    Rassenhygiene, Familismus und Bevölkerungspolitik

    Integraler Bestandteil der Wirtschafts- und Arbeitspolitik im Nationalsozialismus war deren rassenhygienische Bevölkerungspolitik. Das Konzept der Rassenhygiene entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, als in den Besserungs- und Korrektionsanstalten für Alkoholiker*innen, Alleinerziehende, Prostituierte, „schwererziehbare“ Jugendliche, Obdachlose, also kurz: für die Menschen, die als „Asoziale“ bezeichnet wurden, deutlich wurde, dass sich diese Menschen auch mit den brutalsten Maßnahmen nicht „korrigieren“ ließen zu den ausbeutbaren Arbeiter*innen, die man gerne gehabt hätte. Ich zitiere den Anstaltsarzt Monkemöller zur Inhaftierung „pflichtvergessener Mütter“ in Korrektionsanstalten und Armenhäusern. Dieser zeigt sich pessimistisch hinsichtlich der Korrektionsmöglichkeiten, begrüßte aber trotzdem die Maßregel der Inhaftierung:

    „Vor allem aber ist eine Durchführung dieser Maßregel ist eines der wenigen prophylaktischen Mittel, die das Gemeinwesen zur Verfügung hat, um die vielen Schädlinge, die an ihm nagen, auszurotten. Wenn es sich seiner Haut wehrt, will ich nicht einmal den Hauptakzent auf die pekunären Vorteile legen, die es durch die Unschädlichmachung dieser gefühllosen Naturen sich erwirbt. Die Hauptursache ist jedenfalls die, daß sie für die Zeit, die sie im Armenhaus verbringen, gehindert werden, die Welt mit einer recht entbehrenswerten Nachkommenschaft zu beschenken. Was sie zur Welt bringen, wird dereinst sicher zum Fähnlein der Degenerierten und erblich Belasteten stoßen. Praktisch wird so daß erreicht, was man durch das sonst nicht durchführbare Verbot der Heiraten Geisteskranker zu erreichen sucht – es wird eine Quelle der Degeneration verstopft.“ (Monkemöller 1908: 218)

    Wenn also die Korrektionsanstalten daran scheitern, die einzelnen Menschen zu korrigieren, muss die Bevölkerungsentwicklung korrigiert werden: Die nicht-korrigierbaren Menschen dürfen erst gar nicht geboren werden. Dies war der Beginn der Sozialeugenik und der Rassenhygiene, die dann in den Vernichtungs- und Züchtungsprogrammen der NS-Politik voll entfaltet wurde. Der NS-Rassismus richtete sich in erster Linie gegen Jüd*innen und dann gegen alle „nicht arischen Rassen“. Diesem Rassismus liegt aber auch ein dynamischer Rassenbegriff zugrunde, denn ebenso, wie mit einer „Züchtung“ eine Verbesserung der „Rasse“ erzeugt werden kann, droht andererseits ständig die Dekadenz und Degenerierung der eigenen „Rasse“. Erforderlich sei daher die Rassenhygiene mit der Parole „Halte deine Rasse sauber“, zu der auch Hitler in seinem letzten Satz seines politischen Testaments implizit aufrief. Diese richtete sich dann nicht nur gegen „fremde Rassen“, sondern auch gegen Menschen „der eigenen Rasse“, nämlich gegen diejenigen, die nicht im Sinne der Nazis „arbeitsfähig“ waren, sondern eine wirtschaftliche „Belastung“ darstellten: Menschen, die nicht den körperlichen oder geistigen Nazi-Normen entsprachen oder die als Frauen gegen das Idealbild der Nazis verstießen.

    Ein Bekannter von mir, Paul Wulf, wurde als Sohn einer verarmten Arbeiter*innenfamilie zwangssterilisiert. Weil sie ihn aufgrund der Armut nicht ernähren konnten, gaben sie ihn in ein Kinderheim. Mit der Diagnose „erblicher Schwachsinn“ wurde er zwangssterilisiert. Paul Wulf erhielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie eine vernünftige schulische Ausbildung, was ihn allerdings nicht daran hinderte, zu den Tätern der Rassenhygiene zu recherchieren. Als Hilfsgärtner an der Uniklinik Münster fiel ihm auf, dass dort der Mediziner Verschuer anzutreffen war. Wulf machte publik, dass der 1951 zum Dekan der Uni-Klinik ernannte Otmar Freiherr von Verschuer eine NS-Vergangenheit hatte. Er war der Doktorvater vom Auschwitz-„Arzt“ Mengele und von 1942 bis 1948 Chef des Dahlemer „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ und ließ sich von seinem Doktoranden Mengele Leichenteile von Auschwitz nach Dahlem schicken, um erbbiologische Forschung zu betreiben. Nach 1945 war der „Dahlemer Kreis“ unter Verschuer weiter eugenisch-bevölkerungspolitisch aktiv. Unter anderem war Verschuer 1961 beteiligt an der Gründung der internationalen sozial- und rassen-eugenischen Zeitschrift „Mankind Quarterly“, finanziert vom Pioneer Fund. Und hier schließt sich wieder der Kreis zu Höcke.

    Autor bei Mankind Quarterly war J. Philippe Rushton, der von 2002 bis 2012 Vorsitzender des Pioneer Fund war und zuvor bereits 700.000 US-Dollar Fördergelder von dieser rassistischen Stiftung erhielt, um unter anderen sein Hauptwerk „Rasse, Evolution und Verhalten“ zu schreiben. Hier vertritt er die These, dass sich die Arterhaltungsstrategien der „Großrassen“ unterscheiden würden. Während die afrikanische „Rasse“ die biologische r-Strategie verfolge, nämlich viele Kinder zu gebären, von denen nur wenige überlebten, würden die kaukasische und asiatische „Rasse“ die K-Strategie verfolgen: Sie erfanden die fürsorgende Familie, bekämen weniger Kinder, sorgten sich aber besser um sie, und mit dem Konzept der Familie, welches Afrikaner*innen artfremd sei, wäre zugleich die Keimzelle für die entstehende Hochkultur gelegt worden.

    Höcke vertrat diese rassenbiologische These dezidiert in einem Vortrag beim „III. Staatspolitischen Kongress ‚Ansturm auf Europa’“ am 21. November 2015 beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda, welcher über den Antaois-Verlag des Instituts das Rushton-Buch vertreibt. Konkret sagte Höcke: „In Afrika herrscht nämlich die sogenannte Klein-R-Strategie vor, die auf eine möglichst hohe Wachstumsrate abzielt. Dort dominiert der sogenannte Ausbreitungstyp. Und in Europa verfolgt man überwiegend die Groß-K-Strategie, die die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen möchte. Hier lebt der Platzhaltertyp. Die Evolution hat Afrika und Europa vereinfacht gesagt zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert. Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen. Das Auseinanderfallen der afrikanischen und europäischen Geburtenrate wird gegenwärtig natürlich noch durch den dekadenten Zeitgeist verstärkt, der Europa fest im Griff hat. Kurz: Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Höcke 2015)

    Der Pioneer Fund, der bereits den NS-Propagandafilm „Erbkrank“ in den Vereinigten Staaten verbreitete, hat mit den 700.000 Dollar für Rushton gezielt eine Theorie entwickeln lassen, die extrem perfide einen Zusammenhang von „Rassen“, Familien- und Kulturfähigkeit herbei phantasiert. Und ich überlasse es der Phantasie der Leser*innen dieses Artikels, sich die Politik einer Regierung auszumalen, die sich diesen biologistischen Rassismus einer rassengenetisch verankerten Familien- und Kulturunfähigkeit zu eigen macht. Wichtig ist der Hinweis, dass die von den Rechten propagierte Politik der sogenannten „Traditionelle Familie“ nur für die vermeintlichen Träger*innen der Hochkultur gilt. „Artfremde“ aber auch „Asoziale“ sollen besser von Familiengründungen fern gehalten werden. Der Familismus zeigt sich hier nicht nur als Pro-Familismus, sondern auch als rassistischer/rassenhygienischer Anti-Familismus.
    Höcke provoziert nicht, er beißt sich auf die Lippen

    Höckes Übernahme von Rushtons rassenbiologischen Thesen impliziert nicht nur eine rassistische Migrationspolitik, sondern die Denkweise der Rassenbiologie umfasst natürlich auch das gesamte Konzept der Rassenhygiene, also auch „Degenerations-“ und „Entartungstendenzen“ der „eigenen Rasse“. Wäre die AfD ein oder zwei Jahre später entstanden, hätte Höcke/ Ladig seine Artikelserie von 2011/2012 vielleicht noch 2013 fortsetzen können und gegebenenfalls noch offener ausgeführt, was Rassenbiologie für ihn in der sozialpolitische Umsetzung heißt. Auch wenn es schwer zu glauben ist, müssen wir davon ausgehen, dass Höcke als Landespolitiker sich mit der Äußerung seiner wirklichen Gedanken zurückhält. Er provoziert nicht, im Gegenteil: Er beißt sich auf die Lippen, denn er weiß, dass das, was er im Nazi-Blatt „Volk in Bewegung“ unter Pseudonym geäußert hat, ihn heute seinen Parteiposten kosten könnte. Selbst noch in der AfD.

    Literatur:

    Hitler, Adolf (1945): Mein politisches Testament
    Höcke, Björn (2015): Asyl – eine politische Bestandsaufnahme. Vortrag beim Institut für Staatspolitik, Schnellroda
    Ladig, Landolf (2011): Krisen, Chancen und Auftrag, in: Volk in Bewegung. Nr. 5/2011, S. 6-9
    Monkemöller, Otto (1908): Korrektionsanstalt und Armenlandhaus. Ein soziologischer Beitrag zur Kriminalität und Psychopathologie des Weibes, Leipzig
    Rushton, J. Philippe (2005): Rasse, Evolution und Verhalten. Eine Theorie der Entwicklungsgeschichte. Ares-Verlag, Graz
    Thamer, Hans-Ulrich (2005): Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz, in: Bundeszentrale für politische Bildung

    https://krautreporter.de/2769-was-bjorn-hocke-in-einer-npd-zeitschrift-schrieb-als-er-noch-nich

    https://www.wiwo.de/politik/deutschland/nach-lucke-abgang-unternehmer-verlassen-die-afd/12027900.html

    https://blog.campact.de/2022/10/afd-sozial

    https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/dossier-nationalsozialismus/39551/wirtschaft-und-gesellschaft-unterm-hakenkreuz

    #Allemagne #nazis #politique

    • Bof, le monopole d’usage de violence par la police produit un nombre de morts comparables dans des circonstances comparables. En France il y a flashball, taser et grenades qui sont réservés à l’usage militaire an Allemagne, d’où plus de blessés graves en France

      Polizeiliche Todesschüsse ab 1976
      https://polizeischuesse.cilip.de/?p=1#chronik

      10 morts par usage d’arme à feu en 2022, les victimes de la Bundespolizei et les morts par d’autres types d’emploi de force par la police ne sont pas comtabilisés. On n’est pas si loin des chiffres français.

      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Waffengebrauch_der_Polizei_in_Deutschland

      Insgesamt wurden seit 1952 mindestens 530 Menschen von der bundesdeutschen Polizei erschossen.

      Nicht in der Statistik enthalten sind Suizide oder von der Bundespolizei Erschossene. Die durch andere Arten von polizeilichen Methoden Getöteten sind ebenfalls nicht in diesen Listen enthalten, beispielsweise durch Ersticken im Würgegriff oder Auto-Verfolgungsfahrten, wodurch allein von 1971 bis 1980 mehr als 200 Menschen umgekommen sind, während im selben Zeitraum 153 Menschen durch Schusswaffen von der Polizei getötet wurden.

      #police #statistique #bavure #France #Allemagne

  • CSD in Freiburg - Antifa als Publikumsmagnet ?
    https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/639/antifa-als-publikumsmagnet-8938.html

    Les associations d’homosexuels et d’homosexuelles boycottent la manifestation du Christopher Street Day à Fribourg à cause de son affiche antifasciste. Pourtant la référence à l’esprit de Stonewall en fait la plus grande manif queer jamais vu dans la petite ville en Forêt-Noire.

    8.6.2023 von Minh Schredle| - Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

    À l’Ouest, rien de nouveau. Depuis toujours il y a un conflit entre les militants gays de gauche et la mouvance qui cherche surtout l’intégration dans la société capitaliste.

    Doch manche Ziele sind gleicher. Während Diskriminierungsfreiheit als gemeinsamer Nenner von den allermeisten unterschrieben werden dürfte, gab es innerhalb der Community seit jeher Auseinandersetzungen. Angefangen als gemeinsamer Protest verschiedener marginalisierter Gruppen in den USA spaltete sich von der Gay Liberation Front, die sich unmittelbar nach dem Stonewall-Aufstand in der Christopher Street formiert hatte, nur wenige Monate später die Gay Activists Alliance ab: ein Zusammenschluss, der sich als politisch neutral verstand, im bestehenden System arbeiten wollte und in dem zum Beispiel Transpersonen nicht willkommen waren. Auf diesem Weg versprachen sich die Beteiligten bessere Chancen für ein Antidiskriminierungsgesetz.

    Banal gesagt: Gerade weil die Sexualität einer Person keine Rückschlüsse auf ihr politisches Denken zulässt, ist es ziemlicher Unsinn, von grundsätzlich gemeinsamen Zielen zu reden. „Einem großen Teil der Homosexuellenbewegung geht es seit jeher weniger um die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit und die daran gebundenen Begehrensstrukturen als um Sichtbarkeit, Anerkennung und Integration“, schrieb der Autor Julian Volz 2021 in der Zeitschrift „Konkret“. Zu dieser Zeit protestierte Markus Söder mit Regenbogenmaske gegen die UEFA, und die europäische Grenzschutzagentur Frontex färbte sich anlässlich des Pride Month Juni das Logo bunt, um „die Kernwerte der EU – Gleichheit und Nichtdiskriminierung“ zu fördern. Kernwerte, die aktuell mit kindgerechten Haftbedingungen und einer beim Ertrinken behilflichen Küstenwache gegen Ausländer:innen verteidigt werden.

    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Fribourg-en-Brisgau

    #Allemagne #Fribourg-en-Brisgau #CSD

  • Birte spielt nicht mehr mit
    https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/639/birte-spielt-nicht-mehr-mit-8943.html

    Les stations de télévision publiques allemandes ne tolèrent pas la mise en cause du système capitaliste en place dans ses émissions. Il n’y a pas de censure traditionnelle mais on n’invite pas les personnes connues pour leurs positions radicales. Ceci va de pair avec la criminalisation systématique des participants de chaque mouvement contestataire qui prend de l’ampleur au niveau national.

    La comédienne Christine Prayon a pris du recul pour récupérer ses forces après avoir subi de graves symptômes suite à la vaccination contre le Covid. Elle ne retournera pas à l’écran de si tôt car depuis un an sa manière de parodier les puissants n’est plus compatible avec les émissions humoristiques « officielles ».

    28.6.2023 von Susanne Stiefel (Interview)| - Christine Prayon alias Birte Schneider tritt nicht mehr in der „heute-show“ auf. Welke & Co. machten „Stimmung gegen Andersdenkende“, kritisiert die Kabarettistin. Und bezieht „Die Anstalt“ und Böhmermann mit ein.
    ...
    Ich habe mit der Art, wie die großen gesellschaftlich prägenden Themen seit Corona behandelt werden, zunehmend Bauchschmerzen bekommen. Ich habe auch mit den Verantwortlichen dort geredet und betont, dass ich mich nicht daran beteiligen will, Andersdenkende der Lächerlichkeit preiszugeben. Satire darf sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen. Und jetzt findet genau dies wieder statt beim Krieg in der Ukraine. Da werden Narrative und Positionen von Gruppen, die gesellschaftlich in der Hierarchie weit oben stehen, unablässig wiederholt und gleichzeitig wird Stimmung gegen Andersdenkende gemacht. Das hat nach meinem Dafürhalten nichts mehr mit Satire zu tun.

    Alles vorbei, Türe zu bei Welke & Co.?

    Die Tür wurde mir offen gelassen, falls ich das mal wieder anders sehen oder mich wohlfühlen sollte. Das finde ich auch schön. Aber ich habe diesen Schlussstrich für mich gezogen. Nein, und offiziell sind auch bei der „Anstalt“ im ZDF keine Türen zu. Aber man wird halt immer weniger gefragt, bis man irgendwann nicht mehr gefragt wird, und das hat Gründe. Ich habe mich wohl erfolgreich mit meinem Programm und meinen Ansichten aus vielen Sachen rauskatapultiert. Ich glaube zum Beispiel auch, wenn man das große Fass Kapitalismuskritik aufmacht und das wirklich ernst meint, ist man draußen.
    ...
    In der realen Welt werden junge Menschen, die sich auf Straßen kleben, in den Knast gesteckt.

    Das Kriminalisieren von Gruppen, das kennen wir auch noch von S 21. Das hat man mit allen versucht, weil man gemerkt hat, jetzt wird es gefährlich. In Stuttgart wurde der Protest immer größer, es waren über 100.000 auf der Straße, da musste man gucken, dass das so nicht mehr geht. Und das, was die Letzte Generation macht, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, ist ein Angriff auf das bestehende System. An einer empfindlichen Stelle, und sie bringen es zum Bröckeln, indem sie den Verkehr lahmlegen, sodass die Leute nicht zur Arbeit kommen. Das ist eine Attacke auf eine heilige Kuh. Das kann man doch im Kapitalismus nicht machen, aber hallo, ja, wo kämen wir denn da hin?

    Ha, Sie sind schon wieder auf der Bühne. Aber zurück in die Realität: Entsprechend sind auch die Reaktionen. Etwa der Autofahrer.

    Das wundert mich nicht. Das stört. Demonstrieren an einem dafür ausgesuchten Platz stört nicht. Es sei denn, die Demonstration wird so groß, dass man sie nicht mehr wegreden oder wegleugnen kann, wie S 21 damals. Aber der zivile Ungehorsam ist natürlich erlaubt, doch er kippt, wenn er zu etwas gemacht wird, was nicht sein darf. Ziviler Ungehorsam gleich kriminell. Das ist doch beängstigend. Wo geht denn das hin? Wenn wir diese Mittel nicht mehr zur Verfügung haben? Wie sollen wir uns denn noch wehren, wenn wir Unrecht sehen? Ja, demonstrieren?

    Oder eben auch nach den Utopien schauen. Ernst Bloch sagt im Prinzip Hoffnung, Utopien haben einen Fahrplan, sie gehen von Missständen aus und in die Richtung auf ein besseres, gerechteres Leben. Und Sie sagen, Utopien sind nicht lustig.

    Dystopien ja, aber Utopien... was mach ich da? Vortrag halten?

    Über die Regierung lästern. Über den Porsche-Lindner …

    Aber das ist doch sooo langweilig.

    Aber immer noch notwendig. Aufklärung ist notwendig, deshalb bin ich Journalistin geworden. Und jetzt kommt die Prayon daher und sagt, wir wissen doch schon alles, die Sauereien sind alle bekannt, alles transparent. Stimmt doch nicht.

    Was hilft es uns, dass wir wissen, was bei Stuttgart 21 gelaufen ist? Ist doch alles da, die Lügen, die Korruption. Wir wissen doch auch, was beim NSU passiert ist. Wir kennen die ganzen Skandale, wir sehen das alles, und was folgt daraus? Natürlich ist Aufklärung nötig, die soll auch nicht aufhören. Für mich war nur der Punkt, dass das, was normalerweise für die Aufgabe des Kabaretts gehalten wird, also die Kritik am Bestehenden, dass das alleine mich nicht interessiert, wenn man nicht gleichzeitig darüber redet, was noch möglich ist. Und wenn man auch nicht gleichzeitig über die tieferen Ursachen spricht. Für mich ist es immer Ausdruck eines kranken Systems. Wie soll ich jemandem vorwerfen, dass er sich bereichert hat, wenn das innerhalb des Systems verlangt wird? Oder finden Sie, dass der Kapitalismus auch nur eines der gewaltigen Probleme unserer Zeit in den Griff kriegt? Und auch mit einem grün angepinselten Kapitalismus werden wir die Erde nicht retten.

    https://www.christineprayon.de
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Christine_Prayon

    #Allemagne #théâtre #satire #télévision #cabaret #censure #capitalisme

  • Ermittlungen gegen Udo Stein, AfD
    „Bräunlicher Wolf“
    https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/639/braeunlicher-wolf-8939.html
    Un fasciste se réfugie chez les psy

    28.6.2023 von Johanna Henkel-Waidhofer, KONTEXT:Wochenzeitung, Ausgabe 639

    Gegenwärtig ist Udo Stein, Vize-Vorsitzender der baden-württembergischen AfD-Fraktion, stationär in psychiatrischer Behandlung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Den Landtag beschäftigt nun die Frage, welche Schlüsse aus dem Waffenfund in seinem Büro zu ziehen sind.
    Der AfD-Abgeordnete Udo Stein, als gerade in den Landtag eingezogen ist. Foto: Joachim E. Röttgers
    Der AfD-Abgeordnete Udo Stein, als gerade in den Landtag eingezogen ist. Foto: Joachim E. Röttgers

    Der 2016 neu gewählte baden-württembergische Landtag war noch keine vier Wochen alt, da fing sich der neue Abgeordnete aus dem Wahlkreis Schwäbisch Hall seine erste scharfe Rüge ein. „Das ist ja hier schlimmer als in der Nazi-Zeit“, schrie Udo Stein in der Debatte über den Antisemitismus seines damaligen Fraktionskollegen Wolfgang Gedeon durch den Plenarsaal. Um, wie er später sagt, dessen Vorverurteilung zu kritisieren. Am Ende entschuldigte sich der damals 33-Jährige. Doch auch weiterhin kam es immer wieder zu unsäglichen Grenzverletzungen, die eindeutig Vorsatz und Strategie erkennen ließen: Zu weit gehen, dann Teile des Gesagten zurücknehmen, um sich im Netz für die ursprünglichen O-Töne feiern lassen. Friedrich Bullinger (FDP) aus demselben Wahlkreis fand nach der Gedeon-Debatte deutliche Worte: Der ungeheuerliche und ahistorische NS-Zeit-Vergleich sei kein Ausrutscher von Stein gewesen, vielmehr habe da „ein bräunlicher Wolf im Schafspelz im Plenum seine Maske fallen lassen“.

    Als Unterzeichner der „Erfurter Resolution“ hat sich der Einzelhandelskaufmann und Vater von drei Kindern früh als Anhänger von Björn Höckes völkischem Flügel geoutet. Dennoch folgte er dem als gemäßigt geltenden Fraktionschef Jörg Meuthen in die vorübergehend wegen Gedeon abgespaltene „Alternative für Baden-Württemberg“ (ABW). Gleich nach seinem Einzug in den Landtag sorgt er ein zweites Mal für Aufregung mit einer Reise in den russisch besetzen Donbas und dubiosen Kontakten zu prorussischen Separatisten. Auch später steht Stein häufig an der Seite der Radikalen, allen voran an der von Parteifreundin Christina Baum, der Zahnärztin aus Lauda-Königshofen, die es mittlerweile vom Landtag in den Bundestag geschafft hat und immer wieder mit Äußerungen vom ganz rechten Narrensaum auffällt. Beide verbreiten anhaltend den Unsinn von der „Frühsexualisierung“ baden-württembergischer Kinder. Stein titulierte die Landtagsvizepräsidentin von der CDU einmal in einer Retourkutsche auf einen Ordnungsruf als „Hetzerin“. Ein andermal gab er von sich, er wolle „abschieben statt durchfüttern“.

    Waffen im Abgeordnetenbüro

    Seit Langem ist Stein ein übereifriger Zwischenrufer, dagegen blitzt er bei Redner:innen anderer Fraktionen regelmäßig mit den Ansinnen ab, eine Frage stellen zu dürfen. Wird die doch mal zugelassen, wie bei einem seiner vorerst letzten Auftritte im Parlament von Justizministerin Marion Gentges (CDU), hetzt er gleich wieder und behauptet, „dass jeder Mensch ohne Kontrolle, ob er Deutsch kann, ob er arbeiten kann, ob er für uns in der Wirtschaft irgendetwas beibringt, zu uns kommen kann“. Natürlich postet er die Passage und trägt so dazu bei, dass Fake News über staatliche Zuwendungen an Asylsuchende und sogar ukrainische Geflüchtete verbreitet werden.

    Vor einer guten Woche nun machte sein Team „in eigener Sache“ bekannt, dass „unser Chef leider erkrankt ist“. Es werde allerdings weiter auf Facebook informiert, gekennzeichnet mit „Büro Stein“.
    Viele Verdachtsmomente

    Nach wochenlangen Gerüchten bestätigt nun die Staatsanwaltschaft Stuttgart, dass sie Ermittlungen gegen „einen Abgeordneten“ eingeleitet habe wegen des Anfangsverdachts des Hausfriedensbruchs, der Amtsanmaßung, des Verstoßes gegen das Waffengesetz, des tätlichen Angriffs sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der versuchten Körperverletzung, des Missbrauchs von Notrufen, der falschen Verdächtigung und des Vortäuschens einer Straftat. Die Landtagspräsidentin sei informiert. Im Klartext: Die Latte der Verdachtsmomente ist lang, konkret bestätigt ist wenig, dementiert aber auch nicht. Durchsuchungen haben nicht nur im Stuttgarter Büro, sondern auch im Privathaus stattgefunden, auch eine Jagdhütte wird genannt. Eine zweistellige Zahl von Waffen soll gefunden worden sein, darunter sogar solche, die in der Bundesrepublik nicht zugelassen sind. Und nach Informationen der „Heilbronner Stimme“ kam es in einem Bordell zu einem Heiratsantrag und Handgreiflichkeiten, im Zuge derer sich der 40-Jährige als Polizeibeamter ausgegeben hat.

    Erste Gerüchte über ein mögliches staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen Udo Stein gibt es seit gut zwei Wochen. Der passionierte Jäger soll in einer Shisha-Bar Personen mit einer Softair-Pistole bedroht haben. Über Umwege wanderte ein Rucksack in sein Abgeordnetenbüro in der Urbanstraße, in dem sich Munition sowie ein Jagdmesser fanden. „Von einer behaupteten Aufhebung der Immunität oder einem entsprechenden Antrag ist uns nichts bekannt“, heißt es in einer Reaktion der AfD-Fraktionsführung aus der vergangenen Woche. Und weiter: „Es dürfte aber in der bundesdeutschen Geschichte einmalig sein, sofern der Landtag in Baden-Württemberg dem zustimmen würde – denn damit würde ein erkrankter Abgeordneter offen wegen seiner Erkrankung diskriminiert.“ Zugleich wird beklagt, „wie sich einzelne Medien weit von einer seriösen, sachlichen und vor allem moralisch-ethischen Berichterstattung entfernt haben“. Es mache fassungslos, dass die Erkrankung eines Menschen im Inhalt und in den Worten medial ausgenutzt wird.

    Angesichts von Waffen im Landtag sah sich allerdings Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) zu einer „Überprüfung der Sicherheitslage“ veranlasst. Uneingeschränkt erhalten bleibt der Zugang über zwei Pforten zum Haus des Landtags für Abgeordnete, Beschäftigte und Besucher:innen nach Anmeldung. Künftig allerdings wird Abgeordneten verwehrt, ungehindert in die Etagen und in die Büroräume anderer Fraktionen einzudringen. Für Parlamentarier:innen der „Alternative für Deutschland“ bedeutet dies, dass das Haus der Abgeordneten neben dem Haus der Geschichte, in dem Grüne und CDU untergebracht sind, genauso tabu ist wie das Königin-Olga-Gebäude am Schlossplatz, in dem SPD und FDP sitzen. Denn, sagt Aras ohne Erwähnung der Vorgänge in der AfD-Fraktion, „die Sicherheit aller Menschen, die sich in Gebäuden des Landtags aufhalten oder arbeiten, hat für mich oberste Priorität“.

    Immunität schützt Parlamente, nicht Abgeordnete

    Inzwischen ist die Landtagspräsidentin von der Staatsanwaltschaft über das Vorgehen gegen Stein informiert. Die erste Durchsuchung seines Büros – samt Messer- und Munitionsfund – gehorchte den Regeln der Gefahrenabwehr. Das weitere Vorgehen jedoch ruft jetzt auch Abgeordnete anderer Fraktionen auf den Plan, die sich vom Innen- und vom Justizministerium sowie von der Landtagsverwaltung selber schlecht informiert fühlen. „Was wir wissen, wissen wir aus den Medien“, sagt ein Parlamentarier. Das könne nicht sein, grundsätzlich nicht, und erst recht nicht, wenn Fragen der Immunität tangiert seien. Unstrittig ist von den Behörden nicht der Landtag, sondern die Heimstätte der AfD-Fraktion in der Ulrichstrase betreten worden, um die Vokabel Hausdurchsuchung zu vermeiden. Für die gilt aber, was für alle Landtagsgebäude gilt – und selbst die Frage der Gefahrenabwehr ist Auslegungssache. „Immunität bedeutet, dass Abgeordnete nicht ohne Genehmigung des Landtags strafrechtlich verfolgt oder festgenommen werden dürfen“, heißt es in einem Erklärungstext des Landtags für Interessierte. Und weiter: „Dies gilt aber zum Beispiel nicht, wenn der Abgeordnete auf frischer Tat ertappt oder am darauffolgenden Tag festgenommen wird.“ Das Recht auf Immunität diene dazu, „die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten“.

    Ganz unabhängig von solchen und anderen zu klärenden rechtlichen Fragen stimmt eines ganz bestimmt: Den Maßstab, den die AfD jetzt an Stein angelegt wissen will, billigt sie anderen Menschen nicht zu. „Auf das Schärfste“ werden „Entgleisungen“ verurteilt, und dass Persönlichkeitsrechte nicht berücksichtig seien. Dabei sind alle Info- und Kommunikationskanäle der Rechtspopulisten:innen und -extremist:innen voll genau davon, wenn es um Andersdenkende oder Ausländer:innen geht. Würde seine Fraktion eben diese Maßstäbe für ihren Kollegen anlegen, hätte Udo Stein jedenfalls niemals die Chance auf einen fairen Umgang mit einem psychisch kranken Menschen.

    #Allemagne #AfS #droite #nazis #iatrocratie

  • En #Allemagne, l’#extrême_droite remporte pour la première fois une élection locale
    https://www.lemonde.fr/international/article/2023/06/26/en-allemagne-l-extreme-droite-remporte-pour-la-premiere-fois-une-election-lo

    En dépit du soutien de tous les autres partis, le candidat de la CDU a été battu par celui de l’AfD dans le Landkreis (arrondissement) de Sonneberg, en Thuringe. Ce scrutin concrétise la poussée de l’AfD dans les sondages.

  • Rette Dich vor Benko ! Wie ein Immobilienhai aus Österreich Kaufhäuser in Grund und Boden saniert
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=99887

    Karstadt am Hermannplatz während der Olympischen Spiele 1936

    Le spéculateur Benko joue au Monopoly avec le parc immobilier austro-allemand et gagne. Pas étonnant, c’est lui qui dicte les règles du jeu. Sur le site Nachdenkseiten on peut lire l’histoire entière.

    27.6.2023von Ralf Wurzbacher - Die Signa Holding krallt sich haufenweise marode Warenhäuser, macht sie in Serie platt, bereichert sich an den lukrativen Immobilien und kassiert für all das auch noch Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern. Was unter „Rettung“ läuft, ist in Wahrheit ein brutaler Akt schöpferischer Zerstörung, und aus den Ruinen schöpft allen voran Konzernboss René Benko. Auf der Strecke bleiben Beschäftigte, Kunden und unternehmerischer Anstand. Mit Recht und Gesetz geht es bei all dem vermutlich auch nicht zu, wie ein Blick zu unseren österreichischen Nachbarn offenbart. Aber auch in Deutschland hinterlässt sein Geschäftsmodell ein Trümmerfeld.

    Zerstörte Häuser in Berlin, Hermannsplatz. Vom einst modernsten Karstadt Kaufhaus der Stadt blieben im Mai 1945 nur Ruinen stehen.


    Le magasin Karstadt aujourd’hui, il n’en restent que trois étages et un énorme parking. Le terrain qu’occupe le bâtiment est la cible de la convoitise du spéculateur de Tyrol.

    #Allemagne #Autriche #immobilier #spéculation #commerce #grands_magasins #corruption

  • L’évaporation du #trafic automobile
    http://carfree.fr/index.php/2023/06/28/levaporation-du-trafic-automobile

    C’est arrivé à certains d’entre nous. Vous vouliez créer une rue sans voiture, mais on vous a opposé des prévisions convaincantes d’augmentation du trafic dans les rues avoisinantes. Bien que Lire la suite...

    #Fin_de_l'automobile #Fin_des_autoroutes #allemagne #angleterre #autoroutes #congestion #Europe #histoire #italie #japon #londres #lyon #new-york #routes #Suisse #usa

  • Nachruf : Johanna Ruf, die letzte Augenzeugin vom Führerbunker, ist gestorben
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/nachruf-johanna-ruf-die-letzte-augenzeugin-vom-fuehrerbunker-ist-ge


    Johanna Ruf als Kind Anfang der 1940er-Jahre.

    Le monde entier a l’air de s’intéresser au derniers jours du « Führer » Adolf Hitler et de son entourage. Les questions de stratégie militaire et politique, les pépararatifs de la guerre froide et la réconfiguration de l’Europe par les vainqueurs sont moins populaires. Elles pèsent toujours sur notre quotidien, mais on préfère s’imaginer le triste sort des enfants de Goebbels ou le vécu des jeunes filles de l’hôpital provisoire du « Führer » face aux soldats russes.
    La dernière survivante du « Führerbunker » vient de décéder à 94 ans après avoir publié ses souvenirs.

    Maritta Adam-Tkalec - Als 15-jähriges BDM-Mädel erlebte sie das Ende des „Reiches“ in Hitlers Nähe. Ihr Buch ist ein Dokument darüber, wie junge Menschen in einer Diktatur aufwachsen.

    Johanna Ruf, die letzte Augenzeugin aus dem Führerbunker, ist am 21. Juni 2023, einen Tag vor ihrem 95. Geburtstag, friedlich in Berlin gestorben. Das erfuhr die Berliner Zeitung vom Herausgeber ihres Erinnerungsbuches.

    Als 15 Jahre altes Mädchen hatte Johanna Ruf die letzten Tage des NS-Reiches im Bunker nahe der Neuen Reichskanzlei erlebt. Ab dem 27. April 1945 war sie zusammen mit 30 anderen „Mädels“ vom Bund Deutscher Mädchen (BDM) als Helferin vor allem bei der Betreuung Verwundeter eingesetzt. Sie gehörte zu den letzten, die die Kinder von Joseph und Magda Goebbels sahen, bevor diese von ihren Eltern beim Heranrücken der Roten Armee vergiftet wurden. Und sie hörte von einem Arzt, dass Adolf Hitler tot sei.

    Ihre Beobachtungen und Gedanken während der Tage im „Verteidigungsbereich Zitadelle“, wie das Regierungsareal genannt wurde, hatte sie auf Zetteln notiert. Mithilfe von Wieland Giebel, dem Macher des Museums Berlin Story Bunker und Gründer sowie Leiter des Berlin Story Verlages, erschienen ihre Erinnerungen 2017 unter dem Titel „Eine Backpfeife für den kleinen Goebbels – Berlin 1945 im Tagebuch einer 15-Jährigen. Die letzten und die ersten Tage“.

    Giebel erinnert sich an seine anfangs ambivalenten Gefühle als Herausgeber und an die Argumente, warum das Buch wichtig wäre: „Einerseits will ich weder Nazipropaganda noch Voyeurismus fördern“, sagt er, andererseits komme es darauf an, die Situation damals so darzustellen, wie sie war. Er hatte Johanna Ruf 2016 kennengelernt: „Bei einem Besuch bei ihr im Altersheim kramte sie ihr Tagebuch von damals heraus. Die Bedeutung war mir sofort klar. Wir brachten den Text zusammen in Form. Durch weitere Gespräche erkundete ich die Rahmengeschichte über ihre Familie und was danach in ihrem Leben geschah.“

    Das Buch versteht er als „Dokument darüber, wie junge Menschen in einer Diktatur aufwachsen, sich engagieren, aber auch darüber, dass es unter ,den Russen‘ damals sehr anständige Offiziere gab, die die jungen Mädchen schützen.“ Schließlich seien ihre Aussagen ein wichtiger Beitrag gegen die unsäglichen Verschwörungstheorien, Hitler habe vielleicht doch überlebt. Ein Arzt hatte den jungen Frauen erzählt, dass Hitler tot sei, und Soldaten hatten von den verbrannten Leichen berichtet.

    Die letzte Zeugin aus dem Führerbunker: Als BDM-Mädel nahe Hitler und Goebbels
    Nie Verantwortung auf andere geschoben

    Wieland Giebel sagt: „Solange ich sie kenne, hat sie sich klar und deutlich gegen den Nationalsozialismus positioniert und nie die Verantwortung auf andere geschoben, also nie gesagt, sie sei von Hitler verführt oder in die Irre geleitet worden.“

    Nur wenige Wochen vor ihrem Tod sprach Johanna Giebel mit der Berliner Zeitung über ihre Erinnerungen. Der am 8. Mai 2023 publizierte Text ist online nachzulesen.

    Johanna Ruf, die letzte Augenzeugin vom Führerbunker, starb in ihrem Berliner Altersheim. Sie hat der Nachwelt wichtige Informationen über eine unheimliche Zeit hinterlassen.

    #histoire #Allemagne #Berlin #nazis #guerre

  • Kinder von Sowjetsoldaten : Wie ich die Familie meines Vaters fand
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/familienzusammenfuehrung-verein-russenkinder-ev-kinder-von-sowjetso

    Comment la croix rouge allemande a cessé d’aider les enfants de soldats soviétiques a retrouver leurs pères

    25.6.2023 von Anatoly Rothe - Zu DDR-Zeiten bin ich zweimal zur sowjetischen Botschaft gegangen. Beim ersten Mal, Ende der 1960er-Jahre, wurde ich gar nicht erst vorgelassen. Beim zweiten Mal, 1986, fragte ich wegen einer Reisemöglichkeit in die Sowjetunion nach. Ein freundliches Gespräch. Es endete damit, dass ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, nach meinem Vater zu fragen. Ich wurde regelrecht hinausgeworfen.

    Als ich 1996 meinen 50. Geburtstag vorbereitete, fragte ich mich, was ich im Leben noch erreichen wollte. Da kam diese Frage wieder hoch. Das Konsulat der russischen Botschaft gab mir zwei Adressen, die der deutschen Botschaft in Moskau und die des Archivs des russischen Verteidigungsministeriums in der Stadt Podolsk bei Moskau.

    Auf der Suche nach dem Vater in der ehemaligen Sowjetunion

    Nach einem halben Jahr bekam ich die Auskünfte über meinen Vater, musste die Suche weiterführen, weil er Kasache war und aus der Armee nach Hause entlassen worden war. Schließlich fand ich sein Grab und seine Familie. Er hatte nach seiner Demobilisierung kurz nach meiner Geburt eine Kasachin geheiratet und mit ihr neun Töchter bekommen. Sie wussten von mir, ihre Mutter hatte es ihnen erzählt. Nun war ich endlich gekommen.

    Die Schwestern erzählten mir, dass der Vater zwar erzählt hatte, einen Sohn in Deutschland zu haben, was ihm kaum einer glaubte. Jetzt aber kamen nur Töchter, da haben Nachbarn und Freunde ihm gute Ratschläge gegeben, wie man einen Sohn zeugt. Wie allgemein bekannt – Salz aufs Fensterbrett etc.

    Selbstverständlich wurde ich herzlich in die Familie aufgenommen. Um es vorweg zu sagen, so erging es allen, die Erfolg bei ihrer Suche hatten. Wir fanden zueinander und blieben es. Die vielen Besuche hatten eine Folge, ich heiratete eine Kasachin, eine Frau aus dem Land meines Vaters. Die Ehe scheiterte, weil sie, eine Sprachdozentin an der Universität in Kysylorda, vom hiesigen Jobcenter die Empfehlung erhielt, putzen zu gehen. Ich hätte es nicht ertragen.
    Gründung des Vereins Russenkinder e.V.

    Als ich 2014 auf eine Gruppe Betroffener stieß, hatte keiner von ihnen die Vorstellung, dass die Suche nach dem Vater überhaupt möglich war. Das war der Auslöser für die weiteren Geschehnisse. Diese Gruppe war mehr auf persönliche Empfindsamkeit orientiert. Ich wollte helfen. So kam es zur Gründung des Vereins Russenkinder e.V. im November 2014. Ein denkwürdiger Termin.

    Kurz vorher hatte es eine Veranstaltung der Vereinigung von internationalen Kriegs- und Besatzungskindervereinen gegeben. Auf ihr wurde mir unmissverständlich erklärt, dass eine Zusammenarbeit mit uns nicht erwünscht sei, man kann sich denken – satzungswidrig.

    Einfach gesagt geht es um Familienzusammenführungen. Botschafter einiger beteiligter Länder haben unsere Arbeit ausdrücklich begrüßt und ermuntern uns fortzufahren. Ebenso wünschen sie uns Erfolg.

    Seit unser Verein sich mit diesem Thema beschäftigt, gab und gibt es aus unserem Geburtsland keinerlei Unterstützung. Einige Helfer wollen nicht öffentlich genannt werden, von staatlichen und anderen Einrichtungen bestenfalls ein Verschweigen.

    Der Internationale Suchdienst des DRK in München half bis 2012 Russenkindern bei der Suche. Zu dieser Zeit übernahm eine Frau aus Estland, die einen Deutschen geheiratet hatte, die Leitung. Seitdem bekommen wir keine Antwort mehr von dort. Das haben uns viele Betroffene geschildert, ebenso andere Institutionen, die sich mit dem Thema Suche befassen und an die sich Russenkinder gewendet haben. Die Zivilgesellschaft will uns nicht wahrnehmen. Selbst vor unserer Würde wurde nicht haltgemacht. Die Frau, die die gleiche Arbeit unter wesentlich einfacheren Bedingungen und mithilfe aus der Politik für die amerikanischen Betroffenen ausführte, bekam das Bundesverdienstkreuz.
    Kinder von deutschen Müttern und Sowjetsoldaten

    Unser Start fand unter äußerst schwierigen Bedingungen statt. Es gab Auseinandersetzungen, Beschimpfungen, Lügen über uns, unsere Arbeit und Umstände, was dazu führte, dass manchmal mehr Aufwand für die Abwehr und zu Erlangung von Öffentlichkeit notwendig war als für die eigentliche Arbeit. Die ist schwierig genug, wurde teilweise öffentlich konterkariert. Wir haben uns trotzdem durchgesetzt.

    Man ahnt es, es geht um einen Aspekt des Verhältnisses zu Russland. Wir sind sogenannte Russenkinder. Und da beginnen die Missverständnisse. Dieser Begriff wird von uns verwendet, weil eine kurze, prägnante Bezeichnung erforderlich ist.

    Richtig ist, dass die Armee, die unter großen Opfern einen wesentlichen Anteil an der Niederschlagung Nazideutschlands hat, aus vielen Völkerschaften bestand. Die UdSSR, die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, bestand aus 16 Republiken. In ihr lebten und leben viele Menschen verschiedener Abstammungen. Also Russen, Bjelorussen, Ukrainer, Usbeken, Kasachen, Balten, Tataren, Koreaner, Juden, Deutsche – über 120 Völkerschaften.

    Es herrschte Wehrpflicht, sie alle wurden in die Armee eingezogen. Viele von ihnen waren in Ostdeutschland, der DDR, im Dienst. Von ihnen stammen wir ab. Wir sind Kinder von deutschen Müttern und Soldaten und Offizieren der Roten, später Sowjetarmee. Wir wurden hier geboren, gingen in Kindergärten, Schulen, lernten einen Beruf, studierten, arbeiteten in diesem Land und trugen zu seiner Entwicklung bei. Wir gründeten Familien, bekamen ebenfalls Kinder und Enkelkinder. Die Ältesten sind vom Jahrgang 1945, der Jüngste uns bekannte ist Jahrgang 1990.

    Von Anfang an gab es über unsere Väter Gerüchte, Erzählungen, Spekulationen. In den günstigen wurden sie versetzt. Weit gravierendere wurden erzählt, sie seien nach Sibirien geschafft, in Straflager gesperrt, gar erschossen worden.

    Durch die vielen gefundenen Väter wurde langsam sichtbar, dass diese Gerüchte sich nicht bestätigten. In keinem einzigen uns bekanntem Fall wurde bestraft. Im Gegenteil, zum Beispiel wurde ein Leutnant in den 70er-Jahren als Oberst in die Reserve entlassen.

    Wichtigster Punkt unserer Vereinsarbeit war und ist, Hilfe und Unterstützung bei der Suche nach dem Vater und seiner Familie zu geben. Nur wenige wussten, dass es diese Möglichkeiten gibt. Es meldeten sich Betroffene, erzählten ihre Geschichten, fragten, was sie tun können, was wir raten. Mancher redete zum ersten Mal darüber, andere wollten sich ihre Geschichte von der Seele reden.

    Zum Schluss sahen die meisten ein, sich auf die Suche nach dem Vater und seiner Familie zu begeben. Oder die Kinder und Enkel fragten nach ihren Wurzeln.

    Die Suchen gehen so vor sich: Wer den Namen des Vaters kennt, schreibt an das besagte Archiv in Podolsk. War der Vater beim Geheimdienst, an das Archiv des RGVA in Moskau. In der Regel wurden die Angaben übermittelt und die Suche konnte konkret in der entsprechenden Region weitergeführt werden.

    War der Name des Vaters nicht oder nur der Vorname bekannt, ist es sehr viel schwieriger, fast unmöglich. In solchen Fällen muss man eventuelle Zeitzeugen befragen, um diesen herauszubekommen. Wer seinen Vater und dessen Familie findet, erfährt viel Glück, Herzlichkeit, Interesse und Zuneigung. Man selbst, ich erfuhr es ja am eigenen Leibe, beginnt eine neue Phase im Leben. Oft gab es Reaktionen wie: Wir sind Dir von ganzem Herzen dankbar!

    Unsere Webseite wurde in den zehn Jahren des Bestehens über eine dreiviertel Million Mal aus der ganzen Welt aufgerufen. Über 1200 Betroffene haben uns kontaktiert. Viele von uns wuchsen mit ihren Müttern auf, ebenso bei Großeltern oder anderen Verwandten. Unsere Mütter heirateten. Wir bekamen Stiefväter. Manche von uns hatten keine schöne Kindheit.

    Die Familien behandelten sie herablassend, herabwürdigend. Andere wiederum erfuhren viel Liebe und Zuneigung, Förderung in ihrer Entwicklung. Der Versuch, diesen Begriff in die Wikipedia einzubringen, wurde abrupt abgebrochen, als die Ursache für Benachteiligungen benannt wurde. Es waren die Deutschen, die Familien, Nachbarn, Mitschüler etc. Denn unsere Väter waren nicht mehr da, uns zu beschützen.

    Früher galten wir als kleine Stalins, jetzt als Putins

    Viele von uns haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Als ich mir meiner Herkunft bewusst wurde, bin ich ungezwungen damit umgegangen, habe damit manchmal kokettiert. Andere wiederum schämten sich, wieder andere waren stolz darauf. Im Nachhinein denke ich, dass mir meine Herkunft eher genutzt hatte. Wir erfuhren von Gewissensbissen. Eine Erzählung lautet, dass ein sehr einfühlsamer Stiefvater sich um das Kind bemühte als wäre es sein eigenes.

    Viele Jahre nach seinem Tod hatte die Betroffene immer noch Schuldgefühle, wenn sie daran dachte, vielleicht doch nach dem leiblichen Vater zu suchen. Ihr schien, es wäre Verrat. Ein anderer Betroffener fühlte sich schuldig. Er hatte gehört, die Väter seien bestraft worden dafür, dass sie Kinder mit deutschen Frauen gezeugt haben und dachte, durch seine Existenz sei sein Vater eingesperrt worden.

    Eines war von vornherein klar, es gibt von uns keinerlei politische Erklärung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion brachen nationalistische Ressentiments aus. Es gab sie unterschwellig schon zu sowjetischen Zeiten. Um allen Russenkindern helfen zu können, bleiben wir absolut neutral, um niemanden davon abzuhalten, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Ebenso unabdingbar ist Verschwiegenheit.

    Nach dem 24. Februar 2022, dem Tag, an dem Russland die gesamte Ukraine angriff, änderte sich die Situation für einige von uns dramatisch. Spielte früher die Herkunft der Menschen in der Sowjetunion keine Rolle, kam es zu Fällen, in denen Familienmitglieder, die vorher in völligem Einklang miteinander lebten, miteinander brachen, weil mit einem Male ukrainische Wurzeln hervorgeholt wurden. Russisch sollte nicht mehr gesprochen werden, Familienmitglieder, Mutter und Geschwister nicht mehr kontaktiert werden.

    Ebenso kam es zu Beleidigungen, Beschimpfungen, sogar Gewalt wurde angedroht. Um es einmal populär auszudrücken – früher galten wir als kleine Stalins, jetzt als kleine Putins. Wir hatten Befürchtungen, dass unsere Arbeit, Hilfe bei der Suche nach der väterlichen Familie abgebrochen werden müsste. Es ist nicht der Fall. Es gibt weitere Nachfragen, ebenso helfen die russischen Archive bei den Auskünften wie gewohnt.

    Für uns ist Öffentlichkeit von Bedeutung, da nur so Betroffene und deren Nachkommen über die Möglichkeit informiert werden können, dass sie ihre Suchen aufnehmen können und wo sie Hilfe dazu erfahren.

    Anatoly Rothe ist Vorsitzender des Vereins Russenkinder e.V., im Netz zu finden unter

    https://www.russenkinder.de.

    Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

    #famille #guerre #occupation #URSS #DDR #Allemagne

  • Nach Auseinandersetzung : US-Soldat in Rheinland-Pfalz von Security-Mitarbeiter angeschossen
    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/nach-auseinandersetzung-us-soldat-in-rheinland-pfalz-von-security-mitar

    Opsreys in Baumholder at Baumholder Military Training Area, April 23, 2014. (U.S.Army photo by Visual Information Specialist Erich Backes/ Released)

    Rappel : A la différence avec l’armée rouge les forces d’occupation états-uniennes n’ont jamais quitté l’Allemagne. On les a rebâtisé « partenaires » et « amis » mais leur mission stratégique n’a jamais changé profondément. Ils sont là pour contenir l’ennemi à l’Est, rendre impossible qu’il crée une alliance avec l’Allemagne et empêcher le pays d’accéder au rang de puissance indépendante.
    Ce fait divers est typique pour la vie quotidienne dans le périmètre des garnisons

    Am US-Militärstandort Baumholder in Rheinland-Pfalz ist ein US-Soldat von einem Sicherheitsdienstmitarbeiter mit einem Schuss ins Bein verletzt worden.

    Ersten Ermittlungen zufolge war es in der Nacht zum Sonntag zunächst zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Security-Mitarbeitern und dem 23-jährigen Soldaten gekommen, nachdem dieser am Haupteingangstor den Sicherheitsdienst angriffen haben soll.

    Daraufhin schoss einer der Securityleute auf den Oberschenkel des Soldaten, wie die Polizeistationen in Baumholder und Trier mitteilten.

    Der US-Soldat sei sofort notversorgt und im Anschluss in ein Krankenhaus gebracht worden, hieß es. Laut den Angaben sollte der 23-Jährige die Klinik am Sonntag oder am Montag wieder verlassen können.

    Die genaueren Hintergründe des Vorfalls waren zunächst unklar. „Die Kriminalpolizei ist vor Ort und es laufen Vernehmungen“, sagte eine Polizeisprecherin.

    Angrenzend an die Gemeinde Baumholder befindet sich einer der größten Standorte der US-Army in Europa. In der „Baumholder Military Community“ sind etwa 6000 Amerikaner ansässig, neben den Soldatinnen und Soldaten leben dort auch Familienangehörige.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Baumholder

    Die Kasernen der Amerikaner heißen Smith Barracks und Wetzel Barracks. In den Einrichtungen der US Army leben rund 15.000 Menschen. Auch existiert das Baumholder Airfield, ein Flugplatz für militärische Zwecke. Die Amerikaner betreiben eine eigene Polizeiwache (Military Police), zwei eigene Kirchen, ein PX, ein Commissary, ein Krankenhaus, sowie eigene Schulen. Viele Geschäfte der Gemeinde akzeptieren US-Dollar als Zahlungsmittel und sind in hohem Maße von den Amerikanern abhängig.

    1979–81 war der spätere Serienmörder Jeffrey Dahmer als Soldat im medizinischen Dienst der Amerikaner in Baumholder stationiert.

    Bis heute sind die US-Streitkräfte und die Bundeswehr die größten Arbeitgeber für die örtliche Bevölkerung.

    Der Truppenübungsplatz Baumholder steht unter der Verwaltung der Bundeswehr. Auf mehr als 35 Schießbahnen und Feuerstellungen für Infanterie, Panzertruppe und Artillerie üben Soldaten der Bundeswehr, der USA und anderer NATO-Mitglieder.

    Seit 2002 verlagerte die US Army ihre Übungen zunehmend auf die Truppenübungsplätze Grafenwöhr und Hohenfels in der Oberpfalz, die ihrer eigenen Kontrolle unterstehen. Teile der im Ort stationierten US-Truppen wurden regelmäßig im Irakkrieg eingesetzt und kehrten großteils auch wieder nach Baumholder zurück.

    Am 13. Januar 2012 gab US-Verteidigungsminister Leon Panetta ein massives Sparprogramm für die US-Streitkräfte bekannt. So sollen unter anderem zwei der vier in Europa stationierten Kampfbrigaden der US Army abgezogen werden. Die 170. US-Infanteriebrigade, welche bisher in Baumholder stationiert war, wurde im Jahr 2012 aufgelöst.

    Seit 2012 wird die Baumholder Military Community aus Kaiserslautern geleitet. Es sind eine Logistikbrigade (16th SB), Flugabwehreinheiten (5–7 ADA), ein Fernmeldebataillon (44th ESB) und eine Medizinbrigade (30th MED) in Baumholder stationiert. Außerdem sind einige kleinere Einheiten in Baumholder stationiert, die einer größeren Einheit einer anderen Garnison unterliegen. Auch sind Untereinheiten von in Baumholder stationierten Einheiten in anderen Garnisonen beheimatet, z. B. im nah gelegenen Kaiserslautern oder in Grafenwöhr.

    Im April 2019 wurde das 44th Expeditionary Signal Battalion (44th ESB) mit 500 Soldaten samt Familien aus Grafenwöhr nach Baumholder verlegt. Im Januar 2019 wurden für die Angehörigen dieser Einheit 84 kleinere „Townhouses“ für 48 Millionen Euro fertig gestellt, weitere sollen folgen. Neben den Investitionen in die Townhouses will die US-Armee weitere 100 Millionen Euro für die Sanierung von älteren Kasernengebäuden ausgeben. Zudem sind Mehrfamilienhäuser, Schulen und ein zusätzliches Sportgelände geplant.

    #Allemagne #USA #occupation #militaire #

  • Zukunft der Linkspartei : Die Klassenfrage ist das Modernste
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173708.linkspartei-zukunft-der-linkspartei-die-klassenfrage-ist-das-mode

    Le parti de gauche allemand Die Linke est au bord du gouffre. Les auteurs de cet article lui rappellent que l’essence du parti est la lutte sociale, la lutte des classes. Pour eux il faut se débarrasser de l’influence des fonctionnaires et se concentrer sur la construction d’un parti socialiste ouvrier moderne.

    1.6.2023 von Heinz Bierbaum und Michael Brie - Am Abend des 26. September 2021 wurde klar, dass viel zu wenige Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik der Auffassung sind, sie bräuchten die Partei Die Linke noch als ihre Vertreterin im Bundestag. Gebraucht wurde sie danach auch nicht für die Bildung der neuen Regierung, obwohl doch der Wahlkampf genau auf eine bundesweite Regierungsbeteiligung abzielte. Und der dramatische Verlust an Mitgliedern der Partei zeigt: Selbst viele von ihnen brauchen diese Partei nicht mehr, und sei es deshalb nicht, weil sie an ihr verzweifeln. Eine Partei, die weder von den Bürgerinnen und Bürgern, noch im politischen System und nicht einmal von ihren eigenen Mitgliedern gebraucht wird, ist in der Existenzkrise.

    Seit 1990 gab es bisher zwei größere Versuche, eine sozialistische Partei links von der Sozialdemokratie aufzubauen. Der erste Versuch war der der PDS. Aus der kommunistischen Staatspartei der DDR wurde die Partei des Demokratischen Sozialismus formiert. Sie konnte sich, mühselig, behaupten, weil ihr Gebrauchswert klar war – eine linke regionale Volkspartei, die den Ostdeutschen Gehör verschaffte, Mitgestalterin des Beitritts zur Bundesrepublik in den Kommunen und auf Landesebene, Verteidigerin der Lohnabhängigen der DDR-Betriebe, die arbeitslos wurden, und jener, die ihre Grundstücke verloren, politische Heimat für jene aus der SED, die sich weiter dem Sozialismus verpflichtet sahen. Es gab mit Gregor Gysi, Lothar Bisky und anderen eine starke Führungsgruppe, die die Widersprüche des Projekts vorwärtsweisend vermittelte. Als die drängendste Tagesordnung des Beitritts abgearbeitet war, verfehlte die PDS eine überzeugende Neuorientierung, fiel 2002 aus dem Bundestag und konnte erst durch einen Sonderparteitag im Frühsommer 2003 wieder stabilisiert werden.

    Der zweite Versuch wurde durch die WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) unternommen, verbunden mit einer Neuorientierung der PDS und dem schließlichen Zusammenschluss beider zur Partei Die Linke. Die aggressive neoliberale Agenda 2010 von Gerhard Schröder hatte zu einer tiefen Entfremdung von SPD und Gewerkschaften geführt. Die Agenda 2010 war ein offener Angriff auf die hart erkämpften sozialen Rechte der Lohnabhängigen. Dem war mit dem Krieg gegen Serbien ein Bruch in der Friedensfrage vorhergegangen. Wiederum war der dreifache Gebrauchswert klar: Die Partei Die Linke setzte dem Neoliberalismus und Finanzmarkt-Kapitalismus sowie der imperialen Agenda der USA eine eigene soziale und friedenspolitische Agenda entgegen, setzte Alternativen wie den Mindestlohn und armutsfeste Renten auf die Tagesordnung. Sie machte ihren Gebrauchswert in Kommunen und Ländern deutlich und wurde zur politischen Heimat einer pluralen Linken mit sehr verschiedenen Herkünften. Auf einige Jahre hinaus verkörperte das Duo Gysi-Lafontaine die neue Gemeinsamkeit, gestützt von vielen erfahrenden Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten der politischen und gesellschaftlichen Linken.

    Seit der Mitte der 2010er Jahre hat sich die politische Tagesordnung erneut verändert. Der Neoliberalismus verlor an Kraft. Die große Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 bis 2009, die Krise der Europäischen Union, die Migrationsschübe in Folge der nicht zuletzt durch die USA und ihre Verbündeten heraufbeschworenen Kriege und Bürgerkriege im Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika, die Pandemie, die sich manifestierende Klimazerstörung und jetzt der Krieg auf dem Boden der Ukraine fordern einen umfassenden Umbau von Wirtschaft, Gesellschaft, Innen- wie Außen- und Sicherheitspolitik. Die 1989 vom Westen ausgeschlagene Einleitung eines Neuen Denkens und einer Neuen Politik (Gorbatschow) und einer »Globalen Revolution« der Nachhaltigkeit (Club of Rome) meldet sich 30 Jahre später mit Macht zurück. Es geht um fundamentale Weichenstellungen auf allen Ebenen des heutigen Krisen-, Katastrophen- und Kriegskapitalismus, verbunden mit fundamentalen globalen Machtverschiebungen. Diese neue Tagesordnung bestimmt auch die Politik in der Bundesrepublik.

    Vier mittelgroße Parteien bestimmen die bundesdeutsche parlamentarische Politik: Die SPD hat sich erneut den Gewerkschaften zugewandt und profiliert sich als Stimme der Mäßigung in Zeiten von Kriegskapitalismus und eingeleitetem ökologischen Umbau. Die Grünen sehen sich einer grünkapitalistischen Agenda und einem engen Anschluss an die USA und ihre neue Blockkonfrontation verpflichtet. CDU/CSU profitieren in Maßen von den Schwächen der anderen und bleiben auf der Suche nach ihrer eigenen Rolle. Die AfD hat sich fest etabliert als Partei des rechten Ressentiments gegen die herrschende Politik, verbunden mit Geschichtsrevisionismus, Kulturrassismus und einem konsequenten marktorientierten Wirtschaftsnationalismus. Sie wollen Deutschland als Festung in den kommenden Stürmen ausbauen. Die FDP spielt die Rolle des Wächters der Märkte und Vertreters eines Weiter-So bei Auto und Atomkraft. Die Partei Die Linke wird dagegen öffentlich fast nur noch wahrgenommen, wenn sie sich zerfleischt. Welchen Gebrauchswert kann eine linke sozialistische Partei in der Bundesrepublik heute haben? Auf diese Frage hat die Partei DIE Linke bisher keine zureichende Antwort gefunden.

    Die Partei Die Linke hat nur eine Chance, wenn sie in diesem Jahr nach den Versuchen von 1990 und 2003 konsequent einen dritten Versuch der Erneuerung der politischen Linken jenseits der SPD einleitet und bei den Europawahlen 2024 beweist, dass sie dabei Erfolg hat. Ausgangspunkt muss die Verortung der Partei in den neuen gesellschaftlichen Umbrüchen sein. Eine zweifache Transformation steht heute auf der Tagesordnung – die der Wirtschaft unter den Stichworten von Klimaneutralität und digitaler technologischer Revolution und die der geopolitischen Verhältnisse. Die Frage ist nicht, ob sich diese Transformationen vollziehen, sondern nur, wie und in wessen Interesse. Damit rückt die Klassenfrage ins Zentrum, wird die sozialistische Alternative wieder aktuell.

    Kapitalistische Klassengesellschaft erneut im Umbruch

    Erstens stellen die existenziellen ökologischen Herausforderungen Art und Weise des Produzierens und Konsumierens des Kapitalismus grundsätzlich in Frage. Eine auf fossilen Energien beruhende Produktion hat keine Zukunft mehr. Notwendig sind umfassende Transformationsprozesse in der Wirtschaft und vor allem in der Industrie. Und in der Tat sind solche Transformationsprozesse im Gange, laufen in den widersprüchlichen Verhältnissen einer kapitalistischen Entwicklung ab, die immer wieder zu Krisen führt und mit alter und neuer sozialer Ungleichheit und Polarisierung einhergeht. Die kapitalistische Klassengesellschaft ist erneut im Umbruch. Die Lohnarbeit nimmt zu, sie wird noch stärker durch den steigenden Anteil von Frauen, von Migrantinnen und Migranten, von der Spaltung in »Gewinner« und »Verlierer« geprägt. Die Angst vor dem Abstieg geht um.

    Die Partei Die Linke muss sich als gesellschaftlich-politische Kraft, die vom Standpunkt der Lohnabhängigen die Verbindung von Sozialem und Ökologischen ins Zentrum rückt, beweisen. Diese Verbindung verlangt zugleich eine Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus – einen Systemwechsel. Die Sozialismusfrage wird wieder aktuell. Dies ist der Linken durchaus bewusst. Die Bemühungen des letzten Jahrzehnts jedoch, neue Fragen wie die der Verbindung der sozialen und ökologischen Probleme zu stellen, haben bisher nur einen sehr begrenzten Erfolg. Die Partei Die Linke muss für die Bürgerinnen und Bürgern ihren gesellschaftspolitischen Gebrauchswert, bezogen auf die neue Tagesordnung, überzeugend unter Beweis stellen, wirksam auf die Kräfteverhältnisse und die Projekte im politischen System Einfluss nehmen und auf neue Weise politische Heimat der gegenwärtig bis an den Rand des Bruder- und Schwestermords verfeindeten innerparteilichen Gruppen und neuer Akteure werden. Werden die Fragen von einem klassenbezogenen Standpunkt der Interessen und des Gebrauchswerts gestellt, rückt nicht mehr das Trennende, sondern das Einigende in den Vordergrund.

    Zweitens haben wir es mit fundamentalen geopolitischen Veränderungen zu tun. Die USA ringen um ihre niedergehende hegemoniale Rolle in der Welt. Als Haupt- und Systemrivale wird die VR China ausgemacht. Es ist ein ideologisch immer weiter aufgeheizter Kalter Krieg im Gange, der die Gefahr offener militärischer Konfrontation bis hin zum Atomkrieg extrem verschärft. Nato und EU stellen sich auf die Seite der USA. Im Gegensatz zu den USA strebt China eine multipolare Ordnung an wie auch Indien und eine ganze Reihe Staaten in Lateinamerika (Brasilien) und Afrika (Südafrika), verbunden mit eigener Aufrüstung und Machtprojektion. Militärische Konflikte und Kriege finden weltweit statt und es entstehen neue bedrohliche Militärbündnisse wie Aukus (Australia, United Kingdom, United States). Der Krieg in der Ukraine ist Teil dieser geopolitischen Auseinandersetzung. Er hat verschiedene Dimensionen: Er ist ein Angriffskrieg Russlands und ein Verteidigungskrieg der Ukraine, bei dem der Westen Russland dauerhaft geopolitisch schwächen will. Es geht um die Sicherheit der Staaten der EU und ihrer Nachbarn und um die Stabilität in der Region des Schwarzen Meeres und von Zentralasien. Die Linke, die sich als Partei des Friedens versteht, hat bisher keine überzeugende Position in dieser Auseinandersetzung, sondern wirkt unbestimmt.

    Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter monieren zurecht, dass die Linke zwar sich um die soziale Frage kümmere, aber dabei keine ausreichende Klassenorientierung habe, ihr der Klassenkompass verlorengegangen sei. Damit einher gehe eine ungenügende Orientierung auf die Welt der Arbeit und die abhängig Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. (vgl. Eifler et al. »Die Linke braucht einen Klassenkompass«, in: Sozialismus 12-2022, S. 39)

    Die lohnarbeitende Klasse wird durch die Zwänge der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt beherrscht und in Abhängigkeit vom Kapital gehalten. Die Differenzen in der Qualifikation, zwischen den Beschäftigungssektoren, Zuschreibungen von Geschlecht, Alter, Kultur, sexueller Orientierung oder Herkunft bzw. Lebensort erzeugen Machtgefälle und unterschiedliche Lebenschancen. Schon Friedrich Engels wusste, dass die Konkurrenz der Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander »die schlimmste Seite der jetzigen Verhältnisse« (Engels 1844) ist, denn sie setzt genau jene immer wieder der Spaltung aus, die dauerhaft in gemeinsamer Solidarität miteinander würdig bestehen können. Gerade die hohe Heterogenität der lohnarbeitenden Klasse verlangt, ihre Gemeinsamkeit zu entwickeln. Diese Gemeinsamkeit erschließt sich vor allem, wenn man vom Standpunkt jener, die besonders gefährdet sind, Abhängigkeiten mehr als andere erfahren, auf die Klasse als Ganzes blickt. Sie muss ihre Fragen ausgehend von dem Alltag der lohnabhängigen Klasse stellen, von ihrer Arbeitswirklichkeit, von ihren Erfahrungen bei Miete oder Inflation, von den Erfahrungen ihrer Kinder in Schulen, die überfordert sind, von den Renten.

    So unerwartet dies sein mag: Es finden aktuellste existentielle Auseinandersetzungen um die Richtung, die die radikale Transformationen in der Welt der Arbeit, Produktion und Sorge, des Lebens und der Verhältnisse zur Natur, der Menschen und Staaten sowie Völker zueinander einschlägt, statt. So neu sie sind, so alt sind die damit verbundenen Fragen an die Linke. In dieser Fundamentalkrise des heutigen Kapitalismus muss sie sich erneut als klassenbewusste sozialistische Kraft konstituieren – oder sie versagt und geht unter. Sie muss die Gesellschaft mit Blick auf die Klassen in ihrer modernen Gestalt analysieren, die Frage des eigenen Gebrauchswerts ausgehend von der lohnarbeitenden Klasse und mit dem Ziel der Stärkung ihrer solidarischen Handlungskraft stellen. Das Konservativste in der Linke, die Klassenfrage, ist auch das Modernste, das Zeitgemäße!

    Linkspartei kann nie systemkonform sein

    Die tiefen Gräben in der Partei Die Linke haben sich vor allem immer dann gezeigt, wenn heftige Konflikte die bundesdeutsche Gesellschaft erfassten – mit Blick auf die Migration, die Pandemie und jetzt den Ukraine-Krieg. Genau dann, wenn eine überzeugende linke Position vor allem gebraucht wird, gibt es völlig gegensätzliche Positionen und die Partei erscheint mehrheitlich als bloßes soziales oder friedenspolitisch mäßigendes Korrektiv. Bei Teilen der Partei sind Klassenfragen in den Hintergrund getreten, sodass linksliberale und linkslibertäre Tendenzen sich ausbreiten. Dies wird begünstigt, wenn Politik sich weitgehend auf Korrekturen herrschender Politik beschränkt und Moral an die Stelle von materieller Analyse tritt, wenn die Interessen einzelner Gruppen oder auch Staaten nicht im Kontext kapitalistischer wie imperialer Verhältnisse, nicht im Bezug zu den Klassenbeziehungen thematisiert werden. Um für reale Veränderungen im bestehenden System zu kämpfen, braucht es eine Klassenperspektive. Ohne diese findet faktisch eine Anpassung an den »Mainstream« statt. Eine Partei wie Die Linke kann nie systemkonform sein, sondern muss immer herrschaftskritisch, kapitalismuskritisch, elitenkritisch sein und darf die sozialistische Zielperspektive nicht aus dem Auge verlieren. Es geht um eine »revolutionäre Realpolitik« (Rosa Luxemburg), die im Hier und Heute ansetzend gesellschaftlich umgestaltende Impulse freisetzt. Dies verlangt von ihr, sich der realen Widersprüche bewusst zu sein, ihnen nicht bequem auszuweichen oder die Linke in falsche auseinandertreibende Gegensätze zu spalten.

    Ein solcher falscher Gegensatz ist es, wenn eine populäre Partei, in der viele Bürgerinnen und Bürger ihre Vertretung und ihre politische Sprecherin sehen, einer »bewegungsorientierten Mitgliederpartei« gegenüber gestellt wird. Die erfolgreichen sozialistischen und kommunistischen sowie Arbeiterparteien waren immer beides und gewannen aus der Fähigkeit, beides zu verbinden, ihre Kraft. Ein falscher Gegensatz ist es auch, die Identitäten verschiedenster Gruppen und die Klassenfrage als den gemeinsamen Boden zu trennen.

    Seit dem 24. Februar 2022 ist aus einer geschwächten Partei Die Linke eine Partei im offenen Zerfallsprozess geworden. Es ist ihr nicht gelungen, eine überzeugende gemeinsame Position zum Krieg in der Ukraine zu entwickeln, ganz im Gegenteil. Der Versuch, den damit verbundenen Konflikten auszuweichen, hat diese bis zur Unerträglichkeit verschärft. Ein Krieg beherrscht immer die Tagesordnung. Alle sozialen, kulturellen, ökologischen, internationalen Fragen werden auf ihr Verhältnis zu diesem Krieg befragt. Man kann in der Frage von Krieg und Frieden nicht unbestimmt sein und zugleich linke Politik betreiben. Die abhängige, die lohnarbeitende Klasse fragt mit Recht: Welche Politik nützt uns in dieser konkreten Situation. Die untere Mitte der Klasse kommt immer schwerer über die Runden, die noch tiefer stehen, werden mehr als je zuvor Sozialstaatsabhängige oder sind auf die Tafel angewiesen. Besonders ausgeprägt ist dies in Ostdeutschland, wo die Linke ihre lange erfolgreiche Rolle als Verteidigerin dieser spezifischen Interessen und ihre Verankerung in der Zivilgesellschaft weitgehend verloren hat. Die Zukunft erscheint vielen Bürgerinnen und Bürgern immer bedrohlicher – bezogen auf die Unternehmen, von deren Wohl und Wehe die Lohnarbeitenden abhängig sind, bezogen auf die Fähigkeit des Staates, Sicherheit zu gewähren, bezogen auf die Klimakrise oder die globale Unsicherheit und Flucht.

    Die alte Klassenfrage muss neu auf den Tisch

    Die Partei Die Linke muss sich endlich fragen, was ihre ureigene Funktion in diesem Bündel der Konflikte und Widersprüche ist und sie kann dies nur, wenn sie ihren Klassenkompass aktiviert. Es muss die alte Klassenfrage neu auf den Tisch: Wem nützt die Politik der Bundesregierung mit ihren eskalierenden Waffenlieferungen, Sanktionen und dem Abwarten auf eine neue militärische Offensive? Die Linke muss sich entschieden dieser Politik entgegenstellen. Sie muss diese Frage der Interessen bei dem Wie der industriellen Transformation, im Bildungs- und Sorgebereich, bei der Integration von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten, bei allen brennenden Zeitfragen ins Zentrum rücken. Grundlage dafür ist ein der Klasse der Lohnabhängigen verbindendes Mitte-Unten-Bündnis, das jene, die der kapitalistischen Unsicherheit und Ungleichheit besonders ausgeliefert sind, mit allen vereint, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.

    Von Standpunkt der arbeitenden Klassen aller Länder müssen heute die Forderungen »Die Waffen nieder«, Waffenruhe, Verhandlungen mit der Perspektive einer neuen Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungsordnung im Osten und Südosten Europas sowie Verhinderung eines katastrophalen Kalten Kriegs lauten. Der Krieg in der Ukraine begann nicht im Februar 2022 und seine Ursachen liegen nicht allein in Russland, sondern auch in den USA und der EU sowie der Ukraine selbst. Lösungen kann es deshalb nur gemeinsam geben. Der Druck auf die Bundesregierung, auf die bundesweite Öffentlichkeit, auf die Medien, auf jene Unternehmen, die Kriegsgewinnler sind, um eine Wende in der Politik zu erzielen, ist die Hauptaufgabe der Linken im eigenen Land. Nur so kann auch erfolgreich für die Verteidigung der sozialen Rechte, den schnellen Übergang zur Klimaneutralität von Wirtschaft und Gesellschaft, die Sicherheit in der Transformation der Wirtschaft, die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge, den Ausbau des Gemeineigentums gekämpft werden.

    Partei braucht überzeugendes strategisches Zentrum

    Die Partei Die Linke wird nur aus der Existenzkrise herausfinden, wenn es ihr gelingt, in der neuen Situation globaler Umbrüche und hoher Unsicherheit ihren Gebrauchswert als sozialistische Gerechtigkeitspartei zu bestimmen und, davon ausgehend, endlich wieder strategisch geeint zu handeln. Dies ist ohne die Herstellung der Führungsfähigkeit auf Bundesebene unmöglich. Immer noch gibt es kein überzeugendes strategisches Zentrum, das in der Lage ist, die falschen Gegensätze zu überwinden und den richtigen Widerspruch zur herrschenden Politik zu formulieren. Ohne eine solches Führungszentrum hat die Partei Die Linke bei diesem dritten Anlauf keine Chance. Das strategische Zentrum der Partei Die Linke kann sich nicht durch mehr oder minder knappe Mehrheiten auf Parteitagen bilden, die zudem den Angestellten der Partei übergroßen Einfluss geben. Führung besteht gerade darin, die verschiedenen legitimen linken Ansätze zu bündeln, zusammenzuführen und in eingreifende Politik zu übersetzen. Werden wesentliche linke Ansätze dauerhaft ignoriert, zurückgedrängt oder sogar denunziert, ziehen sich deren Anhängerinnen und Anhänger zurück, verlassen die Partei oder es kommt zur Spaltung. Nicht Gründung einer neuen Partei jenseits der Partei Die Linke, sondern deren konstruktive Erneuerung wird gebraucht.

    Der Parteitag im November 2023 markiert das Datum, bis zu dem dieser Prozess der strategischen Verständigung und Einigung abgeschlossen sein muss. Daran wird sich messen, ob die Partei ein integratives, führungsfähiges strategisches Zentrum der Partei geschaffen hat, ohne das sie nicht bestehen kann. Auf dem Wege dahin geht es um zusammenführende, klassenbasierte strategische Analyse und Verständigung, Erarbeitung gemeinsam getragener Projekte, die den Gebrauchswert einer Linken im dritten Anlauf verkörpern. Ohne das »Trotz alledem«, ohne den Mut, die Herrschenden, die Machtstrukturen des Kapitalismus, die Kriegstreiber herauszufordern, wird es dabei nicht gehen.

    #Allemagne #politique #gauche