19.2.2024 von Per Gülzow, Sören Kittel - Rund 100 Klimaaktivisten haben heimlich ein Baumhaus-Dorf in den Wald in Grünheide gebaut – um das Holz, den feuchten Boden und das Trinkwasser zu schützen. Ein Besuch.
Ein vermummter Aktivist zieht sich an einem Seil zu einem der Baumhäuser hoch. Als er es betritt, schwankt es bedenklich. Das Baumhaus ist aus verschiedensten recycelten Versatzstücken zusammengezimmert, an einer Wand steht auf Russisch „Tschernobyl“. An der Unterseite sind Banner, auf denen steht: „Wald statt Asphalt“ und „Robinwood“. Auch eine Flagge der autonomen kurdischen Region Rojava, die für ihre Nachhaltigkeitskonzepte bekannt ist, flattert dort.
Vor zwei Tagen hat die Aktivistengruppe Tesla stoppen angefangen, Baumhäuser in den Grünheider Wald nahe dem Bahnhof Fangschleuse zu bauen, um gegen eine geplante Erweiterung des Tesla-Werkes zu protestieren. Sie blieben dabei unbemerkt, transportierten im Schutz der Dunkelheit mehrere Tonnen Material in den Wald. Am Donnerstagmorgen hängen an Seilen acht kleine und große Baumhäuser im Wald. Wenn der Wind etwas stärker bläst an diesem Morgen, wackeln sie schon stark.
Jësse, 38, aus Berlin sitzt in etwa fünf Metern Höhe auf dem Vorsprung eines der Baumhäuser. Mit einer leuchtend rosa Mütze, zwei übereinander gezogenen Pullis und Wollsocken schaut sie entspannt auf die Menge Reporter herab, die ihr vom Boden aus Fragen stellen. Von der Nachhaltigkeit des Autofabrikanten aus den USA ist sie nicht überzeugt. „Ein Tesla wird erst nach 100.000 Kilometern nachhaltiger als ein Benziner“, sagt sie. „So lange fahren die aber nicht.“ Elon Musks „grünen Kapitalismus“ nennt sie ein „Märchen“.
Mit den Bürgern vor Ort verstehen sich die Aktivisten bestens. Vor etwa einer Woche hatten die Einwohner von Grünheide gegen die Erweiterung des Tesla-Werkes gestimmt, mit einer Mehrheit von 62 Prozent. Am Montag wurde bekannt, dass Tesla seit zwei Jahren zu viel Stickstoff und Phosphor ins Abwasser leitet. Aus einem Schreiben des Wasserverbands Strausberg-Erkner, das mehreren Medien vorliegt, ging hervor, dass Tesla die Grenzwerte für Stickstoff und Phosphor teils um das Sechsfache überschreitet. Für Stickstoffe sind höchstens 50 Milligramm pro Liter erlaubt. Im Abwasser von Tesla stellte der Wasserverband jedoch Spitzenwerte von 220 und 240 Mikrogramm fest.
Aktivisten: „Tesla gefährdet das Trinkwasser“
Antje S., 58, aus Spreewerder, einem Ort der Gemeinde Grünheide, ist mit einem Korb mit Verpflegung zur Unterstützung vorbeigekommen. Aus bunten, selbst getöpferten Tassen schenkt sie Tee an die Aktivisten aus. „Dem Bürger werden diese immer neuen Pläne einfach vorgesetzt“, sagt sie. „Ich bin aus Berlin ins Grüne gezogen, um Maikäfer zu zählen, nicht damit für immer größere Fabriken der Wald abgeholzt wird.“
Ein Hauptanliegen der Aktivisten ist der Wasserverbrauch des Tesla-Werkes in Grünheide. „Die Tesla-Fabrik gefährdet das Trinkwasser“, sagt der 24-jährige Paul, der „irgendwas mit Umwelt“ in Berlin studiert und hier als Sprecher der Aktivisten aushilft. Paul erzählt, dass die Grenzwerte bei Schadstoffen im Abwasser von Tesla nicht eingehalten würden. Kurz darauf entrollt ein an einen Baum geschnallter Aktivist mit einer sonst bei Fußballspielen beliebten Bengalo-Fackel in der Hand ein großes Transparent, auf dem „Water is a human right“ („Wasser ist ein Menschenrecht“) steht.
Tesla-Fabrik: Grünheide auch nach Entscheidung gegen Erweiterung tief gespalten
Die Waldbesetzung ist gut organisiert. Es gibt eine Feldküche mit veganer Verpflegung, ein Schild weist zu den Toiletten, die gerade gebaut werden. Überall wird gesägt und gehämmert. Weitere Aktivisten kommen mit Schlafsäcken bepackt im Camp an. Für viele ist es nicht die erste Besetzung. „Ich selber war auch in Lützerath und einige andere im Hambacher Forst mit dabei“, sagt Paul. Aus Erfahrung ist vor allem die Toilette wichtig. „Manchmal pinkelt jemand in der Not von einem der Baumhäuser“, erzählt eine Aktivistin, die am Klohäuschen sägt. „Das wird aber nicht so gerne gesehen.“
Mit etwas Sorge sehen die Aktivisten die Nächte. Es heißt, besonders gefährlich seien anonyme „Sicherheitsdienste“ in der Nacht, die das Camp sabotieren könnten. Am Morgen, kurz nach 10 Uhr, kam es zu einem seltsamen Vorfall: Rund zehn Männer laufen in den Wald hinein, mit schnellen Füßen, immer geradeaus. Angesprochen von Camp-Bewohnern, wer sie seien, ob Polizisten in Zivil, sagen sie nichts. Genauso schnell laufen sie auch wieder hinaus. Wann sie wiederkommen wollen, ist nicht bekannt.